Rettungsdienst aktuell – Themen die den Rettungsdienst, seine Mitarbeiter und Interessierte beschäftigen. Von leitliniengerechter Arbeit bis zur gesellschaftskritischen Diskussion.
Eigentlich sollte man meinen, dass „Qualität“ im Rettungsdienst in den 2020ern eine Selbstverständlichkeit ist. Alle Organisationen schmücken sich mit DIN EN ISO 9001-Aufklebern auf Fahrzeugen, Webauftritten oder sogar den Wachen. Landesrettungsdienstgesetze schmücken ebenfalls Paragraphen mit der Überschrift des Qualitätsmanagements.
Die Definitionen des Qualitätsmanagements im Gesundheitswesen nach Avedis Donabedian sind allen (angehenden) Notfallsanitätern ein Begriff.
Und dennoch gibt es sehr wenig Evaluation darüber, ob es objektiv etwas bringt und noch viel weniger Evaluation darüber, ob die Prozesse an der Außenwache nachts um 3 – ganz weit weg von der schlummernden Führungsebene auch wirklich so umgesetzt werden, wie es angedacht ist.
Es fehlt ein Feedback-Loop vom Einsatz zurück zur Ausbildung – und das ist unter Umständen nachteilig für die Patienten und einen einheitlichen Versorgungsstandard.
Das Konzept „Field Supervision“
Das „Überblicken des Einsatzes“ durch einen „Aufpasser„, wie es unschöner kaum formuliert sein könnte, ist auch im Rettungsdienst nicht grundsätzlich neu. In vielen anderen Bereichen gehört die Supervision und ein entsprechendes Feedback dazu.
Im deutschsprachigen Raum hat sich das Konzept eines „Field Supervisors“ lediglich bei der Berufsrettung Wien etabliert – hier rücken erfahrene Lehrsanitäter und Dozenten der Rettungsakademie bei bestimmten Einsatzstichworten mit aus, überwacht den Einsatzablauf, unterstützt gegebenenfalls und gibt dem Team ein strukturiertes Feedback.
Aber auch in Deutschland wurden entsprechende Projekte durchaus schon versucht – so z.B. in Wiesbaden und dem Rhein-Taunus-Kreis.
Wo liegt der Nutzen?
Sich selbst Feedback geben und eine Einsatznachbesprechung mit den Beteiligten ist vielerorts üblich und an sich schon sinnvoll. In manchen Fällen gehen allerdings dabei auch wichtige Tatsachen oder gar Fehler unter, die Kritik entspricht nicht unbedingt dem Problem oder alternative Lösungsansätze werden nicht angesprochen.
Der Field Supervisor kommt als Außenstehender zum Einsatz und hat primär eine Beobachterfunktion – er hat wesentlich mehr Zeit, sich einen Überblick zu verschaffen, Alternativen zu erwägen und auf das Handeln der Einzelnen sowie die Arbeit im Team zu achten.
Nur im Bedarfsfall greift er in das Geschehen aktiv ein.
Vorteil für das Team
Für das Team besteht der Vorteil in erster Linie darin, dass es ein neutrales, umfassendes Feedback inklusive Alternativlösungen geboten bekommt. Das eigene Handeln kann so deutlich zielgerichteter reflektiert werden und Fehlerquellen werden wesentlich früher identifiziert.
Zudem bietet sich so die Möglichkeit, das eigene Wissen zu erweitern und zu vertiefen – im Sinne einer fortlaufenden Aus- und Weiterbildung.
Vorteil für den Rettungsdienst
Langfristig wird auf diese Weise eine standardisierte Patientenversorgung auf hohem Niveau sichergestellt – es wird sichergestellt, dass gängige Algorithmen und Verfahren bekannt sind und im Einsatzfall auch eingehalten werden.
Nachschulungsbedarf „in der Fläche“ fällt so wesentlich schneller auf und es kann wesentlich effizienter entgegengesteuert werden.
Es gibt somit einen klaren Feedback-Loop vom alltäglichen Einsatzdienst zurück in die Aus- und Fortbildung – diese wird entsprechend dem tatsächlichen Bedarf angepasst, statt Entscheidungen allein vom Schreibtisch aus zu treffen.
Unterstützen statt sanktionieren
Ein Field Supervisor soll konstruktiv agieren und eine Verbesserung der Situation anstreben – Repressalien oder ein „sich überwacht fühlen“ im Sinne eines verlängerten Armes des Arbeitgebers ist da eindeutig fehl am Platz.
Aus diesem Grund sollten hierfür keine Führungspersonen und auch keine Stellvertreter diese Funktion wahrnehmen.
Auch wenn der Name einen „Aufpasser“ suggeriert, soll er vielmehr ein Mentor sein.
Was sollte ein Field Supervisor mitbringen?
- abgeschlossene Ausbildung zum Notfallsanitäter,
- mehrjährige hauptberufliche und anhaltende Tätigkeit im Rettungsdienst,
- Qualifikation zum Praxisanleiter,
- Provider (oder Instructor) internationaler Kursformate wie AMLS, PHTLS, ERC-ALS…
- Mitwirkung an Aus- und Fortbildungen,
- wünschenswert – Tätigkeit als Dozent einer Rettungsdienstschule (unter der Voraussetzung, dass eine regelmäßige Tätigkeit im Rettungsdienst gewährleistet ist)
Fazit
Das Konzept der Field Supervision sollte im Rettungsdienst wesentlich bekannter sein – und vor allem auch mehr praktiziert werden.
Aus meiner Sicht überwiegt vor allem der langfristige Benefit – u.a. durch Vereinheitlichung der Patientenversorgung und durch zielgerichtetere Aus- und Fortbildung – bei weitem die Kosten und den Aufwand, die ein solches System mit sich bringen würde.
Es scheint wohl auch eine Mentalitätsfrage zu sein – hält man sich für den Größten oder glaubt man daran, dass man noch Verbesserungspotential hat?
Quellen
Häske et al. (2013): Bericht aus der Praxis: Strukturierte Fortbildung zur Verbesserung der Versorgungsqualität im Rettungsdienst. Einsatz-Supervision als neuer Ansatz im Bereich der Rettungsdienst-Fortbildung in Wiesbaden und im Rheingau-Taunus-Kreis?, Zeitschrift für Evidenz, Fortbildung und Qualität im Gesundheitswesen, Volume 107, Issue 7, 2013, Pages 484-489, ISSN 1865-9217, abgerufen unter https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S1865921713001591 am 03.02.2022. DOI: 10.1016/j.zefq.2013.06.007.
News.at (2017): Wenn die Super-Sanis ausrücken, abgerufen unter https://www.news.at/a/rettung-wien-super-sanis-8202935 am 03.02.2022
Folgt meinem Blog!
Du möchtest nichts mehr verpassen? Neuigkeiten von mir gibt es auch per Mail!
Es gelten unsere Datenschutz– und Nutzungsbestimmungen.
Ich denke auch, dass dieses Konzept großes Potential hätte und sicherlich auch von einigen gut angenommen würde. Sehe aber auch ein Problem darin, dass viele sich „nichts mehr sagen lassen wollen“ bzw. es so machen wie es halt schon immer gemacht wird.
Die Fraktionen „Das haben wir schon immer so gemacht!“ und „Ich lasse mir von anderen nichts sagen!“ gibt es leider immer noch.
Einige Unbelehrbare werden am Ende des Tages immer bleiben – ich habe allerdings die Hoffnung, dass es mit einer Verbreitung solcher Systeme und einer dringend notwendigen Fehlerkultur besser wird.