Rettungsdienst aktuell – Themen die den Rettungsdienst, seine Mitarbeiter und Interessierte beschäftigen. Von leitliniengerechter Arbeit bis zur gesellschaftskritischen Diskussion.
In Anbetracht der aktuellen Diskussion um das NotSanG, das Heilpraktikergesetz und die Kompetenzen des Notfallsanitäters wird man um den Heilpraktiker als Begriff nicht herum kommen.
Das Heilpraktikergesetz regelt den Arztvorbehalt.
„(1) Wer die Heilkunde, ohne als Arzt bestallt zu sein, ausüben will, bedarf dazu der Erlaubnis.
(2) Ausübung der Heilkunde im Sinne dieses Gesetzes ist jede berufs- oder gewerbsmäßig vorgenommene Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Krankheiten, Leiden oder Körperschäden bei Menschen, auch wenn sie im Dienste von anderen ausgeübt wird. […]“
– § 1 HeilprG
Das bedeutet nichts anderes als: wer heilkundlich tätig sein will, muss Arzt sein – oder eben Heilpraktiker.
Als in den 1930ern das Heilpraktikergesetz verabschiedet wurde, war an einen organisierten Rettungsdienst noch nicht zu denken – geschweige denn an Notfallsanitäter, die möglichst eigenständig und berufsmäßig „Tätigkeit[en] zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Krankheiten, Leiden oder Körperschäden bei Menschen“ durchführen sollen.
Und genau das fällt uns heutzutage auf die Füße. Manch ein Notfallsanitäter hat sich da gedacht
„Ich mach einfach die Prüfung zum Heilpraktiker!“
…manch einer aus purer Lust und Laune, manch einer zur Vertiefung des medizinischen Wissens, manch einer, um tatsächlich als Heilpraktiker tätig zu sein – und manch einer, weil er sich mehr Rechtssicherheit erhofft.
Grund genug, uns die gesetzlichen Grundlagen mal zu Gemüte zu führen.
Der Heilpraktiker
Dem Heilpraktiker haftet so ein wenig das Image von „Frühverrentete Oma Erna hatte nie etwas mit Medizin zu tun und hält sich nach der im zehnten Anlauf bestandenen Prüfung beim Gesundheitsamt für einen Medizin-Guru“ an. Leider nicht ganz zu unrecht.
Heilpraktiker benötigen keinerlei vorgeschriebene Ausbildung – im Wesentlichen beschränken sich die Voraussetzungen (§ 2 HeilprGDV 1) auf
- das Mindestalter von 25 Jahren,
- die deutsche Staatsangehörigkeit,
- ein sauberes Führungszeugnis,
- die gesundheitliche Eignung,
- einen Hauptschulabschluss sowie
- eine Prüfung vor dem Gesundheitsamt.
Gemessen an dem, was der Heilpraktiker darf – eben heilkundlich tätig sein – sind die Voraussetzungen lächerlich gering. Man vergleiche: der Arzt (der ebenfalls heilkundlich tätig sein darf) muss eine Hochschulzugangsberechtigung erwerben, mindestens zwölf Semester und drei Monate studieren, drei ärztliche Prüfungen bestehen und mindestens fünf Jahre Facharztausbildung und eine Facharztprüfung durchlaufen, bis er selbstständig und eigenverantwortlich tätig sein darf (vgl. § 1 ÄApprO).
Nach der „Bekanntmachung von Leitlinien zur Überprüfung von Heilpraktikeranwärterinnen und -anwärtern nach § 2 des Heilpraktikergesetzes in Verbindung mit § 2 Absatz 1 Buchstabe i der Ersten Durchführungsverordnung zum Heilpraktikergesetz“ gliedert sich die Prüfung in eine schriftliche und eine mündliche Prüfung.
Die schriftliche Prüfung besteht aus 60 Multiple-Choice-Fragen, von denen binnen zwei Stunden 75 % (also 45 Fragen) richtig beantwortet werden müssen.
Die mündliche Prüfung dauert 60 Minuten und umfasst neben der theoretischen Überprüfung verschiedener Fachkenntnisse ggf. auch praktische Aufgaben (z.B. Durchführung einer Untersuchung).
Nach erfolgreicher Prüfung kann der Heilpraktiker in großem Rahmen – Zahnmedizin, Geburtshilfe und bestimmte Infektionskrankheiten im Sinne des IfSG ausgenommen – auszuüben. Im Rahmen seines Aufgabenbereichs unterliegt der Heilpraktiker in Bezug auf die Behandlung keinen Weisungen.
Der Notfallsanitäter
Der Notfallsanitäter wird als verantwortliche Kraft in der Notfallrettung ausgebildet – Ausbildungsziele richten sich nach § 4 NotSanG.
Darunter fallen auch lebensnotwendige invasive Maßnahmen (§ 4 Abs. 2 Nr. 1 c)), um einer Verschlechterung des Patientenzustands bei lebensbedrohlichen Notfällen entgegenzuwirken – ferner auch sonstige heilkundliche Maßnahmen („2 c)-Maßnahmen“, hier haben wir die Brücke zum Heilpraktiker) im Rahmen der Delegation.
Was der Notfallsanitäter dann tatsächlich anwenden darf, ist lokal hochgradig unterschiedlich. Das Notfallsanitätergesetz ist ein reines Ausbildungsgesetz, kein Gesetz, welches die Berufsausübung regelt. Eine bundeseinheitliche Regelung existiert hier nicht.
Hier greifen dann die hochgradig unterschiedlichen Standardarbeitsanweisungen (Standard Operation Procedures, SOPs) der Ärztlichen Leiter Rettungsdienst (ÄLRD) – derzeit gibt es auf landesrechtlicher Ebene lediglich in Thüringen eine gesetzliche Regelung, welche die Durchführung von „1 c)-“ und „2 c)-Maßnahmen“ explizit gestattet.
„(1) Notfallsanitäter handeln nicht rechtswidrig, wenn sie bei der eigenverantwortlichen Durchführung von Maßnahmen im Notfalleinsatz im Sinne des § 4 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. c NotSanG bis zum Eintreffen des Notarztes oder bis zu dem Beginn einer weiteren ärztlichen Versorgung die Heilkunde ausüben. Sie haben gegenüber dem Ärztlichen Leiter Rettungsdienst regelmäßig nachzuweisen, dass sie die in der Ausbildung erlernten, auch invasiven Maßnahmen weiterhin beherrschen.
(2) Neben der Durchführung der in Absatz 1 Satz 1 genannten Maßnahmen gehört es insbesondere auch zu den Aufgaben der Notfallsanitäter, im Rahmen der Mitwirkung nach individueller Delegation durch den Ärztlichen Leiter Rettungsdienst eigenständig heilkundliche Maßnahmen im Sinne des § 4 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c NotSanG durchzuführen. Die Ärztlichen Leiter Rettungsdienst stellen für die an die Notfallsanitäter zu delegierenden ärztlichen Behandlungsmaßnahmen einschließlich der Medikamentengabe einheitliche standardmäßige Vorgaben sowie Verfahrensregelungen zur regelmäßigen Überprüfung sicher. Sie orientieren sich bei der Erarbeitung und Aktualisierung der standardmäßigen Vorgaben an den von der Landesärztekammer Thüringen auf der Grundlage des aktuellen wissenschaftlichen Fachstandards veröffentlichten Empfehlungen. Der Ärztliche Leiter Rettungsdienst kann im Einzelfall nach einer Überprüfung die Delegation nach Satz 1 ganz oder teilweise zurücknehmen, wenn die fachliche oder persönliche Eignung des Notfallsanitäters nicht mehr gegeben ist.“
– § 16a Durchführung von heilkundlichen Maßnahmen im Notfalleinsatz, ThürRettG, abgerufen unter https://landesrecht.thueringen.de/bsth/document/jlr-RettDGTH2008rahmen am 06.01.2021
Blick auf die Praxis
Arztvorbehalt
Für die Problematik des Arztvorbehalts könnte die Konstellation NotSan + Heilpraktiker durchaus ein Lösungsansatz sein – aber nicht die Wunschlösung. Der Notfallsanitäter muss eine gewisse Bandbreite an notfallmedizinischen Maßnahmen beherrschen, der Heilpraktiker darf heilkundlich tätig werden. Soweit kein offensichtlicher Widerspruch.
Man könnte daraus schlussfolgern, dass der Notfallsanitäter-Heilpraktiker die gelernten medizinischen Maßnahmen anwenden darf.
Es würde allerdings zwangsläufig die Frage aufkommen
„Wann ist der NotSan als NotSan tätig – und wann als Heilpraktiker?“
Das spielt insbesondere für weitergehende Fragen über den bloßen Arztvorbehalt hinaus eine Rolle.
Haftung
Bewegt sich der Notfallsanitäter im Rahmen der lokal gültigen Algorithmen (Standard Operation Procedures), geht die Haftung auf den Rettungsdienstträger – in der Regel der Zweckverband, der Landkreis oder die kreisfreie Stadt – über.
Hält sich der Notfallsanitäter penibel an die Standardarbeitsanweisungen und es geht dennoch etwas schief, ist er zivilrechtlich aus dem Schneider – per se wird hier im Rahmen einer ärztlichen Vorabdelegation gearbeitet. Und das ist (erstmal) gut.
Der Heilpraktiker darf grundsätzlich eigenverantwortlich medizinische Maßnahmen durchführen – was allerdings die Konsequenz hat, dass diese nicht im Rahmen einer ärztlichen Delegation erfolgen, sondern als eigenständige Leistung mit entsprechender Anordnungs- und Durchführungsverantwortung.
Die Folge daraus ist: für das, was der Heilpraktiker macht, muss er auch selbst gerade stehen – bedeutet zivilrechtliche Haftung.
Da kommt letztendlich die Frage auf, ab wann nun was gilt – ist jede Maßnahme, die auch nur im geringsten von den SOPs abweicht, als eigenständige Behandlung zu sehen? Was, wenn die SOP streng befolgt wird und eine zusätzliche Maßnahme „on top“ erfolgt? Und wie verhält es sich mit Maßnahmen, die grundsätzlich die Kompetenz des Heilpraktikers überschreiten (z.B. bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln)?
Unterm Strich wird für das Haftungsproblem nicht besser, sondern eher problematischer – wer mehr „darf“, trägt am Ende auch mehr Verantwortung.
Arbeitsrecht
Problematisch wird es auch im Arbeitsrecht – Standardarbeitsanweisungen sind arbeitsrechtlichen Dienstanweisungen gleichgesetzt. Die Einhaltung dieser kann dementsprechend vom Arbeitgeber eingefordert werden und die Nichtbefolgung kann arbeitsrechtliche Konsequenzen haben.
Prinzipiell stellt also erst einmal jede Maßnahme, die außerhalb der Standardarbeitsanweisungen erfolgt, ein arbeitsrechtliches Problem für den Ausführenden dar. Ob die Konsequenzen nach einer Rechtsgüterabwägung vor Gericht Bestand haben, steht auf einem anderen Blatt.
Das Risiko, unter Umständen seinen Arbeitsplatz aufs Spiel zu setzen, muss einem zumindest bewusst sein.
Fazit
Unterm Strich ist es unwahrscheinlich, dass der Zusatz-Heilpraktiker zum Notfallsanitäter mehr Rechtssicherheit bringt. Auch wenn der Arztvorbehalt damit erst einmal passé wäre, bleiben insbesondere haftungs- und arbeitsrechtliche Fallstricke, die eher mehr als weniger werden.
Eine grundsätzliche Empfehlung, den Heilpraktiker „draufzusetzen“, kann man daher nicht geben. Für denjenigen, der seinen Horizont etwas erweitern will oder tatsächlich in irgendeiner Form als Heilpraktiker tätig sein will, ist es durchaus eine Überlegung – für denjenigen, der „nur“ mehr Rechtssicherheit will, wird es vermutlich nicht lohnen.
Update vom 12.02.2021
Die Heilkunde für Notfallsanitäter ist beschlossene Sache.
Mehr dazu im Beitrag „Rechtssicherheit für Notfallsanitäter ist Gesetz: Heilkundliche Maßnahmen für Notfallsanitäter – Update Februar 2021„.
Quellen
Bürgerservice Thüringen (2018): Thüringer Rettungsdienstgesetz (ThürRettG), abgerufen von https://landesrecht.thueringen.de/perma?a=RettDG_TH am 06.01.2021
Bundesamt für Justiz (2021): Approbationsordnung für Ärzte, abgerufen von https://www.gesetze-im-internet.de/_appro_2002/index.html am 06.01.2021
Bundesamt für Justiz (2021): Gesetz über die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung (HeilprG), abgerufen von https://www.gesetze-im-internet.de/heilprg/index.html am 06.01.2021
Bundesamt für Justiz (2021): Erste Durchführungsverordnung zum Gesetz über die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung (Heilpraktikergesetz) (HeilprGDV 1), abgerufen von https://www.gesetze-im-internet.de/heilprgdv_1/index.html am 06.01.2020
Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz (2017): Bekanntmachung von Leitlinien zur Überprüfung von Heilpraktikeranwärterinnen und -anwärtern nach § 2 des Heilpraktikergesetzes in Verbindung mit § 2 Absatz 1 Buchstabe i der Ersten Durchführungsverordnung zum Heilpraktikergesetz, abgerufen von https://www.bundesanzeiger.de/pub/publication/d6Pk1lbZta8EPCulJuE/content/d6Pk1lbZta8EPCulJuE/BAnz%20AT%2022.12.2017%20B5.pdf?inline am 06.01.2021
Luxem J., Runggaldier K., Karutz H., Flake F. (2020): Notfallsanitäter Heute, 7. Auflage. Urban & Fischer Verlag/Elsevier GmbH, München. ISBN 978-3437462115.
SaniOnTheRoad (2020): Notfallsanitätergesetz (NotSanG), abgerufen von https://saniontheroad.com/notsang/ am 03.02.2022
SaniOnTheRoad (2020): Notfallsanitäter-Ausbildungs- und Prüfungsverordnung (NotSan-APrV), abgerufen von https://saniontheroad.com/notsan-aprv/ am 03.02.2022
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Dieser Beitrag ist Teil des Themen-Bundles „Notfallsanitätergesetz“.
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