Business as usual

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Bei „Aus dem Pflaster-Laster“ berichte ich von Einsätzen, dem Alltag auf der Rettungswache und von aktuellen Themen – von purer Routine bis zum Drama. Am Ende ziehe ich mein Fazit der Einsätze und zeige auf, was gut lief und was besser laufen könnte. Namen von Patienten, Orten und Kollegen lasse ich selbstverständlich aus.

Es ist halb sieben, noch dunkel und schweinekalt, als ich die Rettungswache an diesem Morgen betrete. Ich habe Tagdienst auf dem NEF, die Frühschicht des NKTW ist schon am Kaffee trinken, die Nachtschicht quält sich aus den Betten. Die Nacht war halbwegs ruhig geblieben und so sollte auch mein Tag beginnen.

Übergabe vom Nachtdienst – das NEF hatte einen Einsatz, kein Materialverbrauch, der Tank ist voll, die Notärzte haben um 9 Uhr Schichtwechsel. Ich trinke meinen Kaffee noch leer, bevor ich mich an den Fahrzeugcheck mache – der ist Standard bei jeder Fahrzeugübernahme; Geräte, Material und Sauerstoffstände werden geprüft und falls nötig getauscht.

Heute steht allerdings noch etwas mehr an – es ist die monatliche Verfalldatenkontrolle und die wöchentliche Routinedesinfektion. Verfalldatenkontrolle – eine recht nervige Angelegenheit, die aber notwendig ist.

Jedes Medikament, jedes Pflaster, jede Kanüle und jede Viggo – alles, was steril ist und ablaufen kann, muss einzeln kontrolliert werden. Nach einer guten halben Stunde bin ich fertig und hatte nur ein paar Kleinigkeiten zu tauschen.

Meine Motivation zum Putzen und Desinfizieren ist am Tiefpunkt. Noch ein Kaffee und eine kurze, aber angeregte Diskussion über die Zustände in unserem Rettungsdienst und die Dienstplanung „gönne“ ich mir, bevor ich mich frisch ans Werk mache.

Nun denn, irgendwann musste ich anfangen – hilft ja nüscht 😉 den Fahrzeugraum aussaugen und desinfizieren geht einigermaßen schnell, ein Kollege vom RTW geht mir dabei zur Hand und wir besprechen, was es zum Mittag geben soll. Ist ja schon 10 Uhr. Es dauert nicht lange, bis wir uns geeinigt haben: Burger soll‘s geben.

Kurz darauf wird der RTW zu einem Beckentrauma alarmiert, die KTWs und der NKTW sind schon lange auf der Piste und ich bleibe alleine zurück. Der Notarzt ist bei uns nicht auf der Wache, sondern im Krankenhaus und muss im Einsatzfall abgeholt werden.

Auch wenn ich wirklich versucht habe mit der Außenreinigung zu warten, damit es etwas wärmer ist, will ich sie nun doch einfach nur hinter mich bringen – also wird, mangels ausreichend dimensionierter Waschhalle, das NEF im Alleingang draußen geputzt. Das ist immer ein wenig „Nervenkitzel“ – ist das Auto noch voller Schaum und es kommt ein Einsatz, muss es schnell gehen. Heute hat aber alles geklappt.

Noch bevor ich das NEF wieder in der Fahrzeughalle abstellen konnte fährt ein mir unbekannter PKW auf den Hof. Wie so oft wusste er nicht, wo die Psychiatrie ist, in die seine Frau eingewiesen werden soll – ich gebe ihm die Wegbeschreibung, er bedankt sich und fährt von dannen.

Mittlerweile ist der RTW auch wieder eingetroffen und mangels Lust, selbst Burger zu machen, wird kurzerhand beschlossen, das Mittagessen in der Metzgerei zu holen. Ich gebe der RTW-Besatzung noch Geld mit und sie machen sich gleich auf den Weg.

Es sollte tatsächlich alles ruhig bleiben und wir konnten ohne Probleme essen – soweit, so gut. Gesättigt kann der erste Einsatz nun kommen!

Und der ließ dann tatsächlich nicht lange auf sich warten…

x-82-1, Notfalleinsatz – akutes Koronarsyndrom“ klingt es aus dem Melder. Akutes Koronarsyndrom – das heißt, der Patient hat eine Symptomatik, die auf einen Herzinfarkt schließen lässt. Potentielle Lebensgefahr.

Ich mache mich auf ins NEF, hole den Notarzt ab und wir machen uns auf den Weg in eine rund 25 Kilometer entfernte Kleinstadt, in der uns der RTW nachgefordert hat. Anfahrtszeit rund 25 Minuten über miese Landstraßen und kleine Dörfer, eigentlich außerhalb unseres Einsatzgebiets.

Weit kommen sollten wir allerdings nicht. „x-82-1 von Leitstelle, kommen“ hieß es schon wenige Minuten nach der Abfahrt.

Hier x-82-1, kommen Sie!

Frage: wie lange brauchen Sie noch, kommen?

x-82-1, geschätzt zwanzig Minuten, kommen

Nach kurzem Schweigen: „x-82-1, für Sie Einsatzabbruch, der RTH ist schneller

Für uns war der erste Einsatz des Tages also schon vorbei, bevor er überhaupt angefangen hat. Der RTH hat übernommen und den Patienten letztendlich versorgt, wir sind dann zurückgefahren. Der Notarzt hielt die Disposition für unsinnig und schrieb es auch so auf das Notfallprotokoll.

Notarzt abgesetzt und gerade zurück auf der Wache wollte ich mich um die Dokumentation für die Abrechnung des Fehleinsatzes kümmern. Dazu sollte es aber nicht kommen. Der RTW einer unserer Außenwachen wurde angesprochen.

y-83-1 von Leitstelle, kommen.

Hier y-83-1, kommen

Die 3 [Anm.: Status 3 bedeutet „Einsatzübernahme“], nach …, laufende Reanimation

Wohlwissend, dass ich das nächste NEF bin habe ich Schuhe und Jacke wieder angezogen gehabt, als wenige Augenblicke die Alarmierung für mich und den First Responder des Ortes kam.

Erneut Notarzt abholen, Anfahrtszeit knappe 15 Minuten.

Beim Eintreffen fanden wir einen etwa 70-Jährigen Mann vor, der Rasenmähen wollte und dabei zusammengebrochen war. Ein etwa gleichaltriger Nachbar hatte den Notruf abgesetzt und nach telefonischer CPR-Anleitung eine eher wenig suffiziente Laienreanimation begonnen. Aber immerhin: der Patient wurde bis zum Eintreffen von First Responder und RTW reanimiert.

RTW-Besatzung plus Praktikant und der First Responder haben schon gute Vorarbeit geleistet – der initial asystole Patient (Anm.: Asystolie bezeichnet die Nulllinie auf dem EKG) hatte zwischendurch Phasen von Kammerflimmern, wurde zweimal defibrilliert und hatte bereits einen venösen Zugang.

Sowohl der Versuch, einen Larynxtubus einzulegen als auch die endotracheale Intubation durch die RTW-Besatzung waren nicht erfolgreich, sodass sich nun der Notarzt daran versucht, während ich den RS des RTWs beim Drücken ablöse.

Kurze Zeit später ist der Tubus drin und die Auskultation legt aufgrund des massiven Brodelns nahe, dass der Patient aspiriert hat. Der NFS des RTW saugte diesen ab, danach war neben dem deutlich besseren Atemgeräusch auch ein mäßiger CO2-Anstieg in der Kapnometrie erkennbar.

Der Praktikant des RTWs löste mich beim Drücken ab und ich fixierte den Tubus mittels Thomas-Holder. Der Notarzt wünschte eine erneute Rhythmusanalyse im AED-Modus – zu seiner Überraschung wurde der Defi tatsächlich geladen. Das EKG zeigte ein feines, aber doch deutlich erkennbares Kammerflimmern.

Nach der Schockabgabe zog ich Amiodaron (2 Ampullen) auf und verabreichte es dem Patienten. Der Notarzt hatte zu diesem Zeitpunkt schon überlegt, die Reanimation abzubrechen. Nach etwa fünf Minuten zeigte das EKG einen Rhythmus an – erneute Kontrolle. Kein Schock empfohlen. Wir kontrollierten die Pulse – sowohl ein Carotis- als auch Femoralispuls waren spürbar, das CO2 in der Kapnographie stieg ebenfalls an. Ein wiedereinsetzender Spontankreislauf, ein ROSC.

Nun ging es an die Transportvorbereitung, die die RTW-Besatzung übernahm. Kaum waren alle weg, war auch kein Puls mehr spürbar. Ich begann sofort, erneut zu drücken, bis der NFS vom RTW zurück war. Wechsel, erneute Adrenalingabe. Nach fünf Minuten weiterer Reanimation waren wieder zentrale als auch periphere Pulse spürbar, der Patient konnte auf die Trage umgelagert und in den RTW verbracht werden.

Im RTW schlossen wir den Patienten an das Beatmungsgerät an und überlegten, was wir nun mit dem Patienten machen sollen, der immer noch hochgradig instabil war. Der Notarzt favorisierte den Transport in das Krankenhaus der Grundversorgung (aber mit Intensivstation) an unseren Heimatstandort, Fahrzeit 15 Minuten.

Der Rest der Besatzung – mich eingeschlossen – wünschte sich den Transport in den nächsten Maximalversorger, 20 Minuten Fahrzeit, dafür mit Schockraum und Herzkatheterlabor.

Der Begründung des Notarztes mit der Instabilität des Patienten entgegnete ich mit dem Vorschlag, einen Katecholamin-Perfusor nutzen zu können. Nach kurzer Überlegung entschied sich der Notarzt auch für einen Dobutamin-Perfusor. Telefonische Voranmeldung im Schockraum und Abfahrt mit Lichterglanz und Glockenschall.

Der Patient blieb während der Fahrt halbwegs stabil und die Übergabe im Schockraum erfolgte problemlos. Der Notarzt und ich holten uns noch eine Kleinigkeit im Krankenhaus-Kiosk und machten uns auf den Heimweg. Zeit für die Ablösung.

Background-Info

Krankenhaus der Grundversorgung/Grundversorger

Ein kleines Krankenhaus mit unter 250 Betten und lediglich einer medizinischen Fachabteilung (z.B. Innere Medizin).

Krankenhaus der Maximalversorgung

Ein großes Krankenhaus mit über 800 Betten und mindestens zwölf verschiedenen Fachabteilungen und speziellen diagnostischen/therapeutischen Möglichkeiten.

Kammerflimmern

Unkontrollierte, hochfrequente (> 200/min) elektrische Erregung des Herzens ohne Auswurfleistung – eine Form des Kreislaufstillstands.

Amiodaron

Ein Medikament zur Therapie von Herzrhythmusstörungen (Antiarrhythmikum der Klasse III); wird unter anderem bei anhaltenden Kammerflimmern oder pulslosen ventrikulären Tachykardien im Kreislaufstillstand gegeben.

Dobutamin

Ein künstliches Katecholamin (Wirkung ähnlich Adrenalin und Noradrenalin), dass insbesondere „herzkraftsteigernd“ wirkt und bei akuter, schwerer Herzinsuffizienz oder im kardiogenen Schock gegeben wird (nur über Perfusor!).

Persönliches Fazit

Was fand ich gut?

  • es wurde eine Laienreanimation durchgeführt und eine telefonische Anleitung zur Reanimation seitens der Leitstelle gegeben
  • Manpower – die zusätzliche Alarmierung von einem First Responder (oder auch einem KTW) bei einer laufenden Reanimation erachte ich grundsätzlich als sinnvoll
  • einwandfreie Zusammenarbeit – egal, ob mit den Kollegen vom RTW, dem First Responder oder dem Schockraum-Team
  • gute, klare und ruhige Kommunikation, sowohl im Team als auch mit den Angehörigen

Was fand ich nicht gut?

  • die Laienreanimation war in der Form, wie sich durchgeführt wurde, insuffizient (keine ausreichende Drucktiefe, nur eine Hand verwendet)
  • die Diskussion, die Reanimation abzubrechen erfolgte meines Erachtens zu früh
  • die primäre Idee, einen Grundversorger anzufahren, hielt ich angesichts nahezu gleicher Fahrzeit in ein geeignetes Krankenhaus für unsinnig
  • Entscheidungsfindung. Zu lange gebraucht für zu wichtige Entscheidungen.
  • Führung. „Übernimm die Führung oder sei ein gutes Teammitglied“ ist nicht erfolgt – der Notarzt hat „seine“ Maßnahmen alle sehr gut gemacht, als Teamleader hat er allerdings nicht fungiert. So kam es, dass Entscheidungen bisweilen von der nicht-ärztlichen Seite kamen und der Notarzt diese „abgenickt“ hat.

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Über SaniOnTheRoad

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SaniOnTheRoad

Notfallsanitäter, Teamleiter und Administrator des Blogs. Vom FSJler über Ausbildung bis zum Haupt- und Ehrenamt im Regelrettungsdienst und Katastrophenschutz so ziemlich den klassischen Werdegang durchlaufen. Mittlerweile beruflich qualifizierter Medizinstudent im vorklinischen Abschnitt. Meine Schwerpunkte liegen auf Ausbildungs- und Karrierethemen, der Unterstützung von Neueinsteigern, leitliniengerechten Arbeiten sowie Physiologie, Pathophysiologie, Pharmakologie und EKG für den Rettungsdienst. Mehr über mich hier.


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