Nachtschicht-Gedanken – Teil 3

Bei „Aus dem Pflaster-Laster“ berichte ich von Einsätzen, dem Alltag auf der Rettungswache und von aktuellen Themen – von purer Routine bis zum Drama. Am Ende ziehe ich mein Fazit der Einsätze und zeige auf, was gut lief und was besser laufen könnte. Namen von Patienten, Orten und Kollegen lasse ich selbstverständlich aus.

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Von Umbruch und Aufbruch

NEF-Nachtdienste sind nicht unbedingt meine Lieblingsschicht. Wenn man Pech hat, ist man stundenlang alleine auf der Rettungswache – die dank ihres Baujahres gerne komische Geräusche entwickelt – während der RTW seine Runden dreht. Irgendwie gruselig.

Diese Schicht ist allerdings ruhig. Sehr ruhig. Weder ich, noch der RTW hatte bisher Einsätze, es ist kurz nach 1. Mitten in der Nacht, und in den Schlaf habe ich noch nicht gefunden. Die RTW-Besatzung liegt in ihren Betten und ich…mache mir Gedanken.

Die letzten Tage hat es deutlich rumort. Es gab – wie üblich – eine Wachensitzung, deren Verlauf doch dem ein oder anderen vor dem Kopf gestoßen hat. Auch wenn in den Jahren zuvor sich wenig an den Kritikpunkten geändert hat, die immer und immer wieder vorgebracht wurden, war es diesmal…anders. Man wollte einen Schuldigen finden, und die Wachenleitung scheint es getan zu haben: die jungen Notfallsanitäter sollen Schuld sein. Pauschal. Naja…

Im Grunde genommen ist es nicht die sehr stark verallgemeinernde Aussage unseres Wachenleiters, der die Betroffenen – darunter mich – als auch viele andere gestört hat.

Es waren eher die Aussagen auf der Metaebene, die mitgeschwungen sind. Oder: Schulz von Thun lässt grüßen. Unser Wachenleiter hat Dinge vermittelt, die er vielleicht nicht vermitteln wollte…

Der Rettungsdienst befindet sich, allgemein und auch bei uns im Speziellen, in einer Umbruchphase. Wahrscheinlich ist es eine der größten Umbruchphasen, die es in den letzten Jahrzehnten gab. Der Trend ist mittlerweile eindeutig: hin zur durchgehenden Professionalisierung, hin zu mehr Ausbildung, hin zu mehr Medizin. Es steht ein Generationenwechsel im Rettungsdienst bevor, „Alt“ gegen „Neu“, und leider auch irgendwie „Alt“ gegen „Jung“.

Fachgespräche – die tatsächlich kritisiert wurden – befinden sich mittlerweile auf einem deutlich höheren und deutlich spezielleren Niveau, als es noch zu meinen Anfangstagen war. Man diskutiert über Versorgungsstrategien und die Grenzen der eigenen Kompetenz. Man diskutiert vor allem auch eigenverantworliche Entscheidungen.

Man diskutiert auch ernsthaft, wie der Rettungsdienst in zehn, fünfzehn Jahren aussehen soll. Und es wird deutlich, dass der Rettungssanitäter einen wesentlich geringeren Stellenwert erhalten wird, als es derzeit der Fall ist. Die neuen Dienstpläne, über die ebenfalls lange diskutiert wurde, machen den Trend schon jetzt deutlich.

Nicht alle wollen diese Veränderungen, die eben vor allem durch die „junge“ Generation, die überwiegend die dreijährige Vollzeitausbildung zum Notfallsanitäter absolviert haben, getragen werden, mitgehen. Und das sind – ohne Vorwurf – die „Alten“. Diejenigen, die zum Teil übergeleitet sind, diejenigen, die vor vielen Jahren die Rettungsassistentenausbildung absolviert haben.

Ich kann es nachvollziehen: es verändert sich so gut wie alles – nicht nur die Dienstplanung wird „anders“, auch die Erwartungshaltung. Und damit wird der ein oder andere seine Arbeitsweise durchaus in Gefahr sehen. Vielleicht auch unser Wachenleiter. Es wird mittlerweile schon wesentlich mehr erwartet, als vor zwanzig Jahren – die Schattenseite heilkundlicher Maßnahmen ist auch, dass ein „Nö, will ich jetzt nicht“ nicht mehr zählt.

Ob das am Ende die eigentliche Kernaussage war? Die Angst vor höheren Anforderungen, die irgendwie durch den Anspruch der „jungen NFS“ hervorgerufen wird? Möglich. Oder es ist etwas ganz anderes. Tatsache ist, dass die derzeitige Wachenleitung sich außer Stande sieht, auch solche Veränderungen mitzutragen – und mit pauschalen Vorwürfen hat man sich in Bezug auf die Führungskompetenz auch einen Bärendienst erwiesen.

Ende der Sitzung: die komplette Wachenleitung hört zeitnah auf – nicht unbedingt aufgrund dieses Generationenkonflikts, nicht unbedingt aufgrund der Anforderungen, nicht unbedingt aufgrund der Rahmenbedingungen. Vor allem war es eine persönliche Entscheidung, die es zu respektieren gilt. Und die nach jahrelanger Arbeit auch mutig ist.

Und dann ist da der Rattenschwanz, den das Thema nach sich zieht…

Auch einige der jungen Notfallsanitäter der Wache ziehen ihre Konsequenz daraus. Dass eigene Ansichten und der Wunsch nach Weiterentwicklung praktisch blind abgeschmettert werden, hat ein sehr faden Beigeschmack – und macht der Wache langfristig Probleme.

Es gibt durchaus einige, die nun stark mit beruflichen Alternativen liebäugeln. Für fast alle heißt das „Studium“, mal in Vollzeit, mal berufsbegleitend. Mal für einen zeitnahen Wechsel, mal für bessere Zukunftsaussichten. Der O-Ton mit „Weg hier“ ist in so ziemlich allen Fällen aber gleich.

Und – ich bin untröstlich – ich gehöre auch zu diesen Leuten.

Es ist das erste Mal nach Jahren im Rettungsdienst, wo ich nicht als Gedankenspiel über einen Wechsel nachdenke. Es ist nicht die Arbeit an sich, trotz ihrer Schattenseiten, die mir Spaß macht wie am ersten Tag. Es sind nicht die Kollegen, und es ist auch nicht die Wachenleitung.

Es ist eher das fragwürdige Gesamtkonstrukt, in dem wir aktuell sind – Veränderungen stehen unausweichlich bevor, und niemand will sich ihnen annehmen. Im Gegenteil: man versucht es sogar zu verhindern. Der historisch gesehen noch junge Rettungsdienst hat seine Selbstfindungsphase in der Generation „Notfallsanitäter“ noch nicht überwunden, und er wird noch einiges an Zeit und an Impulsen brauchen, bis er es schafft.

Und dafür braucht es alte Kollegen, die genügend Erfahrung mitbringen, wie auch junge Kollegen mit entsprechenden Impulsen und der Fähigkeit, die Veränderung mitzutragen und voranzubringen.

Das funktioniert allerdings nur, wenn man sich auf Augenhöhe begegnet und eine gemeinsame Grundlage findet – und davon sind wir leider sehr weit entfernt.

Das Brain-Drain im Rettungsdienst ist nichts neues. Hier kann es allerdings einen gravierenden Unterschied machen: die Veränderungen werden kommen. Nur werden die „Vorantreiber“ hier dann zu einem großen Teil fehlen.

Und die Moral von der Geschicht’…

Man sollte Bedenken und eigene Ansichten durchaus offen ansprechen – Anprangern und Schuldige suchen ist weder zielführend, noch ein guter Führungsstil. Pragmatisch gesehen sollte man unausweichliche Veränderungen annehmen – und gemeinsam mit motivierten Kollegen an einer sinnvollen Umsetzung arbeiten.

Und ein „Ich will nicht mehr“ kann auch eine Kettenreaktion von weiteren „Ich will nicht mehr“ herbeiführen – hier die Abwanderung von Notfallsanitätern, die die Umbruchphase meistern könnten.

Schwarzmalerei: wir haben im Moment keine erfahrene Wachenleitung, die durch die Umbruchphase führt. Und wir verlieren wohlmöglich eine beträchtliche Anzahl derer, die sich dem Problem annehmen könnten.

Es klopft mir jemand auf die Schuler.

„Na, kannst Du auch nicht schlafen?“

sagt mein Kollege vom RTW, während er mir einen Kaffee hinhält. Gedanken für heute beendet.

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Über SaniOnTheRoad

Nachtschicht-Gedanken – Teil 3

SaniOnTheRoad

Notfallsanitäter, Teamleiter und Administrator des Blogs. Vom FSJler über Ausbildung bis zum Haupt- und Ehrenamt im Regelrettungsdienst und Katastrophenschutz so ziemlich den klassischen Werdegang durchlaufen. Mittlerweile beruflich qualifizierter Medizinstudent im klinischen Abschnitt des Studiums. Meine Schwerpunkte liegen auf Ausbildungs- und Karrierethemen, der Unterstützung von Neueinsteigern, leitliniengerechten Arbeiten sowie Physiologie, Pathophysiologie, Pharmakologie und EKG für den Rettungsdienst. Mehr über mich hier.

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