Warum jetzt und warum hier?

doctors doing operation

Bei „Aus dem Pflaster-Laster“ berichte ich von Einsätzen, dem Alltag auf der Rettungswache und von aktuellen Themen – von purer Routine bis zum Drama. Am Ende ziehe ich mein Fazit der Einsätze und zeige auf, was gut lief und was besser laufen könnte. Namen von Patienten, Orten und Kollegen lasse ich selbstverständlich aus.

Die Nachtruhe sei nicht vergönnt

Manche Nachtdienste stehen unter keinem guten Stern – auch wenn sie erstmal total ruhig beginnen. Ankommen, umziehen, Kaffee trinken, Fahrzeugcheck, die restlichen Tagesaufgaben erledigen und sich vielleicht noch ein zwei Stunden um die eigene „mitgebrachte“ Arbeit kümmern (neben dem Abendessen, versteht sich).

Und im Idealfall geht man dann irgendwann ins Bett, schläft die Nacht durch und übergibt Schlüssel und Melder an die Ablöse des Tagdienstes.

Und in diesem Fall hat definitiv nur der erste Teil der NEF-Nachtschicht so funktioniert. Irgendwie finde ich keine Ruhe und wälze mich von einer Seite auf die andere…

Wenn man nicht schlafen kann, kann man wenigstens arbeiten…

Um etwa drei Uhr beendet dann der Melder meinen eher fruchtlosen Versuch, zu schlafen.

Einsatzdaten

Einsatzmeldung: ICB/SAB, Bewusstlosigkeit, Notarztnachforderung.

Alarmierte Fahrzeuge: NEF, ohne Sonder-/Wegerechte.

Ich stutze. Das Stichwort und „Einsatz ohne Eile“ passt eindeutig nicht zusammen. Nachdem es erstmal nicht viel ändert, mache ich mich auf den Weg zum Krankenhaus, um unseren Notarzt abzuholen. Die überraschend lange Wartezeit nutze ich um abzuklären, ob nicht doch eine Anfahrt mit Sonderrechten sinnvoller ist…

„Ja, das war ein Fehler. Der Patient ist mittlerweile bewusstlos, also Anfahrt mit Sonderrechten“

Nachdem sich unser Notarzt Zeit gelassen hat, habe ich ihn mit den Update angerufen – er hatte nur „Einsatz ohne Eile“ auf dem Melder gelesen, nicht das Stichwort.

Also ging es doch mit Lichterglanz und Glockenschall zur Einsatzstelle mitten im Nirgendo. 25 Minuten Anfahrt. Das ist selbst für unsere sehr ländlichen Verhältnisse einfach lang.

Scene – Safety – Situation

Scene: Sommer, Nacht, 3:00, warm, trocken; Dorf – Patient befindet sich mittlerweile im RTW.

Safety: Keine augenscheinlichen Gefahren.

Situation: Nachforderung seitens der RTW-Besatzung, initiale Alarmierung war „schlechter Allgemeinzustand“. Der Patient (Mitte 70) habe in der Nacht plötzlich erbrochen und war nicht richtig ansprechbar; daraufhin Alarmierung des Rettungsdienstes durch die Ehefrau. Nachdem Eintreffen sei eine deutliche hypertensive Entgleisung mit RRsys > 220 mmHg, Hemiparese linksseitig und deutlicher sowie zunehmender Bewusstseinstrübung aufgefallen.

Wir treffen die Ersteinschätzung

Ersteinschätzung

Kritisch.

und reevaluieren die Situation gemeinsam vor einer weiteren Entscheidungsfindung:

xABCDE

x – Exsanguination

Keine starke äußere Blutung.

A – Airway

Atemwege bedroht, Mundschleimhäute feucht, rosig, keine Zyanose. Kein Zungenbiss. Schlechter Zahnstatus.

B – Breathing

Atemfrequenz ~ 20/min, unregelmäßig, keine obere Einflussstauung, Thorax stabil, Atemexkursionen regelrecht, Pulmo bds. basale RG, SpO2 95 % unter 6 l/min Sauerstoff. Fragliche Cheyne-Stokes-Atmung.

C – Circulation

Haut rosig, warm, trocken, stehenden Hautfalten; Rekapillarisierungszeit < 2 Sekunden, periphere Pulse bds. gut tastbar, HF 90/min; Abdomen weich, nicht druckdolent. Blutungsräume unauffällig. RR 210/110 mmHg. EKG: Sinusrhythmus, ohne Ischämiezeichen.

D – Disability

Initial GCS 7-8, bei Eintreffen NA GCS 4, Orientierung nicht überprüfbar, Pupillen isokor, weit, träge LR. quick-FAST & pDMS nicht überprüfbar. BZ 110 mg/dl.

E – Exposure/Environment

Bodycheck unauffällig, kein vorausgegangenes Trauma. Erneutes massives Erbrechen im RTW. Temp. 36,8°C.

Es bleibt bei einem

Einschätzung

Kritisch.

und die durch die RTW-Besatzung erhobene SAMPLER(S)-Anamnese gestaltete sich überraschenderweise sehr kurz:

SAMPLER(S)

S – Symptome

Plötzlicher Onset der Symptomatik in der Nacht, Ehefrau sei dadurch aufgewacht. Zunehmende Bewusstseinsstörung, massives Erbrechen, hypertensive Entgleisung, weite Pupillen mit verzögerter Lichtreaktion, durch RTW-Besatzung festgestellte Hemiparese linksseitig.

A – Allergien

Keine bekannt.

M – Medikamente

Keine.

P – Vorerkrankungen

Keine bekannt.

L – Letzte orale Aufnahme/letztes Wasserlassen/letzter Stuhlgang

Abendessen, Uhrzeit nicht ermittelbar.

E – Ereignis

Aus der Ruhe heraus/kein erkennbarer Auslöser.

R – Risikofaktoren

Alter.

S – Schwangerschaft

Ausgeschlossen.

Nun, man könnte natürlich meinen, dass der Patient eigentlich vor dem Ereignis kerngesund war…laut der Ehefrau hatte er allerdings ein tiefes Misstrauen gegenüber der Medizin und war wohl vor Jahrzehnten das letzte Mal bei einem Arzt vorstellig.

Dementsprechend konnte man – auch mit Hinblick auf den desolaten Zahnstatus – vermuten, dass unser Patient alles andere als „kerngesund“ war, sondern einfach nur nie entsprechende Diagnosen gestellt werden konnten.

Wir waren uns in Anbetracht der Symptomatik schnell einig, dass eine intrakranielle Blutung wohl die wahrscheinlichste Verdachtsdiagnose ist – und ebenso schnell waren wir uns einig, dass in diesem Fall allein schon wegen der langen Transportzeit (ca. 45 Minuten) in den nächsten Maximalversorger eine Intubation indiziert ist.

Also ging es auch prompt an die Vorbereitung: Tubus, Videolaryngoskop, Absaugung, Beatmungsbeutel und Beatmungsgerät werden gerichtet, der Patient erhält durch den Notarzt noch einen zweiten i.v.-Zugang, die Medikamente (hier: Sufentanil, Propofol, Succinylcholin) werden aufgezogen und der Patient präoxygeniert.

Es läuft alles etwas…schleppend. Eine wirkliche Aufgabenverteilung gab es an dieser Stelle nicht und „jeder macht irgendwie alles“. Das hatte natürlich zur Folge, dass einige Dinge mehrfach angesagt wurden.

Kurzes Time-out, Check, ob wirklich alles gerichtet ist – und dann ging es doch ziemlich schnell. Narkose, Tubus, Lagekontrolle mittels Kapnografie und Auskultation, Fixierung, noch etwas Akrinor bei der mittlerweile eingetretenen Hypotonie, Voranmeldung im Schockraum…und Abfahrt.

Was kam raus?

Die Fahrt in den Maximalversorger hat sich wirklich gezogen wie Kaugummi – die zeitliche Prognose einer Dreiviertelstunde hatten wir exakt eingehalten. Übergabe durch den Notarzt im Schockraum – leider sehr unstrukturiert und daher mit entsprechenden Nachfragen seitens der Klinik verbunden.

Wir richten unsere Fahrzeuge wieder soweit her und nutzen die Gelegenheit, uns das CT des Patienten anzusehen.

Der Verdacht hatte sich bestätigt: eine massive Subarachnoidalblutung, mittlerweile mit einer beginnenden Einklemmung. Prognostisch sehr, sehr ungünstig…

Fazit

Was fand ich gut?

  • Ruhe – trotz einem kritischen Patienten und einer eher seltenen Situation (präklinische Intubation) kam zu keinem Zeitpunkt Hektik auf
  • sinnvolle Indikationsstellung zur Indikation
  • gute Vorarbeit durch das RTW-Team

Was fand ich nicht gut?

  • Alarmierung – ohne Nachfrage wäre der Einsatz wohl tatsächlich „ohne Eile“ erfolgt
  • CRM – in diesem Falle wäre eine konkrete Aufgabenverteilung seitens des Notarztes sinnvoll und notwendig gewesen
  • Übergabe – gerade in solchen Fällen bietet sich eine strukturierte Übergabe einfach an

Was ist mir wichtig? – Take-home-Message

Hier ist sicher vieles „Meckern auf hohem Niveau“. Ich fand diesen Einsatz gut – wirklich. Es war ein absolut indizierter Einsatz, wo man wirklich am Patienten arbeiten musste und trotz allem war es zu keinem Zeitpunkt hektisch und vergleichsweise wenig chaotisch.

Dementsprechend ist es hier eher die Frage

„Was könnte man noch besser machen?“

anstelle von einer Grundsatzkritik. Und da sehe ich vor allem im Bereich des CRM – insbesondere mit klarer Aufgabenzuweisung – und der strukturierten Übergabe eine Möglichkeit zur Optimierung. Das sind einfach Dinge, die man nicht nur lernen, sondern auch „leben“ muss. Was beim Rettungsdienstpersonal zunehmend gut funktioniert, ist bei vielen Notärzten doch noch verbesserungswürdig.

Was sollte man mitnehmen? Ein gutes CRM ist gerade in kritischen Situationen Gold wert – und eine strukturierte Übergabe erleichtert den Übergang in die klinische Versorgung immens. Dementsprechend sollte man im Sinne des Patientenwohls unbedingt beides im rettungsdienstlichen Alltag leben.

Interessenkonflikte

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Der Autor gibt an, dass keine Interessenkonflikte bestehen.

Quellen

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Böhmer R., Schneider T., Wolcke B. (2020): Taschenatlas Rettungsdienst, 11. Auflage. Böhmer & Mundloch Verlag, Mainz. ISBN 978-3-948320-00-3. Hier erhältlich: https://amzn.to/4aQsX9p Affiliate-Link

Hacke W. (2015): Neurologie, 14. Auflage. Springer-Verlag Berlin/Heidelberg. ISBN 978-3-662-46891-3. DOI 10.1007/978-3-662-46892-0. Hier erhältlich: https://amzn.to/3I3hOpn Affiliate-Link

Luxem J., Runggaldier K., Karutz H., Flake F. (2020): Notfallsanitäter Heute, 7. Auflage. Urban & Fischer Verlag/Elsevier GmbH, München. ISBN 978-3437462115. Hier erhältlich: https://amzn.to/3q8w62I Affiliate-Link

SaniOnTheRoad (2019): „Kleines 1×1 des Rettungsdienstes“ – Teil 12: Strukturiertes Arbeiten und Schemata im Rettungsdienst, abgerufen unter https://saniontheroad.com/kleines-1×1-des-rettungsdienstes-teil-12/ am 11.08.2024

Scholz J., Gräsner J.-T., Bohn A. (2019): Referenz Notfallmedizin. Georg Thieme Verlag KG. ISBN 978-3-13-241290-3. DOI: 10.1055/b-006-149615. Hier erhältlich: https://amzn.to/3uhENtA Affiliate-Link

Topka H., Eberhardt O. (2023): Neurologische Notfälle, 2. überarbeitete Auflage. Georg Thieme Verlag KG. ISBN 978-3132438156. Hier erhältlich: https://amzn.to/480Wlb2 Affiliate-Link

Ziegenfuß T. (2022): Notfallmedizin, 8. Auflage. Springer-Verlag Berlin/Heidelberg. ISBN 978-3-662-46891-3. DOI 10.1007/978-3-662-46892-0. Hier erhältlich: https://amzn.to/3uNocxX Affiliate-Link

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Über SaniOnTheRoad

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SaniOnTheRoad

Notfallsanitäter, Teamleiter und Administrator des Blogs. Vom FSJler über Ausbildung bis zum Haupt- und Ehrenamt im Regelrettungsdienst und Katastrophenschutz so ziemlich den klassischen Werdegang durchlaufen. Mittlerweile beruflich qualifizierter Medizinstudent im vorklinischen Abschnitt. Meine Schwerpunkte liegen auf Ausbildungs- und Karrierethemen, der Unterstützung von Neueinsteigern, leitliniengerechten Arbeiten sowie Physiologie, Pathophysiologie, Pharmakologie und EKG für den Rettungsdienst. Mehr über mich hier.

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