Wenn der Rettungsdienst Teil des Problems ist – und nicht Teil der Lösung

Bei „Aus dem Pflaster-Laster“ berichte ich von Einsätzen, dem Alltag auf der Rettungswache und von aktuellen Themen – von purer Routine bis zum Drama. Am Ende ziehe ich mein Fazit der Einsätze und zeige auf, was gut lief und was besser laufen könnte. Namen von Patienten, Orten und Kollegen lasse ich selbstverständlich aus.

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Der Rettungsdienst ist grundsätzlich dafür da, verletzten, erkrankten oder sonstigen hilfebedürftigen Personen angemessene medizinische Hilfe und Unterstützung zu Teil werden zu lassen. Daraus leitet sich schon ein gewisser Professionalitätsanspruch ab – und letztendlich auch oft der gesetzliche Auftrag: „Nicht die Transportleistung, sondern die medizinische Versorgung steht im Vordergrund„, wie es beispielsweise der Landesrettungsdienstplan Rheinland-Pfalz definiert.

Im Großen und Ganzen wird der Rettungsdienst der eigenen Erwartungshaltung und auch der Erwartungshaltung der Patienten gerecht. Wie gesagt: im Großen und Ganzen.

Auch hier bestätigen Ausnahmen die Regel.

Es gibt durchaus Kollegen, bei denen sich einem im Einsatz die Haare sträuben. Sei es das fachliche Know-How, die Teamarbeit, die Struktur oder die Kommunikation mit Patienten und Angehörigen.

Und jeder hat seine Stärken und Schwächen – niemand kann alles. Über einen gewissen Minimalkonsens ist man sich aber wachen- und qualifikationsübergreifend doch einig: dem Patienten darf nicht geschadet werden. Primum non nocere.

Leider Gottes gibt es auch – immer noch oder immer wieder – Kollegen, bei denen selbst das Erreichen dieses Minimalkonsens ein Spießrutenlauf wird.

Ein Musterbeispiel – als längere Geschichte

Machen wir es an einem Beispiel aus der Praxis fest: unserem fiktiven Kollegen Klaus.

Klaus ist Mitte 50, Rettungsassistent und gehört zum Inventar der Wache. Als vor zig Jahren die Wache ihren Dienst aufnahm, war Klaus irgendwie schon da. Klaus ist ein herzensguter Mensch, der immer zur Stelle ist, wenn es brennt und jedem nach Kräften hilft, wo er nur kann. Und er versteht sich grundsätzlich mit allen gut und ist hervorragend vernetzt – das Telefon steht bei ihm quasi nicht still.

Er hat irgendwann den Rettungssanitäter-Lehrgang für den Zivildienst gemacht. Und wurde mit zwei zugedrückten Augen durchgewunken, weil er mit dem Dozenten schon vorher befreundet war. Teile der „älteren Garde“ der Wache, die im selben Lehrgang waren, sagen „Objektiv hätte es nicht gereicht„.

So konnte Klaus seinen Zivildienst absolvieren, blieb selbstverständlich ehrenamtlich aktiv auf der Wache und war auch regelmäßig dort zugegen, wenn er nicht seinem Lehrberuf als Elektriker nachgegangen ist.

Irgendwann kam das Jahr 1989 – und damit der Rettungsassistent. Eine Übergangsregelung ermöglichte damals Rettungssanitätern die „Adlung“ zum Rettungsassistenten – wenn sie denn eine gewisse, nicht gerade geringe Stundenzahl an Einsatzerfahrung vorweisen konnten.

Für Klaus stand fest „Ich muss Rettungsassistent werden!„. Denn so sehr sein Herzblut am Rettungsdienst hing, so hoch war auch seine Eitelkeit. Er, als ‚Rettungsdienstler der ersten Stunde‘, müsse natürlich weiterhin als Verantwortlicher fahren können. Es kann ja nicht sein, dass ein Neuer nach zwei Jahren Ausbildung auf einmal mehr zu sagen hat als er.

Selbstverständlich kannte Klaus auch den Kreisvorstand hervorragend, und so war die Bestätigung eine reine Formalie. Ob er tatsächlich diese hohe Stundenzahl in den paar Jahren Ehrenamt erreicht hat, konnte niemand so genau sagen. Gefragt hatte auch niemand. Und so erhielt er einige Zeit später den Titel des Rettungsassistenten. Wenn auch nur im Ehrenamt.

Viele Jahre später…

…schreiben wir das Jahr 2021. Unseren Klaus, den gibt es immer noch. Mittlerweile sogar hauptamtlich. Er hat seinen Hauptberuf vor ein Paar Jahren an den Nagel gehängt und ist – dank seines Netzwerks – als Vollzeitkraft eingestiegen in einer Zeit, wo man sich vor Bewerbungen kaum retten konnte.

Wirklich Schritt halten konnte er in all den Jahren nicht wirklich. Rettungsdienst war für ihn ein Hobby, und schon der Einstieg als Vollzeitkraft fiel ihm alles andere als leicht. Man gewährte ihm sogar, ein halbes Jahr nur mit anderen, erfahrenen (Lehr-)Rettungsassistenten zu fahren, um wieder auf den Stand zu kommen.

Die fachlichen Defizite waren stellenweise enorm und eine wirkliche Besserung trat nur langsam ein und nicht in dem Maße, wie man es sich gewünscht hat. Regelmäßige Beschwerden, Stellungnahmen und unangenehme Gespräche waren die Folge. Die Notärzte ächzten, wenn er NEF-Dienst hatte. Und die jungen Rettungssanitäter beklagten sich über das Chaos und die Unsicherheit, wenn sie mit ihm fahren.

Nun war Klaus aber nach wie vor hochgradig eitel – Kritik nahm er sehr persönlich, egal, wie sachlich und konstruktiv sie geäußert wurde. Klaus klagte über die Selbstüberschätzung der jungen Notfallsanitäter – nur, um dann im Einsatz, meist sogar unabsichtlich, durch diese vorgeführt zu werden.

Klaus schafft es ruhige Patienten nervös zu machen, nervöse Patienten noch nervöser – und sich selbst am aller nervösesten. Und dann kommen irgendwann die „Aussetzer“. Eklatante Fehler am Fließband, die selbst ein Ersthelfer vermeiden könnte. Die eigenen Schwächen kann Klaus nicht wirklich zugeben, wiegelt ab, schiebt es auf andere Personen oder Umstände. Auch die Überforderung als Verantwortlicher in der Notfallrettung kann er nicht zugeben, selbst wenn sie offensichtlich ist.

Dann kam irgendwann der Punkt, an dem man ihm doch die Ergänzungsprüfung abverlangte. Über Prüfungsangst konnte er nicht klagen – die Vorbereitung machte er auf eigene Faust nebenbei.

Ergebnis: Chirurgisches Fallbeispiel mit einer 4 bestanden, internistisches Fallbeispiel durchgefallen, mündliche Prüfung durchgefallen. xABCDE funktionierte nicht einmal bei Trockenübungen im Nachgespräch richtig, Kontraindikationen der Medikamente sitzen nicht richtig, von Kommunikation und QM scheint er nicht mal was gehört zu haben.

Auch wenn er es zu überspielen versuchte: zwei Sätze zu dem Thema und er war auf 180.

Dann kam die Wiederholungsprüfung. Diesmal mit zwei Wochen Intensivvorbereitung plus Lernen auf der Wache mit den Kollegen. Deren Einschätzung: „Wird nix„.

Ergebnis: sowohl im internistischen Fallbeispiel als auch in der mündlichen Prüfung erneut durchgefallen. xABCDE klappt immer noch nicht, falsches Krankheitsbild behandelt, Medikamentenverwechselungen. Der Traum vom NotSan musste ad acta gelegt werden. Dafür war Klaus munter am Schäumen vor Wut und am Fluchen.

Warum erzähle ich das?

Es gibt immer noch genügend Rettungsdienstler der Sorte „Klaus“ – und Rettungsdienstler wie „Tina“, „Björn“ und „Alex“, die zwar einen anderen Werdegang, ein anderes Lebensalter, eine andere Qualifikation und Erfahrung haben, aber das gleiche Problem: Selbstüberschätzung.

Und genau das ist ein Grundproblem, das einen Standardeinsatz unentspannt werden lassen kann und im Zweifelsfall Menschenleben kostet. Der Rettungsdienstler wird hier zum Problem, statt zur Lösung.

Es gibt viele klasse Menschen im Rettungsdienst, mit denen man Pferde stehlen kann und gemütlich bei einem Bier den Abend vertreiben kann – und dennoch malt man sich teilweise schon bei der Alarmierung aus, wie man dem Richter die Fehler des Kollegen im kommenden Einsatz erklären will.

Profilneurotiker werden von Blaulicht irgendwie magisch angezogen. Und, um den Dunning-Kruger-Effekt als Kernproblem ganz hart zu beschreiben: inkompetente Menschen merken nicht, dass sie inkompetent sind.

Die Fähigkeit einer realistischen Einschätzung der eigenen Fähigkeiten setzt einfach eine gewisse Grundkompetenz voraus. Hat man diese nicht, kann man davon ausgehen, dass die eigenen Fähigkeiten zum Teil deutlich überschätzt, die anderer deutlich unterschätzt werden.

Die Schwierigkeit hierbei sind nicht diejenigen, die nach einem schlechten Einsatz sagen „x, y, und z sind beschissen gelaufen„, sondern diejenigen, die sagen „War doch gut“ – obwohl sie in dem Einsatz dreimal hätten die Berufsurkunde abgeben müssen.

Take home

Man sollte nicht über diese Kollegen meckern – jedenfalls nicht nur. Man sollte sie immer als Beispiel nehmen, wohin die Reise auch für einen selbst gehen kann. Viele waren irgendwann mal fit und Up-to-date, was den Rettungsdienst anging. Die Überflieger von heute können der Klaus von morgen sein.

Man muss fachlich dran bleiben – lebenslanges eigenständiges Lernen ist Pflicht, auch über die Jahresfortbildung hinaus. Man muss Kritik ernst nehmen und von den Kollegen Feedback auf Augenhöhe einfordern. Man muss auch immer sich selbst und sein eigenes Handeln reflektieren – und auch zu gemachten Fehlern stehen.

Was wohl am schwersten fällt: wenn alle Stricke gerissen sind, muss man auch bereit sein, die Jacke an den Nagel zu hängen. Am besten, bevor ein Patient stirbt oder man selbst gesiebte Luft atmen darf.

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Über SaniOnTheRoad

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SaniOnTheRoad

Notfallsanitäter, Teamleiter und Administrator des Blogs. Vom FSJler über Ausbildung bis zum Haupt- und Ehrenamt im Regelrettungsdienst und Katastrophenschutz so ziemlich den klassischen Werdegang durchlaufen. Mittlerweile beruflich qualifizierter Medizinstudent im klinischen Abschnitt des Studiums. Meine Schwerpunkte liegen auf Ausbildungs- und Karrierethemen, der Unterstützung von Neueinsteigern, leitliniengerechten Arbeiten sowie Physiologie, Pathophysiologie, Pharmakologie und EKG für den Rettungsdienst. Mehr über mich hier.

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