Vorwort
Bei einem Besuch der örtlichen Integrierten Leitstelle in einem ruhigen NKTW-Spätdienst hatte ich seit längerem Mal wieder die Möglichkeit, ein paar Minuten bei der Notrufabfrage „mitzulauschen“.
Und eine Sache ist mir dabei besonders aufgefallen – der Versuch der Anrufer, eine irgendwie passende „Diagnose“ zu finden. Praktisch jedes Mal, als der Disponent etwas weiter abgefragt hatte, wurde diese widerlegt – in sieben von zehn Anrufen war das Einsatzstichwort ein gänzlich anderes, als der Anrufer „wünschte“.
„Meine Mutter hat einen Schlaganfall!“
„Welche Beschwerden hat sie?“
„Sie hat so schlimme Kopfschmerzen.“
„Sind Vorerkrankungen bekannt?“
„Sie hat Migräne.“
„Sind die Schmerzen anders als sonst?“
„Ähm…nein…nein, eigentlich nicht.“
Die Anruferin wurde – auch, durch die sonst vollkommen unpassende Symptomatik – an den ärztlichen Bereitschaftsdienst verwiesen.
Genau so etwas kommt vor. Tagtäglich. Der Versuch, medizinischer Laien, eine halbwegs passende Diagnose zu stellen, geht mangels Ausbildung und Erfahrung meist in die Hose.
Mir kam die Idee, es den Ersthelfern einfacher zu machen. Nicht diagnostizieren, sondern einschätzen! Das ist zwar auch nicht immer hundertprozentig passgenau, erhöht aber die Chance, „richtig“ zu liegen – nämlich damit, ob ein Notfall vorliegt oder nicht – erheblich.
Was ist die Grundidee?
Der Ersthelfer lässt das „diagnostizieren“ sein – die Einschätzung des Patientenzustands erfolgt anhand der Leitsymptome.
Was ist ein Leitsymptom?
Ein Leitsymptom ist die Hauptbeschwerde bzw. das offensichtlichste Problem des Patienten. Also im Prinzip genau das, was der Patient als erstes auf die Frage „Was ist denn los?“ antworten würde – oder eben genau das, was einem zuerst ins Auge springt.
So kann „Atemnot“ ein Leitsymptom sein, genau wie „Brustschmerzen“, „Bewusstlosigkeit“, „starke Blutung“ oder „Fieber“.
Was bedeutet das für den Ersthelfer?
Der Ersthelfer trifft die Entscheidung „Notfall“ oder „Nicht-Notfall“ anhand des Leitsymptoms, nicht seiner Diagnose. Ist das Leitsymptom bedrohlich, wird der Notruf über die 112 abgesetzt und genau dieses genannt.
Das erspart dem Disponenten oftmals viele (zeitraubende) Nachfragen und sorgt zudem für eine höhere Trefferwahrscheinlichkeit, dass alle benötigten Kräfte direkt alarmiert werden.
Bei weniger oder nicht bedrohlichen Symptomen kann eine Vorstellung beim Hausarzt, beim ärztlichen Bereitschaftsdienst oder ggf. die Versorgung zu Hause mit üblichen Hausmitteln.
Welche Leitsymptome sollte der Ersthelfer erkennen?
Damit das System funktioniert, muss der Ersthelfer natürlich wissen, welche Symptome wie gedeutet werden müssen. In einigen Fällen macht auch die Kombination verschiedener Leitsymptome den Unterschied.
Im Grunde genommen erfolgt anhand der Leitsymptome die Einteilung in akuter Notfall, behandlungsbedürftig und unkritisch.
In die Kategorie akuter Notfall fallen all die Leitsymptome, die unmittelbar als bedrohlich einzuschätzen sind.
Bedrohliche Leitsymptome
- Atem-/Kreislaufstillstand,
- akute Atemnot,
- Bewusstlosigkeit/Bewusstseinsstörungen,
- Brustenge,
- starke Blutungen,
- akute Gefühlsstörungen,
- akute Lähmungen,
- neu aufgetretene Sprachstörungen,
- Krampfanfall,
- offene Brüche
- …
Bei einem bedrohlichen Leitsymptom oder der Kombination mehrerer ist erstmal von einem akuten Notfall auszugehen – dementsprechend ist hier die Alarmierung des Rettungsdienstes über die 112 notwendig.
Parallel dazu erfolgen lebensrettende Sofortmaßnahmen sowie weitere Erste Hilfe nach Fähigkeiten des Helfers.
Die Kategorie Behandlungsbedürftig umfasst die Probleme, die zwar keine Lebensgefahr bedeuten, aber dennoch (zeitnah) ärztlich behandelt werden müssen. Die Leitsymptome sind hier weniger bedrohlich.
Weniger bedrohliche Leitsymptome
- Bauchschmerzen,
- Übelkeit/Erbrechen,
- hohes Fieber,
- starker Husten,
- Kopfschmerzen,
- Schwindel (ohne weitere Beschwerden),
- anhaltendes Nasenbluten,
- kleinflächige Verbrennungen,
- …
Ansprechpartner sind hier der Hausarzt und außerhalb der üblichen Sprechstundenzeiten der ärztliche Bereitschafsdienst.
„Unkritisch“ sind die Symptome, bei denen eine dringliche ärztliche Behandlung nicht erforderlich ist. Eine Behandlung zu Hause oder ggf. durch den Hausarzt ist möglich.
Unkritische Leitsymptome
- einfache Schürfwunden,
- einfache Schnittverletzungen,
- leichtes bis mäßiges Fieber,
- Husten,
- Schnupfen,
- Heiserkeit,
- Unwohlsein,
- …
Ergänzung: Die notfallbezogene Einschätzung
In nicht allen Fällen ist das Erkennen des Leitsymptoms sofort möglich, aber der Unfallhergang ist bekannt – zum Beispiel bei Verkehrsunfällen. Oder aber es ist noch kein Leitsymptom eingetreten, ein Notfall ist aber erkennbar – zum Beispiel beim Brand mit eingeschlossenen Personen.
Die Einschätzung „von den Umständen her“ ist also ein Hilfsmittel, wenn eine Beurteilung des Betroffenen nicht möglich ist.
Hier werden nur die Fälle „akuter Notfall“ und „unkritisch“ auf den Ersten Blick unterschieden – und dementsprechend verfahren.
Beim akuten Notfall erfolgt auch hier das Absetzen des Notrufs, bei „unkritisch“ erfolgt die Suche und weitere Einschätzung nach Leitsymptomen.
Ablaufschema
Ärztlicher Bereitschaftsdienst
Für alle Erkrankungen und medizinischen Probleme, die nicht akut lebensgefährlich sind (aber dennoch zeitnah ärztlich behandelt werden sollen), gibt es den ärztlichen Bereitschaftsdienst. Dieser übernimmt die Aufgaben des Hausarztes außerhalb der üblichen Sprechstundenzeiten und macht bei Bedarf auch Hausbesuche.
Der ärztliche Bereitschaftsdienst ist bundesweit kostenlos unter der 116117 (ohne Vorwahl) erreichbar – auch am Wochenende, an Feiertagen und nachts. Siehe auch 116117.de.
Im Notfall
Bei akuten, lebensbedrohlichen Erkrankungen und Verletzungen ist umgehend Erste Hilfe zu leisten und der Rettungsdienst zu verständigen.
Bei akuten Notfällen ist der Notruf von Feuerwehr, Rettungsdienst und Notarzt die 112 (ohne Vorwahl).
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