Wenn der Ersthelfer den Unterschied macht

Bei „Aus dem Pflaster-Laster“ berichte ich von Einsätzen, dem Alltag auf der Rettungswache und von aktuellen Themen – von purer Routine bis zum Drama. Am Ende ziehe ich mein Fazit der Einsätze und zeige auf, was gut lief und was besser laufen könnte. Namen von Patienten, Orten und Kollegen lasse ich selbstverständlich aus.

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Es gibt immer wieder Situationen, bei denen vergleichsweise wenige Dinge einen entscheidenden Unterschied machen – so auch bei Notfalleinsätzen. Und sehr oft gehören die Ersthelfer dazu.

Es ist erstaunlich, wie viel selbst medizinische Laien in einer Notsituation bewegen und “rausreißen” können; je besser und schneller die Maßnahmen erfolgen, desto mehr kann erreicht werden.

Der folgende Einsatz ist so ein Fall gewesen, bei dem gerade die Ersthelfer den Unterschied gemacht haben – und es war eine der optimalsten Hilfeleistungen durch medizinische Laien, die ich bisher erleben durfte.

Aufblende!

RTW-Tagdienst auf meiner Stammwache – neben dem üblichen Geplänkel gab es recht wenig zu tun, lediglich ein gemeinsames Mittagessen und der Vorbereitung eines Praxistages für die Azubis standen heute auf der Agenda. Die letzten Tage waren ruhig, besondere Einsätze oder sonstige Vorkommnisse gab es nicht.

Das sollte sich allerdings noch vor dem Frühstück ändern…

Einsatzdaten

Einsatzmeldung: Akutes Koronarsyndrom, akute Atemnot, Bewusstlosigkeit.

Alarmierte Fahrzeuge: RTW + NEF, mit Sonder-/Wegerechte.

Nun, eine Einsatzmeldung, bei der jedes Stichwort eine Notarztindikation darstellt, ist doch ziemlich selten. Und bei dieser Kombination schoss meinen Kollegen und mir eigentlich direkt durch den Kopf, was es wohl sein wird…

Die Reise geht gemeinsam mit unserem NEF in ein Dorf, das normalerweise von einer unserer Außenwachen bedient wird. Anfahrtszeit etwa 10 Minuten.

Leitstelle, was Du nicht sagst…

Wir waren gerade aus der Fahrzeughallte gefahren, als die Leitstelle mit einem Update der Lage unsere Vermutung bestätigte: Kreislaufstillstand. Und: laufende Reanimation.

Scene – Safety – Situation

Scene: Morgen, 8:40 Uhr, warm, sonnig, trocken, Einfamilienhaus, ländliche Gegend.

Safety: keine augenscheinlichen Gefahren.

Situation: Patient, ca. 60 Jahre, liegt in Küche, laufende Reanimation durch Tochter. Diese berichtet von in den letzten Tagen rezidivierenden Rückenschmerzen, heute morgen plötzlicher Atemnot und Kollaps.

Die Erfahrung zeigt, dass selten “laufende Reanimationen” laufende Reanimationen sind – leider. Umso überraschter war ich, als ich tatsächlich eine laufende Reanimation vorfand. Und die war…verdammt gut. Bei unserem Eintreffen hatte der Patient noch eine Schnappatmung-

Ich löste die Tochter des Patienten mit den Thoraxkompressionen ab und führte eine kurze Fremdanamnese durch, während mein Teampartner die Defi-Patches klebte und den Beatmungsbeutel richtete.

Unser Patient hatte in den letzten Tagen immer wiederkehrende Rückenschmerzen im BWS-Bereich, heute morgen waren diese ebenso vorhanden wie ein Kloßgefühl im Hals – einige Zeit nach dem Frühstück habe er über Luftnot geklagt und sei plötzlich kollabiert. Vorerkrankungen? Außer einer arteriellen Hypertonie nichts bekannt. Risikofaktoren? Außer einer mäßigen Adipositas nichts ermittelbar.

Defi dran, manueller Modus, Analyse – Kammerflimmern. Laden, Schock. Und in diesem Moment kam auch schon unser Notarzt hereinspaziert.

Kurze Übergabe, der NEF-Fahrer richtete die Intubation, mein Kollege richtete den i.v.-Zugang und die Medikamente. Helferwechsel. Nächste Analyse. Weiterhin Kammerflimmern. Laden, Schock.

Durch die Notarzt erfolgte eine problemlose endotracheale Intubation mittels Videolaryngoskop, während ich den Zugang legte und die Infusion anschloss. Lagekontrolle des Tubus: Intubation unter Sicht, Auskultation mit beidseits vesikulärem Atemgeräusch, Kapnographie initial bei 19 mmHg. Das ist gut.

Erneuter Helferwechsel, nächste Analyse: immer noch Kammerflimmern. Laden, Schock. Kurze Zwischenkontrolle – dann Adrenalin und Amiodaron.

Unser Notarzt ging dann in die Abfrage der reversiblen Ursachen über…

  • Hypoxie? Mittels ETI und Beatmung bekämpft.
  • Hypovolämie? Keine Anhaltspunkte.
  • Hypo- oder Hyperkaliämie? Keine Anhaltspunkte. Andere metabolische Störungen? Keine Anhaltspunkte, BZ 120 mg/dl.
  • Hypothermie? Mit 36,0°C
  • Herzbeuteltamponade? Keine Anhaltspunkte.
  • Intoxikation? Keine Anhaltspunkte.
  • Thromboembolie. Pulmonal? Unwahrscheinlich bei Vorgeschichte und etCO2. Kardial? Würde von Symptomatik und Kammerflimmern als initialen Rhythmus gut passen.
  • Spannungspneumothorax? Keine Anhaltspunkte.

Wir einigen uns auf den Myokardinfarkt als wahrscheinlichste Ursache des Kreislaufstillstands – und es kam die Überlegung der Thrombolyse auf.

Soweit sollte es allerdings nicht kommen. Helferwechsel. Erneute Analyse. Kammerflimmern. Laden, Schock.

Und unmittelbar nach der Schockabgabe stiegt der etCO2 von guten 19 mmHg auf noch bessere 50 mmHg. Wir drücken den Zyklus noch durch, dann erfolgt die Kontrolle: etCO2 bleibt über 45 mmHg, tastbare zentrale Pulse, koordinierte elektrische Herzaktivität auf dem EKG. Willkommen im ROSC-Management.

xABCDE

x – Exsanguination

Keine starke äußere Blutung.

A – Airway

Atemwege mittels Endotrachealtubus gesichert, Mundschleimhäute feucht, blass, keine Zyanose. Cuffdruck 30 cm H2O.

B – Breathing

Kontrollierte Beatmung mit ca. 12/min, Thorax stabil, regelrechte Thoraxexkursionen, beidseits vesikuläres Atemgeräusch, keine Halsvenenstauung. SpO2 96 %, etCO2 ~ 40 mmHg.

C – Circulation

Haut blass, warm, trocken, keine stehenden Hautfalten; Rekapillarisierungszeit ca. 3 Sekunden, periphere Pulse schlecht tastbar, zentrale Pulse gut tastbar, arrhythmisch; große Blutungsräume unauffällig, RR 80/50 mmHg.

D – Disability

GCS 3, Pupillen isokor, mittelweit, träge Lichtreaktion; FAST & pDMS nicht durchführbar, BZ 120 mg/dl.

E – Exposure/Environment

Bodycheck unauffällig, keine Verletzungen, keine Beinödeme. Temp. 36,0°C.

Ferner wurde unmittelbar nach dem ROSC ein 12-Kanal-EKG geschrieben, welches unseren Verdacht bestätigte:

Für ein Post-ROSC-EKG typisch nicht schön anzuschauen, aber in Hinblick auf die Ursachenabklärung doch ziemlich eindeutig: ein großer Vorderwand-STEMI, welcher in einem Verlaufs-EKG dann auch “schöner” erkennbar war. Wir entschieden uns für ein telekardiologisches Konsil. Diagnose bestätigt, Direktübergabe im Herzkatheterlabor.

Der Patient erhielt noch in der Wohnung ASS und Heparin sowie – bei wieder einsetzender Spontanatmung – eine Sedierung mittels Midazolam. Eine Blutdruckstabilisierung durch Akrinor ließ sich nicht erreichen, im Fahrzeug wurde dann ein Noradrenalin-Perfusor gerichtet, mit dem der systolische Blutdruck konstant über 100 mmHg gehalten werden könnte.

Zweiter Zugang, Beatmungsgerät fertig machen, Abfahrt.

Trivia

Der Patient hat tatsächlich mit gutem neurologischen Outcome überlebt und konnte das Krankenhaus wieder verlassen.

Fazit

Was fand ich gut?

  • Erkennen des Kreislaufstillstands durch die Ersthelfer und suffiziente Laienreanimation
  • saubere, leitliniengerechte ALS-Reanimation und ROSC-Management

Was fand ich nicht gut?

  • Einsatzmeldung – die Vermutung eines Kreislaufsstillstands hätte bei diesem Meldebild auch durch den Disponenten erfolgen können
  • keine telefonische CPR-Anleitung

Was ist mir wichtig? – Take-home-Message

“It takes a system to save a life”

…was man hier sehr gut sehen konnte.

Das Problem hierbei ist, dass das System eigentlich außerhalb des Systems – als “organisierte” Form der medizinischen Versorgung – anfängt: nämlich bei den Ersthelfern.

Ohne diese vorteilhafte Kombination aus “beobachteter Kreislaufstillstand” und “suffiziente Laienreanimation” wäre bei unserer Anfahrtszeit von 10 Minuten (die im ländlichen Raum einfach üblich ist) wahrscheinlich nichts mehr zu retten gewesen.

Und dementsprechend haben hier die Ersthelfer den maßgeblichen Unterschied zwischen “Überleben mit guten neurologischen Outcome” und “mausetot” gemacht.

Leider wird immer noch zu selten geholfen, wenn Not am Mann ist – sei es aus Angst vor Fehlern, aus Scham, dem Bystander-Effekt oder nur schlichten Unwissen. Und das ist sehr schade.

Es sei daher jedem geraten: die Investition von einem Tag Zeit und 35 € in einen Erste-Hilfe-Kurs – und sei esnur” alle zwei Jahre – wäre ein erheblicher Beitrag dazu, solche Erfolgsgeschichten wesentlich öfter wiederholen zu können. Maxime: Wiederbelebung ist einfach!

Man bedenke: der Großteil aller Notfällte betrifft keine Fremden – meist sind es Familie, Freunde, Bekannte und Kollegen, denen man das Leben retten kann. Am häufigsten finden Kreislaufstillstände nämlich im häuslichen Umfeld statt.

Es könnten jährlich (!) bis zu 10.000 Leben zusätzlich durch suffiziente Laienreanimation gerettet werden, so der O-Ton des Deutschen Rats für Wiederbelebung (GRC). Und daran müssen wir alle arbeiten.

Themen-Bundle

Dieser Beitrag ist Teil des Themen-Bundles “Reanimation”.

Interessenkonflikte

Der Autor gibt an, dass keine Interessenkonflikte bestehen.

Quellen

Deutscher Rat für Wiederbelebung (2020): Faktenblatt Wiederbelebung, Herz-Kreislaufstillstand, abgerufen unter https://www.grc-org.de/files/ShopProducts/download/GRC-PosterA2_Faktenblatt.pdf am 10.09.2021

SaniOnTheRoad (2019): Die Herz-Lungen-Wiederbelebung durch Ersthelfer, abgerufen unter http://saniontheroadcom/die-herz-lungen-wiederbelebung-durch-ersthelfer/ am 03.02.2022

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Über SaniOnTheRoad

Wenn der Ersthelfer den Unterschied macht

SaniOnTheRoad

Notfallsanitäter, Teamleiter und Administrator des Blogs. Vom FSJler über Ausbildung bis zum Haupt- und Ehrenamt im Regelrettungsdienst und Katastrophenschutz so ziemlich den klassischen Werdegang durchlaufen. Mittlerweile beruflich qualifizierter Medizinstudent im vorklinischen Abschnitt. Meine Schwerpunkte liegen auf Ausbildungs- und Karrierethemen, der Unterstützung von Neueinsteigern, leitliniengerechten Arbeiten sowie Physiologie, Pathophysiologie, Pharmakologie und EKG für den Rettungsdienst. Mehr über mich hier.


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