„Kleines 1×1 des Rettungsdienstes“ – Teil 7: Blaulicht, Sonderrechte und Wegerechte

„Kleines 1×1 des Rettungsdienstes“ bietet eine Übersicht über Aufbau, Struktur und Gepflogenheiten des Rettungsdienstes in Deutschland. Hier geht es um das, was Interessenten und Neueinsteiger wissen sollten.

Zu „Teil 6 – Willkommen auf der Rettungswache“ geht es hier

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Teil 7 – Blaulicht, Sonderrechte und Wegerechte

Mit Blaulicht und Martinshorn wird der Rettungsdienst oft in Verbindung gebracht. Mit den dazugehörigen Sonder- und Wegerechten ist es – sowohl in der Allgemeinheit als auch in Fachkreisen – ein recht umstrittenes und kontrovers diskutiertes Thema mit teils sehr fragwürdigen Aussagen.

Der Durchschnittsbürger kommt damit genauso in Berührung wie jeder Rettungsdienstler. Oder Feuerwehrmann. Oder Polizist.

Alles in allem ein Grund, das Thema mal von der rechtlichen als auch der praktischen Seite zu beleuchten?

Was sind Sonderrechte?

Sonderrechte gewähren dem Nutzer die Möglichkeit, von den Vorschriften der Straßenverkehrsordnung abzuweichen, die Grundlage dafür ist § 35 StVO.

Ganz platt ausgedrückt: wer Sonderrechte in Anspruch nehmen kann, der darf ungestraft gegen Verkehrsregeln verstoßen – das betrifft am häufigsten Geschwindigkeitsbeschränkungen, das Überfahren roter Ampeln oder auch das Überholen im Überholverbot.

Dass all diese Verstöße eine Gefährdung darstellen, muss sowohl dem „Anwender“ als auch allen übrigen Verkehrsteilnehmern klar sein. Mit „Sinn und Verstand nutzen“ ergibt sich somit nicht nur aus purem Selbstschutz, sondern ist sogar gesetzlich vorgeschrieben:

Die Sonderrechte dürfen nur unter gebührender Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgeübt werden.

– § 35 Abs. 8 StVO

Das heißt auch: Sonderrechte sind kein Freifahrtsschein zum wilden Rasen oder zum Gefährden von sich selbst, geschweige denn der Allgemeinheit.

Andere Vorschriften bleiben davon unberührt – Straftatbestände des Strafgesetzbuchs können dennoch erfüllt werden. Denkbar ist hier vor allem unerlaubtes Entfernen vom Unfallort (§ 142 StGB) bei Unfällen während einer Einsatzfahrt, sofern nicht entsprechende Vorkehrungen getroffen werden.

Genauso wäre auch unterlassene Hilfeleistung (§ 323c StGB) in einem solchen Fall denkbar – bei absolut unverhältnismäßiger Ausreizung der Sonderrechte auch Gefährdung des Straßenverkehrs (§ 315c StGB).

Wer kann Sonderrechte nutzen?

Von den Vorschriften dieser Verordnung sind die Bundeswehr, die Bundespolizei, die Feuerwehr, der Katastrophenschutz, die Polizei und der Zolldienst befreit, soweit das zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben dringend geboten ist.

– § 35 Abs. 1 StVO

Wir halten fest: staatliche Organisationen mit hoheitlichen Aufgaben haben zur Erfüllung dieser Aufgaben Sonderrechte. Was auffällt: der Rettungsdienst wird in diesen Absatz nicht genannt – im Allgemeinen nicht staatlich und keine hoheitliche Aufgabe im eigentlichen Sinne.

In dem oben genannten Fall sind die Sonderrechte auf die Institution bezogen – das schließt Angehörige der Organisationen mit ein. Hier spricht man also von personengebundenen Sonderrechten.

Das ermöglicht auch die Inanspruchnahme, wenn man in keinem organisationseigenen Fahrzeug unterwegs ist. Der häufigste Fall der berechtigten Inanspruchnahme im Privatfahrzeug dürften Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr auf der Anfahrt zum Gerätehaus sein.

Nachteil: hat die Person das Fahrzeug verlassen, bestehen keine Sonderrechte mehr – Parkverstöße können so zum Beispiel geahndet werden.

Im Falle des Rettungsdienstes sieht es anders aus:

Fahrzeuge des Rettungsdienstes sind von den Vorschriften dieser Verordnung befreit, wenn höchste Eile geboten ist, um Menschenleben zu retten oder schwere gesundheitliche Schäden abzuwenden.

– § 35 Abs. 5a StVO

Hier handelt es sich explizit um fahrzeuggebundene Sonderrechte, die ausschließlich bei Gefahr schwerer gesundheitlicher Schäden genutzt werden dürfen.

Vorteil hierbei ist: auch nach Verlassen des Fahrzeugs bestehen die Sonderrechte weiter. (Theoretischer) Nachteil ist, dass es explizit Rettungsdienstfahrzeuge sein müssen – entscheidend ist hier der Eintrag in der Zulassungsbescheinigung Teil 1 (Fahrzeugschein).

Wie ist das mit dem Blaulicht?

Die wohl überraschendste Aussage ist: Sonderrechte können komplett ohne Sondersignale (Blaulicht bzw. Blaulicht und Martinshorn) verwendet werden.

Für eine verpflichtende Nutzung des Blaulichts gibt es keinerlei rechtliche Grundlage. Außer Frage steht dennoch, dass die „Warnwirkung“ des Blaulichts bei Inanspruchnahme von Sonderrechten meist vorteilhaft ist.

Es besteht lediglich eine „Kann“-Regelung, nämlich

Blaues Blinklicht allein darf nur von den damit ausgerüsteten Fahrzeugen und nur zur Warnung an Unfall- oder sonstigen Einsatzstellen, bei Einsatzfahrten oder bei der Begleitung von Fahrzeugen oder von geschlossenen Verbänden verwendet werden.

§ 38 Abs. 2 StVO

Fassen wir zusammen. Sonderrechte…

  • erlauben, von den Verkehrsregeln der StVO abzuweichen
  • haben rechtliche Bedeutung nur für den Nutzer
  • erfordern keine Sondersignale (Blaulicht, Martinshorn)
  • sind im Rettungsdienst fahrzeugbezogen und setzen akute gesundheitliche Gefahr voraus

Und mit oben genannten Paragraphen gehen wir auch schon über zum nächsten Thema.

Was sind Wegerechte?

Wer nach „Wegerechten“ sucht, wird in keinem Gesetzestext fündig werden – der Begriff wird zur Präzisierung verwendet. Der entsprechende Paragraph heißt schlicht „Blaues Blinklicht und gelbes Blinklicht“ – § 38 StVO.

Das Wegerecht ist tatsächlich für alle anderen Verkehrsteilnehmer als den Nutzer von Bedeutung, enthält es doch eine eine direkte Anordnung an sie:

Blaues Blinklicht zusammen mit dem Einsatzhorn darf nur verwendet werden, wenn höchste Eile geboten ist, um Menschenleben zu retten oder schwere gesundheitliche Schäden abzuwenden, eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwenden, flüchtige Personen zu verfolgen oder bedeutende Sachwerte zu erhalten.

Es ordnet an: „Alle übrigen Verkehrsteilnehmer haben sofort freie Bahn zu schaffen“.

– § 38 Abs. 1 StVO

Sprich: es geht hier darum, den Einsatzfahrzeugen Platz zu schaffen – das umfasst zum Beispiel auch das Aufregerthema schlechthin, die Rettungsgasse.

„Sofort“ heißt hier auch „sofort“ und rechtfertigt in Einzelfällen auch Verkehrsverstöße anderer Verkehrsteilnehmer – zum Beispiel, das vorsichtige Überfahren einer roten Ampel (ohne die Kreuzung zu überqueren!), um Platz zu schaffen.

Andere Verkehrsregeln werden durch die Wegerechte nicht beeinflusst.

Im Vergleich zu den Sonderrechten liegen die Anforderungen für Feuerwehr, Polizei, Katastrophenschutz und Co. schon deutlich höher – für den Rettungsdienst gibt es keine Unterschiede bei den Voraussetzungen zur Inanspruchnahme. Unterschiede gibt es aber dennoch

Unterschied Nummer 1: im Gegensatz zu den Sonderrechten müssen hier Blaulicht und Martinshorn zur Inanspruchnahme genutzt werden.

Unterschied Nummer 2: Wegerechte haben in erster Linie für andere Verkehrsteilnehmer eine Bedeutung. Schlussfolgerung: die Inanspruchnahme kann nur erfolgen, wenn es andere Verkehrsteilnehmer gibt.

Fassen wir erneut zusammen. Wegerechte…

  • fordern andere Verkehrsteilnehmer dazu auf, sofort freie Bahn zu schaffen
  • haben demnach für andere Verkehrsteilnehmer eine rechtliche Bedeutung
  • sind an Nutzung von Blaulicht und Martinshorn gebunden

Gegenüberstellung: Sonderrechte vs. Wegerechte

Eigenes Werk

Mythen „rund ums Blaulicht“

Der Rettungsdienst muss bei Einsätzen durchgehend mit Blaulicht und Martinshorn fahren.

Falsch. Zum einen erfolgt nicht jeder Einsatz mit Sonder- und Wegerechten, zum anderen gibt es hierfür keinerlei rechtliche Grundlage.

Die Inanspruchnahme von Sonderrechten kann ganz ohne Nutzung von Sondersignalen erfolgen; die Inanspruchnahme der Wegerechte macht nur dann Sinn, wenn andere Verkehrsteilnehmer auf der Straße sind. Eine solche Regelung wäre sinnfrei und existiert daher schlicht nicht.

Fahrzeuge, die mit Blaulicht und Martinshorn fahren haben immer Vorfahrt.

Auch das ist – erstaunlicherweise – falsch. Zwar bedingen die Wegerechte die Verpflichtung, sofort freie Bahn zu schaffen; die Vorfahrtsregelungen bleiben aber unberührt.

Oder: weder Sonder- noch Wegerechte ändern die Vorfahrt.

Der Rettungsdienst kann selbst entscheiden, wann er mit Blaulicht fährt.

Auch das ist ein Mythos. Die Inanspruchnahme von Sonder- und Wegerechten ist an Voraussetzungen gebunden, im Falle des Rettungsdienstes der Patientenzustand.

Auf der Anfahrt zur Einsatzstelle empfiehlt die Leitstelle aufgrund der Notrufabfrage, ob die Anfahrt mit Sonder- und Wegerechten erfolgt – beim Transport ins Krankenhaus entscheidet die Fahrzeugbesatzung nach Patientenzustand.

Mitglieder der freiwilligen Feuerwehr haben Sonderrechte und dürfen mit Blaulicht zum Gerätehaus fahren.

Sonderrechte haben sie tatsächlich – mit Blaulicht zum Gerätehaus fahren dürfen sie trotzdem nicht. § 38 Abs. 2 StVO beschränkt die Nutzung des Blaulichts auf „damit ausgerüstete Fahrzeuge“. „Ausgerüstet“ heißt eingebaut und in die Fahrzeugpapiere eingetragen. Und das wird rechtlich für den Feuerwehrmann im Privatfahrzeug praktisch ausgeschlossen.

§ 52 StVZO regelt, wer seine Fahrzeuge mit Sondersignalanlage ausstatten darf.

Die Nutzung von Blaulicht und Martinshorn kann eingeschränkt werden.

Ebenfalls falsch. Es gibt keine rechtliche Grundlage, z.B. im Rahmen des Lärmschutzes, die die berechtigte Nutzung von Sondersignalen einschränkt. Im Rahmen einer Güterabwägung wird der Einsatz zur Rettung von Menschenleben immer wichtiger sein als die „Belästigung“ der Anwohner.

Der Verwaltungsgerichtshof Kassel hat eine entsprechende Klage mit Hinweis auf die Unumgänglichkeit abgewiesen (Aktenzeichen 3 C 1892/14.N)

Im nächsten Teil folgt: Notfallsanitäterausbildung im Detail – wie läuft es ab?

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Über SaniOnTheRoad

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SaniOnTheRoad

Notfallsanitäter, Teamleiter und Administrator des Blogs. Vom FSJler über Ausbildung bis zum Haupt- und Ehrenamt im Regelrettungsdienst und Katastrophenschutz so ziemlich den klassischen Werdegang durchlaufen. Mittlerweile beruflich qualifizierter Medizinstudent im vorklinischen Abschnitt. Meine Schwerpunkte liegen auf Ausbildungs- und Karrierethemen, der Unterstützung von Neueinsteigern, leitliniengerechten Arbeiten sowie Physiologie, Pathophysiologie, Pharmakologie und EKG für den Rettungsdienst. Mehr über mich hier.