Ist der Patient instabil? SHIT!

Rettungsdienst aktuell – Themen die den Rettungsdienst, seine Mitarbeiter und Interessierte beschäftigen. Von leitliniengerechter Arbeit bis zur gesellschaftskritischen Diskussion.

Inhaltsverzeichnis


„Behandle den Patienten, nicht den Monitor!“

„Ein Mensch hält mehr aus als man denkt!“

Sprüche wie diese darf fast jeder noch etwas unsichere Neueinsteiger sich anhören. Ja, der klinische Eindruck entscheidet wirklich mehr über das therapeutische Vorgehen als irgendwelche Werte, und nicht jede „Normabweichung“ bei den Vitalparametern sollte einen ins Schwitzen bringen.

Und dann gibt es sie tatsächlich: Patienten mit irgendwelchen mehr oder minder abnormen Vitalparametern und einer entsprechenden klinischen Symptomatik.

Bei diesen stellt sich dann die Frage: volles Programm oder „reicht bis in die Klinik“? Sofortige Intervention oder einfach das Problem bei der Übergabe mal erwähnen?

Stabil oder instabil?

Meistens hängt die Antwort dieser Fragen davon ab, ob der Patient instabil ist oder nicht.

Background-Info: Was hat es überhaupt mit der Instabilität auf sich?

Die hämodynamische Stabilität ist im Prinzip ein synonym für die Kreislauffunktion – salopp: das Herz pumpt Blut, die Organe werden ausreichend durchblutet und so mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt und die normale Funktion des Körpers aufrechterhalten.

Die hämodynamische Instabilität liegt dann vor, wenn eine akute Beeinträchtigung der Kreislauffunktion vorliegt oder droht – oder anders: die Kreislauffunktion reicht nicht mehr bzw. nur noch bedingt aus, um den Körper ausreichend zu versorgen. Instabil also deswegen, weil ein Zusammenbruch der Körperfunktionen droht.

Bei instabilen Patienten heißt es „nicht kleckern, klotzen!“ – bei instabilen Patienten muss sofort und strukturiert interveniert werden. Die Behandlung duldet hier praktisch keinen (oder nur selten) einen Aufschub. Ein Vorgehen nach xABCDE bietet sich hierfür an.

Alles gemäß dem Motto

„Da ist ein Problem – behebe es!“

„Kritisch“ vs. „Instabil“

In der Einschätzung des Rettungsdienstes hat sich vor allem die Unterteilung

  • kritisch
  • potentiell kritisch/ernsthaft erkrankt und
  • nicht kritisch

etabliert.

„Kritisch“ bedeutet hierbei, dass primäre Vitalfunktionen unmittelbar bedroht sind und die unmittelbare Gefahr einer weitergehenden Zustandsverschlechterung besteht. Bei „potentiell kritisch“ ist die Gefahr zwar denkbar, aber nicht unmittelbar bevorstehend.

„Instabil“ bezeichnet eine bereits eingetretene schwere Störung der hämodynamischen Situation – der Zustand ist hier also nochmals bedrohlicher.

Oder simpel:

Jeder instabile Patient ist kritisch – aber nicht jeder kritische Patient ist instabil.

So sind ein akuter Schlaganfall oder ein ACS zwar durchaus kritisch, aber nicht zwingend instabil.

Wie erkennt man einen instabilen Patienten?

Für manch einen ist es schwer in der Akutsituation – oder mit unbekannten Krankheitsbildern konfrontiert – den instabilen oder den stabilen auffälligen Patienten herauszufinden.

In der Praxis haben sich die SHIT-Kriterien durchaus bewährt, kritische und instabile Patienten zu erkennen – jeweils in Kombination mit auffälligen Befunden oder einem kritischen Gesamteindruck.

Wichtig

In jedem Zweifelsfall gilt: der klinische Gesamteindruck des Patienten ist entscheidend!

© 2022 SaniOnTheRoad.

Die SHIT-Kriterien

Die SHIT-Kriterien sind von den Instabilitätskriterien der ERC und der DBRD-Musteralgorithmen abgeleitet bzw. basieren auf diesen. In dieser Form werden sie auch in einigen weiteren Algorithmen verwendet, z.B. im Land Schleswig-Holstein.

Unterschieden werden dabei

  • S – Synkope oder Bewusstseinsstörung
  • H – Hypotension oder Schocksymptomatik
  • I – Insuffizienzzeichen, hier vor allem eine akute Herzinsuffizienz
  • T – Thoraxschmerzen, vor allem Angina pectoris und ACS-Symptomatik

Die SHIT-Kriterien suchen als Red Flags für eine hämodynamische Instabilität primär nach dem C-Problem – mit kleineren Anpassungen kann man allerdings auch weitere Störungen der primären Vitalfunktionen erfassen.

Primäre Vitalfunktionen

Primäre Vitalfunktionen (auch „Vitalfunktionen erster Ordnung“) sind all jene Körperfunktionen, die für das Leben unabdingbar sind und deren Ausfall nicht kompensiert werden kann. Dies sind

  • Atmung,
  • Kreislauf, und im weiteren Sinne
  • das Bewusstsein.

S – Synkope oder Bewusstseinsstörung

Eine Synkope oder eine andere akute Vigilanzminderung mit auffälligen Vitalparametern oder einem schwer kranken Gesamteindruck müssen als „Red Flag“ gesehen werden!

Eine Synkope resultiert aus einer vorübergehenden Hypoperfusion des Gehirns. Synkopen können zwar relativ „harmlos“ sein, aber auch lebensbedrohliche Probleme als Ursache haben – z.B. lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen wie ventrikuläre Tachykardien. Eine Synkope Ferner besteht hier durchaus auch die Gefahr eines relevanten Sekundärschadens infolge eines Sturzes.

Jede Bewusstseinsstörung als Störung einer primären Vitalfunktion ist bis zum Ausschluss eines Gegenteils als kritisch anzusehen – primär neurologische Ursachen (z.B. Schlaganfall) kommen als Ursache ebenso in Betracht wie Schädel-Hirn-Traumata, Blutzuckerentgleisungen oder eine Hypoxie.

H – Hypotension oder Schock

Alles, was zu einem akuten Abfall des Herzzeitvolumens oder einer Hypoperfusion führt, erfüllt praktisch schon an sich die Definition der „hämodynamischen Instabilität“. Der Schock stellt dabei das Lehrbuchbeispiel der hämodynamischen Instabilität dar.

Schockformen

Der Schock wird in vier Grundformen eingeteilt, die sich nach Ursache und Pathophysiologie unterscheiden:

  • hypovolämischer Schock („absoluter Volumenmangel“)
  • distrubutiver Schock („Verteilungsproblem“)
  • obstruktiver Schock (Abdrücken großer Gefäße oder des Herzens selbst)
  • kardiogener Schock (Ursachen am/im Herzen selbst)

Ein augenscheinlich schwer kranker hypotoner (< 90 mmHg) oder gar schockiger Patient ist grundsätzlich als instabil anzusehen.

Der Fokus muss neben einer Ursachensuche und kausalen Behandlung hier auf der Transportpriorität liegen.

I – Insuffizienzzeichen

Gemeint sind hiermit Zeichen einer akut aufgretenen Herzinsuffizienz – das kann z.B. ein Lungenödem als Zeichen einer akuten Linksherzinsuffizienz sein, oder z.B aber eine obere Einflussstauung als Zeichen einer akuten Rechtsherzinsuffizienz.

Eine akut aufgetretene Herzinsuffizienz wird – im Falle der Dekompensation – unweigerlich zu Hypotonie und Schock führen.

Zwar nicht „klassisches SHIT-Kriterium“, aber unbedingt erwähnenswert wäre zudem die respiratorische Insuffizienz – eine SpO2 < 90 %, schwere Brady- oder Tachypnoe (AF < 10/min, AF > 30/min), auffällige Atemgeräusche, Zyanose und Anzeichen schwerer Atemnot (z.B. Einziehungen am Jugulum) müssen ebenfalls zur Einschätzung „kritisch“ führen.

T – Thoraxschmerz und Myokardischämie

Das ist vor allem die typische Angina pectoris, aber auch andere untypische nichttraumatische Thoraxschmerzen und Ischämiezeichen im EKG bei „stummen Infarkten“.

Differentialdiagnostisch muss hier – im Kontext des jeweiligen Notfalls und der anderen Kriterien – an die „Big Five des Thoraxschmerzes“ gedacht werden, welche alle als kritisch betrachtet werden müssen:

  • Akutes Koronarsyndrom
  • Aortendissektion
  • Lungenarterienembolie
  • Spannungspneumothorax
  • Ösophagusruptur (Boerhaave-Syndrom)
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Kritischen Patienten erkannt – was nun?

Akute kritische Probleme werden sofort strukturiert abgearbeitet!

Auch wenn manche „alten Hasen“ des Rettungsdienstes es nicht hören möchten – bei einem instabilen Patienten kommt dafür eigentlich nur das xABCDE infrage.

xABCDE „quick & dirty“

  • Stoppe jede lebensbedrohliche Blutung nach außen!
  • Sorge für einen freien Atemweg!
  • Stelle eine ausreichende Ventilation und Oxygenierung sicher!
  • Stabilisiere die Kreislauffunktion so adäquat wie möglich! Ziehe innere Blutungen in Betracht und versorge jede Blutung nach außen! Denke an die Transportpriorität!
  • Überprüfe den neurologischen Status!
  • Bodycheck! Entkleide den Patienten soweit wie nötig und untersuche ihn zügig – auch bei internistischen Patienten!

Gegebenenfalls erhält der kritische oder gar instabile Patient einen Notarzt – die Nachforderung sollte sich nach dem lokal gültigen Notarztindikationskatalog und einsatztaktischen Gesichtspunkten richten.

Unbedingt im Auge behalten: die Transportpriorität – ein instabiler Patient hat grundsätzlich Transportpriorität. „Abwarten“ ist hier die falsche Lösung. Eine Notarztnachforderung sollte im Rendezvous-Verfahren erfolgen.

Transportpriorität

Bei kritischen oder gar instabilen Patienten ist eine adäquate, zielgerichtete Versorgung meist nur in der Klinik möglich – der Fokus muss daher hier auf dem schnellstmöglichen Transport dorthin liegen, statt an der Einsatzstelle Zeit zu vergeuden, die dem Patienten nichts bringt.

Es werden nur lebensrettende Interventionen an der Einsatzstelle durchgeführt, die weitere Versorgung und Beurteilung erfolgt während des Transports – ein Beispiel für „Treat in Street“ als Versorgungsstrategie.

Interessenkonflikte

Der Autor gibt an, dass keine Interessenkonflikte bestehen.

Quellen

Böhmer R., Schneider T., Wolcke B. (2020): Taschenatlas Rettungsdienst, 11. Auflage. Böhmer & Mundloch Verlag, Mainz. ISBN 978-3-948320-00-3. Hier erhältlich: https://amzn.to/3SZQdcW

Deutscher Rat für Wiederbelebung (2021): Reanimation 2021 – Leitlinien kompakt, abgerufen unter https://www.grc-org.de/files/ShopProducts/download/Leitlinien%20kompakt_08.11.2021.pdf am 03.02.2022

Deutscher Berufsverband Rettungsdienst e.V. (2022): Muster-Algorithmen 2022 zur Umsetzung des Pyramidenprozesses im Rahmen des NotSanG, Version 7.0, abgerufen unter https://dbrd.de/images/algorithmen/DBRGAlgo1221_Web1.pdf am 03.02.2022

Luxem J., Runggaldier K., Karutz H., Flake F. (2020): Notfallsanitäter Heute, 7. Auflage. Urban & Fischer Verlag/Elsevier GmbH, München. ISBN 978-3437462115. Hier erhältlich: https://amzn.to/3QVgyqE

NAEMT (2020): Prehospital Trauma Life Support – Kurshandbuch Deutsche Ausgabe, 9. Edition. Jones and Bartlett Publishers, Inc. ISBN 978-1-284-19862-1. Hier erhältlich: https://amzn.to/3Cjm967

NAEMT (2018): Prehospital Trauma Life Support, 9. Edition. Jones and Bartlett Publishers, Inc. ISBN 978-1-284-17147-1. Hier erhältlich: https://amzn.to/3A5Go4E

SaniOnTheRoad (2020): 1.2 Der Rettungsdienst in Deutschland, abgerufen unter https://saniontheroad.com/1-2-der-rettungsdienst-in-deutschland/ am 22.08.2022

SaniOnTheRoad (2019): „Kleines 1×1 des Rettungsdienstes“ – Teil 12: Strukturiertes Arbeiten und Schemata im Rettungsdienst, abgerufen unter https://saniontheroad.com/kleines-1×1-des-rettungsdienstes-teil-12/ am 03.02.2022

Städteverband Schleswig-Holstein (2017): Algorithmen für den Rettungsdienst im Land
Schleswig-Holstein gemäß §12 Abs. 2 DVO-RDG
, abgerufen unter https://www.skverlag.de/fileadmin/files_content/Gesetze_und_Verordnungen/Schleswig-Holstein_Algorithmen_fuer_den_Rettungsdienst.pdf am 22.08.2022

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Über SaniOnTheRoad

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SaniOnTheRoad

Notfallsanitäter, Teamleiter und Administrator des Blogs. Vom FSJler über Ausbildung bis zum Haupt- und Ehrenamt im Regelrettungsdienst und Katastrophenschutz so ziemlich den klassischen Werdegang durchlaufen. Mittlerweile beruflich qualifizierter Medizinstudent im vorklinischen Abschnitt. Meine Schwerpunkte liegen auf Ausbildungs- und Karrierethemen, der Unterstützung von Neueinsteigern, leitliniengerechten Arbeiten sowie Physiologie, Pathophysiologie, Pharmakologie und EKG für den Rettungsdienst. Mehr über mich hier.