Der Lehrbuch-Klassiker

eyeglasses on opened book beside cup of coffee on table

Bei „Aus dem Pflaster-Laster“ berichte ich von Einsätzen, dem Alltag auf der Rettungswache und von aktuellen Themen – von purer Routine bis zum Drama. Am Ende ziehe ich mein Fazit der Einsätze und zeige auf, was gut lief und was besser laufen könnte. Namen von Patienten, Orten und Kollegen lasse ich selbstverständlich aus.

Wenn die Einsatzmeldung schon alles sagt

Ein neues Lehrjahr hat begonnen und so ergänzt auch in den Nachtschichten häufig ein frisch gebackener NotSan-Azubi die RTW-Besatzungen – in diesem Falle einen unserer „alten Hasen“ der Rettungswache und mich.

Den ersten Einsatz hatten wir schon hinter uns und nach etwas „Theorieunterricht“ mit unserem Azubi wollten wir uns eigentlich auf eine ruhige Nacht einstellen. Es kam – wie zu erwarten war – natürlich anders, als der Melder uns dann doch aus dem Schlaf gerissen hatte.

Einsatzdaten

Einsatzmeldung: Atmung sonstiges, Kind 1 – 6 Jahre.

Alarmierte Fahrzeuge: RTW solo, ohne Sonder-/Wegerechte.

Die Reise geht in einen Nachbarort, sieben oder acht Minuten Anfahrt. Während ich schon mit der Einsatzmeldung einen Verdacht hatte und in meinem Kopf die typischen „Kinderkrankheiten“ nochmal durchgehe, war mein Kollege…weniger motiviert. Die Aussage

„Warum fahren die nicht selbst?!“

auf der Anfahrt sprach einfach Bände. Naja.

Scene – Safety – Situation

Scene: Herbst, Nacht, 03:00, kühl, trocken, Einfamilienhaus in ländlicher Gegend.

Safety: Keine augenscheinlichen Gefahren.

Situation: Der Vater nimmt uns in Empfang und führt uns zu unserer Patientin (2 Jahre), welche auf dem Schoß der Mutter auf dem Sofa sitzt. Die Mutter berichtet von plötzlich einsetzendem bellenden Husten in der Nacht.

Mit einem neugierig-kränkelnden Kind, das adäquat reagiert, nehmen wir als Erstscheinschätzung

Ersteinschätzung

Nicht kritisch.

an und starten in unser Primary Survey, welches unser Azubi durchführt:

xABCDE

x – Exsanguination

Keine starke äußere Blutung.

A – Airway

Atemwege frei, Mundschleimhäute feucht, rosig, keine Zyanose.

B – Breathing

Atemfrequenz 24/min, keine obere Einflussstauung, Thorax stabil, Atemexkursionen regelrecht, Pulmo bds. vesikuläres AG, SpO2 97 %. Keine Einziehungen, kein Nasenflügeln.

C – Circulation

Haut rosig, warm, trocken, keine stehende Hautfalten; Rekapillarisierungszeit < 2 Sekunden, periphere Pulse beidseits tastbar, 110/min; Blutungsräume unauffällig.

D – Disability

GCS 15, altersentsprechend adüquate Reaktion, Pupillen isokor, mittelgroß, prompte LR.

E – Exposure/Environment

Seit gestern Schnupfen, sonst beschwerdefrei, Bodycheck unauffällig, Temp. 36,7°C.

Es bleibt bei einem

Einschätzung

Nicht kritisch.

Mein Kollege bereitet etwas entnervt die Trage vor, während wir noch im Haus die Anamnese vervollständigen.

SAMPLER(S)

S – Symptome

Seit gestern Schnupfen, seit 22:00 plötzlich aufgetretener bellender Husten; Besserung nach ausgiebigen Lüften.

A – Allergien

Keine.

M – Medikamente

Keine.

P – Vorerkrankungen

Z.n. RS-Virus-Infektion, Z.n. Pneumonie vor 3 Monaten.

L – Letzte orale Aufnahme/letztes Wasserlassen/letzter Stuhlgang

Nahrungsaufnahme 18:00 (Milch), Miktion und Stuhlgang unauffällig.

E – Ereignis

Aus der Ruhe heraus, bestehender grippaler Infekt.

R – Risikofaktoren

Keine.

S – Schwangerschaft

Ausgeschlossen.

Die Mutter berichtet, dass sie angesichts der eher kurz zurückliegenden Atemwegsinfekte bei dem ihr unbekannten bellenden Husten schlichtweg Panik bekommen hat – und den Rettungsdienst rief. Irgendwo verständlich.

Auch wenn der Pseudokrupp – von den wir hier ausgegangen sind – ein rettungsdienstlicher Lehrbuch-Klasssiker ist, ist er in der Allgemeinbevölkerung doch erstaunlich unbekannt.

Bei einem recht guten Allgemeinzustand des Kindes wollen wir die Kleine nicht mehr stressen als unbedingt notwendig und machen uns nach telefonischer Voranmeldung abfahrbereit Richtung Kinderklinik.

Pseudokrupp und Epiglottitis als rettungsdienstliche Lehrbuchklassiker

Auch wenn pädiatrische Notfälle in rettungsdienstlichen Ausbildungen allgemein eher knapp und oberflächlich behandelt werden, kommen ein paar typische „Kinderkrankheiten“ doch laufend darin vor – darunter der Pseudokrupp (auch: Krupp-Syndrom) und als Abgrenzung dazu die Epiglottitis.

Der Pseudokrupp ist dabei nicht nur wesentlich häufiger, sondern auch wesentlich ungefährlicher. Es handelt sich hierbei um eine durch Viren verursachte Laryngotracheitis (Entzündung des Kehlkopfes und der Luftröhre) bei einem vorausgegangenen Infekt der oberen Atemwege, die mit einer typischen (und eindrücklichen) Symptomatik – eben dem „bellenden Husten“ – einhergeht, meist aber nicht schwerwiegend verläuft.

Der Allgemeinzustand des Kindes ist meist wenig beeinträchtigt und die Symptomatik lässt sich oft schon durch die Zufuhr kühler, feuchter Luft (Vernebeln von NaCl 0,9 % oder „Fenster auf, Dusche an“) deutlich lindern. In schwereren Fällen ist die Gabe von Cortisonpräparaten und die inhalative Gabe von Adrenalin angezeigt.

Traditionell wird vom Pseudokrupp die deutlich gefährlichere Epiglottitis (bakterielle Entzündung des Kehldeckels) abgegrenzt – diese ist allerdings zur Ausnahmeerscheinung geworden, da eine Impfung gegen den typischen Erreger (Haemophilus influenzae B) seit Jahrzehnten eine Standardimpfung im Kindesalter ist.

Die Epiglottitis imponiert durch ein schwer krankes Kind als „Blickdiagnose“, oft massiver Atemnot und Schluckbeschwerden sowie hohem Fieber. Im Gegensatz zum Pseudokrupp besteht hier eine deutliche Gefahr der Atemwegsverlegung durch das Anschwellen des Kehldeckels und damit akute Lebensgefahr.

Fazit

Was fand ich gut?

  • unser Azubi hat den Einsatz entsprechend seines Kenntnisstandes souverän abgearbeitet
  • „Ersthelfermaßnahmen“ – auch wenn die Mutter nicht wusste, um was es sich handelt, hatte sie korrekt reagiert

Was fand ich nicht gut?

  • die unmotivierte Einstellung meines Kollegen – die „Vorverurteilung“ aufgrund einer Einsatzmeldung ist nicht ratsam; „Traue keiner Einsatzmeldung“
  • die „Angst“ vor pädiatrischen Patienten – es wird die durchaus korrekte Maßgabe „weniger ist mehr“ hier sehr oft zu einem „bloß nichts machen“, was Grundfalsch ist. Das Kind sollte trotz allem ordentlich untersucht werden und notwendige Interventionen durchgeführt werden. Meinem Kollegen war selbst die Pulsoxymetrie schon „zu viel“.

Was ist mir wichtig? – Take-home-Message

Das Wichtigste vorab: Kinder beißen (in der Regel) nicht – die Angst vor pädiatrischen Patienten ist oft schlichtweg unangebracht.

Das Vermeidungsverhalten hinsichtlich Untersuchung und Behandlung von Kindern ist da absolut kontraproduktiv und die rettungsdienstliche Didaktik zumindest unvorteilhaft. Ja, „weniger ist mehr“ stimmt in der Variante wie es gemeint ist („Das Kind nicht unnötig maltretieren“) durchaus – es heißt aber nicht „bloß nichts machen“.

Kindernotfälle sind vergleichsweise selten und erfordern ein angepasstes Vorgehen, als beim rettungsdiesntlichen Durchschnittspatienten. Man kommt hier nicht drumherum, genau diese Fälle zu trainieren und sich selbstständig fortzubilden.

Interessenkonflikte

Der Autor gibt an, dass es sich bei den verlinkten Büchern um Affiliate-Links handelt. Es entstehen keine zusätzlichen Kosten bei der Bestellung über den Link. Eine Einflussnahme bei der Auswahl der Literatur ist dadurch nicht erfolgt. Siehe auch: Hinweise zu Affiliate-Links.

Der Autor gibt an, dass keine Interessenkonflikte bestehen.

Quellen

AMBOSS (2023): Pseudokrupp, Stand 17.08.2023, angerufen unter https://www.amboss.com/de/wissen/pseudokrupp/ am 30.09.2023

Böhmer R., Schneider T., Wolcke B. (2020): Taschenatlas Rettungsdienst, 11. Auflage. Böhmer & Mundloch Verlag, Mainz. ISBN 978-3-948320-00-3. Hier erhältlich: https://amzn.to/458DGcB Affiliate-Link

Deutscher Berufsverband Rettungsdienst e.V. (2023): Musteralgorithmen 2023 zur Umsetzung des Pyramidenprozesses im Rahmen des NotSanG, Version 8.0, abgerufen unter https://dbrd.de/images/algorithmen/DBRGAlgo23_Web.pdf am 30.09.2023

Dönitz S., Flake F. (2015): Mensch Körper Krankheit für den Rettungsdienst, 1. Auflage. Urban & Fischer Verlag/Elsevier GmbH, München. ISBN 978-3-437-46201-6. Aktuelle Auflage (4. Auflage, 2022) hier erhältlich: https://amzn.to/41bEM5G Affiliate-Link

Luxem J., Runggaldier K., Karutz H., Flake F. (2020): Notfallsanitäter Heute, 7. Auflage. Urban & Fischer Verlag/Elsevier GmbH, München. ISBN 978-3437462115. Hier erhältlich: https://amzn.to/3q8w62I Affiliate-Link

SaniOnTheRoad (2020): Traue keiner Einsatzmeldung, abgerufen unter https://saniontheroad.com/traue-keiner-einsatzmeldung/ am 30.09.2023

SaniOnTheRoad (2019): „Kleines 1×1 des Rettungsdienstes“ – Teil 12: Strukturiertes Arbeiten und Schemata im Rettungsdienst, abgerufen unter https://saniontheroad.com/kleines-1×1-des-rettungsdienstes-teil-12/ am 30.09.2023

Schrod L. (2020): Pädiatrische Notfälle, Klinische Notfallmedizin Band 1 Wissen. 2020 : 359–369., abgerufen unter https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC7325853/pdf/main.pdf am 30.09.2023. DOI: 10.1016/B978-3-437-23248-0.00027-4

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Über SaniOnTheRoad

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SaniOnTheRoad

Notfallsanitäter, Teamleiter und Administrator des Blogs. Vom FSJler über Ausbildung bis zum Haupt- und Ehrenamt im Regelrettungsdienst und Katastrophenschutz so ziemlich den klassischen Werdegang durchlaufen. Mittlerweile beruflich qualifizierter Medizinstudent im klinischen Abschnitt des Studiums. Meine Schwerpunkte liegen auf Ausbildungs- und Karrierethemen, der Unterstützung von Neueinsteigern, leitliniengerechten Arbeiten sowie Physiologie, Pathophysiologie, Pharmakologie und EKG für den Rettungsdienst. Mehr über mich hier.

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