Mein „Tag 1“

Bei „Aus dem Pflaster-Laster“ berichte ich von Einsätzen, dem Alltag auf der Rettungswache und von aktuellen Themen – von purer Routine bis zum Drama. Am Ende ziehe ich mein Fazit der Einsätze und zeige auf, was gut lief und was besser laufen könnte. Namen von Patienten, Orten und Kollegen lasse ich selbstverständlich aus.

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Ich finde es nur fair, neben meinen Ratschlägen, die ich zu diesem Thema gegeben habe, auch von meinem „Tag 1“ zu berichten und zu zeigen, dass bei mir auch nicht alles rund lief.

Zum Hintergrund: ich war zu dem Zeitpunkt zarte 19 Jahre alt, es war Januar, und das Ganze kurz vor meinen Abiturprüfungen – drei Tage Hospitation auf dem RTW für das FSJ, dass ich im Sommer des Jahres beginnen sollte.

Bewerbung beim Landesverband war schon eingereicht, bei der Rettungsdienstleitung und der Wachenleitung habe ich mich vorgestellt und jetzt ging es nur noch darum zu zeigen, „ob ich hier hin passe“.

Wie alles begann…

04:45 an einem Dienstag morgen. Der Wecker klingelt, es hat draußen geschneit und ich stehe ein wenig unter Zeitdruck – Dienstbeginn um 6 Uhr, ich sollte eine halbe Stunde vorher da sein. Mehr Zeit als Duschen, anziehen, Sachen packen und ein schnelles Frühstück bleibt nicht.

Es haut alles hin und um 5:30 stehe ich vor der Wache und klingele – die Tür öffnet sich und ich gehe nach oben Richtung Aufenthaltsraum, wo ich die Kollegen vermute.

Dort angekommen ernte ich neben etwas fragenden vor allem verschlafene Blicke. Ich stelle mich vor, sage dass ich meine Hospitation für das FSJ mache. Zwei ältere Kollegen stellen sich mir vor – darunter auch mein späterer Praxisanleiter. Mit ihnen habe ich heute Dienst auf dem RTW.

Ich bekomme erst einmal die Wache mit ihren Räumlichkeiten gezeigt, werde eingekleidet und auf einen Kaffee eingeladen, den ich in Anbetracht der frühen Uhrzeit gerne annehme.

Zwei ältere und erfahrene Rettungsassistenten, die mir alles zeigen, einer davon Lehrrettungsassistent – klingt gut, ich fühl mich wohl und vor allem sicher.

Wir erledigen zuerst noch die Formalien (Schweigepflichtunterweisung, Anschnallpflicht…) und dann geht es endlich an den RTW.

Mir werden die Abläufe des Fahrzeugchecks gezeigt und worauf ich achten muss. Erster Eindruck: ziemlich viel, und man ist ziemlich erschlagen. Nachdem ich noch nie einen RTW von innen gesehen habe, wird mir (Gott sei Dank) viel erklärt und gezeigt – immer mal wieder durchbrochen von Fragen meinerseits und ein paar praktischen Übungen. Wie kriege ich die Geräte raus und wieder rein? Und wie die Fahrtrage?

Nach etwas üben klappt es gut – ohne Zeitdruck, in einer beleuchteten Halle.

Weit sollten wir mit dem Checken aber nicht kommen…

07:20 – und der erste Einsatz kam. Ich wusste ehrlich gesagt nicht was mich erwartet, ich nahm einfach im Patientenraum Platz und schnallte mich an. Das Tor geht auf, mein Praxisanleiter dreht sich durch das Zwischenfenster und sagt „Wir haben einen Kreislaufstillstand. Kann sein, dass Du gleich deinen ersten Toten siehst…nimm das EKG mit!“ Gespräch beendet.

Es sollte in einen Stadtteil meiner Heimatstadt gehen – knappe 10 Minuten Fahrzeit. Das Gefühl bei sehr zügiger Fahrt hinten im RTW ist unbeschreiblich – mir wurde beim Autofahren noch nie so schlecht. Mir schossen gefühlt tausend Gedanken in den Kopf von „Hoffentlich sieht er nicht komisch entstellt aus“ bis zu „Was kann ich jetzt am sinnvollsten machen?“.

Fast halb 8 und wir sind am Einsatzort angekommen. Ich erinnere mich daran, dass ich das EKG mitnehmen sollte und mache mich frisch ans Werk – und scheitere. In der Aufregung habe ich komplett vergessen, die Verriegelung von der Halterung raus zu machen. Gott sei Dank habe ich es noch schnell genug bemerkt und gehe – mit EKG – schnellen Schrittes den Kollegen hinterher.

Tatsächlich war ich noch nie so aufgeregt in meinem Leben – innerlich stellte ich mich darauf ein, gleich die große Notfallmedizin zu sehen; mit Blutdruck und Puls jenseits von Gut und Böse.

Haustür rein, der Enkel empfängt uns, die enge Wendeltreppe nach oben in den zweiten Stock und – etwas außer Puste – ins Schlafzimmer. Dort liegt unser Patient. Aschfahl, eiskalt und … steif wie ein Brett. Keine große Notfallmedizin, wie auch die Notärztin, die wenige Augenblicke später das Zimmer betritt, bestätigt.

Also: kein Drama, keine Reanimation, dafür „Papierkram“ und die Betreuung der Angehörigen. Ich hole für den NEF-Fahrer die vorläufige Todesbescheinigung aus dem NEF, die Notärztin ist am schreiben, der Kollege vom RTW kümmert sich um die Ehefrau und mein Praxisanleiter und ich machen sich ans aufräumen.

„So kann es gehen. Damit muss man hier umgehen können.“ sagte er und fügte nach kurzem Schweigen hinzu, „Der Mann war alt und hatte unheimlich viele Vorerkrankungen, so wie die meisten unserer Patienten“. Ein mulmiges Gefühl blieb bei mir trotzdem. Von Null auf Hundert wieder auf Null.

Die Geräte haben wir schon vor Ort sauber gemacht und es geht zur „Versorgungsfahrt“, dem Einkaufen. Wir gehen durch den örtlichen Lidl und kaufen für das Mittagessen ein. Klischeehaft zum einen, zum anderen beachtenswert, wie wenig sich meine älteren Kollegen dadurch aus der Ruhe bringen lassen.

Wieder auf der Wache checken wir das Auto fertig und die letzten Erklärungen folgen – mir wird gezeigt, wie man ein „Monitoring-EKG“ (6-Kanal-EKG) klebt und ich darf mich am Blutdruckmessen üben. Bis dahin war es dann auch schon Mittag und wir kamen tatsächlich dazu, etwas zu essen.

Es folgten Fachsimpeleien, Fragen über meine beruflichen Ziele und eine Ablaufbesprechung der Rettungssanitäterausbildung.

Am späteren Nachmittag geht erneut der Melder – erneut zusammen mit dem NEF. Diesmal ein „akutes Koronarsyndrom“ (Anm.: ein akutes Koronarsyndrom beschreibt herzinfarktähnliche Symptome und wird fälschlicherweise auch synonym zum Herzinfarkt verwendet).

Diesmal geht es in einem Dorf im „Umland“, etwas mehr als 15 Minuten Fahrzeit und auch von der Fahrweise her etwas entspannter. Gedanklich konnte ich mich schon besser darauf einstellen und fühle mich auch schon weniger aufgeregt. EKG nach Ankunft mitnehmen klappt ohne Probleme.

Die Beschwerden, die die ältere Patientin schildert sind diffus und scheinen von einem Sturz herzurühren. Das EKG, dass die mittlerweile eingetroffene Notärztin befundet, ist ebenfalls unauffällig. Ich bereite die Trage (erfolgreich!) vor, bringe sie nach drinnen, wir legen die Patienten darauf und im Auto erfolgt alles weitere – die Notärztin legt einen venösen Zugang, verabreicht eine Vollelektrolytlösung und gibt Schmerzmittel. In diesem Fall Midazolam in Kombination mit Esketamin.

Mangels Platz im Patientenraum muss ich vorne Platz nehmen, unsere Notärztin begleitet. Es geht in das nächste chirurgische Krankenhaus. Trage raus, Übergabe, umlagern. Wir machen Trage und Geräte sauber und laden alles wieder ein. Rückfahrt auf die Wache, kurz vor der Übergabe an die Nachtschicht.

Wir besprechen den Tag nach und ich werde nach meiner Meinung gefragt. Durchweg positiv – ich kann mir wirklich vorstellen, so etwas öfter zu machen.

Der Abschluss bildete das Gespräch mit meinem späteren Praxisanleiter…

Kommst Du morgen wieder?

Ich, verwundert „Ähm…ja, klar. Wieso fragst Du?

Der letzte, dessen Hospitation mit einer Rea angefangen hat, wollte danach nicht mehr. Ich will nur auf Nummer sicher gehen„.

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Über SaniOnTheRoad

Mein „Tag 1“

SaniOnTheRoad

Notfallsanitäter, Teamleiter und Administrator des Blogs. Vom FSJler über Ausbildung bis zum Haupt- und Ehrenamt im Regelrettungsdienst und Katastrophenschutz so ziemlich den klassischen Werdegang durchlaufen. Mittlerweile beruflich qualifizierter Medizinstudent im vorklinischen Abschnitt. Meine Schwerpunkte liegen auf Ausbildungs- und Karrierethemen, der Unterstützung von Neueinsteigern, leitliniengerechten Arbeiten sowie Physiologie, Pathophysiologie, Pharmakologie und EKG für den Rettungsdienst. Mehr über mich hier.


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