MANV-Zeit

Bei „Aus dem Pflaster-Laster“ berichte ich von Einsätzen, dem Alltag auf der Rettungswache und von aktuellen Themen – von purer Routine bis zum Drama. Am Ende ziehe ich mein Fazit der Einsätze und zeige auf, was gut lief und was besser laufen könnte. Namen von Patienten, Orten und Kollegen lasse ich selbstverständlich aus.

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Ein Massenanfall von Verletzen ist ein besonderes Ereignis – und vergleichsweise selten. Aus meiner Sicht ist es eine der größten Herausforderungen, denen man im Regelrettungsdienst begegnen kann.

Beim MANV ist erst einmal alles anders. Keine 2-zu-1 oder gar 4-zu-1-Betreuung, sondern oft erstmal eine 2-zu-15-Betreuung. Kein Ressourcenüberschuss, sondern ein Mangel. Man muss priorisieren. Man muss über das Medizinische hinaus koordinieren und organisieren. Man arbeitet auf einmal in ungewohnten Führungsstrukturen. Man arbeitet auf einmal mit unzähligen Leuten unterschiedlichster Organisationen und Qualifikationen zusammen.

Kurzum: ein „richtiger“ MANV, der über den Vier-Personen-leicht-verletzt-Verkehrsunfall hinausgeht, bedeutet erst einmal massiv…Stress. Und man wird merken, wie viele Dinge aus der Theorie in der Praxis mehr schlecht als recht funktionieren.

Oh je, oh nein, oh je…

Es war ein ganz normaler Nachtdienst zu Beginn – neben den Standardaufgaben gab es nicht viel zu tun und wir haben uns den Abend mit der NKTW-Spätschicht unterhalten, die auch eine ruhige Schicht hinter sich hatten.

Wir stellten uns also schon einmal auf eine verhältnismäßig ruhige Nacht ein (ja, ein Fehler ;-)), nichtsahnend, was uns noch bevorsteht.

Kurz vor Feierabend des NKTWs ging deren Melder.

„Haben die mal auf die Uhr geschaut?“

Der NotSan des NKTW hatte – was jetzt nicht vollkommen aus der Luft gegriffen wäre – erst einmal einen Fehler der Leitstelle vermutet. Heißt: die Leitstelle hat „verpennt“, dass das Fahrzeug gleich Feierabend hat. Kommt vor. Bei einem Notfall wären wir als RTW natürlich zuerst drangewesen. Unser Melder blieb aber still…

Ein Blick auf die Alarmierung hat die Genervtheit dann aber auch prompt beendet:

Einsatzdaten

Einsatzmeldung: Wohnhausbrand, mindestens 12 Betroffene.

Alarmierte Fahrzeuge: 3 NEF, 6 RTW, 1 NKTW, LNA + OrgL, SEG-San, SEG-B-, SEG-V, Feuerwehr, Polizei, mit Sonder-/Wegerechte.

„Ihr seid auch mit dabei!“

…dann war auch bei uns die Ruhe vorbei. Und ich war tatsächlich mal unmittelbar bei einer Einsatzmeldung nervös. Was uns erwartet? Schwere Verbrennungen? Inhalationstraumata? Rauchgasintoxikationen? Oder etwas ganz anderes?

Es ist bereits dunkel, dementsprechend gibt’s keinen RTH, und die nächste Verbrennungsklinik ist weit.

Die Nervosität wurde keinesfalls besser während der Anfahrt – der ersteintreffende RTW gab fleißig Rückmeldungen. Aus den zwölf Betroffenen wurden so ziemlich schnell vierzehn, dann fünfzehn und schlussendlich 17 Betroffene. Man musste kein Mathegenie sein, um zu erkennen, dass das die Kapazitäten unseres Landkreises komplett erschöpft.

Äh…wo sollen wir jetzt hin?

Scene – Safety – Situation

Scene: Später Abend, 22:20 Uhr, kühl, trocken, Mehrfamilienhaus, Kleinstadt.

Safety: deutliche Rauchentwicklung erkennbar.

Situation: Die Einsatzstelle ist durch die Feuerwehr abgesperrt und die Brandbekämpfung am laufen. Uns wird vor Ort der Bereitstellungsraum zugewiesen – dieser war der Leitstelle nicht bekannt.

Nun, die grundsätzliche Kommunikation mit der Leitstelle scheint schon mal nicht besonders gut funktioniert zu haben. Immerhin wissen wir jetzt, wo wir hindürfen – der Bereitstellungsraum ist ein öffentlicher Parkplatz „ums Eck“.

Dort angekommen entglitten mir erst einmal alle Gesichtszüge: der LNA, offensichtlich schon länger vor Ort, meinte

„Ich geh‘ dann mal gucken, ob die mich an der E-Stelle brauchen“

Kopfschütteln. Derjenige, der die medizinische Verantwortung hat, schlappt gemütlich im Bereitstellungsraum herum, statt seine Arbeit an der Einsatzstelle zu machen.

Ein TSF einer Ortsfeuerwehr hatte offensichtlich den Auftrag, den Bereitstellungsraum zu führen – so halb. Eine Fahrzeugregistrierung erfolgte überhaupt nicht, die Meldung, dass wir angekommen sind, wurde schulterzuckend zur Kenntnis genommen und die Kameraden wirkten sichtlich plan- und hilflos.

Kurzerhand hatte unser zwischenzeitlich eingetroffener NEF-Fahrer dann begonnen, so ein wenig die Führung des Bereitstellungsraumes zu übernehmen und die eintreffenden Rettungsmittel und SEG-Einheiten zumindest mal zu erfassen.

Und dann hieß es: warten. Und warten. Und warten. Und irgendwann frieren.

Irgendwelche Rückmeldungen von der Einsatzstelle? Fehlanzeige. Zu Beginn wurde noch ein RTW aus dem Bereitstellungsraum abgerufen – und dann war Funkstille.

Es vergingen gute anderthalb Stunden, bis letztendlich der Einsatzleiter auftauchte, sich bedankte, und den gesamten Bereitstellungsraum auflöste. Einen Patienten hatte ich bis dato noch nicht gesehen.

Zumindest bekamen wir die Info, dass es sich um einen Wohnungsbrand im 1. OG gehandelt hatte, drei Patienten ins Krankenhaus transportiert wurden – und der Rest nicht mit wollte bzw. „unverletzt betroffen“ war.

Die Aufregung fiel ab – und dafür machte sich Ärger breit.

Fazit

Was fand ich gut?

  • regelmäßige Rückmeldungen durch den ersteintreffenden RTW – bis zum Eintreffen der Führungskräfte
  • Einrichtung eines „geführten“ Bereitstellungsraumes

Was fand ich nicht gut?

  • Kommunikation – der Leitstelle war schon die Einrichtung des Bereitstellungsraumes nicht bekannt, geschweige denn wurde sie erfragt
  • Verhalten der Führungskräfte – der LNA hatte sich nicht gerade mit Ruhm bekleckert und nicht unbedingt seine Kompetenz für sich sprechen lassen
  • Führung des Bereitstellungsraumes – da die beauftragten Personen sich damit augenscheinlich nicht auskannten, war diese in der Realität de facto nicht vorhanden
  • Informationsfluss – obwohl die Sichtung wesentlich schneller vonstatten ging, wurden alle angeforderten Kräfte im Bereitstellungsraum gehalten, obwohl für diese „Massenvorhaltung“ kein Bedarf bestand

Was ist mir wichtig? – Take-home-Message

Man hat an diesem Einsatz gesehen, wo die Tücken eines MANV liegen. Das Grundproblem ist: diese Szenarien werden im Regelrettungsdienst viel zu wenig gelehrt und fast gar nicht geübt.

Kommunikation, klare Aufgabenstellungen und Absprachen, eine gute Raumordnung und vor allem eine gute Führung sind bei Großschadenslagen absolut unerlässlich.

Hier mag es folgenlos gewesen sein, weil es am Ende „nur halb so schlimm war“. Im Falle von „ganz schlimm“ wären erfahrungsgemäß jedoch genau die selben Fehler aufgetreten – nur mit dramatischeren Konsequenzen.

Quellen

SaniOnTheRoad (2020): „Kleines 1×1 des Rettungsdienstes“ – Teil 23, abgerufen unter https://saniontheroad.com/kleines-1×1-des-rettungsdienstes-teil-23/ am 03.02.2022

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Über SaniOnTheRoad

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SaniOnTheRoad

Notfallsanitäter, Teamleiter und Administrator des Blogs. Vom FSJler über Ausbildung bis zum Haupt- und Ehrenamt im Regelrettungsdienst und Katastrophenschutz so ziemlich den klassischen Werdegang durchlaufen. Mittlerweile beruflich qualifizierter Medizinstudent im vorklinischen Abschnitt. Meine Schwerpunkte liegen auf Ausbildungs- und Karrierethemen, der Unterstützung von Neueinsteigern, leitliniengerechten Arbeiten sowie Physiologie, Pathophysiologie, Pharmakologie und EKG für den Rettungsdienst. Mehr über mich hier.

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