Rettungsdienst aktuell – Themen die den Rettungsdienst, seine Mitarbeiter und Interessierte beschäftigen. Von leitliniengerechter Arbeit bis zur gesellschaftskritischen Diskussion.
Vorwort
Der Rettungssanitäter ist in der Allgemeinheit der Inbegriff für Rettungsdienstpersonal schlechthin. Er steht als Synonym für alle im Rettungsdienst beschäftigten, für Hilfe, für Engagement. Er zählt zu den vertrauenswürdigsten Berufen überhaupt. Mit dem Beruf „Rettungssanitäter“ kann jeder etwas anfangen.
Als der Rettungssanitäter im Jahre 1977 eingeführt wurde, war er ein absolutes Novum im deutschen Rettungsdienst.
Es gab auf einmal eine echte rettungsdienstliche Ausbildung. Es wurden reine Ersthelfer und organisationsabhängige sanitätsdienstliche Ausbildungen genauso abgelöst wie der Transportsanitäter, der de facto bis dahin die einzige halbwegs „rettungsdienstliche“ Qualifikation darstellte.
Vom Sanitäter mit 48-stündiger Ausbildung zum Rettungssanitäter mit ganzen 520 Stunden Ausbildung, inklusive Klinik- und Wachenpraktika war es seinerzeit eine wirkliche Revolution was Qualifikation und Versorgung anging – insbesondere mit der gerade erst überwundenen Ära der Spiegelrettung im Rücken.
Nun schreiben wir das Jahr 2020 – 43 Jahre nach Einführung des Rettungssanitäters hat sich der Rettungsdienst massiv gewandelt, die Anforderungen sind gestiegen und die Arbeit hat nur noch wenig mit der aus den Anfangstagen zu tun.
Den Rettungssanitäter, den gibt es immer noch, auch wenn sich sein Tätigkeitsbereich verschoben hat – und mehr und mehr fragt man sich, ob er den zukünftigen Herausforderungen noch gewachsen ist.
Der Rettungssanitäter – Eine Bestandsaufnahme
Die Ausbildungsgrundsätze für Rettungssanitäter, offiziell die Grundsätze zur Ausbildung des Personals im Rettungsdienst (520-Stunden-Programm) des Bund-Länder-Ausschusses „Rettungswesen“ vom 20. September 1977 bilden bis heute die bundesweite Grundlage für die RS-Ausbildung (Zur Übersicht der Ausbildungen).
Es wurden erste Ausbildungsziele definiert, die aus heutiger Sicht zu einem erheblichen Teil obsolet sind – damals aber als „State-of-the-Art“ der Notfallmedizin gesehen wurden.
Urfassung der Grundsätze zur Ausbildung des Personals im Rettungsdienst (520-Stunden-Programm) des Bund-Länder-Ausschusses „Rettungswesen“ vom 20. September 1977
Schon in der Urfassung wurde die Aufteilung in
- 160 Stunden theoretisch-praktische Ausbildung an einer anerkannten Rettungsdienstschule („Grundlehrgang“ bzw. „Fachlehrgang“ für Rettungssanitäter)
- 160 Stunden Klinikpraktikum an geeigneten Krankenhäusern (i.d.R. Anästhesie und Notaufnahme oder Intensivstation)
- 160 Stunden praktische Ausbildung an geeigneten Lehrrettungswachen (Praktikantenschichten als „Dritter Mann“ auf RTW und ggf. KTW sowie entsprechende Einweisungen und praktische Übungen)
- 40 Stunden Abschlusswoche mit schriftlicher, praktischer und mündlicher Prüfung
beschlossen und besteht seitdem fort.
Die aktuelle Fassung nennt sich „Empfehlungen für die Ausbildung von Rettungssanitäterinnen und Rettungssanitätern“ des Ausschusses Rettungswesen vom 16./17. September 2008 und wird derzeit bundesweit angewandt.
Empfehlungen für die Ausbildung von Rettungssanitäterinnen und Rettungssanitätern des Ausschusses Rettungswesen vom 16./17. September 2008
Quelle: Bayerisches Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration
Vom ursprünglichen Aufgabenfeld des „Chefs der Notfallrettung“ ist dem Rettungssanitäter herzlich wenig geblieben. Der Rettungsassistent 1989 und der Notfallsanitäter 2014 haben ihm sehr rasch und auf weitem Feld den Rang abgelaufen.
Wenn überhaupt, darf er lediglich noch als Fahrer und Assistent in der Notfallrettung mitspielen – in den meisten Bundesländern ist das NEF zudem Tabu.
Die Ausbildungsziele wurden im Rahmen des Möglichen genauso angepasst wie einzelne Ausbildungsinhalte. Viel Spielraum besteht angesichts sehr limitierter Zeiten wiederum nicht.
Kernprobleme der aktuellen Ausbildung
Der Rettungsdienst ist wesentlich komplexer geworden, als er es noch Ende der 1970er war. Auch von einer „Assistenzkraft“ werden wesentlich weitergehende Skills und Fachwissen erwartet und vor allem benötigt. Mit 520 Stunden Ausbildung eine Fachkraft? Keine Chance.
Die derzeitige Ausbildung leidet unter chronischem Zeitmangel – neue, wichtige Skills zu vermitteln darf nicht auf Kosten absolut notwendiger Grundlagen gehen. Theoretisches Wissen soll die kurze Praxiszeit in der schulischen Ausbildung nicht verkürzen. Kliniken und Lehrrettungswachen sollen eigentlich vorhandene Fähigkeiten vertiefen – meist müssen sie aber Defizite kompensieren.
Das Ergebnis ist im Fachlehrgang eine didaktisch oftmals grausame „Lösung“, bei der versucht wird, das geforderte Wissen irgendwie zu vermitteln und zumindest die „großen“ Themen ausreichend zu behandeln.
Oftmals ist der Fachlehrgang ein „PowerPoint-Durchklicken“ und stupides Auswendiglernen, da zum Verknüpfen und Vertiefen einfach weder Zeit, noch ein entsprechendes Konzept besteht. Gerade die Qualitätsmerkmale schlechthin – ein problembasiertes Lernen und gute Verknüpfung zwischen Theorie und Praxis – gelingt kaum.
Die Quintessenz des Ganzen sind dann leider zu oft Rettungssanitäter-Praktikanten, die auf der Lehrrettungswache auflaufen und bei denen erstmal Defizite in grundlegenden Skills „beseitigt“ werden müssen, bevor die eigentliche Wachenausbildung beginnt.
Im Rahmen der Klinikausbildung ist oftmals nicht klar, was der angehende RettSan nun lernen soll und was „optional“ ist. Es hängt hier viel vom guten Willen der Klinik, der anleitenden Pfleger und Ärzte ab.
Ein echtes Ausbildungscurriculum für die Wachenausbildung gibt es kaum oder allenfalls selten – die abhakten Themen im Testatheft bauen selten aufeinander auf, noch ergibt sich insgesamt ein pädagogisch sinnvolles Konzept für die Wachenausbildung.
Gerade im Bereich der „Aufsteiger“, die eine längerfristige Tätigkeit im Rettungsdienst anstreben, ergibt sich ein Problem: die Undurchlässigkeit der Ausbildungen.
War es zu Rettungsassistenten-Zeiten noch möglich und vollkommen üblich, dass die Ausbildung zum RS sowie Zeiten in der Notfallrettung für die RettAss-Ausbildung anerkannt wurden, ist dies beim NotSan nicht mehr möglich. Der erfahrene RS steht hier mit dem kompletten Neueinsteiger auf einer Stufe.
Angestrebte Änderungen
Der Problematik der Rettungssanitäterausbildung sind sich sowohl die Rettungsdienstschulen als auch der Ausschuss Rettungswesen durchaus bewusst.
Folglich wurden im Jahr 2019 neue Empfehlungen, diesmal in Form einer Muster-Ausbildungs- und Prüfungsverordnung, beschlossen.
Empfehlung für eine Verordnung über die Ausbildung und Prüfung von Rettungssanitäterinnen und Rettungssanitätern (RettSan-APrV) des Ausschusses Rettungswesen vom 11./12. Februar 2019
Diese hat bisher nur einen Empfehlungscharakter und wurde bislang noch nicht umgesetzt.
Augenscheinlichste Änderung betrifft dabei die Stundenverteilung auf die Ausbildungsabschnitte – das 520-Stunden-Programm wurde jedoch beibehalten. Zukünftig erfolgt die RS-Ausbildung in
- 240 Stunden theoretisch-praktische Ausbildung an einer anerkannten Rettungsdienstschule
- 80 Stunden Praktikum in einer „geeigneten Einrichtung der Patientenversorgung“
- 160 Stunden praktische Ausbildung an geeigneten Lehrrettungswachen
- 40 Stunden Abschlusswoche mit schriftlicher, praktischer und mündlicher Prüfung
Diese neue Aufteilung bietet Chancen…
Die Erweiterung der schulischen Ausbildung ermöglicht eine intensivere Ausbildung in der Rettungsdienstschule, ermöglicht sinnvollere didaktische Konzepte und eine bessere Verknüpfung zwischen Theorie und Praxis.
Insgesamt besteht hier die Chance, dass nach diesem Konzept ausgebildete Rettungssanitäter im Schnitt ein größeres Maß an „Können“ nach absolvierten Fachlehrgang aufweisen.
Die Beibehaltung des 520-Stunden-Programms in seinem Gesamtumfang lässt auch die „neue“ RS-Ausbildung für Ehrenamtliche und für Freiwilligendienstleistende offen.
…aber birgt auch Risiken.
Die Rettungsdienstschule hat nun in einem weitaus höheren Maß Einfluss auf die Ausbildung, nimmt sie allein schon stundenmäßig den größten Teil ein. Folglich hängen „Erfolg und Scheitern“ in einem weitaus größeren Maße von der Leistung der Schule ab – andere Ausbildungsabschnitte haben eine geringere Chance zur Korrektur.
Zwangsläufig leidet unter einer Zunahme des schulischen Teils die praktische Ausbildung – der Kontakt zu Patienten erfolgt wesentlich später und in einem geringeren Umfang als bisher.
Gerade die Änderung der Klinikpraktika – zum einen die Halbierung der Zeit, zum anderen die ungenaue Festlegung auf „geeignete Behandlungseinrichtung“ – birgt Risiken.
Die Klinikpraktika sind die einzige Möglichkeit, bestimmte Skills und Fähigkeiten in einem ruhigen, sicheren Umfeld am „lebenden Objekt“ üben zu können – das umfasst nicht nur invasive Maßnahmen wie einen venösen Zugang, sondern auch Dinge wie die Beutel-Maske-Beatmung, die auch für einen RS eine essentielle Fähigkeit darstellt.
Das Risiko, dass diese Fähigkeiten zugunsten einer eher pflegerisch orientierten Basisausbildung vernachlässigt werden, besteht jedenfalls.
Herausforderung – Wie könnte eine zukunftsfähige(re) RS-Ausbildung aussehen?
Auch wenn besagte Änderungen noch nicht in Kraft sind und sich die Ausbildung nach den neuen Maßstäben erst einmal bewähren muss, sollte man doch einmal weiterdenken und sich die Fragen „Ist das langfristig zukunftsfähig?“ oder „Könnte man es nicht auch anders machen?“ stellen.
Im Grunde genommen bewegt man sich hier in einem Spannungsfeld zwischen „Ausbildungsdauer begrenzen und Ehrenamt/Freiwillige erhalten“ und „Schwerpunktmäßige Professionalisierung des Rettungsdienstes“.
Fakt ist: beide Richtungen wird man mit einer Lösung nicht vollends zufrieden bedienen können. So oder so sind Abstriche nötig. Daher einfach zwei Varianten, wie langfristig gesehen eine RS-Ausbildung aussehen könnte – da auch ganz objektiv die Rolle des RS langfristig nicht verschwinden wird.
Variante 1: Kompromisslösung zwischen Professionalisierung und Ehrenamt erhalten
Grundidee
Aufteilung der Ausbildung in „Rettungssanitäter im Krankentransport und Katastrophenschutz“ (RS-KTP/KatS) und „Rettungssanitäter in der Notfallrettung“ (RS-NR).
Der RS-KTP/KatS erhält eine Ausbildung im heutigen Umfang mit Fokus auf dem qualifizierten Krankentransport und der Tätigkeit im Katastophenschutz. Aufgabentechnisch liegt hier eine Schwerpunktsetzung auf dem jetzigen Hauptaufgabenfeld des Rettungssanitäters, Ausbildungstechnisch wird stärker eingegrenzt.
Der RS-NR setzt den RS-KTP/KatS voraus und ist eine – ebenfalls dreimonatige – Zusatzausbildung für den Einsatz in der Notfallrettung. Der Schwerpunkt der Ausbildung liegt auf einer routinierten, professionellen Zuarbeit für den Notfallsanitäter und dem Notarzt sowie allgemein auf einer sinnvollen Assistenz auf dem RTW. Die Gliederung der Ausbildung könnte der heutigen RS-Ausbildung entsprechen, wohlbemerkt mit vertieften Themen und genauerer Schwerpunktsetzung-
Vorteile
- Einstiegshürden für das Ehrenamt, Freiwilligendienstleistende und den Katastrophenschutz werden gering gehalten (auf heutigem Niveau)
- Fokus der RS-Ausbildung läge auf dem hauptsächlichen Einsatzbereich
- im Rahmen der Notfallrettung erfolgt eine zielgerichtete Ausbildung auf die Haupttätigkeit des RS
- Durchlässigkeit ermöglicht grundsätzlich auch den Aufstieg vom RS-KTP/KatS zum RS-NR
Nachteile
- Schaffung einer weiteren Ausbildung im „Ausbildungsdschungel“ des Rettungsdienstes
- Degradierung des Rettungssanitäters im Krankentransport zu einem „RS zweiter Klasse“
- dennoch wesentlich höhere Einstieghürde in die Notfallrettung
Variante 2: Professionalisierung vor Ehrenamt
Grundidee
Der Rettungssanitäter wird eine einjährige Berufsausbildung, entsprechend dem ersten Lehrjahr der Notfallsanitäterausbildung. Fokus liegt neben der selbstständigen Durchführung eines qualifizierten Krankentransports auch in der Assistenz in der Notfallrettung.
Vorteile
- Status eines Berufs
- Durchlässigkeit der Ausbildung – Weiterqualifizierung zum NFS unter Anrechnung der bisherigen Ausbildung möglich
- wesentlich umfangreichere Wissens- und Fähigkeitenvermittlung möglich
- gemeinsame Ausbildung mit Notfallsanitätern verbessert die praktische Zusammenarbeit und sorgt für „gleiche Sprache“ im Einsatz
Nachteile
- hohe Einstiegshürde schließt Tätigkeit von Nicht-Hauptamtlichen de facto aus
- mittelfristig Wegfall von Rettungssanitätern im Ehrenamt,
- Wegfall von Freiwilligendienstleistenden
- deutlich höherer Bedarf an hauptamtlichen Personal
Quellen
Ausschuss Rettungswesen (2019): Empfehlung für eine Verordnung über die Ausbildung und Prüfung von Rettungssanitäterinnen und Rettungssanitätern (RettSan-APrV) des Ausschusses Rettungswesen vom 11./12. Februar 2019, abgerufen unter https://saniontheroad.com/wp-content/uploads/2020/10/rettsan_aprv_11_12_februar_2019_1_.pdf am 03.02.2022
Bayerisches Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration (2008): Empfehlungen für die Ausbildung von Rettungssanitäterinnen und Rettungssanitätern des Ausschusses Rettungswesen vom 16./17. September 2008, abgerufen unter https://www.stmi.bayern.de/assets/stmi/sus/rettungswesen/id3_23_landrettung_ar_empfehlung_rettsan_20130222.pdf am 03.02.2022
Bund-Länder-Ausschuss Rettungswesen (1977): Grundsätze zur Ausbildung des Personals im Rettungsdienst (520-Stunden-Programm) des Bund-Länder-Ausschusses „Rettungswesen“ vom 20. September 1977, abgerufen unter https://web.archive.org/web/20131112201818/http://www.notfallrettung.com/recht/rettsan/Bund-L%C3%A4nder-Ausschuss%20Grunds%C3%A4tze.pdf am 03.02.2022
SaniOnTheRoad (2019): „Kleines 1×1 des Rettungsdienstes“ – Teil 2: Ausbildungen im Rettungsdienst, abgerufen unter https://saniontheroad.com/kleines-1×1-des-rettungsdienstes-teil-2/ am 03.02.2022
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