Bei „Aus dem Pflaster-Laster“ berichte ich von Einsätzen, dem Alltag auf der Rettungswache und von aktuellen Themen – von purer Routine bis zum Drama. Am Ende ziehe ich mein Fazit der Einsätze und zeige auf, was gut lief und was besser laufen könnte. Namen von Patienten, Orten und Kollegen lasse ich selbstverständlich aus.
Autofahren im Winter ist an sich schon eine „speziellere“ Sache mit erhöhtem Gefahrenpotential. Das gilt insbesondere dann, wenn man nicht unendlich viel Fahrerfahrung hat und die vergangenen Winter vergleichsweise mild mit eher wenig winterlichen Straßenverhältnissen waren.
Und um noch etwas mehr Spannung reinzubringen, nimmt man den jungen FSJler, setzt ihn auf einen RTW, und schickt ihn mit Sonderrechten mitten in der Nacht in das Herz der Pampa. Fertig ist der Rahmen für den folgenden Einsatz.
Zum Hintergrund
Dieser Einsatz hat sich mehr oder minder zu Beginn meiner Rettungsdienstlaufbahn abgespielt – ich hatte wohl die Hälfte meines FSJ hinter mir, und es war mitunter eine meiner ersten RTW-Schichten und auch dazu eine der ersten Nachtschichten. Von großer Routine konnte ich zu diesem Zeitpunkt weder bei der Notfallrettung, noch beim Fahren (nach zwei Jahren Führerschein) sprechen. Immerhin war in dieser Schicht ein erfahrener Praxisanleiter an meiner Seite.
Die Schicht begann äußert unspektakulär – normale Fahrzeugübergabe, Fahrzeugcheck, Abendessen, Fernsehen. Die Nacht schien ruhig zu werden, was angesichts des recht kräftigen Schneefalls durchaus begrüßenswert war.
Dementsprechend früh hab ich mich auch schlafen gelegt – bis der Melder uns aus dem Schlaf geholt hat.
Wenn das „Rundherum“ spannender ist als der Einsatz
Einsatzdaten
Einsatzmeldung: Arrhythmie.
Alarmierte Fahrzeuge: RTW solo, mit Sonder-/Wegerechte.
Die Einsatzmeldung ließ die Frage offen, ob wir uns nun auf einen „echten“ Notfall oder entspanntes Standardprogramm einstellen sollten – beides war möglich.
Der Blick nach Öffnen des Hallentores offenbarte jedenfalls: die Fahrt dorthin wird anstrengend werden – starker Schneefall, Wind, und selbst die Hauptstraße war von einer durchgehenden Schneedecke bedeckt.
Dazu ging es in ein Dorf weit in der Peripherie, wo die Anfahrt selbst bei guten Bedingungen mindestens eine Viertelstunde dauert, und über grottenschlechte Kreisstraßen und fünf Bauernhöfe führt.
Ich wusste nicht, wie der RTW reagieren wird bei diesen Witterungsverhältnissen, und ich war mit Fahren dran. Die ersten fünf Minuten Fahrt waren noch relativ entspannt, davon abgesehen, dass es permanent Schneeverwehungen gab und das Blaulicht im dichten Schneegestöber eher störend als förderlich war.
Aber dann kam eine leichte (!) Rechtskurve auf der serpentinenartigen Strecke, die wir mit sagenhaften 40 km/h entlang“kriechen“ durften. Und der RTW brach mir prompt mit dem Heck aus. In diesem Moment kamen mir Sekunden wie Minuten vor und ich war kreidebleich, als ich das Fahrzeug am linken Fahrbahnrand fangen konnte. Jetzt war ich definitiv wach.
Berg runter, diesmal noch langsamer, noch einmal das gleiche Spiel. Ein Gewöhnungseffekt war noch nicht eingetreten. Dazu war auch das Abbremsen schon abenteuerlich, den statt zu bremsen beschloss unser RTW, jedes Mal ewig weit zu rutschen. Mahlzeit.
In weiser Voraussicht gab mein Kollege schonmal die Rückmeldung
„Leitstelle … von …/83-1, kommen“
„Hier Leitstelle, kommen“
„Hier …/83-1, Anfahrt verzögert sich aufgrund Straßenverhältnisse, kommen“
Mittlerweile hatten wir auch das Blaulicht ausgeschaltet – bringt eh nix, es ist sowieso kein Mensch unterwegs und stören tut es obendrein.
Als wir nach 25 Minuten im Zielort ankamen, wartete die nächste Herausforderung: die Patientin wohnte natürlich an einem Berg. Einem steilen Berg. Und geräumt oder gestreut war dieser natürlich nicht.
Die ersten beiden Versuche, den Berg vorwärts hochzukommen, scheiterten ziemlich kläglich – und auch im Rückwärtsgang war nichts zu retten. Schneeketten aufziehen? Möglich. Wir entschieden uns allerdings primär mal für eine Lageerkundung zu Fuß, und machten uns mit Sack und Pack die letzten 150 Meter per pedes auf zu unserer Patientin.
Scene – Safety – Situation
Scene: Nacht, 0:40 Uhr, starker Schneefall, Einfamilienhaus auf einem Dorf.
Safety: keine augenscheinlichen Gefahren.
Situation: Die Patientin, 68 Jahre, sitzt am Küchentisch und der Ehemann empfängt uns an der Tür.
Nachdem beide sehr entspannt wirken, war unsere Ersteinschätzung ein
Ersteinschätzung
Nicht kritisch.
Nach der Begrüßung wird auch ziemlich schnell deutlich, dass die Einsatzmeldung…murks war. Keine Arrhythmie, der Blutdruck ist das Problem.
Die Patientin hatte ein Unruhegefühl den ganzen Abend über, und der Blutdruck war mit 170/100 mmHg (Selbstmessung) auch nicht im grünen Bereich. Wir stiegen jedenfalls mal in unsere Untersuchung ein.
xABCDE
x – Exsanguination
Keine starke äußere Blutung.
A – Airway
Atemwege frei, Mundschleimhäute feucht und rosig, keine Zyanose.
B – Breathing
Atemfrequenz 13/min, Thorax stabil, regelrechte Thoraxexkursionen, beidseits vesikuläres Atemgeräusch, keine Halsvenenstauung, keine Dyspnoe.
C – Circulation
Haut rosig, warm, trocken, keine stehenden Hautfalten; Rekapillarisierungszeit < 2 Sekunden, periphere Pulse tastbar, rhythmisch, normofrequent; Abdomen weich, keine Abwehrspannung; keine Schmerzangabe im Becken, Oberschenkel stabil, RR 160/90 mmHg bei Eintreffen RD.
D – Disability
GCS 15, Pupillen isokor, mittelweit, prompte Lichtreaktion; FAST unauffällig, pDMS unauffällig, BZ 99 mg/dl. Unruhegefühl.
E – Exposure/Environment
Bodycheck unauffällig, kein Nierenklopfschmerz, keine Verletzungen, keine Beinödeme. Temp. 36,8°C.
Ein wirklich atemberaubender Befund ergab sich hierdurch nicht – zumal die Patientin eine bekannte arterielle Hypertonie hat. Auch 12-Kanal-EKG und sonstige Untersuchungen waren vollkommen unauffällig.
Nachdem sich die Patientin etwas beruhigt hatte und nach einer Kontrollmessung der Blutdruck bei 140/90 mmHg lag, konnten sich alle Beteiligten einigen, dass die Vorstellung beim Hausarzt morgen ausreichen würde. Also Protokoll und Transportverweigerung unterschrieben, und zurück ans Auto.
Satz mit X, das war wohl nix…
Take-home-Message
An dieser Stelle beschränke ich mich mal nur auf die „Take-home-Message“, da der Einsatz selbst wenig geboten hat.
Ständige Vorsicht ist eine gute und notwendige Basis für die Arbeit im Rettungsdienst – egal, ob als Fahrer oder als Transportführer, egal ob am Patienten oder bei den Tätigkeiten rundherum. Und manchmal ist noch mehr Vorsicht nicht nur hilfreich, sondern ein absolutes Muss.
Selbstüberschätzung ist tückisch, denn auch wenn der erste Fehler meistens „gratis“ ist, kann der zweite Fehler tödlich sein. Im Zweifelsfall für den Patienten – oder für einen selbst.
Das Fahren im Rettungsdienst erfordert definitiv viel Routine und Übung, mit Sonderrechten noch mehr, unter widrigen Bedingungen nochmals mehr. Ankommen ist die Devise – und danach sollte sich auch der Fahrstil richten.
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