Aus der Uni – ein Rettungsdienstler berichtet vom Weg ins und aus dem Medizinstudium.
Worum geht es?
Tja, nachdem ich nun mein Physikumszeugnis in den Händen halte, ist es offiziell: die Vorklinik ist vorbei.
Und auch wenn ich es Schwarz auf Weiß (naja, eher hellblau…) habe ist die ganze Situation immer noch total…unwirklich. So ganz realisiert habe ich das Ende dieses Abschnitts immer noch nicht.
Trotz allem soll es an dieser Stelle schon mal für einen Rückblick auf die vergangenen zwei Jahre geben. Vielleicht auch etwas sentimentaler, vielleicht auch etwas kritischer, als ich es in den Berichten der einzelnen Semester getan habe.
Ein Rückblick
Zwei Jahre ist es nun her, seitdem ich ins Studium eingestiegen bin. Und es ist viel passiert, wahrscheinlich so viel, dass es am Ende jeden Rahmen sprengen würde. Langweilig wurde mir jedenfalls nicht.
Angefangen bei dem ersten Treffen der beruflich Qualifizierten über die doch eher-feucht fröhliche Einführungswoche und die ersten Eindrücke. Lernen, Frust, noch mehr Lernen, Klausuren – mal mit gutem, mal mit weniger gutem Gefühl, Arbeiten, Lernen, die Erlebnisse mit der Lerngruppe und Freunden an der Uni…
Zwischen dem ersten Mikroskopieren im Bio-Praktikum, dem Zittern in Chemie und Biochemie, der überwältigenden Stoffmenge der Anatomie und dem Dauerstress in der Physikumsvorbereitung gab es wirklich unzählige schöne Erlebnisse, Kurioses, Stoff für Anekdoten, Erfolgs- und Misserfolgserlebnisse, Spaß und wirklich zähe Tage.
Immer dabei: die Arbeit im Rettungsdienst und das Ehrenamt im Sanitätsdienst. Zu meiner – und der vieler anderer – absolut kein Belastungsfaktor, jedenfalls für mich. Das Gegenteil traf zu: es lieferte mir oft genug die Antwort auf die Frage
„Warum tue ich mir das an?“
wenn es einfach mal nicht so lief, wie ich es gerne gehabt hätte.
Ich blicke zurück auf teils sehr trockene Grundlagenwissenschaften mit manchmal doch recht fragwürdigen Fokus und noch fragwürdigerer Lehrqualität, die Biochemie, mit der ich nur semi-warm wurde, eine gewisse Hassliebe zur Anatomie und die Physiologie als Lieblingsfach.
Ich hatte definitiv mehr Einblicke in Dinge erhalten, als ich gedacht hatte – und musste sie in mehr Details lernen, als mir manchmal lieb war. Einiges davon wird wohl auch für das spätere Berufsleben relevant sein, einiges nur für den klinischen Abschnitt…und einiges einfach gar nicht mehr.
Ganz klar gab es hier auch mehr als nur ein paar „Aha“-Momente – oft genug wurde mir vor Augen geführt, wie wenig man als Notfallsanitäter tatsächlich weiß. Das fand ich sowohl beeindruckend wie auch beängstigend und es hat durchaus für ein gewisses Maß an Demut gesorgt, welches keinesfalls geschadet hat.
Ich blicke ehrlich gesagt mit einem lachenden und einem weinenden Auge auf die Vorklinik zurück. Ich möchte keine der Erfahrungen, die ich machen durfte, missen – ich wollte aber auch nichts davon noch einmal machen 😅
War es anstrengend? Absolut. Hat es sich gelohnt? Unterm Strich ja. Bereue ich die Entscheidung? Puh – auch wenn mir das rege Wachenleben (das ich schlichtweg weniger mitbekomme), die Kollegen, die Einsätze, das regelmäßige Üben mit den Azubis durchaus fehlt…bereuen tue ich die Entscheidung nicht.
Für mich beginnt ab Mitte Oktober ein neuer Abschnitt: die Klinik. Kranke Menschen untersuchen und behandeln. Das, was man eigentlich vom Medizinstudium erwartet. Das, warum man das Studium eigentlich absolviert. Trotz all dem Stress der letzten Wochen: ich freue mich drauf!
Ein Drittel des Studiums liegt nun hinter mir – und zwar der Teil, der gemeinhin als „am schlimmsten“ gilt.
Der Wermutstropfen der ganzen Geschichte ist: mit dem Erfolg bin ich ziemlich alleine.
Bis auf eine Kommilitonin, die noch vor Ende des ersten Semesters abgebrochen hatte, ist meine gesamte Lern- und Freundesgruppe zwar noch dabei…aber niemand konnte mit mir das Physikum schreiben. Das folgt wahlweise in einem, zwei oder noch mehr Semestern wild verteilt. Das finde ich tatsächlich sehr schade, auch weil es gerade im vergangenen Semester und meiner Physikumsvorbereitung dann doch sehr viel gegenseitige Unterstützung, (notwendige) Ablenkung und auch Beistand für mich gab 😅
Das ist dann auch schon die Überleitung zu dem kritischeren Teil…
Was anders laufen sollte
„Ist es wirklich sinnvoll, was wir machen? Ist es sinnvoll, wie wir es machen?“
Es gibt einfach Dinge an der Vorklinik, die ich nicht einfach suboptimal fand, sondern einfach schlecht.
Hohe Anforderungen sind grundsätzlich vollkommen in Ordnung, gerade dann, wenn es langfristig auch einfach um Menschenleben geht. Problematisch finde ich allerdings, in welchem Gesamtkontext diese Anforderungen gestellt werden. Wirkliche Unterstützung oder Verständnis seitens der Uni…gab es ausgesprochen wenig.
Man wird hier noch mehr „ins kalte Wasser“ geschmissen, als es im Rettungsdienst der Fall ist – und das will etwas heißen.
Klar, ein Studium bedeutet Eigenverantwortung, selbstständiges Lernen und Organisieren – gar keine Frage. Das darf und soll es auch bedeuten.
Wenn es allerdings im Endergebnis ein völliges „ausgeliefert sein“ mit enormen Stoffmengen, chronischen Zeitmangel und absolut keiner Schwerpunktsetzung ist, läuft hier trotzdem was schief. Und man ist – ahnungslos und naiv, wie man als Neuling an der Uni ist – einfach allem ausgeliefert: Testaten, Klausuren, die den Fokus auf völlig irrelevantes Fußnotenwissen legen, der Fachschaft, den panikverbreitenden Kommilitonen und den noch mehr Panik verbreitenden Nachhilfelehrern, die sich eine goldene Nase daran verdienen.
Mal ein wenig Fokus auf die wirklich relevanten Dinge, mal eine nachvollziehbare Schwerpunktsetzung oder auch ein simples „So überlebst Du das erste Semester“ täte manchmal gut.
Denn: nicht alle haben rechtzeitig schwimmen gelernt – manche haben abgebrochen, manche das Fach gewechselt, und ganz viele sind irgendwo in der Vorklinik hängen geblieben. Und erstaunlich viele haben irgendwelche behandlungsbedürftigen (!) psychischen Probleme entwickelt, die sie vor dem Studium nicht hatten.
Das hat dann auch nichts mehr mit „hohem Anspruch“ zu tun. So etwas ist einfach ein mehr oder minder systematisches Zermürben – mit Dingen, die zu einem nicht unerheblichen Teil für die spätere ärztliche Tätigkeit marginale bis gar keine Relevanz haben. Und das bei knappen Studienplätzen und einem weitläufigen Ärztemangel.
Sicher: wir brauchen definitiv kompetente Ärzte – aber irgendwie habe ich auch den Eindruck, dass die Gesellschaft ebenso großen Wert darauf legt, dass ihre Ärzte nicht durch die Bank weg einen Dachschaden haben.
Vielleicht ist es an der Zeit, dass auch in die Vorklinik etwas mehr Praxis- und Patientenbezug Einzug hält, wichtige Themen die Zeit und den Raum bekommen, die sie verdienen und man sich einfach von dem sinnlosen Abprüfen völlig irrelevanter Details verabschiedet. Ein etwas zielgerichteter Fokus auf das, was man als Arzt wirklich braucht, würde nicht schaden.
Und gerade in diesem Kontext sollte man sich auch die Frage stellen, ob das Physikum in der heutigen Form wirklich noch den Zweck einer sinnvollen Lernerfolgskontrolle darstellt – oder ob es am Ende doch nur ein „Schwanzlängenvergleich“ (mir fällt leider wirklich kein besserer Ausdruck) der medizinischen Fakultäten als fragwürdiges Maß für die Qualität der Lehre ist.
Interessenkonflikte
Der Autor gibt an, dass keine Interessenkonflikte bestehen.
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