Bei „Aus dem Pflaster-Laster“ berichte ich von Einsätzen, dem Alltag auf der Rettungswache und von aktuellen Themen – von purer Routine bis zum Drama. Am Ende ziehe ich mein Fazit der Einsätze und zeige auf, was gut lief und was besser laufen könnte. Namen von Patienten, Orten und Kollegen lasse ich selbstverständlich aus.

Der Einsatz, von dem ich berichte, ist schon etwas länger her – ich war ein knappes halbes Jahr als FSJler dabei und bekam meine RTW-Einweisung. Es war eine der letzten Schichten, für die ich auf einer Außenwache eingeteilt war.
Es war Anfang Januar, stockeduster und schweinekalt – wir hatten zum ersten Mal seit Jahren wieder richtigen Winter, und dafür auch ordentlich. Im Prinzip hatte es die ganze Nacht geschneit und die Landschaft war flächendeckend weiß.
Im Prinzip deutete sich auf der Wache, die sich zusammen mit einer Feuerwehr die Räumlichkeiten teilt, ein ruhiger Dienst an. Die Nachtschicht hatte nichts zu tun, und wir taten neben unseren üblichen Tagesablauf das, was man in einer RTW-Einweisung tun sollte. Wir haben mit Material geübt, etwas Rettung aus dem Fahrzeug gemacht, Medikamente aufziehen geübt – und wetterbedingt auch prompt das Anlegen der Schneeketten.
Ja, das war der Tagesbeginn – ansonsten blieb es erstmal ruhig. Kaffee, Frühstück, fernsehen. Und draußen schneite es munter weiter – und zwar richtig. Die Straßenmeisterei kam gar nicht mehr hinterher. Im Prinzip gab es nichts, was die morgendliche Ruhe störte. Außer vielleicht der hauptamtliche Gerätewart der Feuerwehr, der gut beschäftigt war 😉
Ruhe vor dem Sturm?
Kurz nach zehn wurden wir dann aber aus der Bequemlichkeit rausgerissen – aber nicht durch unseren Melder, sondern durch die Durchsage der Feuerwehralarmierung. Die war – traditionell – vollkommen unverständlich und wir rätselten, was Sache ist.
Viel Zeit verging aber nicht, bis dann aus unsere Melder ertönten. Ein Blick auf das Diensthandy verriet die Lage:
Einsatzdaten
Einsatzmeldung: H3 – VU, LKW. Vermutlich Gefahrstoffunfall.
Alarmierte Fahrzeuge: 2 RTW + NEF, mit Sonder-/Wegerechte. Polizei und Feuerwehr mitalarmiert.
Vorbei mit der morgendlichen Ruhe? Vorbei mit der morgendlichen Ruhe! Als Notfallrettungsneuling war meine Aufregung immens – einen wirklich schweren VU hatte ich einfach noch nicht erlebt, einen LKW-Unfall oder gar einen Gefahrstoffunfall erst recht nicht.
Auch wenn meine beiden Kollegen „alte Hasen“ waren, gingen sie doch schnelleren Schrittes zum RTW, als sonst üblich. Kaum waren wir am Auto angekommen, flogen auch schon die ersten Kameraden der FF auf den Hof – Unterstützung hätten wir auf jeden Fall einmal zeitnah.
Eine kurze Absprache, dann ging es auch schon los. Auch wenn die Strecke zur Einsatzstelle keine vier Kilometer von der Wache entfernt war, kam es mir wie eine Ewigkeit vor – mag daran liegen, dass die Straßen nicht geräumt waren und der RTW trotz vorsichtiger Fahrweise zweimal ausgebrochen ist. Ein sehr…unangenehmes Gefühl, auch oder gerade, wenn man im Patientenraum sitzt.
Scene – Safety – Situation
Scene: Vormittag, 10:00 Uhr, kalt, starker Schneefall. Bundesstraße.
Safety: Absicherung des Verkehrs durch andere Verkehrsteilnehmer erfolgt, Feuerwehr übernimmt Absperrung.
Situation: Es sind ein deformierter PKW auf einer Verkehrsinsel sowie ein Tanklaster im Straßengraben zu erkennen. Mehrere Personen befinden sich auf der Straße.
Während die Kollegen noch die Lage auf Sicht durchgeben, werfe ich schon mal einen Blick auf die Unfallstelle. Der PKW ist offensichtlich mit einem Straßenschild kollidiert, der LKW liegt auf der Seite im „Straßengraben“ – naja, eigentlich ist es ein Abhang, der drei, vier Meter in die Tiefe geht.
Die Patienten sind recht schnell gefunden – zwei Stück sind es, der LKW-Fahrer, Mitte 50, und die PKW-Fahrerin, Mitte 20, die fußläufig in den RTW kommen. Noch sind wir allein.
Die Fahrerin des PKW ist sichtlich aufgelöst und wird direkt von den Kollegen auf die Vakuummatratze gelegt und versorgt – ich soll mich erst einmal um den LKW-Fahrer kümmern. Der mittlerweile eingetroffene Feuerwehrarzt sichtet die Patienten und unterstützt uns bei der Erstversorgung
Ersteinschätzung
Beide Patienten potentiell kritisch.
xABCDE – LKW-Fahrer
x – Exsanguination
Keine starke äußere Blutung.
A – Airway
Atemwege frei, Mundschleimhäute feucht und rosig, keine Zyanose.
B – Breathing
Atemfrequenz 16/min, keine Prellmarken, Thorax stabil, regelrechte Thoraxexkursionen, beidseits vesikuläres Atemgeräusch, keine Halsvenenstauung, keine Dyspnoe, SpO2 96 %.
C – Circulation
Haut rosig, warm, trocken, keine stehenden Hautfalten; Rekapillarisierungszeit < 2 Sekunden, periphere Pulse tastbar, rhythmisch, tachykard; Abdomen weich, keine Abwehrspannung; keine Schmerzangabe im Becken, Oberschenkel stabil, RR 150/80 mmHg.
D – Disability
GCS 15, Pupillen isokor, mittelweit, prompte Lichtreaktion; FAST unauffällig, pDMS unauffällig, BZ 120 mg/dl.
E – Exposure/Environment
Leichte Nackenschmerzen, minimale Platzwunde an der Stirn, sonst keine Verletzungen, Temperatur 36,4°C.
Parallel dazu haben meine Kollegen die PKW-Fahrerin untersucht:
xABCDE – PKW-Fahrerin
x – Exsanguination
Keine starke äußere Blutung.
A – Airway
Atemwege frei, Mundschleimhäute feucht und rosig, keine Zyanose.
B – Breathing
Atemfrequenz 20/min, leichte Prellmarken am Thorax, druckdolent, Thorax stabil, regelrechte Thoraxexkursionen, beidseits vesikuläres Atemgeräusch, keine Halsvenenstauung, keine Dyspnoe, SpO2 99 %.
C – Circulation
Haut rosig, warm, trocken, keine stehenden Hautfalten; Rekapillarisierungszeit < 2 Sekunden, periphere Pulse tastbar, rhythmisch, tachykard; Abdomen weich, keine Abwehrspannung; keine Schmerzangabe im Becken, Oberschenkel stabil, RR 180/90 mmHg.
D – Disability
GCS 15, Pupillen isokor, mittelweit, prompte Lichtreaktion; FAST unauffällig, pDMS unauffällig, BZ 85 mg/dl.
E – Exposure/Environment
Deutliche Nackenschmerzen, Schmerzen im linken Unterarm mit deutlicher Schwellung, sonst keine Verletzungen, Temperatur 36,0°C.
Bis zum Eintreffen des zweiten RTW sollte der LKW-Fahrer bei uns im Fahrzeug verbleiben und zunächst ein Stifneck erhalten – der Feuerwehrarzt legte in der Zwischenzeit bei beiden Patienten einen i.v.-Zugang.
Insgesamt wurde der Unfallhergang schnell deutlich: die PKW-Fahrerin ist ins Schleudern geraten, kam auf die Spur des entgegenkommenden LKW, der beim Ausweichversuch ebenfalls in schleudern geriet und abgerutscht ist. Die PKW-Fahrerin sei mit etwa 50 km/h gegen das Schild auf der Verkehrsinsel geprallt. Der LKW hatte Heizöl geladen, nach einer Inspektion des Fahrers und der Feuerwehr ist allerdings nichts ausgelaufen.
Aufgrund des Unfallmechanismus waren sich meine Kollegen sehr unsicher, ob sie die Patienten ohne Notarztbegleitung fahren sollen – es wurde also konsequenterweise noch ein NEF nachgefordert, auf das dann der zweite RTW warten sollte.
Als der zweite RTW eintraf, gab es eine kurze Übergabe an diesen – sie übernahmen den LKW-Fahrer und auch ihm wurde eine Vollimmobilisation zuteil, während wir uns mit den NEF langsam in Richtung Schockraum des Maximalversorgers aufmachten.
Die Patientin klagte anhaltend über starke Schmerzen, weshalb sich der Notarzt zu einer Analgesie mit 2 mg Midazolam und 20 mg Esketamin entschied – die Schmerzen besserten sich daraufhin, der Blutdruck blieb konstant bei über 190 mmHg systolisch.
Für uns war der Einsatz nach der Übergabe erledigt – die Feuerwehr war noch bis am späten Nachmittag mit dem Unfall – und vor allem dem Umpumpen des Heizöls – beschäftigt.
Fazit
Was fand ich gut?
- schnelle, unkomplizierte Zusammenarbeit mit der Feuerwehr und dem Feuerwehrarzt
- Absicherung der Unfallstelle durch andere Verkehrsteilnehmer
- Übernahme einer „sinnvollen“ Aufgabe in der Patientenversorgung
Was fand ich nicht gut?
- Nachforderung des NEF ohne offensichtliche Indikation – damit längere Wartezeit vor Ort ohne Nutzen
- Platz – zu mit zwei Patienten, drei Rettungsdienstlern und einem Feuerwehrarzt im RTW war das arbeiten sehr eingeschränkt. Hier hätte man sich evtl. auf RTW und ELW/MTW der Feuerwehr aufteilen können.
Was ist mir wichtig? – „Take-Home-Message“
Man sollte winterliche Straßenverhältnisse nie unterschätzen – gerade, wenn es deutlichen Schneefall gibt, kann auch binnen Minuten aus einem „geht noch“ ein „geht nicht mehr“ werden. Der Einsatz ist mir auch nach Jahren noch gut in Erinnerung geblieben, auch wenn es seitdem viele andere und dramatischere Verkehrsunfälle gab.
Die junge PKW-Fahrerin hatte entweder die Situation und/oder ihre eigenen Fahrkünste unterschätzt und damit sich selbst und Dritte erheblich gefährdet.
Man sollte bei unsicheren Straßenverhältnissen lieber noch etwas langsamer fahren, und dafür sicher ankommen. Sehr löblich war bei diesem Einsatz, dass die Ersthelfer die Unfallstelle in beide Richtungen vorbildlich abgesichert hatten.
Wir erinnern uns daran: Eigenschutz geht vor!
Quellen
SaniOnTheRoad (2020): Absicherung, Eigenschutz und Notruf, abgerufen unter https://saniontheroad.com/absicherung-eigenschutz-und-notruf/ am 03.02.2022
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