Miteinander statt Gegeneinander

Bei „Aus dem Pflaster-Laster“ berichte ich von Einsätzen, dem Alltag auf der Rettungswache und von aktuellen Themen – von purer Routine bis zum Drama. Am Ende ziehe ich mein Fazit der Einsätze und zeige auf, was gut lief und was besser laufen könnte. Namen von Patienten, Orten und Kollegen lasse ich selbstverständlich aus.

Zusammenarbeit mit der Feuerwehr. Quelle: Wikimedia Commons/Frank Schwichtenberg, CC-BY 3.0-Lizenz.

Mancherorts ist es nur Wunschdenken, woanders gelebte Realität…

Die Zusammenarbeit mit anderen Akteuren des Blaulichtmilieus – namentlich Polizei und Feuerwehr – ist manchmal nicht ganz so einfach.

Es treffen unterschiedliche Aufgabenstellungen und Interessen der Zusammenarbeit oft unvorbereitet in einer hektischen Situation aufeinander. Die Wichtigkeit einer guten Zusammenarbeit wird allerdings auch immer mehr bei allen Beteiligten erkannt und es wird zunehmend gehandelt.

Gemeinsame Übungen, Treffen, „Strategiebesprechungen“ und dergleichen sind, Gott sei dank, immer mehr Alltag. Man kennt sich, man kennt die Anliegen des Anderen, die Stärken und die Schwächen. Und man arbeitet zielführend zusammen.

Im folgenden präsentiere ich einen Einsatz, bei dem auch die fachübergreifende Hilfe eine große Rolle gespielt hat.

Kein ruhiger Dienstbeginn

Es war eigentlich ein ganz normaler Nachschichtbeginn unter der Woche – nach der Übergabe wurde das Fahrzeug gecheckt, wir haben kurz etwas gegessen und es und erstmal gemütlich gemacht.

Die NKTW-Spätschicht hatte einen Katheterwechsel in ein weiter entferntes Krankenhaus gewonnen und so waren NEF und RTW erstmal alleine, bis der Melder ging…

Einsatzdaten

Einsatzmeldung: Asthma/COPD

Alarmierte Fahrzeuge: RTW, ohne Sonder-/Wegerechte.

Es ging zu einer bekannten Patientin mit fortgeschrittener COPD an das andere Ende unserer Stadt. Stammkundschaft. Man kennt sich. Die Anfahrt war kurz und wir ahnten nichts böses.

Scene – Safety – Situation

Scene: Kühler Februarabend, Kleinstadt, mehrstöckiges Einfamilienhaus in guter Wohngegend.

Safety: keine augenscheinlichen Gefahren.

Situation: Ehemann öffnet die Tür, berichtet, dass seine Frau keine Luft bekäme und dass es diesmal viel schlimmer ist als sonst.

Mit dieser Begrüßung hatten wir nicht gerechnet. Wir begeben uns über die berühmt-berüchtigte Wendeltreppe ins erste Obergeschoss, wo wir die Patientin auf dem Sofa sitzend vorfinden.

Sie hat eine augenscheinliche, massive Dyspnoe und Zyanose.

Ersteinschätzung

Kritisch.

Der Patienten ging es offensichtlich wesentlich schlechter als erwartet. Wir begannen zu arbeiten und erhoben im Rahmen des ersten xABCDE die Parameter.

xABCDE

x – Exsanguination

Keine starke äußere Blutung.

A – Airway

Atemwege frei, Mundschleimhäute sowie Lippen deutliche Zyanose.

B – Breathing

Atemfrequenz 30/min, SpO2 84%, Thorax stabil, regelrechte Thoraxexkursionen, beidseits leichte Spastik, fragliche Halsvenenstauung.

C – Circulation

Haut blass und kaltschweißig; Rekapillarisierungszeit ca. 3 Sekunden, periphere Pulse fadenförmig tastbar und tachykard; Abdomen weich, keine Abwehrspannung; Oberschenkel stabil, RR 90/50 mmHg, EKG zeigt Sinustachykardie mit 140/min.

D – Disability

GCS 14, Pupillen isokor, prompte Lichtreaktion; FAST nicht durchführbar, BZ 140 mg/dl.

E – Exposure/Environment

Plötzlich aufgetretene Rückenschmerzen im BWS-Bereich, Castverband bei Z.n. Sprunggelenksfraktur links, Temperatur 36,4°C.

Aufgrund der Befunde erfolgte noch während des Primary Survey eine Notarztnachforderung. Die Patientin erhielt neben einer Lagerung mit erhöhtem Oberkörper eine Sauerstoffgabe von 15 l/min über Maske sowie einen venösen Zugang (18 G) am Handrücken.

Wir hatten also eine offensichtlich nach wie vor kritische, ins „schockige“ übergehende Patientin – und eine fast schon bunte Auswahl an Differentialdiagnosen. Manches könnten ihre zahllosen Vorerkrankungen (COPD, Herzinsuffizienz…) erklären, anderes nicht. Ist das Problem komplett neu oder nur eine akute Verschlechterung?

Während ich fleißig am „Trichtern“ war, richtete mein RS schon einmal den Beatmungsbeutel und holte die Absaugpumpe – und die Patientin trübte weiter ein.

Die kurz darauf eingetroffene Notärztin begann nun, die Anamnese zu erheben.

SAMPLER(S)

S – Symptome

Plötzlich aufgetretene massivste Atemnot und Rückenschmerzen aus der Ruhe heraus. Notruf unmittelbar nach Symptombeginn.

A – Allergien

Penicilline, Metamizol, Gräser, Roggen.

M – Medikamente

ASS 100 mg, Ramilich 5 mg, Beloc-Zok mite 47,5 mg, Torem 10 mg, Symbicort 150/4,5 µg, bei Bedarf Berodual-Spray; Coumadin 5 mg wurde verordnet, aber nicht eingenommen.

P – Vorerkrankungen

Z.n. Myokardinfarkt mit 2-fach Stent, KHK mit 3-Gefäßerkrankung, arterielle Hypertonie, Herzinsuffizienz NYHA II, COPD, Z.n. Sprunggelenksfraktur vor drei Wochen.

L – Letzte orale Aufnahme/letztes Wasserlassen/letzter Stuhlgang

Letzte Mahlzeit und Trinken um 17:00 Uhr, letztes Wasserlassen am Nachmittag, letzter Stuhlgang heute morgen.

E – Ereignis

Auftreten der Symptome aus der Ruhe heraus, kein Auslöser erkennbar.

R – Risikofaktoren

Fortgesetzter Nikotinabusus, 10 Zigaretten/Tag; Adipositas, Immobilisation.

S – Schwangerschaft

Ausgeschlossen.

Noch während der Anamnese schrieb der RS ein 12-Kanal-EKG, ich legte an den anderen Arm einen weiteren Zugang (17 G) in die Ellenbeuge. Das EKG zeigte einen neu aufgetretenen Rechtsschenkelblock.

Der NEF-Fahrer wurde unterdessen an den RTW geschickt, um die Intubation zu richten. Aufgrund der Platzverhältnisse und des Patientenzustands entschieden wir uns, die Feuerwehr hinzuzuziehen und die Patientin nach Möglichkeit mittels Drehleiter hinauszubringen.

Unsere Notärztin entschied sich für die Arbeitsdiagnose einer Lungenarterienembolie, die sowohl vom klinischen Bild als auch von der Anamnese her die wahrscheinlichste Diagnose darstellte. Somit erhielt die Patienten unmittelbar 5.000 I.E. Heparin als i.v.-Bolus, die Lysetherapie bereitete ich unterdessen vor.

Die Feuerwehr traf – wie um diese Uhrzeit zu erwarten war – sehr zügig mit einem LF und der Drehleiter ein; es erfolgte eine kurze Übergabe der Situation und eine Lagebesprechung mit dem zuständigen Gruppenführer. Wir kamen überein, dass die Rettung mit der Drehleiter die sinnvollste Variante darstellt.

Während die Feuerwehr sich vorbereitete verschlechterte sich der Zustand der Patienten rasant. Nach kurzem Überlegen sollte die Intubation nun doch im Wohnzimmer stattfinden – der NEF-Fahrer holte entsprechendes Material aus dem RTW nach oben, während ich die Reanimationsbereitschaft herstellte.

Und dann ging eigentlich alles ganz schnell…

Noch bevor wir überhaupt anfangen konnten, wurde die Patientin reanimationspflichtig. Und es ging alles seinen gewohnten Gang. Jeder wusste, was er zu tun hat. Eine kurze Info an den Gruppenführer der Feuerwehr über die veränderte Lage, mehr hat es nicht gebraucht.

Die Feuerwehr bat sich sofort an, das Drücken zu übernehmen – wir nahmen das Angebot dankend an und nutzen so die Chance, über die Leitstelle die Intensivkapazitäten der Kliniken abzufragen und das weitere Vorgehen zu organisieren.

Auch wenn man es vielleicht nicht glauben mag, allein diese Tätigkeit „abdrücken“ zu können, schafft ganz neue kognitive Freiräume und man kann tatsächlich auch in dieser stressigen Situation mal wieder weiter denken.

Vor allem: die Kameraden der Feuerwehr haben ihre Sache, gerade im medizinischen Bereich, sehr gut gemacht – hier und da waren ein paar Korrekturen notwendig, dann lief es aber auch ohne Probleme.

Trotz Lysetherapie dauerte es eine gefühlte Ewigkeit – nach etwas über einer halben Stunde Reanimation hatten wir wieder einen Spontankreislauf. Die Feuerwehr schloss ihre Vorbereitungen ab und wir machten die Patientin – samt Beatmungsgerät und Dobutamin-Perfusor – „reisefertig“.

Die Notärztin begleitete den Transport in der Drehleiter nach unten, wo wir mit unserer Trage schon bereitstanden. Ab ins Auto, kurz gedankt, nochmal durchgecheckt und vorangemeldet im nächsten Maximalversorger.

So kann es gehen.

Background-Info

COPD

Chronisch obstruktive Lungenerkrankung, ugs. „Raucherlunge“. Irreversible Lungenerkankung, die sich durch die dauerhaft vorhandenen Symptome „Atemnot, Husten und Auswurf“ bemerkbar macht. Bei Infekten häufig akute Verschlechterung des Grundleidens (Exazerbation).

Trichtern

Sammlung verschiedener, möglicher Differentialdiagnosen und sinnvoller Ausschluss nicht passender Diagnosen.

Heparin

Körpereigener Vielfachzucker, welcher eine hemmende Wirkung auf die Blutgerinnung – insbesondere die Gerinnungsfaktoren – hat.

Fazit

Was fand ich gut?

  • die frühzeitige Ersteinschätzung als „kritisch“ und die frühzeitige Notarztnachforderung,
  • sinnvolle Erstmaßnahmen im ersten xABCDE ergriffen,
  • „Trichtern“ bei mehreren, theoretisch passenden Differentialdiagnosen
  • die Leistung der Feuerwehr – auch gerade in einem „fachfremden“ Bereich – sowie die gemeinsame Umsetzung eines Ziels

Was fand ich nicht gut?

  • angesichts der Lage hätte durch die Leitstelle eine Alarmierung von RTW und NEF erfolgen müssen – „Reflexalarmierung“ bei bekannten Patienten
  • die Feuerwehr hätte ich zeitgleich mit dem NEF nachfordern können, dies hätte eine wesentliche Zeitersparnis gebracht

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Dieser Beitrag ist Teil des Themen-Bundles „Reanimation“.

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Über SaniOnTheRoad

Miteinander statt Gegeneinander

SaniOnTheRoad

Notfallsanitäter, Teamleiter und Administrator des Blogs. Vom FSJler über Ausbildung bis zum Haupt- und Ehrenamt im Regelrettungsdienst und Katastrophenschutz so ziemlich den klassischen Werdegang durchlaufen. Mittlerweile beruflich qualifizierter Medizinstudent im klinischen Abschnitt des Studiums. Meine Schwerpunkte liegen auf Ausbildungs- und Karrierethemen, der Unterstützung von Neueinsteigern, leitliniengerechten Arbeiten sowie Physiologie, Pathophysiologie, Pharmakologie und EKG für den Rettungsdienst. Mehr über mich hier.


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