Rettungsdienst aktuell – Themen die den Rettungsdienst, seine Mitarbeiter und Interessierte beschäftigen. Von leitliniengerechter Arbeit bis zur gesellschaftskritischen Diskussion.
Inhaltsverzeichnis
- Worum geht es?
- Rettungsdienst zum Nulltarif?
- Eckpunkte – und die Grundsatzprobleme
- Was man der Diskussion abgewinnen kann – und was am Ende bleibt
Worum geht es?
Eine Diskussion rund um die Kostenübernahme für Rettungsdiensteinsätze hatte Anfang Dezember die Gemüter reichlich erhitzt – Grund genug, nach längerer Pause zur Weihnachtszeit mal einen Beitrag zu verfassen.
Konkret ging durch die Medien: die Stadt Essen hatte einen weitaus höheren Eigenanteil als die üblichen 10 %, mindestens fünf Euro, maximal zehn Euro, für Rettungsdiensteinsätze beschlossen. Konkret waren dies 267 € Eigenanteil. Für alle Fahrten. Egal ob indizierter Notfalleinsatz, Krankentransport oder Fehlfahrt.
Der Grund: die Krankenkassen wollen nicht mehr die vollen Kosten für die Rettungseinsätze übernehmen. Mit Blick auf die durchaus beachtliche Gebührensatzung der Stadt Essen mag das durchaus als „diskussionswürdig“ angesehen werden.
Kurze Zeit später wurde – unter beachtlichen öffentlichen Druck – wieder zurückgerudert. Ab dem 1. Januar 2026 wird die Erhebung des Eigenanteils ausgesetzt.
Was bleibt ist eine anhaltende Unsicherheit, eine Grundsatzdiskussion mit vielen offenen Fragen und ein PR-Desaster.
Rettungsdienst zum Nulltarif?
Es ist eine unrühmliche und für manche auf unangenehme Feststellung:
Ein materiell und personell gut ausgestatteter, auf dem Stand der Technik und Wissenschaft arbeitender, ubiqiutär verfügbarer Rettungsdienst kostet einfach Geld.
Man mag darüber diskutieren, inwiefern Gesundheitsleistungen Geld kosten dürfen (sollen) – finde ich an dieser Stelle aber eher wenig zielführend.
Denn egal, wie man es dreht und wendet: alles, was man braucht, um einen Rettungsdienst zu betreiben, kostet Geld. Und das nicht wenig. Allein ein RTW plus Ausstattung liegt problemlos im mittleren sechsstelligen Bereich. Verbrauchsmaterial, Personalkosten und sämtliche Struktur „drumherum“ kommen noch on top.
Und all diese Dinge müssen irgendwie bezahlt werden – daran ist effektiv nichts zu rütteln. Und das ist auch durchaus ein Grund, weshalb trotz beachtlicher Gebühren die Rechnung der Rettungsdienste effektiv mit der „schwarzen Null“ aufgeht.
Eckpunkte – und die Grundsatzprobleme
Die Kommentarspalten der sozialen Medien hatten sich dann natürlich fast überschlagen…
„Man muss jetzt dreimal überlegen, ob man den Rettungsdienst anruft“
„Das wird viele Menschenleben kosten“
„Bezahl‘ oder stirb!“
„Woher soll man denn überhaupt wissen, ob es ein Notfall ist?“
Und aus der Sicht des Rettungsdienstlers…ist hier vieles weit übertrieben. Und vieles zeigt, dass die Grundprobleme weitaus tiefer liegen, als ein Eigenanteil von über 200 €.
Die Befürchtungen sind für mich irgendwo nachvollziehbar – es wird durchaus eine (finanzielle) Hürde geschaffen, Hilfe des Rettungsdienstes in Anspruch zu nehmen. Und ja, manch einer mag aus finanzieller Not wohl tatsächlich davon absehen, obwohl es notwendig wäre. Gesundheit als Luxusgut, für diejenigen, die es sich leisten können.
Wenn man dann noch etwas tiefer geht, kommt man zur Feststellung: der Rettungsdienst wird als selbstverständlich angesehen. Meines Erachtens etwas zu selbstverständlich. Zu jeder Tages- und Nachtzeit die fahrende Intensivstation nach Hause zu bekommen ist Teil der Daseinsfürsorge. Dass dies notwendigerweise völlig kostenneutral ist, hingegen nicht. Das ist – sehr hart ausgedrückt – Anspruchsdenken.
Anspruchsdenken, weil man ja Krankenkassenbeiträge zahlt (in der Regel ohne zu wissen, dass dies ein Umlagesystem ist und man sich kein „Budget“ aufbaut). Anspruchsdenken, weil ein Taxi in der Regel teurer wäre. Anspruchsdenken, weil Vater Staat für die eigene Gesundheit Verantwortung übernehmen soll.
Es führt fast zwangsläufig zur Frage
Was kann, soll, muss der Rettungsdienst leisten?
Weniger diskussionswürdig ist, dass der Rettungsdienst schon heute zu großen Teilen außerhalb des Bereichs arbeitet, für den er eigentlich vorgesehen ist. Akute oder drohende Lebensgefahr und die Gefahr einer schweren gesundheitlichen Schädigung – als ureigenste Aufgabe des Rettungsdienstes – machen mittlerweile nur noch einen Bruchteil der Einsätze aus.
Der Rettungsdienst kompensiert mangelnde Gesundheitskompetenz und Eigenverantwortung, wegfallende oder schon fehlende Versorgungsstrukturen, spielt Hausarztersatz, Psychotherapeut, Sozialarbeiter – und Taxifahrer. Alles Dinge, für die der Rettungsdienst immer mehr in Anspruch genommen wird. Alles Dinge, für die der Rettungsdienst personell und materiell nicht ausgelegt ist.
Die „Hürden“, den Rettungsdienst in Anspruch zu nehmen, sind traditionell extrem niedrig angelegt – eine allgemeingültige Notrufnummer, die Erreichbarkeit zu jeder Tages- und Nachtzeit an 365 Tagen im Jahr und die Sicherheit, dass jemand innerhalb kürzester Zeit am Ort des Geschehens auftaucht.
Eine feine Sache…in Hinblick auf die ursprünglichen Aufgaben des Rettungsdienstes. Ein Problem, wenn man die heutigen Einsatzschwerpunkte betrachtet.
Und es sind Dinge, die die Kosten steigern. Weil man eine größere Vorhaltung benötigt, um die „echten Notfälle“ in der Masse an „Nicht-Notfällen“ versorgen zu können. Weil man wesentlich mehr Einsätze hat, als eigentlich notwendig sind.
Und ja, 267 Euro würden den meisten weh tun. Und ja, man würde sich vielleicht dreimal überlegen, ob man anruft. Die bessere Frage ist: wäre nicht genau das eigentlich notwendig?
Denn: es wird nicht „zu wenig“ angerufen. Es wird „zu viel“ angerufen. Das, aus meiner persönlichen Meinung, absurde Mantra
„Lieber einmal zu viel, als einmal zu wenig“
hat genau zu dieser problematischen Grundsituation geführt. Es ist nicht das „ein mal zu viel“, sondern die in Summe hunderten Male „zu viel“. Wir haben nach heutigen Stand eine massive Überalarmierung – sprich: es werden fortlaufend Rettungsmittel entsendet, die nach objektiven Maßstäben überhaupt nicht benötigt werden. Und wir sprechen hier nicht von etwaigen „Grenzfällen“, bei denen das Mantra eine berechtigte Gültigkeit hat.
Das verursacht unnötige Kosten. Das führt dazu, dass Rettungsmittel dann nicht bereit stehen, wenn sie benötigt werden.
Ein guter Rettungsdienst muss nicht nur adäquat ausgestattet, personell gut besetzt, verfügbar und effektiv sein – er muss auch in einem vernünftigen Maßstab effizient sein. Und letzteres ist er immer seltener.
Und ja: es beinhaltet die Möglichkeit, dass etwas übersehen wird. Und ja: es ist eine ethische Grundsatzdiskussion, die man an dieser Stelle führen kann – und wohlmöglich sogar muss.
Ein Rettungsdienstsystem, welches darauf abzielt, nicht einen einzigen zu übersehen, ist allein durch die Solidargemeinschaft nicht vernünftig finanzierbar und die Eingangsdiskussion meines Erachtens völlig berechtigt. Und ein möglichst kostenneutrales, effizientes Rettungsdienstsystem kann nicht mit dem bestehenden Maß an Überalarmierung arbeiten.
Es ist allein die Frage: wohin soll die Reise gehen?
Am Ende bleibt ein systematisches Problem.
Einerseits definitiv ein Problem seitens des Gesundheitswesens, welches angesichts von Ärztemangel, überbordender Bürokratie und inadäquaten Versorgungsstrukturen nicht das notwendige Angebot an passenden Alternativen schafft.
Andererseits das patientenseitige Problem, wo bei einem zunehmenden Anspruchsdenken ein abnehmender „Common Sense“ zur Inanspruchnahme des Rettungsdienstes führt, welche auch mit viel Fantasie und Verständnis kaum zu rechtfertigen ist.
Was man der Diskussion abgewinnen kann – und was am Ende bleibt
Auch wenn die Diskussion hoch emotional geführt wurde (und teilweise noch wird), finde ich sie in ihrem Kern durchaus berechtigt.
Es ist das erste Mal seit langem, dass über den Rettungsdienst überregional und über die Fachkreise hinaus diskutiert wurde. Dass das „wie?“ einen sehr faden Beigeschmack hat, lässt sich nicht verschweigen.
Es bleibt hier tatsächlich einfach die Frage offen, wie Rettungsdienst denn nun langfristig aussehen soll – und wie er finanziert werden soll.
Es bleibt die Frage offen, wie man die bestehenden strukturellen Probleme langfristig und sinnvoll lösen will.
Die Diskussion hat am Ende des Tages aber doch nur an der Oberfläche gekratzt. Viele kritische Punkte sind auch jetzt nach der Akutphase noch offen. Die Hoffnung auf ein Bundesgesetz, in dem eine vernünftige Finanzierungsregelung länderübergreifend getroffen wird, besteht weiter.
Erstmal bleibt zum heutigen Tage lediglich ein Erkenntnisgewinn. Darüber, dass die Finanzierung des Rettungsdienstes in der heutigen Form nicht langfristig zukunftsfähig ist. Darüber, dass Rettungsdienst vielleicht als „zu selbstverständlich“ gesehen wird. Darüber, dass Gesundheitsleistungen kein Luxusgut werden sollen. Und darüber, dass Öffentlichkeitsarbeit dringend notwendig ist.
Oder in kurz: der Rettungsdienst hat Reformbedarf.
Interessenkonflikte
Der Autor gibt an, dass keine Interessenkonflikte bestehen.
Quellen
Pharmazeutische Zeitung (2025): 267 Euro Eigenanteil für einen Rettungswagen, Stand 11.12.2025 08:00 Uhr, abgerufen unter https://www.pharmazeutische-zeitung.de/267-euro-eigenanteil-fuer-einen-rettungswagen-161152/ am 24.12.2025
SaniOnTheRoad (2024): Gesundheitskompetenz, abgerufen unter https://saniontheroad.com/gesundheitskompetenz/ am 24.12.2025
Stadt Essen (2025): Häufig gestellte Fragen (FAQ) zur Anpassung der Rettungsdienstgebühren in Essen, abgerufen unter https://www.essen.de/leben/sicherheit_und_ordnung/faq_rettungsdienstgebuehren.de.html am 24.12.2025
Stadt Essen (2025): Rettungsdienstgebührensatzung vom 27. September 2017 zuletzt geändert durch Satzung vom 15. Dezember 2025, abgerufen unter https://media.essen.de/media/wwwessende/aemter/15/SR7_01.pdf am 24.12.2025
Tagesschau (2025): 267 Euro pro Fahrt: Essener Rat stimmt für Rettungswagen-Gebühren, Stand: 10.12.2025 21:05 Uhr, abgerufen unter https://www.tagesschau.de/inland/regional/nordrheinwestfalen/wdr-267-euro-pro-fahrt-essener-rat-stimmt-fuer-rettungswagen-gebuehren-100.html am 24.12.2025
Thieme (2025): Bundesweite Lösung für Rettungsfahrten in Sicht, Stand 18.12.2025, abgerufen unter https://www.kma-online.de/aktuelles/politik/detail/essen-kippt-eigenanteile-fuer-rettungsfahrten-55001 am 24.12.2025
WDR (2025): Essen: Demonstration gegen Rettungsdienst-Gebühren, Stand: 20.12.2025, 13:39 Uhr, abgerufen unter https://www1.wdr.de/nachrichten/ruhrgebiet/demonstration-essen-gebuehr-rettungsdienst-100.html am 24.12.2025
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