Traue keiner Einsatzmeldung

Bei „Aus dem Pflaster-Laster“ berichte ich von Einsätzen, dem Alltag auf der Rettungswache und von aktuellen Themen – von purer Routine bis zum Drama. Am Ende ziehe ich mein Fazit der Einsätze und zeige auf, was gut lief und was besser laufen könnte. Namen von Patienten, Orten und Kollegen lasse ich selbstverständlich aus.

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Einsatzmeldungen sind eigentlich eine feine Sache – man bekommt mit der Alarmierung schon ziemlich viel mit, kann die Problematik des Patienten eingrenzen, sich ein Lagebild vor Ort erstellen und sich mit den Kollegen absprechen.

Dank einer Einsatzmeldung hat man meist schon „einen Plan im Sack“ und die Einsätze laufen meist dementsprechend rund.

Einsatzmeldungen haben allerdings auch ihre Tücken. Sie engen das Denken ein, man wird gedanklich unflexibler und muss den Plan über den Haufen werfen, wenn die Lage vor Ort mit der gemeldeten Lage wenig bis gar nichts zu tun hat.

In Rheinland-Pfalz sind die Einsatzmeldungen sehr differenziert – es wird praktisch zwischen allen möglichen Alarmierungsgründen für den Rettungsdienst unterschieden, dementsprechend viele Alarmstichworte gibt es. Das ist gut, wenn es stimmt – und umso schlechter, wenn es nicht stimmt. Die „Treffergenauigkeit“ hängt von der Vorarbeit der Leitstelle ab – und der der Anrufer.

Wenn der Alarm kommt

Es war am späteren Vormittag und der erste Einsatz des Tages, den wir bekommen haben.

Einsatzdaten

Einsatzmeldung: Synkope

Alarmierte Fahrzeuge: RTW solo, mit Sonder-/Wegerechte.

Es geht in eine kleine Ortschaft weit in der Peripherie. 15 Minuten Anfahrt und genug Zeit, sich abzusprechen.

Eine Synkope, ein kurzer Ohnmachtsanfall, ist rettungsdienstlicher Standard und zweifellos ein häufigerer Einsatz. Oft sind die Gründe harmlos, oft steckt aber auch ein akut behandlungsbedürftiges Problem dahinter.

Typisch ist, dass die Leute wieder wach sind und man großzügig internistisch-neurologische Differentialdiagnostik betreiben darf.

Scene – Safety – Situation

Scene: Vormittag, warm, trocken, sonnig, Hofeinfahrt eines Einfamilienhauses.

Safety: keine augenscheinlichen Gefahren

Situation: RTW wird durch Ehemann und Nachbarn eingewiesen, Ehefrau (Mitte 80) sei vor der Tür kollabiert, liegt in der stabilen Seitenlage und hat erbrochen.

Die Ersteinschätzung

Ersteinschätzung

Kritisch.

ist schnell getroffen.

Fast schon im Vorbeigehen erklärt die Nachbarin

„Sie ist einfach zusammengebrochen, da habe ich sie in die stabile Seitenlage gedreht. Und…seit ein paar Minuten habe ich keinen Puls mehr.“

Ab jetzt liegt der Fokus ganz wo anders. Die Einsatzmeldung stimmte wohl augenscheinlich nicht – wir stehen nun als RTW vor einer Reanimation und müssen erstmal Zeit überbrücken. Die Patientin liegt selbstverständlich direkt vor der Haustür, wo eine Treppe hinführt. Viel Platz ist nicht.

Der Kreislaufstillstand ist schon beinahe offensichtlich – eine blass-livide-zyanotische Hautfarbe und keinerlei Atmung.

Während mein Kollege das restliche Material aus dem RTW holt und den Notarzt nachfordert, beginne ich mit einer Compression-only CPR. Danach: absaugen, da offensichtlich der gesamte Mundraum voll ist mit Erbrochenem. Beutel-Maske-Beatmung funktioniert daraufhin suffizient. Defi-Patches aufkleben – Asystolie. Weiter geht’s. Nochmal absaugen. Wir richten einen Larynxtubus.

Helferwechsel – nochmal absaugen. Immer noch Asystolie. Der Larynxtubus lässt sich problemlos platzieren, der Thorax hebt und senkt sich deutlich, die Kapnographie bestätigt die Lage. Fixieren.

Ich lege noch die Zugangstasche und eine Infusion an den Arm der Patientin, damit mein Kollege loslegen kann. Helferwechsel. Noch immer asystol.

Der Zugang gestaltet sich aufgrund der Venenverhältnisse schwierig – aber der zweite i.v.-Zugang sitzt sicher. Das erste Milligramm Adrenalin wird gegeben.

Nach einer gefühlten Ewigkeit taucht der Notarzt auf – kurze Übergabe über die spärlichen Informationen, die wir zu diesem Zeitpunkt haben. Der Notarzt beschließt, die Patientin umzuintubieren – heißt: mit einem Endotrachealtubus zu intubieren, den Larynxtubus entfernen.

Gesagt, getan – auch wenn es sich schwieriger gestaltet, als gedacht. Die Patientin muss mehrfach abgesaugt werden, bis die Intubation möglich war. Auch der Endotrachealtubus sitzt – die Kapnographie bestätigt es.

Wir wechseln ab diesem Zeitpunkt durch – Analyse, Asystolie, nochmal Adrenalin. Reversible Ursachen? Vermutlich kardiale Genese. Lyse? Kommt aufgrund eines Tumorleidens nicht in Betracht. Chancen? Wir reanimieren seit einer Dreiviertelstunde, anhaltende Asystolie, weite, lichtstarre Pupillen.

Die Situationsanalyse lässt eigentlich nur einen Schluss zu: frustraner Verlauf. Der Notarzt bespricht sich mit dem Ehemann, während wir noch weiterreanimieren. Dann kommt die Übereinkunft zum Abbruch.

Durchatmen. Und wir lassen einfach mal den Einsatz Revue passieren.

Background-Info

Synkope

Kurzer Ohnmachtsanfall

Compression-only CPR

Reanimation mit reiner Herzdruckmassage, bis eine Beatmungsmöglichkeit bereit ist.

Asystolie

„Nulllinie“ im EKG, keinerlei elektrische Herzaktivität (und auch keine Auswurfleistung).

Larynxtubus

Atemwegssicherung, die oberhalb der Stimmbandebene zum liegen kommt

Endotrachealtubus

Beatmungsschlauch, der in die Luftröhre eingeführt wird.

Lyse

= Fibrinolysetherapie. Medikamentöse Auflösung von Blutgerinnseln, z.B. bei Herzinfarkt oder Lungenarterienembolie.

Was fanden wir vor?

Wir hatten eine 80-jährige Krebspatientin, die aber sonst noch „fit“ war, mit einem plötzlichen Kollaps. Dieser wurde beobachtet, der Eintritt des Kreislaufstillstands auch.

Eine Laienreanimation wurde nicht begonnen. Fatal. Die Leitstelle wurde weder über die anhaltende Bewusstlosigkeit, noch über den Kreislaufstillstand informiert. Fatal. Vielleicht wurde auch nicht „richtig“, das heißt standardisiert, abgefragt – könnte man vermuten. Fatal.

Der Einsatz an sich war eine „Standard-Reanimation“ und, von dem Atemwegsproblem abgesehen, ohne große Überraschungen.

Fazit

Was fand ich gut?

  • schnelle und angemessene Reaktion auf die gänzlich andere Situation
  • Einweiser für den Rettungsdienst wurden bereitgestellt
  • es wurden augenscheinlich Erste-Hilfe-Maßnahmen durch Laienhelfer eingeleitet

Was fand ich nicht gut?

  • es wurde keine Laienreanimation begonnen, obwohl ein beobachteter und erkannter Kreislaufstillstand vorlag
  • die Leitstelle wurde über die Zustandsänderung nicht informiert – alternativ wurde nicht korrekt durch die Leitstelle abgefragt
  • Atemwegssicherung: der Endotrachealtubus hätte unter dieser Situation durchaus gegenüber dem Larynxtubus bevorzugt werden können

Was ist mir wichtig?

Mit den Ersthelfern steht und fällt ein Einsatz.

Es ist nicht nur wichtig zu wissen, wann die stabile Seitenlage und wann die Herz-Lungen-Wiederbelebung notwendig ist – es ist auch wichtig zu wissen, wenn sich der Patientenzustand gravierend ändert.

Heißt: wenn irgendetwas nach einem Notruf anders oder schlimmer wird – sofort nochmals die 112 anrufen!

Und – frischt eure Erste-Hilfe-Kenntnisse bitte auf, und zwar für die Personen, die Euch nahestehen.

Themen-Bundle

Dieser Beitrag ist Teil des Themen-Bundles „Reanimation“.

Quellen

SaniOnTheRoad (2019): Die stabile Seitenlage, abgerufen unter https://saniontheroad.com/die-stabile-seitenlage/ am 03.02.2022

SaniOnTheRoad (2019): Die Herz-Lungen-Wiederbelebung durch Ersthelfer, abgerufen unter https://saniontheroad.com/die-herz-lungen-wiederbelebung-durch-ersthelfer/ am 03.02.2022

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Über SaniOnTheRoad

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SaniOnTheRoad

Notfallsanitäter, Teamleiter und Administrator des Blogs. Vom FSJler über Ausbildung bis zum Haupt- und Ehrenamt im Regelrettungsdienst und Katastrophenschutz so ziemlich den klassischen Werdegang durchlaufen. Mittlerweile beruflich qualifizierter Medizinstudent im vorklinischen Abschnitt. Meine Schwerpunkte liegen auf Ausbildungs- und Karrierethemen, der Unterstützung von Neueinsteigern, leitliniengerechten Arbeiten sowie Physiologie, Pathophysiologie, Pharmakologie und EKG für den Rettungsdienst. Mehr über mich hier.

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