Bei „Aus dem Pflaster-Laster“ berichte ich von Einsätzen, dem Alltag auf der Rettungswache und von aktuellen Themen – von purer Routine bis zum Drama. Am Ende ziehe ich mein Fazit der Einsätze und zeige auf, was gut lief und was besser laufen könnte. Namen von Patienten, Orten und Kollegen lasse ich selbstverständlich aus.
Motorradunfälle bieten an sich schon eine recht hohe Grunddramatik – keine Gurte, null „Knautschzone“, hohe Geschwindigkeiten und vergleichsweise schlechte Sichtbarkeit sorgen nicht nur häufiger für Unfälle, sondern auch für tendenziell schwere Verletzungen.
„Wenn bei bei einem Verkehrsunfall von pauschal von einem Polytrauma ausgehen will – dann beim Kradfahrer“
Nichtsdestotrotz gibt es auch Fälle, die weitaus glimpflicher ablaufen, als man erst vermuten mag. Zum Glück.
Ein unruhiger Tagdienst
Es war schon nachmittags, als wir auf dem Rückweg von unserem dritten Einsatz waren. Ein unkomplizierter NAW-Transport eines Akuten Koronarsyndroms. Mittagessen? Fehlanzeige.
Gerade auf die Autobahn aufgefahren, kommt der Funkspruch
„x-83-1, die 3, mit Signal, nach …, dort Verkehrsunfall, Krad gegen PKW!“
Das nur wenige Meter hinter uns fahrende NEF wurde mitalarmiert.
Einsatzdaten
Einsatzmeldung: VU – Motorrad, VU – PKW
Alarmierte Fahrzeuge: RTW + NEF + First Responder, mit Sonder-/Wegerechte. Feuerwehr und Polizei ebenfalls alarmiert.
Es war auf der Bundesstraße auf Höhe des Ortes unserer Außenwache, von der wir kamen. Die Strecke gilt als „Friedhofsweg“, dank der zahlreichen Kreuze, die mehrere Kilometer den Straßenrand säumen und an die Unfälle vergangener Jahre erinnern.
Die Lokalität ist bekannt. Eine Auffahrt auf die Bundesstraße, die schon öfter für schwere Unfälle gesorgt hat.
Die Nervosität steigt. Ich weiß noch nicht, was mich erwartet. Vom Bagatellschaden bis zur Traumareanimation male ich mir die Szenarien im Kopf aus. Als Traumaspezialisten würde ich mich nicht bezeichnen. Es sind nur sechs, sieben Minuten bis zur Einsatzstelle.
Scene – Safety – Situation
Scene: Nachmittag, warm, trocken, sonnig, Bundesstraße im Kreuzungsbereich.
Safety: Straßenverkehr, die parallel eingetroffene Feuerwehr sperrt ab.
Situation: Deformiertes Krad liegt auf Straße, mehrere PKW am Straßenrand haltend, Personen im Bereich der Leitplanke werden durch bereits eingetroffenen First Responder betreut.
Noch ohne den Patient näher betrachtet zu haben, kommen wir zu der Ersteinschätzung
Ersteinschätzung
Kritisch.
Auch der Kradfahrer befindet sich unter den Personen an der Leitplanke. Nach kurzer Evaluation der Situation stellt sich heraus, dass der Motorradfahrer mit 70 km/h auf der Bundesstraße gefahren ist und von einem abbiegenden PKW übersehen wurde. Er sei selbstständig aufgestanden und zur Leitplanke gegangen. Ein Helm wurde getragen.
Wir beschlossen, den Motorradfahrer für das Primary Survey in den RTW zu verbringen. Die Fahrtrage wurde mit Vakuummatratze und Beckenschlinge vorbereitet und zum Patienten gebracht, sodass dieser sich lediglich auf die Trage legen musste.
Im RTW ergab das Primary Survey folgende Befunde:
xABCDE
x – Exsanguination
Keine starke äußere Blutung.
A – Airway
Atemwege frei, Mundschleimhäute feucht und rosig, keine Zyanose.
B – Breathing
Atemfrequenz 16/min, SpO2 95 %, Thorax stabil, regelrechte Thoraxexkursionen, beidseits vesikuläres Atemgeräusch, keine Halsvenenstauung, atem- und druckabhängiger Schmerz im Bereich der rechten Thoraxseite.
C – Circulation
Haut rosig, warm, trocken; Rekapillarisierungszeit < 2 Sekunden, periphere Pulse guttastbar, rhythmisch; Abdomen weich, keine Abwehrspannung; keine Schmerzangabe im Becken, Oberschenkel stabil, RR 140/80 mmHg, Monitoring-EKG zeigt Sinustachykardie mit 100/min.
D – Disability
GCS 15, Pupillen isokor, mittelgroß, prompte Lichtreaktion; FAST unauffällig, pDMS unauffällig, BZ 99 mg/dl. Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit und Bewusstlosigkeit werden verneint.
E – Exposure/Environment
Schmerzangabe im Bereich der rechten Thoraxseite sowie im Bereich der rechten Schulter mit Prellmarken, verstärkt bei Atmung, Druck und Bewegung, stechend, ohne Ausstrahlung, NRS 8; Wirbelsäule nicht klopfschmerzhaft, keine Extremitätenverletzungen, Temperatur 36,2°C.
Die weitere Anamnese gestaltete sich unauffällig.
SAMPLER(S)
S – Symptome
Schmerzen.
A – Allergien
Keine.
M – Medikamente
Keine.
P – Vorerkrankungen
Keine.
L – Letzte orale Aufnahme/letztes Wasserlassen/letzter Stuhlgang
Mittagessen, 12:00 Uhr.
E – Ereignis
Verkehrsunfall, wurde übersehen (Fremdanamnese)
R – Risikofaktoren
Keine.
S – Schwangerschaft
Ausgeschlossen.
Im RTW wurde der Patient entkleidet und erhielt einen vollständigen Bodycheck, parallel hierzu erfolgte das Standardmonitoring.
Aufgrund der Kinematik des Unfalls und der ablenkenden, schmerzhaften Schulterverletzung wurde durch den Notarzt eine HWS-Immobilisation mittels Stifneck und Vakuummatratze angeordnet, ebenso die prophylaktische Anlage der Beckenschlinge.
Der Patient erhielt einen großlumigen venösen Zugang (14 G) sowie eine Vollelektrolytlösung sowie Sauerstoff über Maske (9 l/min). Aufgrund der anhaltend starken Schmerzen trotz Immobilisation wurde die Analgesie mittels Sufentanil durchgeführt.
Durch die Gesamtsituation war die Schockraumanmeldung und der Transport zum nächstgelegenen Maximalversorger obligatorisch.
Während die Anmeldung lief, konnte die zwischenzeitlich eingetroffene Polizei ein paar Fragen an den Kradfahrer stellen – die PKW-Insassen waren schon befragt worden.
Der Transport in den Maximalversorger gestaltete sich – abgesehen vom dichten Berufsverkehr – problemlos.
„Habt ihr nicht die PKW-Insassen vergessen?“
– könnte manch einer nun meinen.
Die PKW-Insassen waren augenscheinlich unverletzt, erhielten ihr Primary Survey und die Anamnese durch unseren NEF-Fahrer, wollten selbstverständlich nicht mit ins Krankenhaus und wurden schließlich bis zu deren Abrücken von den First Respondern betreut.
Fazit
Was fand ich gut?
- Gute Zusammenarbeit zwischen den beteiligten BOS an der Einsatzstelle
- kurze präklinische Versorgungszeit
- Mithilfe der First Responder beim Betreuen der PKW-Insassen
Was fand ich nicht gut?
- Absicherung der Einsatzstelle erfolgte erst durch die Feuerwehr – alle vorher Anwesenden hatten keine Sicherungsmaßnahmen getroffen
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