Es weihnachtet sehr!

Bei „Aus dem Pflaster-Laster“ berichte ich von Einsätzen, dem Alltag auf der Rettungswache und von aktuellen Themen – von purer Routine bis zum Drama. Am Ende ziehe ich mein Fazit der Einsätze und zeige auf, was gut lief und was besser laufen könnte. Namen von Patienten, Orten und Kollegen lasse ich selbstverständlich aus.

Photo by Gary Spears on Pexels.com

Von vorweihnachtlicher Besinnlichkeit kann man im Rettungsdienst nur selten sprechen – auch wenn der Weihnachtsbaum im Aufenthaltsraum steht, es beinahe täglich frische Plätzchen gibt und man locker 5 Kilogramm in der Zeit zunimmt: Arbeit gibt es immer noch zu genüge.

Die anstehende Nachtschicht liegt schon etwas zurück – die Berufsurkunde war praktisch noch druckfrisch und als Verantwortlicher habe ich noch nicht allzu viel erlebt.

Ich fahre mit einem Kollegen der Werkfeuerwehr aus unserem Ehrenamt – Feuerwehrmann mit Leib und Seele, Rettungssanitäter im Ehrenamt und im Katastrophenschutz. Kurz: ein Fan von allem, was Blaulicht hat. Im Gegensatz zu vielen anderen Menschen dieser Kategorie aber auch jemand, der sein Handwerk wirklich beherrscht ^^

„Auto checken, dann essen?“

Wir stellen uns auf eine eher ruhige Schicht ein – der Tagdienst hatte nur zwei Fahrten und am Funk ist es ruhig

Der Plan also: Fahrzeugcheck, Abendessen – und schauen, was die Nacht so bringt.

Soweit sollte es natürlich nicht kommen. Wir waren gerade noch beim Checken, als der Melder aufgeht:

Einsatzdaten

Einsatzmeldung: Schlechter Allgemeinzustand, Kopfschmerzen.

Alarmierte Fahrzeuge: RTW solo, ohne Sonder-/Wegerechte.

„Schlechter Allgemeinzustand“ ist praktisch das Schlagwort der Leitstelle für „Wir wissen es nicht so genau, fahrt mal gucken“.

Von „nix“ bis zu „richtiges Problem“ kann da so ziemlich alles drin sein. Überraschungspaket.

Es geht in ein kleines Nachbardorf, die Anfahrt dauert zehn Minuten.

Scene – Safety – Situation

Scene: Abend, 19:30 Uhr, kalt, trocken. Altbauwohnung in ländlicher Gegend.

Safety: keine augenscheinlichen Gefahren.

Situation: Wir werden vom Ehemann der Patientin am Gartentor empfangen. Er berichtet, dass seine Frau seit einigen Stunden starke Kopfschmerzen und Schwindel hat, übel sei ihr auch. Er hätte seine Frau ja gerne nach draußen begleitet, aber sie kann nicht alleine aufstehen und liegt im Pflegebett im Wohnzimmer, ihm selbst gehe es auch nicht so gut.

Wir beschließen, bei der Patienten ein schnelles Primary Survey zu machen, sie nach draußen zu bringen und den Rest, wenn möglich, im RTW zu machen.

Mit Koffer, Sauerstoff und EKG bewaffnet geht es also Richtung Wohnung. Mein Kollege hat einen Schritt durch die Tür gemacht, da ertönt ein schriller, durchdringender Ton. Unser Feuerwehrmann bleibt direkt stehen und schiebt mich mit den Worten

„Sofort raus!“

wieder vor die Türe. Noch etwas perplex beginne ich so langsam zu realisieren, was Phase ist: unser CO-Warner hat ausgelöst. Ein roter Alarm schon an der Haustüre. Angezeigt werden nach diesem Hauch Raumluft schon über 90 ppm. Drinnen dürfte es noch wüster aussehen.

Wir entscheiden uns mal für

Ersteinschätzung

Mann potentiell kritisch, Frau kritisch.

Und für eine großzügige Nachalarmierung – die Feuerwehr brauchen wir mal auf jeden Fall, wir brauchen einen zweiten RTW, und ein Notarzt wäre auch nicht schlecht. Während mein Kollege fleißig mit der Leitstelle telefoniert, begebe ich mich vor der Türe in das Primary Survey.

xABCDE

x – Exsanguination

Keine starke äußere Blutung.

A – Airway

Atemwege frei, Mundschleimhäute feucht und rosig, keine Zyanose.

B – Breathing

Atemfrequenz 18/min, Thorax stabil, regelrechte Thoraxexkursionen, beidseits vesikuläres Atemgeräusch, keine Halsvenenstauung, keine Dyspnoe, SpO2 99 %.

C – Circulation

Haut rosig, warm, trocken, keine stehenden Hautfalten; Rekapillarisierungszeit < 2 Sekunden, periphere Pulse tastbar, rhythmisch, tachykard; Abdomen weich, keine Abwehrspannung; keine Schmerzangabe im Becken, Oberschenkel stabil, RR 140/90 mmHg.

D – Disability

GCS 15, Pupillen isokor, mittelweit, prompte Lichtreaktion; FAST unauffällig, pDMS unauffällig, BZ 99 mg/dl. Dumpfe Kopfschmerzen.

E – Exposure/Environment

Bodycheck unauffällig, keine Verletzungen, Temperatur 37,0°C.

In der Akutsituation entscheide ich mich erstmal für ein

Einschätzung

Ernsthaft krank.

beim Ehemann unserer eigentlichen Patienten. Wir beschließen, uns aufzuteilen: mein Kollege nimmt den Ehemann samt Monitoring mit in den RTW und gibt erstmal großzügig Sauerstoff.

Unterdessen erkundige ich mich von der Haustür aus nach dem Befinden der Patienten. Sie ist augenscheinlich wach und orientiert, und kann nur wegen ihrer ALS (Amyothrophe Lateralsklerose, man erinnere sich an die „Ice Bucket Challenge“) nicht mehr aufstehen.

Nach ihrer eigenen Aussage gehe es ihr seit etwa einer halben Stunde zunehmend schlechter, mittlerweile kommt auch noch Luftnot hinzu.

Gott sei Dank treffen NEF und das TSF der örtlichen Feuerwehr praktisch zeitgleich ein – ich mache meine Übergabe an unseren Notarzt und den Gruppenführer der Feuerwehr.

Die Priorität auf die Menschenrettung ist ziemlich schnell festgelegt und während sich die Atemschutzgeräteträger bereit machen, „sichtet“ unser Notarzt den Ehemann. Auch der zweite RTW ist mittlerweile eingetroffen und die Besatzung macht sich bereit, die Patientin zu übernehmen.

Nachdem Patientin Nummer 2 unter Atemschutz aus dem Wohnzimmer gerettet wurde, macht sich RTW Nummer 2 zusammen mit dem Notarzt direkt an die Arbeit. Der NEF-Fahrer organisiert die Klinikplätze – beide sollen mindestens mal auf eine Intensivstation – und so langsam trudelt auch nach und nach der Gefahrstoffzug des Landkreises ein.

Der Ehefrau geht es augenscheinlich schon deutlich schlechter, die kirschrote Hautfarbe kann man genauso erahnen wie die augenscheinliche Atemnot.

„Haben wir eine SpCO-Messung?“

– Frage des Notarztes

Tja, die Möglichkeit zur Puls-CO-Oximetrie, kurz SpCO-Messung, haben wir leider nicht. Schade. Das hätte die Entscheidungsfindung erleichtert. Unsere normale Pulsoximetrie taugt hier ja nicht viel.

Es wird festgelegt, dass unter Patient – dem es augenscheinlich besser geht – auf die ITS des örtlichen Grundversorgers soll.

Nur seine Ehefrau ist noch ein wenig das Sorgenkind. Was tun? Druckkammer? Wäre eine gute Idee, die nächste ist allerdings zwei Stunden entfernt und einen RTH kriegen wir um diese Uhrzeit nicht so schnell. Intubieren und kontrolliert beatmen mit 100 % Sauerstoff? Wäre eine Idee – mit der degenerativen Muskelerkrankung im Hintergrund fürchtet der Notarzt allerdings, dass die Patientin „nicht mehr von der Beatmung los kommt“.

Unser Notarzt entscheidet sich für eine NIV-Therapie mit einem PEEP von 5 mbar und 100 % Sauerstoff – die Patientin toleriert es gut und es soll nun ebenfalls auf die ITS unseres Grundversorgers gehen.

Die zwischenzeitliche Messung der Gefahrstoffeinheit haben im Wohnzimmer Konzentrationen von rund 600 ppm CO ergeben – eine ganze Menge. Als „Verursacher“ wurde der alte Holzofen im Wohnzimmer ausgemacht – der Schornsteinfeger war wohl überfällig.

Nach dem Einsatz fällt das Stresslevel und die Anspannung ab – mit dem Ergebnis hatte ich nicht gerechnet, und die CO-Intoxikation hatte ich nicht auf dem Schirm.

Background: Kohlenmonoxidintoxikation

Kohlenmonoxid ist ein farb- und geruchloses Gas, das bei der Verbrennung unter Sauerstoffmangel entsteht. Problematisch ist seine wesentlich höhere (ca. 210 mal stärker als Sauerstoff) Bindungsaffinität zu Hämoglobin und seine massiv längere Bindungsdauer (ca. 270 mal länger als Sauerstoff) – das Hämoglobin nimmt als Carboxyhämiglobin (CO-Hb) nicht mehr am Sauerstofftransport teil.

Bei entsprechend viel CO-Hb im Blut wird die Organversorgung mit Sauerstoff erheblich beeinträchtigt – über eine Hypoxämie kommt es zur Hypoxie, welche die sehr unspezifischen (vor allem zentralnervösen) Symptome verursacht.

Typische Symptome

  • „kirschrote Hautfarbe“ – Red Flag!
  • Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit
  • Tachykardie, Angina pectoris
  • Dyspnoe
  • keine Zyanose!

Bei schweren Intoxikationen auch

  • Atemstörungen bis zum Atemstillstand,
  • Bewusstseinsstörungen bis zur Bewusstlosigkeit,
  • Krampfanfälle,
  • Kreislaufstillstand.

Die CO-Intoxikation ist absolut kein Exot – allein in Deutschland gibt es jährlich rund 800 Todesfälle (ca. 1/100.000 Einwohner) durch Kohlenmonoxid.

CAVE

Eine CO-Intoxikation lässt sich mit der herkömmlichen Pulsoximetrie nicht ermitteln!

Fazit

Was fand ich gut?

  • Eigenschutz – die Gefahr wurde frühzeitig erkannt und entsprechend gehandelt!
  • Teamwork – der „feuerwehrerfahrene“ Kollege hat die organisatorischen Gegebenheiten abklären können
  • CO-Warner – er war dabei und „am Mann“

Was fand ich nicht gut?

  • Wir hätten den Ehemann – der ja schon wieder in die Wohnung vorgegangen ist – bitten können, die Fenster zu öffnen > Durchlüften senkt CO-Konzentration
  • Ich hatte die CO-Intoxikation nicht auf den Schirm – das Ganze traft mich im ersten Moment total unerwartet
  • Leider keine SpCO-Messung verfügbar!

Was ist mir wichtig? – „Take-Home-Message“

Gerade zu Beginn der Winterzeit, wo Heizungen und Öfen zum ersten Mal seit langem wieder angeworfen werden, muss man mit CO-Intoxikationen rechnen – die Gefahr muss man auf dem Schirm haben!

Denke an GAMS! Eigenschutz!

GAMS-Regel

  • Gefahr erkennen!
  • Absichern!
  • Menschenrettung!
  • Spezialkräfte nachfordern!

Und vor allem: nehmt den verdammten CO-Warner mit zum Patienten!

Quellen

Böhmer R., Schneider T., Wolcke B. (2020): Taschenatlas Rettungsdienst, 11. Auflage. Böhmer & Mundloch Verlag, Mainz. ISBN 978-3-948320-00-3.

Freissmuth M., Offermanns S., Böhm S. (2016): Pharmakologie und Toxikologie, 2. Auflage. Springer-Verlag Berlin, Heidelberg. ISBN 978-3-662-46688-9, eBook-ISBN 978-3-662-46689-6. DOI: 10.1007/978-3-662-46689-6.

Vaupel P., Schauble H.-G., Mutschler E. (2015): Anatomie, Physiologie, Pathophysiologie des Menschen, 7. Auflage. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart. ISBN 978-3-8047-2979-7, eBook-ISBN ISBN 978-3-8047-3451-7.

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Über SaniOnTheRoad

Es weihnachtet sehr!

SaniOnTheRoad

Notfallsanitäter, Teamleiter und Administrator des Blogs. Vom FSJler über Ausbildung bis zum Haupt- und Ehrenamt im Regelrettungsdienst und Katastrophenschutz so ziemlich den klassischen Werdegang durchlaufen. Mittlerweile beruflich qualifizierter Medizinstudent im klinischen Abschnitt des Studiums. Meine Schwerpunkte liegen auf Ausbildungs- und Karrierethemen, der Unterstützung von Neueinsteigern, leitliniengerechten Arbeiten sowie Physiologie, Pathophysiologie, Pharmakologie und EKG für den Rettungsdienst. Mehr über mich hier.


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