Unterschätze keinen Krankentransport

Bei „Aus dem Pflaster-Laster“ berichte ich von Einsätzen, dem Alltag auf der Rettungswache und von aktuellen Themen – von purer Routine bis zum Drama. Am Ende ziehe ich mein Fazit der Einsätze und zeige auf, was gut lief und was besser laufen könnte. Namen von Patienten, Orten und Kollegen lasse ich selbstverständlich aus.

Photo by Polina Tankilevitch on Pexels.com

Auch als Notfallsanitäter wird man durchaus im qualifizierten Krankentransport eingesetzt – außer man hat das Glück (oder Pech), auf einer Ein-RTW-Außenwache seinen Dienst zu verrichten.

Viele, die ja zu Profis der Notfallrettung ausgebildet wurden, sehen KTW-Dienste als eine Art „Bestrafung“ an. Der qualifizierte Krankentransport wird von vielen Kollegen abschätzig als „Taxifahren“ bezeichnet.

Sicher, die große Notfallmedizin liefert man hier nicht ab. Braucht man auch meistens nicht.

Leider gehen die wirklich Hilfebedürftigen da oft in einer Mischung aus Ignoranz und akuter Unlust unter. Sehr zu unrecht. Patienten werden hier oft nicht nicht nach xABCDE, sondern nach „IFA/S“ und „IFA/L“ behandelt – „inlade, fortfahre, abkippe – sitzend oder liegend„.

Und das betrifft erstaunlicherweise überwiegend die Notfallsanitäter als Fachkräfte – nicht die Rettungssanitäter.

Im folgenden erfahrt ihr einen Einsatzbericht, der auch als normaler Krankentransport begann…

„Die Leitstelle könnte uns mal die Pause schicken…“

So ungefähr waren unsere Gedanken um die Mittagszeit in einem erstaunlich unruhigen NKTW-Frühdienst. Um 6 Uhr war Dienstbeginn und seitdem waren wir eigentlich durchweg unterwegs.

Zwei ambulante Fahrten, eine Einweisung, ein Sekundärtransport, eine Entlassung – bei den relativ langen Fahrtstrecken unserer Landwache durchaus eine Hausnummer. Die Hälfte der Einsätze hatten wir noch im Status 7 als Folgeauftrag angekündigt bekommen. Unsere Kollegen haben auch viel zu tun, auf unserer Gruppe herrscht reger Funkbetrieb.

„…/84-1, können Sie noch eine Fahrt übernehmen?“

In Anbetracht der nicht verfügbaren anderen Fahrzeuge und in der Hoffnung auf die „Feierabendfahrt“ stimmen wir zu.

Einsatzdaten

Einsatzmeldung: Einweisung, Herz-Kreislauf sonstiges, schlechter Allgemeinzustand.

Alarmierte Fahrzeuge: NKTW solo, ohne Sonder-/Wegerechte.

Der erste Gedanke ist: das ist ja überhaupt nicht mehr unser Einsatzgebiet!

Der zweite Gedanke ist: das wird auf jeden Fall die Feierabendfahrt.

Der dritte Gedanke: was dieser Patient wohl hat?

Wir quälen uns über grauenhafte Landstraßen zum Einsatzort – eine Kleinstadt, die eigentlich von einer Nachbarwache abgedeckt wird. Aus unserer Einsatzmeldung wurden wir nicht so wirklich schlau – wir vermuten irgendein internistisches Problem, und … das war’s. Wirklich zielführend eingrenzen kann man es nicht. Ich tippte mal auf eine Herzinsuffizienz als Einweisungsgrund, einfach ins Blaue geraten.

Richtig geraten?

Scene – Safety – Situation

Scene: Mittag, kalt, trocken, herbstliches Wetter, Einfamilienhaus in guter Wohngegend.

Safety: keine augenscheinlichen Gefahren.

Situation: Die Besatzung wird vom Sohn des Patienten an der Tür empfangen. Dieser berichtet von zunehmender Schwäche infolge eines Infekts, der Hausarzt habe eine Einweisung geschrieben, die er in der Praxis abgeholt hat.

Wir werfen einen Blick auf die Einweisung mit der einzeiligen Diagnose „Unklarer Atemwegsinfekt„.

Angesichts der Pandemielage schrillen die Alarmglocken. Vor jeder weiteren Maßnahme gab es die „COVID-Anamnese“ durch den Sohn mal vorab.

Fieber wurde verneint. Ein Kontakt zu Infizierten ist nicht bestimmbar. Einen Verlust des Geschmacks- und Geruchssinns gibt es nicht. Gastrointestinale Symptome werden verneint. Aber Husten, Husten hat er – und zwar ordentlich, seit einigen Tagen. Nun gehe es ihm deutlich schlechter.

Safety first: wir beschließen, doch vorsichtshalber den COVID-Vollschutz anzulegen – mit FFP2-Maske, Kopfhaube, Faceshield, Schutzkittel und doppelten Handschuhen eingepackt und mit Atmungs- und Kreislaufrucksack sowie dem Corpuls C1 auf dem Rücken und in der Hand ging es zum Patienten, Mitte 70.

Diesen finden wir im Bett liegend vor – hustend, mit einem augenscheinlich deutlich reduzierten Allgemeinzustand.

Ersteinschätzung

Potentiell kritisch.

Wir bitten den Patienten, eine Maske aufzusetzen (was er auch umgehend tut) und starten in unser Primary Survey.

xABCDE

x – Exsanguination

Keine starke äußere Blutung.

A – Airway

Atemwege frei, Mundschleimhäute feucht und rosig, leichte Lippenzyanose.

B – Breathing

Atemfrequenz 18/min, SpO2 75 %, Thorax stabil, regelrechte Thoraxexkursionen, beidseits diskrete Spastik, sonst vesikuläres Atemgeräusch, keine Halsvenenstauung, Ruhedyspnoe.

C – Circulation

Haut rosig, warm, trocken; Rekapillarisierungszeit ca. 3 Sekunden, periphere Pulse tastbar, rhythmisch; Abdomen weich, keine Abwehrspannung; keine Schmerzangabe im Becken, Oberschenkel stabil, RR 120/70 mmHg, Monitoring-EKG zeigt Sinustachykardie mit 110/min.

D – Disability

GCS 15, Pupillen isokor, eng, prompte Lichtreaktion; FAST unauffällig, pDMS unauffällig, BZ 150 mg/dl.

E – Exposure/Environment

Bodycheck unauffällig, keine Verletzungen, Temperatur 37,7°C.

Von den Befunden war ich überrascht – und schockiert. Der Patient war kritisch.

Der Patient erhielt erstmal großzügig Sauerstoff – 15 l/min über Maske – und wurde mit erhöhtem Oberkörper gelagert. Besonders erfolgreich war die Maßnahme nicht, die Sättigung stieg nur allmählich auf etwa 89 % an. Wir forderten den Notarzt nach.

Der Patient erhielt noch im Bett einen venösen Zugang (18 G) mit einer Vollelektrolytlösung.

Ich startete die Anamnese, während meine Kollegin den Transport vorbereitet.

SAMPLER(S)

S – Symptome

Unproduktiver, trockener Husten seit einigen Tagen, Appetitlosigkeit, verminderte Trinkmenge, subfebrile Temperatur, AZ-Reduktion.

A – Allergien

Keine.

M – Medikamente

Acetylsalicylsäure, Pantoprazol, Metoprolol, Enalapril, Torasemid, Metformin.

P – Vorerkrankungen

Z.n. 2-fach ACVB vor 20 Jahren nach Myokardinfarkt, arterielle Hypertonie, NIDDM Typ 2.

L – Letzte orale Aufnahme/letztes Wasserlassen/letzter Stuhlgang

Letzte Mahlzeit gestern Abend (Zwieback und Tee), heute nur Tee getrunken, letztes Wasserlassen vor zwei Stunden (problemlos), letzter Stuhlgang gestern morgen.

E – Ereignis

Infekt mit Husten seit vier Tagen, jetzt zunehmende Verschlechterung, telefonische Einweisung durch Hausarzt.

R – Risikofaktoren

Alter, Vorerkrankungen.

S – Schwangerschaft

Ausgeschlossen.

Ganz nebenbei erwähnte der Sohn schließlich, dass sein Vater vor zwei Tagen einen COVID-Abstrich bekommen hätte, das Ergebnis stehe aber noch aus. Nun, diese Information hätte ich mir früher gewünscht.

Unser Patient war offensichtlich noch rüstig und ging Einkaufen und pflegte seine Hobbys. Wohl auch in Gesellschaft.

Wir verbrachten den Patienten mit Hilfe des Sohnes per Tragetuch durch das verwinkelte Treppenhaus in unser Fahrzeug. Kurz darauf traf unsere Notärztin ein. Lagebesprechung. Schutzkleidung anlegen.

Nach kurzer Anamnese und einer Inhalationstherapie mit 2,5 mg Salbutamol und 500 µg Ipratropiumbromid – die leider auch keinen wesentlichen Erfolg brachte – hieß es: Voranmelden! Logisch, da der Patient einerseits Ressourcen braucht, andererseits eine Isolation aufgrund des COVID-Verdachts unumgänglich ist.

Nur leider gestaltete sich das schwieriger als gedacht: unser „Heimatkrankenhaus“ war seit Tagen abgemeldet, und die Verfahrensweisen unseres Maximalversorgers waren so transparent wie eine Betonmauer. Nicht einmal unsere Notärztin, die hauptamtlich in dem Klinikverbund arbeitet, konnte das Vorgehen nennen.

Nach viel Diskutiererei und Telefonaten mit Leitstelle, diensthabenden Internisten und der Intensivstation ging es dann doch los – mit Lichterglanz und Glockenschall erfolgte der Transport durch zahlreiche Baustellen auf die internistische Intensivstation unseres Maximalversorgers.

Die Einsatzdesinfektion war natürlich unumgänglich, genauso wie der Wechsel der Dienstkleidung und das Duschen. Wir hatten aus unserer „Feierabendfahrt“ tatsächlich eine Feierabendfahrt gemacht – und noch zwei Überstunden drauf.

Im Übrigen: am nächsten Tag kam das Ergebnis, dass unser Patient wirklich COVID-19-positiv war. Mit meiner geratenen Verdachtsdiagnose auf der Anfahrt lag ich also komplett daneben.

Background-Info

Sekundärtransport

Verlegungsfahrt zwischen zwei Krankenhäusern.

Salbutamol

Beta-2-Sympathomimetikum (= stimuliert den Sympathikus), erweitert die Bronchien (Bronchodilatation) und führt somit zu einer Verbesserung der Lungenbelüftung.

Ipratropiumbromid

Anticholinergikum (= hemmt den Parasympathikus) an muskarinergen Acetylcholinrezeptoren, Handelsname Atrovent, wirkt ebenfalls indirekt bronchodilatierend und vermindert die Sekretproduktion.

Fazit

Was fand ich gut?

  • Beachtung des Eigenschutzes – auch wenn die Lage initial nicht unbedingt als „hochgradig verdächtig“ war, wurde konsequent gehandelt
  • COVID-Anamnese noch vor Patientenkontakt
  • Entscheidungsfindung im Allgemeinen – nicht nur die Beachtung des Eigenschutzes, sondern auch das Erkennen der Transportnotwendigkeit und das Hinzuziehen des Notarztes

Was fand ich nicht gut?

  • kein Hinweis auf einen COVID-Verdachtsfall durch die Leitstelle,
  • kein Hinweis auf einen COVID-Verdachtsfall durch die Angehörigen,
  • unklares, bzw. ständig wechselndes Verfahren zum Umgang mit COVID-Patienten in der aufnehmenden Klinik – die Kommunikation mit den Beteiligten muss zwingend verbessert werden

Was ist mir wichtig? – „Take-Home-Message“

Seid vorsichtig und zieht eine COVID-19-Infektion bei allen respiratorischen Symptomen in Betracht! Die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Patient ohne den „klassischen“ Symptomkomplex aus Verlust von Geruchs- und Geschmackssinn, trockenen Husten und Fieber präsentiert, ist hoch.

Auch der vorliegende Auskultationsbefund war – von einer leichten Bronchospastik abgesehen – „Pneumonie-untypisch“.

Wenn solche Symptome bestehen, muss unbedingt die Leitstelle schon beim Anruf darauf hingewiesen werden – insbesondere dann, wenn bereits ein COVID-Abstrich erfolgt ist.

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Über SaniOnTheRoad

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SaniOnTheRoad

Notfallsanitäter, Teamleiter und Administrator des Blogs. Vom FSJler über Ausbildung bis zum Haupt- und Ehrenamt im Regelrettungsdienst und Katastrophenschutz so ziemlich den klassischen Werdegang durchlaufen. Mittlerweile beruflich qualifizierter Medizinstudent im vorklinischen Abschnitt. Meine Schwerpunkte liegen auf Ausbildungs- und Karrierethemen, der Unterstützung von Neueinsteigern, leitliniengerechten Arbeiten sowie Physiologie, Pathophysiologie, Pharmakologie und EKG für den Rettungsdienst. Mehr über mich hier.

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