Bei „Aus dem Pflaster-Laster“ berichte ich von Einsätzen, dem Alltag auf der Rettungswache und von aktuellen Themen – von purer Routine bis zum Drama. Am Ende ziehe ich mein Fazit der Einsätze und zeige auf, was gut lief und was besser laufen könnte. Namen von Patienten, Orten und Kollegen lasse ich selbstverständlich aus.
Ein paar Gedanken zum Jahresende
Seit meinem Einstieg in den Rettungsdienst und meinem „Tag 1“ sind inzwischen doch ein paar Jahre ins Land gegangen. Die für mich doch nun etwas ruhigere Nachweihnachtszeit möchte ich einfach mal für einen persönlichen Rückblick nutzen.
Meine erste Feststellung: es hat sich im Rettungsdienst viel verändert – die 2010er waren im gesamten deutschen Rettungsdienst eine Umbruchphase, die mancherorts einiges auf den Kopf gestellt hat.
Damals…
…als ich das erste Mal Kontakt mit der rettungsdienstlichen Arbeitswelt hatte, war diese aus Sicht vieler älterer Kollegen „noch in Ordnung“. Für sie war es oftmals so, wie es schon immer war.
Es gab mehr als genug Rettungsassistenten, die ihre Ausbildung selbst finanziert haben und sich sogar um eine Anstellung als Rettungssanitäter prügeln mussten. Verträge waren grundsätzlich befristet und wer nicht die gewünschte Leistung brachte, war nach spätestens zwei Jahren weg vom Fenster.
Rettungssanitäter konnten froh sein, überhaupt einen Zeitvertrag zu bekommen – der Bedarf war durch Ehrenamtliche, FSJler und vor allem auch Rettungsassistenten einfach gedeckt.
Dass der RTW meist mit zwei Rettungsassistenten besetzt war, war üblich – beim NEF wurde sogar noch weiter ausgewählt. Auch auf den KTWs war meist zumindest ein Rettungsassistent eingesetzt, auf dem NKTW kam auch die Doppelbesetzung mit zwei RettAss regelmäßig vor.
Man musste sich „bewähren“ – wer gute Leistungen brachte, kam voran und „durfte“ auch mehr. Engagement, sowohl in den Einsätzen, als auch bei der kontinuierlichen Fortbildung und Tätigkeiten „rund um die Wache“ waren ein indiskutables Muss.
„Im ersten Jahr kommt niemand auf den RTW!“
– Aussage meines Wachenleiters
Das wurde im Großen und Ganzen bei den Rettungssanitätern auch genauso durchgezogen. Nach einem halben Jahr Dienst durfte man – selbstverständlich zusätzlich zu den regulären Diensten – dann ab und an als Dritter Mann auf dem RTW mitfahren.
Hat man sich in einigen Diensten gut angestellt, gab es mal ein oder zwei Dienste als Zweiter Mann, meistens mit Lehrrettungsassistenten oder Praxisanleitern. Liefen die gut, gab’s im darauffolgenden Monat nochmal ein oder zwei RTW-Dienste. Und dann nochmal. Irgendwann wurden die Dienste mehr, bis man in den Rahmendienstplan aufgenommen wurde.
Das RTW-Fahren musste man sich verdienen – und dementsprechend hat man es geschätzt.
Beim NEF war das sogar noch extremer – hier wurden fast ausschließlich Rettungsassistenten, und selbst hier nicht alle, eingesetzt. Ein Jahr Erfahrung in der Notfallrettung war neben der ominösen „Einweisung“ (die u.a. auch die Wegbeschreibung zu allen Bauernhöfen im Einsatzgebiet beinhaltete) mal eine Grundvoraussetzung.
Als RettSan auf das NEF zu kommen, glich fast einer „Adelung„. Nach ein paar Jahren (!) auf dem RTW und überdurchschnittlichen (heißt guten bis sehr guten) Leistungen, wurde man überhaupt mal dafür in Betracht gezogen.
Lehrrettungsassistenten und die Wachenleitung wählten gemeinsam geeignete RS aus, die in Frage kamen. Quasi „handverlesen“. Und auch dann erfolgten Praktikantenschichten im Dienstfrei – die „Abnahme“ der Eignung hatte der Wachenleiter grundsätzlich selbst durchgeführt.
Insgesamt war man als Wache sehr „unter sich“ – von den mitbesetzten Außenwachen abgesehen, wurde man praktisch ausschließlich auf der Stammwache eingesetzt. Man kannte alle Kollegen, man kannte das Einsatzgebiet quasi blind, die wachenspezifischen Eigenarten wurden als „State-of-the-Art“ angesehen. Familiär ist eigentlich eine noch zu schwache Bezeichnung. Praktisch alle, die länger dabei waren, wurden einem festen Team zugeteilt.
Gefunkt wurde nur analog – die Schienen für den Tragestuhl musste man noch selbst zusammenbauen, wenn man Patienten ein- oder ausladen wollte. Als „mobile Ausrüstung“ gab es bewährte (und sackenschwere) Ulmer Koffer, gerne gepaart mit dem ebenfalls sackenschweren LP12-EKG.
Kompetenzstreitigkeiten bei invasiven Maßnahmen waren eher Nebensache. Darf ich nicht, trau ich mir nicht zu, mach ich nicht. Fertig.
Die auch damals schon flachen „Hierarchien“ auf der Wache – nach Ausbildung und Dienstzeit – wurden nicht missachtet. Jeder hatte seinen Platz, wusste das und hat sich entsprechend verhalten.
…und heute
Der Personalmangel durch die Umstellung auf das NotSanG hat definitiv einige Spuren hinterlassen. Rettungssanitäter werden zwar nach wie vor „am laufenden Band“ produziert und decken zumindest halbwegs den Bedarf – Notfallsanitäter sind absolute Mangelware.
Wenn die Hilfsorganisationen eine Möglichkeit hätten, sich neue Notfallsanitäter zu backen – sie würden es tun. Das Interesse an der NFS-Ausbildung ist unglaublich hoch, die Zahl der grundsätzlich vergüteten Ausbildungsplätze verschwindend gering – der Bedarf wird nicht einmal ansatzweise gedeckt.
Als NotSan hat man quasi freie Auswahl, wo man zu welchen Konditionen arbeiten will. Eine unbefristete Anstellung ist einem sicher, oftmals wird sogar mit Prämien, Umzugsunterstützung oder übertariflicher Bezahlung geworben.
Die Fahrzeuge sind oftmals nur noch mit der gesetzlichen Mindestbesetzung besetzt – zwei RettAss oder NotSan auf einem Fahrzeug ist eine echte Rarität geworden. Der NKTW läuft, mangels Personal, rund die Hälfte der Zeit nur als „normaler“ KTW.
An Personal wird mittlerweile genommen, was man kriegen kann. Ob diejenigen schon von vier Arbeitgebern im Rettungsdienst vorher gekündigt wurden, interessiert keinen.
„Bewähren“ gibt es fast nicht mehr. FSJler werden spätestens nach einem halben Jahr auf den RTW gesetzt; hauptamtliche Rettungssanitäter oft schon nach 1 – 2 Monaten. „Geeignet oder nicht“ ist eine Frage, die erst gestellt wird, wenn etwas richtig schief lief. Hauptsache: das Fahrzeug ist besetzt.
Analog beim NEF – als RS, der zwei Jahre dabei ist, kann man davon ausgehen, auch auf dem NEF eingesetzt zu werden. Jedenfalls solange es das Rettungsdienstgesetz zulässt. Ob man überdurchschnittliche Leistungen bringt, ist Nebensache.
Zahlreiche Schichten sind unbesetzt – durch freiwillige Zusatzdienste, die entsprechend entlohnt werden, wird zumindest derzeit noch der Kollaps des Systems verhindert.
Das „Wachengefühl“ hat auch etwas gelitten – durch Bereitschaftsdienste kann ein Einsatz auf allen Rettungswachen der Organisation erfolgen. Man kann plötzlich am anderen Ende des Leitstellengebietes eingesetzt werden, wo man weder Umgebung, Krankenhausstruktur noch die Kollegen kennt. Es „zwingt“ einen vermehrt, standardisiert zu arbeiten und auch eigene Vorgehensweisen mal kritischer zu hinterfragen.
Feste Teams gibt es fast nicht mehr – diese sind im Zuge der Umstellung und des Personalmangels unter die Räder gekommen. Lediglich auf den Ein-RTW-Außenwachen konnte sich das Prinzip halten.
Technisch hat sich vieles verändert – gefunkt und alarmiert wird digital, die Ulmer Koffer wurden durch Rucksäcke ersetzt, das LP12 ist dem Corpuls C3 gewichen, Tragestühle sind als automatischer „Raupenstuhl“ oder mit „Treppensteiger“ ausgestattet, die RTW-Trage hat einen automatischen Einzug.
Das Fazit
Nein, früher war nicht alles besser – genauso wenig wie es heute der Fall ist.
Es hat sich viel im Rettungsdienst getan. Technisch sind wir nicht nur besser, sondern auch weitaus „benutzerfreundlicher“ geworden.
Wachentypische Eigenheiten, die oft als befremdlich empfunden wurden, sind auf dem absteigenden Ast.
Es wird nicht mehr über die fünf Notfallmedikamente als RettAss diskutiert, sondern über weitreichende Maßnahmen entsprechend des Pyramidenprozesses.
Der Notfallsanitäter ist ausbildungstechnisch nicht nur mit anderen Gesundheitsfachberufen endlich gleich auf; er weiß auch, was er kann und will es auch anwenden. Der gedankliche Sprung vom Gehilfen des Notarztes zur eigenverantwortlich arbeitenden Kraft in der Notfallrettung wurde geschafft.
Der Personalmangel hinterlässt meines Erachtens seine Spuren durchaus in der Qualität der Dienstleistung. Durch den Einsatz von Personen in der Notfallrettung, ohne entsprechendes Training, ohne Erfahrung und vor allen „ohne sich bereit zu fühlen“ wird der Notfallrettung ein Bärendienst erwiesen.
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