Die erste Reanimation

Bei „Aus dem Pflaster-Laster“ berichte ich von Einsätzen, dem Alltag auf der Rettungswache und von aktuellen Themen – von purer Routine bis zum Drama. Am Ende ziehe ich mein Fazit der Einsätze und zeige auf, was gut lief und was besser laufen könnte. Namen von Patienten, Orten und Kollegen lasse ich selbstverständlich aus.

Quelle: Wikimedia Commons, gemeinfrei

Es gibt Einsätze, die einem das gesamte Berufsleben in Erinnerung bleiben werden. Der Klassiker schlechthin ist die erste Reanimation.

Die Aufregung, die Nervosität und das Gefühl des Reanimierens selbst lassen die Situation oft vollkommen surreal wirken. Man funktioniert. Es ist eigentlich einer der “entspanntesten” Notfälle aus rettungsdienstlicher Sicht. Jeder weiß, was Sache ist. Jeder weiß, was er zu tun hat.

Auch wenn ich den ersten Toten schon an meinem Tag 1 abhaken musste, lies meine erste richtige Reanimation mit vollem Programm doch recht lange auf sich warten.

Ich war zu der Zeit schon ein paar Monate auf dem RTW und mein FSJ neigte sich so langsam dem Ende zu. Entsprechend unseres Rahmendienstplans hatte ich meist RTW-Nachtschichten, so auch bei diesem Einsatz.

Unterwegs mit einem routinierten Team, in dem ich zu dem Zeitpunkt zweifellos die meisten Notfalleinsätze hatte. Wir verstanden uns gut und die Nachtschichten hatten wir gerne zusammen.

Unerwartet und unvorbereitet

Eine gute Zeit vor Schichtbeginn bin ich schon auf der Wache, ziehe mich um, löse einen Kollegen von der Tagdienstbesatzung ab und bin mit dem Fahrzeugcheck schon fast fertig, als meine Kollegen eintreffen.

Nachdem es insgesamt einsatztechnisch recht ruhig war, machen wir uns bei einem Kaffee an die Abendplanung. Wie in vielen Nachtschichten zuvor wollen wir etwas kochen – diesmal sollen es Wraps werden.

Meine Kollegin vom RTW und ich machen uns auf die “Versorgungsfahrt” und beginnen nach erledigtem Einkauf mit den Vorbereitungen. Doch soweit sollte es erstmal nicht kommen…

Einsatzdaten

Einsatzmeldung: Akutes Koronarsyndrom

Alarmierte Fahrzeuge: RTW + NEF, mit Sonder-/Wegerechte.

Es ging in unserer Stadt in die Nähe des Altenheims. Aufgrund umfangreicher Baumaßnahmen war die normale Anfahrt nicht möglich, somit mussten wir den deutlich längeren Weg über die Bundesstraße nehmen. Fünf oder sechs Minuten Anfahrt statt zwei…

Scene – Safety – Situation

Scene: Frühlingsabend, unauffälliges Wohngebiet, Erdgeschoss eines Einfamilienhauses

Safety: keine augenscheinlichen Gefahren.

Situation: Zeitgleiches Eintreffen von RTW und NEF, Ehefrau öffnet die Tür und berichtet, dass ihr Mann einen Herzinfarkt habe.

Wir gingen um die Ecke ins Wohnzimmer, als unsere Notärztin meinte

“Das ist eine Reanimation!”

Auf dem Sofa lag unser 60-jähriger blasser, lebloser Patient, der augenscheinlich von seinem Sohn reanimiert wurde. Das letzte Mal wurde er vor einer Viertelstunde lebend gesehen.

Ab da ging eigentlich alles ganz schnell. Meine Kollegin, die Notärztin und ich holten den Patienten vom Sofa auf den Boden und schafften Platz. Meine Kollegin fing an zu drücken, ich machte den C3 fertig und klebte die Patches auf, während der NEF-Fahrer die Intubation richtete.

In diesem Moment war meine Nervosität unermesslich und ich hatte zunächst Probleme, die Patches aus der Verpackung zu kriegen. Einmal tief durchgeatmet und es lief wieder.

Danach löste ich meine Kollegen beim Drücken ab und der Tubus saß zwischenzeitlich. Das Gefühl fand ich sehr…eigenartig. Einmal wurde ich wegen der Drucktiefe korriegiert, dann war es gut. Es fühlte sich doch anders an als bei den Puppen, mit denen wir trainiert haben – zudem war der Patient adipös, was doch eine erhebliche Kraftanstrengung bedeutete. Die hatte ich wirklich unterschätzt.

Dementsprechend froh war ich, als unser NEF-Fahrer mich nach dem Richten von Infusion und Medikamenten ablöste.

Nun ging es darum, einen Zugang zu bekommen…

“Sollen wir bohren?”

war tatsächlich meine erste Frage – rückblickend gesehen wäre ich wohl der letzte gewesen, der dies übernommen hätte.

Ich sollte erstmal einen normalen Zugang versuchen. Und ich fand sogar eine Vene – die ich dann prompt durchstochen habe. Meine Kollegin löste daraufhin den NEF-Fahrer ab und dieser legte schließlich den Zugang.

Medikamente. Adrenalin, immer wieder. Die Reanimation dauerte immer noch an. 4 H’s und HITS. Myokardinfarkt oder Lungenarterienembolie? Seit mehreren Tagen ging es ihm schlecht, er klagte über einen Kloß im Hals und Belastungsdyspnoe. Aufgrund der vermuteten thrombotischen Ursache gab es Heparin. Wir reanimierten weiter.

Nach 45 Minuten zeigte das EKG nach wie vor eine Asystolie. Die Notärztin rief eine Teambesprechung ein, während ich am Drücken war. Wir gingen noch einmal alles durch. Nichts vergessen. Wir besprachen die Wünsche und die Situation mit den Angehörigen.

“Sind alle damit einverstanden, dass wir aufhören?”

Das war die Frage, die unsere Notärztin gestellt hat. Meine Kollegen nickten, ich hörte auf zu drücken.

Die Anstrengung war vorbei. Erfolglose Reanimation. Es folgte nun das Aufräumen, die Besprechung des Vorgehens mit den Angehörigen und die Dokumentation. Auf Wunsch der Notärztin machten wir noch eine 10-minütigen EKG-Ausdruck.

Die Ehefrau war untröstbar – wir entschieden uns also, das KIT des Landkreises nachzufordern.

Dann ging es auch schon auf die Wache. Auffüllen. Nachbesprechung. Abendessen.

Background-Info

Corpuls C3

EKG-Monitor mit Defibrillator- und Schrittmacherfunktion für den Einsatz im Rettungsdienst.

(Defi-)Patches

Ugs. Klebeelektroden für den Defibrillator.

4 H’s und HITS

Potentiell reversible Ursachen eines Kreislaufstillstands. Umfasst Hypoxie, Hypovolämie, Hypo-/Hyperthermie, Hypo-/Hyperkaliämie, Herzbeuteltamponade, Intoxikationen, pulmonale oder kardiale Thrombose/Thromboembolie und Spannungspneumothorax.

Asystolie

“Nulllinie” im EKG, keinerlei elektrische Herzaktivität.

KIT

Kriseninterventionsteam. Einheit der psychosozialen Notfallversorgung (PSNV) zur Betreuung von Beteiligten/Angehörigen nach belastenden Situationen (wie erfolglose Reanimationen).

Fazit

Was fand ich gut?

  • dass eine Laienreanimation durchgeführt wurde,
  • die reibungslose Zusammenarbeit in einer Situation, die für mich Neuland war,
  • die ruhige, klare Anleitung durch unsere Notärztin,
  • Teambesprechung – diese halte ich im Rahmen einer Reanimation für unerlässlich und den gefundenen Konsens für notwendig. Sie hätte allerdings durchaus früher kommen können.
  • Nachalarmierung des KIT für die Angehörigen – wird sonst zu oft vergessen.

Was fand ich nicht gut?

  • Einsatzmeldung wurde wohl ohne strukturierte Notrufabfrage erstellt – Lage vor Ort war schlimmer als gemeldet
  • Reanimation auf dem Sofa und damit de facto wirkungslos – wäre durch eine telefonische Erste-Hilfe-Anleitung durch die Leitstelle wohl vermeidbar gewesen
  • meine Nervosität
  • meine Übernahme von Tätigkeiten ohne ausreichende Übung (i.v.-Zugang)

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Über SaniOnTheRoad

Die erste Reanimation

SaniOnTheRoad

Notfallsanitäter, Teamleiter und Administrator des Blogs. Vom FSJler über Ausbildung bis zum Haupt- und Ehrenamt im Regelrettungsdienst und Katastrophenschutz so ziemlich den klassischen Werdegang durchlaufen. Mittlerweile beruflich qualifizierter Medizinstudent im vorklinischen Abschnitt. Meine Schwerpunkte liegen auf Ausbildungs- und Karrierethemen, der Unterstützung von Neueinsteigern, leitliniengerechten Arbeiten sowie Physiologie, Pathophysiologie, Pharmakologie und EKG für den Rettungsdienst. Mehr über mich hier.


6 Kommentare zu diesem Beitrag:

Toller Beitrag, die erste Reanimation bleibt einem tatsächlich immer im Gedächtnis. Irgendwie wartet man ja auch darauf und wird immer gefragt, wenn man neu ist ob man schonmal reanimiert hat.

Wie immer herrlich spannend und lehrreich :)))
Wie geht es bei diesem Satz denn weiter:
“Das letzte Mal wurde er vor einer viertel…”?

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