Rettungsdienst aktuell – Themen die den Rettungsdienst, seine Mitarbeiter und Interessierte beschäftigen. Von leitliniengerechter Arbeit bis zur gesellschaftskritischen Diskussion.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Hin und wieder verändern sich im Rettungsdienst ebenfalls Dinge – und teilweise auch die Medikamentenvorhaltung. Mit den neuen Ausbildungs- und Behandlungsalgorithmen für Notfallsanitäter in Rheinland-Pfalz („Booklet“) steht erstmals auch eine größere Veränderung der Medikamentenvorhaltung auf RTW und NEF an.
Einige Medikamente sind komplett neu, andere ersetzen bestehende Medikamente – und wiederum andere entfallen (zumindest auf dem RTW).
In unserem Falle ist das NEF zuerst mit der neuen Bestückung dran, deshalb auch dieser Beitrag einmal vorab. Auch wenn es hier keine allzu großen Änderungen gibt, sind doch ein paar Medikamente dabei, welche komplett „neu“ sind…und es manchmal nicht ganz so intuitiv ist, warum diese Medikamente nun vorgehalten werden.
Hinweis zu Medikamentenangaben
Die hier zur Verfügung gestellten Informationen erheben keinen Anspruch auf Richtigkeit, Vollständigkeit und Aktualität und dienen nicht zur Entscheidungsfindung im Einsatz.
Medizinisches Fachpersonal ist dazu angehalten, eine Therapie entsprechend Ausbildungs- und Kenntnisstand, aktuellen Leitlinien und lokalen Algorithmen durchzuführen und jegliche Maßnahmen selbstständig in Bezug auf Indikation, Kontraindikationen, Aufklärung, Einwilligung mögliche Alternativen und Dosierungen, insbesondere nach jeweils individueller Abwägung, selbstständig kritisch zu prüfen. Es gelten grundsätzlich die Herstelleranweisungen für Medizinprodukte sowie die jeweiligen Fachinformationen für Arzneimittel.
Levetiracetam
Medikamentengruppe
Antikonvulsiva
Indikationen
- Monotherapie fokaler epileptischer Anfälle mit/ohne sekundäre Generalisierung
- Zusatztherapie bei
- fokaler epileptischer Anfälle mit/ohne sekundäre Generalisierung
- generalisierten tonisch-klonischen Krampfanfällen
- myoklonischen Anfällen bei myoklonischer juveniler Epilepsie
Wirkmechanismus
Hemmung der Glutamatfreisetzung (als erregender Neurotransmitter) durch Verhinderung der Neurotransmitter-Vesikelfusion
Kontraindikationen (Auswahl)
- Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff bzw. andere Pyrrolidon-Derivate oder einen der genannten sonstigen Bestandteile
- Dosisanpassung bei eingeschränkter Nierenfunktion notwendig
Nebenwirkungen (Auswahl)
- Kopfschmerzen
- Schwindel
- Übelkeit, Erbrechen, Diarrhoe
- Somnolenz, Müdigkeit
- Konvulsionen
- psychiatrische Symptome (Aggressivität, Angst, Reizbarkeit…)
- Blutbildveränderungen
Dosierung
Erwachsene und Jugendliche > 12 Jahre und > 50 kg KG
- Initialdosis: 2x täglich 250 – 500 mg i.v.
- Steigerung im Behandlungsverlauf auf bis zu 1500 mg/Tag möglich
Jugendliche < 50 kg KG und Kinder > 4 Jahre
- Initialdosis: 2x täglich 10 mg/kg KG i.v.
- Steigerung im Behandlungsverlauf auf bis zu 30 mg/kg KG/Tag möglich
Bemerkungen
Levetiracetam ersetzt Phenytoin als Antikonvulsivum auf dem NEF. Im typisch rettungsdienstlichen Setting dürfte lediglich die Initialdosis relevant sein.
Lipidemulsion 20 %
Medikamentengruppe
Lipidemulsion
Indikationen
- rettungsdienstlich: Intoxikation mit Lokalanästhetika, „lipid resuscitation“
Wirkmechanismus
Der Wirkmechanismus ist unbekannt. Diskutiert werden eine Abschwächung der Lokalanästhetikawirkung durch metabolische Veränderungen und die Aufnahme der Lokalanästhetika im Plasma durch die Lipide.
Kontraindikationen (Auswahl)
- Allergie/Überempfindlichkeit gegen Soja oder andere Bestandteile
Nebenwirkungen (Auswahl)
- allergische Reaktionen
- Dyspnoe
- Kopf-, Rücken-, Brust-, Knochenschmerzen
- Hyperlipidämie
Dosierung
- Initialdosis: 1,5 ml/kg/min i.v.
- Infusion 0,1 ml/kg/min i.v. über 30 min oder 0,5 ml/kg/min i.v. über 10 min
Bemerkungen
Wahrscheinlich das ungewöhnlichste neue Medikament aus der Reihe – reine Lipidemulsionen werden eigentlich innerklinisch zur Deckung des Energiebedarfs und des Bedarfs an essentiellen Fettsäuren eingesetzt; rettungsdienstlich handelt es sich um einen Off-Label-Use.
Hinsichtlich der Wirksamkeit beschränkt sich die Evidenz v.a. auf Fallberichte – dennoch gibt es für den Einsatz im Rahmen des Herz-Kreislauf-Stillstands durch Lokalanästhetika-Intoxikationen eine entsprechende Empfehlung der DGAI.
Toluidinblau (o-Toloniumchlorid)
Medikamentengruppe
Antidot
Indikationen
- Intoxikation mit Methämoglobinbildnern (z.B. Anilin, Nitrite, Nitrobenzol, oxidierende organische Lösungsmittel)
Wirkmechanismus
Reduktion von Methämoglobin (Fe3+) zu Hämoglobin (Fe2+)
Kontraindikationen
- Allergie/Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder sonstige Bestandteile
- Unwirksamkeit bei Glucose-6-phosphat-Dehydrogenasemangel oder NADPH-Methämoglobin-Reduktase-Mangel
Nebenwirkungen (Auswahl)
- vorübergehende Blaufärbung (Pseudozyanose) der Haut, Schleimhäute und des Urins
- Erbrechen
Dosierung
- Initialdosis 2 – 4 mg/kg KG i.v.
- Wiederholung nach 30 Minuten möglich
- CAVE: sicher liegender i.v.-Zugang > streng intravenöse Applikation!
Bemerkungen
Das wohl unverwechselbarste neue Medikament – wie der Name suggeriert, hat es eine tiefblaue Farbe.
Methämoglobin kann – im Gegensatz zum normalen Hämoglobin – keinen Sauerstoff transportieren, insofern führt eine Methämoglobinämie unweigerlich über eine Hypoxie zum Tod. Durch die Reduktion des Methämoglobins zum Hämoglobin besteht hier nun eine kausale Therapiemöglichkeit.
Interessenkonflikte
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Der Autor gibt an, dass keine Interessenkonflikte bestehen.
Quellen
ÄLRD Rheinland-Pfalz (2023): Ausbildungs- und Behandlungsalgorithmen Notfallsanitäter, Stand 30.09.2023, abgerufen unter https://www.aelrd-rlp.de/index.php/download/ausbildungsalgorithmen-notsan-rheinland-pfalz/# am 24.07.2024
Böhmer R., Schneider T., Wolcke B. (2020): Taschenatlas Rettungsdienst, 11. Auflage. Böhmer & Mundloch Verlag, Mainz. ISBN 978-3-948320-00-3. Hier erhältlich: https://amzn.to/4cTf1No Affiliate-Link
Dr. Franz Köhler Chemie GmbH (2017): Gebrauchs- und Fachinformation Toluidinblau Injektionslösung, abgerufen unter https://www.koehler-chemie.de/wp-content/uploads/2021/03/GIFI_Toluidinblau_01_17-.pdf am 24.07.2024
Fresenius Kabi (2014): Fachinformationen Lipovenös 20 % Emulsion zur Injektion, abgerufen unter https://www.ivf-saar.de/media/download/medikamente/lipovenoes_fi.pdf am 24.07.2024
Gelbe Liste (2024): Fachinformation: Keppra® 100 mg/ml Konzentrat zur Herstellung einer Infusionslösung, abgerufen unter https://www.gelbe-liste.de/produkte/Keppra-100-mg-ml-Konzentrat-zur-Herstellung-einer-Infusionsloesung_484826/fachinformation am 24.07.2024
Geisslinger G., Menzel S., Gudermann T., Hinz B., Ruth P. (2019): Mutschler Arzneimittelwirkungen, 11. Auflage. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart. ISBN 978-3-8047-3663-4. Hier erhältlich: https://amzn.to/4cT6hqr Affiliate-Link
Plata C. et al (2013): Lokalanästhetikaintoxikation und „lipid resuscitation“, Notfall Rettungsmed 2013 · 16:188–195, abgerufen unter https://www.springermedizin.de/content/pdfId/8709354/10.1007/s10049-013-1687-9 am 24.07.2024. DOI: 10.1007/s10049-013-1687-9
Volk T. et al. (2009): Empfehlungen zur Lipidbehandlung bei der Intoxikation
mit Lokalanästhetika, Anästh Intensivmed 2009;50:698-702, abgerufen unter https://www.ai-online.info/images/ai-ausgabe/2009/11-2009/2009_11_698_Empfehlungen%20zur%20Lipidbehandlung%20bei%20der%20Intoxikation%20mit%20Lokalanaesthetika.pdf am 24.07.2024
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