Trauma-Rea

accident action auto automobile

Bei „Aus dem Pflaster-Laster“ berichte ich von Einsätzen, dem Alltag auf der Rettungswache und von aktuellen Themen – von purer Routine bis zum Drama. Am Ende ziehe ich mein Fazit der Einsätze und zeige auf, was gut lief und was besser laufen könnte. Namen von Patienten, Orten und Kollegen lasse ich selbstverständlich aus.

Triggerwarnung

Die Beschreibung wird teilweise sehr bildlich – und blutig.

Es gibt Einsätze, die grundsätzlich das Prädikat “sehr anspruchsvoll” schon pauschal verdienen – darunter fällt meines Erachtens auf jeden Fall die Reanimation von Traumapatienten.

Die Reanimation an sich ist zwar komplett durchstandardisiert, aber dennoch eine Kür: es sind viele, auch invasive, Maßnahmen zu treffen und man hat einen deutlichen Handlungsdruck. Nicht umsonst ist die Reanimation auch der Teil der Prüfung mit den höchsten Durchfallquoten.

Bei der Trauma-Rea ist das ganze nochmals gesteigert: es sind hier nochmals mehr Maßnahmen zu ergreifen, der Faktor Zeit ist nochmals relevanter, und die Routine ist nochmals geringer. Außerhalb von typischen Unfallschwerpunkten ist die Trauma-Rea ein absoluter Exot.

Im Laufe meiner “Rettungsdienstkarriere” kam dieser Fall genau zweimal vor. Von einen dieser möchte ich euch gerne berichten!

Es ist so friedlich heute…

Ein ganz normaler Tagdienst auf einer unserer Außenwachen, die zugleich bei der örtlichen Feuerwehr beheimatet ist und sich die Räumlichkeiten mit ihr teilt.

Ganz normal? Nein, nicht ganz normal. An diesem Tag (besser: in dieser Woche) sind einige NFS-Azubis dort zu Gast, um gemeinsam mit der Feuerwehr und einigen Dozenten der Berufsfachschule alle erdenklichen Aspekte der technischen Rettung und Zusammenarbeit mit der Feuerwehr praktisch zu üben.

Dieses Praxistraining besteht schon seit einigen Jahren und ist dabei ein sehr beliebter Ausbildungsabschnitt.

Auch wenn man als Tagdienstbesatzung hier selten aktiv mitwirkt, ist selbst das Zuschauen auch bei den fertig Ausgebildeten beliebt – und lehrreich. So war auch unser Plan nach dem Fahrzeugcheck und dem Frühstück.

Während die Gruppeneinteilung schon erfolgt ist und die letzten Züge der Vorbereitung laufen, geht unser Melder. Und der der anwesenden Feuerwehrleute. Hastig wird Material beiseite geräumt, Feuerwehrler sprinten in die Umkleide, und die ersten Autos kommen kurze Zeit später auf den Hof “geflogen”.

Einsatzdaten

Einsatzmeldung: VU – unklare Lage.

Alarmierte Fahrzeuge: RTW solo, mit Sonder-/Wegerechten. Feuerwehr und Polizei sind mitalarmiert.

Es geht auf die naheliegende Autobahn: Anlass war wohl eine automatische Unfallmeldung (“eCall”) eines Transporters. Sonst wissen wir noch nichts.

Kaum sind wir vom Hof runtergefahren, kommt die erste Rückmeldung der Leitstelle:

“xx/83-1, wir haben mehrere Anrufe erhalten, die Lage ist noch völlig unklar, geben Sie umgehend Rückmeldung”

Gerade als wir auf die Autobahn auffahren folgt schon die zweite Rückmeldung der Leitstelle.

“xx/83-1, Person soll wohl eingeklemmt sein, wir schicken das NEF dazu und schauen, ob wir einen RTH bekommen”

Während wir die Autobahn entlangfahren, fällt uns schon eines auf: es gibt keinerlei Rückstau. Einen Moment später sehen wir auch warum – die Unfallstelle ist auf der anderen Fahrbahn in Gegenrichtung. Augenscheinlich ist ein stark demolierter Transporter an der Mittelleitplanke zum stehen gekommen. Rückmeldung unsererseits an die Leitstelle.

Uns wird ein RTH zugesagt und die Feuerwehr, welche für die andere Fahrtrichtung zuständig ist, wird alarmiert. Dafür wurde unser NEF mangels Zeitvorteil wiederum abbestellt.

Nächste Abfahrt runter, nächste Abfahrt drauf. Der Verkehr steht schon an der Abfahrt und die Rettungsgasse funktioniert mehr schlecht als recht. Wir quälen uns einige Minuten bis zur Einsatzstelle.


Scene – Safety – Situation

Scene: Herbst, Vormittag, 10:00 Uhr, kühl, trocken, sonnig, Autobahn.

Safety: Verkehr steht, keine auslaufenden Betriebsstoffe, kein Hinweis auf Gefahrstoffe, kein Brand. Keine augenscheinlichen Gefahren.

Situation: Ein Sicherungsanhänger der Autobahnmeisterei ist vollkommen zerstört, etwa fünfzig Meter weiter steht der deutlich deformierte Transporter an der Mittelleitplanke. Der Fahrer wurde durch Ersthelfer aus dem Fahrzeug befreit, laufende Reanimation. Eine deutliche Blutung im Kopfbereich ist erkennbar.

Wir kommen zu der Ersteinschätzung

Ersteinschätzung

Kritisch.

und geben sofort eine Rückmeldung.

Wir schnappen unser sämtliches Equipment – EKG, Absaugpumpe, Notfallrucksack, Sauerstoff und Trauma-Tasche – und eilen zu den Ersthelfern. Während einer von ihnen weiterdrückt, bringt mein Kollege die Defi-Patches auf und ich gehe an den Kopf. Asystolie. Weiter im Text. Mein Kollege löst den Ersthelfer ab und ich widme mich dem Atemwegsmanagement.

Oder besser: versuche es erstmal. Der komplette Mund-Nasen-Rachenraum steht voll mit Blut, die ersten Beatmungen sind insuffizient, nach Absaugen und der Einlage eines Guedel-Tubus funktioniert es.

Die Verdachtsdiagnose “schweres SHT” ist hier eine “Blickdiagnose”: mit jeder Thoraxkompression schwappt Blut und helle Flüssigkeit aus den Ohren des Patienten. Es braucht hier keinen “Kompressen-Test“, um herauszufinden, ob Liquor dabei ist oder nicht.

Einen Zyklus später klopft es mir auf die Schulter

“Kann ich dir helfen?”

…und mein ehemaliger Dozent – und fairerweise einer der fittesten NFS, die ich kenne – steht in Feuerwehrkleidung hinter mir. Während mir ein Feuerwehrmann (und ebenfalls RS) das Airway-Management vorbereitet, führt mein ehemaliger Dozent beidseits eine Entlastungspunktion durch.

Und schon die Thoraxentlastungspunktionen fördern Blut zutage. Hämatothorax beidseits on top.

Ich hatte mich bei den anhaltenden Blutungen im MNR-Raum für einen Endotrachealtubus als Primärstrategie entscheiden – und bekomme den Patienten nicht eingestellt. Zwischenbeatmung. Zweiter Versuch durch meinen Dozenten. Gleiches Problem. Wir wählen dann doch den Larynxtubus, mit dem eine suffiziente Beatmung möglich ist.

Zwischenzeitlich hat mein Kollege einen Zugang gelegt und das erste Mal Adrenalin gegeben. Die Feuerwehr unterstützt sowohl bei der Reanimation selbst, als auch bei der Vorbereitung von Material und dem “Nachschub”. So wurde zum Beispiel unsere Sauerstoffflasche wie selbstverständlich gewechselt, als die erste leer lief.

Mit dem RTH schon im Anflug werden noch Beckenschlinge und Thoraxdrainage vorbereitet – letztere lief durch fünf Hände, bis sie bei mir ankam und ich mich fast schon “erbarmen” musste, sie zu richten.

Kurze Übergabe an die Notärztin des RTH – und diese steigt voll mit ein. Die Beckenschlinge wird angelegt, es wird noch 1 g Tranexamsäure verabreicht und ohne zu Zögern beidseits eine Thoraxdrainage eingelegt – die ebenfalls nochmals große Mengen an Blut fördert.

Die Notärztin entscheidet sich für eine Umintubation auf einen Endotrachealtubus. Trotz Videolaryngoskop gelingt auch dies erst beim Zweitversuch.

Eine E-FAST-Sonographie führt zu keinen wesentlichen, neuen Erkenntnissen: die Blutungsräume im Abdomen sind schlecht einstellbar, eine Perikardtamponade scheint nicht vorliegen. Wir reanimieren noch fünf Minuten im Team weiter – und treffen letztendlich die Entscheidung zum Abbruch der Reanimation. Rund 35 Minuten sind seit unserem Eintreffen vergangen. Anhaltende Asystolie, weite, lichtstarre Pupillen und eine etCO2 trotz suffizienter Reanimation von 9 mmHg.

Durchschnaufen!

Wir räumen unser Material notdüftig zusammen und unsere bisweilen maximal blutverschmierte Kleidung können wir dank der Feuerwehr vorerst gegen saubere Trainingsanzüge tauschen. Getränke werden gereicht.

Und wir entschließen uns zu einer Nachbesprechung, gemeinsam mit der Feuerwehr, noch an der Einsatzstelle – zum einen, weil es ein sehr außergewöhnlicher Einsatz war, zum anderen, weil auch bisweilen jüngere Kameraden unmittelbar an der Versorgung beteiligt waren.

Mein Dozent als “Fachmann in beiden Welten” leitet die Nachbesprechung. Wir rekapitulieren den Einsatz, sprechen den ein oder anderen Punkt nochmal an und es wird nochmal explizit darauf hingewiesen, dass sich Kollegen, welche der Einsatz belastet, melden sollen. Und es gab viel Lob – auch gerade von der Hubschraubernotärztin.

Wir brechen letztendlich unsere Zelte ab und gehen in den Status 6 – auffüllen, putzen. Und duschen. Die Einsatzstelle wurde an die Polizei und die Straßenmeisterei übergeben.

Fazit

Was fand ich gut?

  • leitliniengerechte Versorgung beim traumatisch bedingten Kreislaufstillstand
  • prompte und suffiziente Laienreanimation durch die Ersthelfer
  • Support und Zusammenarbeit – einerseits durch meinen ehemaligen Dozenten, andererseits durch die Feuerwehr

Was fand ich nicht gut?

  • Rettungsgasse – größtes Manko aus meiner Sicht, da wir hier trotz relativ kurzer Staustrecke einiges an Zeit verloren haben
  • Falsche Richtungsangabe – trotz mehrerer Anrufe wurde diese nicht korrigiert, das Abbestellen des NEF nur wegen eines (fraglichen) Zeitvorteils des RTH ist zumindest diskutabel

Was ist mir wichtig? – Take-home-Message

Dieser Einsatz zeigt vor allem zwei Sachen: Rettungsdienst ist Teamwork und die saubere Zusammenarbeit an Schnittstellen ist Gold wert – Miteinander ist besser als gegeneinander.

Es gibt – sowohl im rettungsdienstlichen als auch im feuerwehrtechnischen Bereich – teils immer noch die Auffassung, dass sich die Feuerwehr “aus dem Weißbereich herauszuhalten habe”. Das sehe ich definitiv nicht so.

Gerade in diesem Einsatz hat der Faktor “Manpower” (und Expertise, wenn man an meinen ehemaligen Dozenten denkt) unglaublich viel ausgemacht und diesen sauberen, leitliniengerechten Ablauf überhaupt ermöglicht. Solche Synergieeffekte können und müssen mehr genutzt werden; allein schon, weil diese vielerorts möglich sind.

Dieser Einsatz war tatsächlich einer der (bisher) anspruchsvollsten meiner Rettungsdienstlaufbahn. An anspruchsvollen Einsätzen kann man wachsen – oder zugrunde gehen. Insofern fande ich es hervorragend, dass eine Einsatznachbesprechung mit allen Beteiligten unmittelbar erfolgt ist und niedrigschwellig Unterstützung angeboten wurde.

Besonderes Take-Home für Rettungsdienstler: kennt euer Equipment – auch die “Exoten” wie die Thoraxdrainage. Diese ist nicht durch fünf Hände gewandert, weil keiner Zeit hatte, sondern weil es einfach keiner konnte. Und: trainiert auch die Ausnahmesituationen. Hier hat es gut funktioniert, weil nach einheitlichen Standards gearbeitet wurde und (fast) alle Beteiligten schon öfter gemeinsam im Einsatz und dementsprechend eingespielt waren.

Besonderes Take-Home für alle Nicht-Rettungsdienstler: bildet eine Rettungsgasse – selbst wenn man von Erster Hilfe absolut keine Ahnung hat, helft ihr so ungemein. Insbesondere loben muss man hier auch nochmals die Ersthelfer, die den Patienten aus dem Fahrzeug befreit und mit der Herz-Lungen-Wiederbelebung begonnen hatten.

Themen-Bundle

Dieser Beitrag ist Teil des Themen-Bundles “Reanimation”.

Interessenkonflikte

Der Autor gibt an, dass keine Interessenkonflikte bestehen.

Quellen

Böhmer R., Schneider T., Wolcke B. (2020): Taschenatlas Rettungsdienst, 11. Auflage. Böhmer & Mundloch Verlag, Mainz. ISBN 978-3-948320-00-3. Hier erhältlich: https://amzn.to/3SZQdcW  

Lott C. et al. (2021): Kreislaufstillstand unter besonderen Umständen – Leitlinien des European Resuscitation Council 2021, Notfall Rettungsmed 2021 · 24:447–523, abgerufen unter https://www.springermedizin.de/de/kreislaufstillstand/hyperkaliaemie/kreislaufstillstand-unter-besonderen-umstaenden/19247754 am 22.09.2022. DOI: 10.1007/s10049-021-00891-z

Luxem J., Runggaldier K., Karutz H., Flake F. (2020): Notfallsanitäter Heute, 7. Auflage. Urban & Fischer Verlag/Elsevier GmbH, München. ISBN 978-3437462115. Hier erhältlich: https://amzn.to/3QVgyqE

SaniOnTheRoad (2022): Rettungsgasse – Hilf’ uns helfen!, abgerufen unter https://saniontheroad.com/rettungsgasse-hilf-uns-helfen/ am 22.09.2022

SaniOnTheRoad (2021): NotSan-Examen – die praktischen Prüfungen, abgerufen unter https://saniontheroad.com/notsan-examen-die-praktischen-prufungen/ am 22.09.2022

SaniOnTheRoad (2020): 1.3 Rettungsdienstliche Schnittstellen, abgerufen unter https://saniontheroad.com/1-3-rettungsdienstliche-schnittstellen/ am 22.09.2022

SaniOnTheRoad (2020): Fakt oder Mythos: Glucosetest zur Identifikation einer Liquorrhoe, abgerufen unter https://saniontheroad.com/fakt-oder-mythos-glucosetest-zur-identifikation-einer-liquorrhoe/ am 22.09.2022

SaniOnTheRoad (2020): Miteinander statt Gegeneinander, abgerufen unter https://saniontheroad.com/miteinander-statt-gegeneinander/ am 22.09.2022

SaniOnTheRoad (2019): Die Herz-Lungen-Wiederbelebung durch Ersthelfer, abgerufen unter https://saniontheroad.com/die-herz-lungen-wiederbelebung-durch-ersthelfer/ am 22.09.2022

Soar J. et al. (2021): Erweiterte lebensrettende Maßnahmen für Erwachsene – Leitlinien des European Resuscitation Council 2021, Notfall Rettungsmed 2021 · 24:406–446, abgerufen unter https://www.springermedizin.de/de/schock/kreislaufstillstand/erweiterte-lebensrettende-massnahmen-fuer-erwachsene/19239874 am 22.09.2022. DOI: 10.1007/s10049-021-00893-x

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Über SaniOnTheRoad

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SaniOnTheRoad

Notfallsanitäter, Teamleiter und Administrator des Blogs. Vom FSJler über Ausbildung bis zum Haupt- und Ehrenamt im Regelrettungsdienst und Katastrophenschutz so ziemlich den klassischen Werdegang durchlaufen. Mittlerweile beruflich qualifizierter Medizinstudent im vorklinischen Abschnitt. Meine Schwerpunkte liegen auf Ausbildungs- und Karrierethemen, der Unterstützung von Neueinsteigern, leitliniengerechten Arbeiten sowie Physiologie, Pathophysiologie, Pharmakologie und EKG für den Rettungsdienst. Mehr über mich hier.


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