Das Ausbildungs-Dilemma

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Rettungsdienst aktuell – Themen die den Rettungsdienst, seine Mitarbeiter und Interessierte beschäftigen. Von leitliniengerechter Arbeit bis zur gesellschaftskritischen Diskussion.

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Die Ausbildung zum Notfallsanitäter ist eigentlich nicht mehr so ganz „jung“ – in diesem Jahr ist das NotSanG und die NotSan-APrV zehn Jahre alt geworden.

Dementsprechend kann man wirklich nicht mehr behaupten, dass die Ausbildung noch in den Kinderschuhen steckt; es wurden schließlich schon mehrere Jahrgänge ausgebildet und eigentlich sollte man so langsam den Dreh raushaben, was man braucht.

Ein Blick in die rettungsdienstliche Realität sieht dann doch meist eher ernüchternd aus…

Es tun sich einfach neue Probleme auf, und zwar solche, die zumindest ich so nicht erwartet hätte.

Die Ausbildung heute

Eigentlich könnte ich sagen: die NFS-Azubis, die heute in die Ausbildung starten, kriegen die bestmögliche Ausbildung, die man sich vorstellen kann.

Allein in Anbetracht dessen, was „unsere“ Rettungsdienstschule leistet, könnte man neidisch werden. Auch mit Rückblick auf meine Ausbildung, die doch noch nicht so lange zurückliegt.

Es werden mehrere Wochen mit der Feuerwehr Einsatztaktik in der Praxis trainiert, angefangen bei Bränden über Verkehrsunfälle über MANV-Lagen bis hin zur Rettung aus unwegsamen Gelände. Ein unglaublicher Aufwand wird betrieben, um selbst komplexe Situationen in der Ausbildung darstellen zu können.

Dann kommt entsprechend noch das Simulationszentrum on top – sowohl traumatologisch, als auch internistisch, als auch pädiatrisch bis hin zur Geburtssimulation. Anfangen tut das Ganze mit allen erdenklichen Skilltrainings bis hin zum Fallbeispiel am sündhaft teuren Simulator, an dem man so ziemlich alles machen und darstellen kann, was das Retterherz begehrt. Am Ende gibt es dann auch noch eine videogestützte Nachbesprechung.

Über Aufwand und vor allem auch Kosten des Ganzen braucht man kaum zu diskutieren. Und man mag von Rettungsdienstschulen halten was man will, aber: dass in die Ausbildung nicht investiert wird, kann man wahrlich nicht behaupten.

Da wirken die gestellten Tablet-Computer und der eRef-Zugang fast schon wie Peanuts…

Wenn man das alles betrachtet, könnte man zum Schluss kommen: es verlassen jedes Jahr dutzende Diamenten der Notfallmedizin die Rettungsdienstschulen, einer überragender als der andere, mit allen Wassern gewaschen und auf jede Situation vorbereitet.

Und dann kommt das Primat der Realität zum Tragen…

Das Problem

In der Realität sieht die Performance dann doch ernüchternder aus. Und das in einem Maße, dass sogar mich schockieren kann.

Klar, es ist nicht möglich, alles zu wissen – und Auszubildende sind nun einmal da, um zu lernen.

Die Frage von Azubis im dritten Lehrjahr (die in diesem Jahr ihren Abschluss haben und im Anschluss eigenverantwortlich Notfallpatienten versorgen werden), was denn eigentlich „innerviert“ bedeutet, hat dann doch meine Kinnlade herunterklappen lassen.

Oder das Scheitern an einfachen Definitionen, gerne am Beispiel des Akuten Koronarsyndroms – als Antwort erhält man entweder die Pathophysiologie (und keine Definition) der Myokardischämie oder die Definition des Myokardinfarkts. Ersteres beantwortet die Frage nicht, letzteres ist einfach eine falsche Antwort.

In Praxis und in Fallbeispielen wird gerne die hochtrabende medikamentöse Therapie gewählt, Basismaßnahmen werden unzureichend durchgeführt oder einfach ganz vergessen.

Argumentationsgrundlage sind in den allermeisten Fällen genau zwei Dinge: der Ausbildungsalgorithmus und der Lehraussagenkatalog der BFS.

Sowohl die Algorithmen, als auch der Lehraussagenkatalog sind grundsätzlich sinnvolle Hilfestellungen und durchaus prüfungsrelevant. Man darf allerdings nicht vergessen, dass diese weder eigene Entscheidungen noch die eigene Argumentation obsolet machen – aber genau das passiert in der Praxis.

Während man bei den Algorithmen wirklich noch sagen kann, dass dies wirklich das handlungsrelevante Maß der Dinge ist, muss man beim Lehraussagenkatalog vorsichtiger sein. Dieser hat absolut nicht den Anspruch, die einzige Wahrheit gepachtet zu haben und Abweichungen davon sind nicht zwangsläufig falsch. Sie müssen begründet werden. Die Schwarz-Weiß-Malerei ist in der Medizin und in der Notfallmedizin insbesondere nicht sinnvoll.

Der Lehraussagenkatalog ist eine Hilfestellung – kein Dogma, kein Gesetz. Eine Argumentation des eigenen Handelns sollte sich dementsprechend nicht auf den Lehraussagenkatalog beschränken und diesen nicht als einzigen Grund aufführen. Das fiktive und humoristische Gedankenexperiment, dass die Aufnahme des Passus „Bestehen der Prüfung nur, wenn im traumatologischen Fallbeispiel das linke Auge des Prüflings mit einem rosa Venenverweilkatheter punktiert wurde“ dazu führen würde, dass vorneweg ein Drittel der Azubis sich vor dem Prüfungsfallbeispiel das Auge punktieren würde, passt recht gut dazu.

Gerade in der praktischen Ausbildung im Einsatz kommt zum Tragen: was machen wir, wenn der Algorithmus am Ende ist, aber der Patient noch da? Oder es für die Situation X einfach keinen passenden Algorithmus gibt?

So etwas kommt ja durchaus vor – und genau an diesen Stellen ist Hintergrundwissen der entscheidende Faktor, der die eigene Handlungsfähigkeit bewahrt. Und das, worüber viele erheblich stolpern.

Die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit klafft hier weit auseinander – und sie wird (subjektiv) eher größer, als kleiner.

Die Entwicklung des Notfallsanitäters vom Beruf zur Profession – wie es die progressiv eingestellten Kollegen anstreben – wird auf diese Weise nicht erfolgen. Mehr noch: man macht aus meiner Sicht hier mehr Rück- als Fortschritte.

Von dem kompetenten Spezialisten der Notfallmedizin in allen Situationen entwicklen wir uns eher Richtung „Algorithmen- und Checklisten-Abhaker“. Und so wichtig diese Dinge auch sind, so wichtig ist auch ein darüber hinausgehendes berufliches Selbstverständnis.

Zu diesem beruflichen Selbstverständnis gehört mehr als ein paar schöne Leitsätze. Es gehören ebenfalls (und noch viel mehr) die Einordnung der eigenen Tätigkeit und Kompetenz gegenüber Kollegen, Ärzten, Klinikpersonal und den Patienten als Teil des Gesundheitswesens dazu.

Das bloße Durchgehen von Algorithmen und die eher überschaubaren, häufig angewendeten Skills machen keinen dreijährigen Gesundheitsfachberuf aus.

Fazit

Wir müssen uns die Frage stellen, wo die Reise mit dem Notfallsanitäter hingehen soll – und eigentlich ist das Ziel doch recht eindeutig. Nur der Weg dorthin…der passt im Moment eher weniger.

Wir diskutieren über Reformen, Studiengänge, Kompetenzerweiterungen und klagen über Profilneurosen. Und zugleich werden wir dem Anspruch, den wir an uns selbst stellen, oft nicht gerecht.

Ob es an den Berufsfachschulen liegt? Oder den Lehrrettungswachen? Oder lokalen Regelungen? Oder es einfach die Folgen der Generation Z im Rettungsdienst ist? Schwer zu sagen.

Vielleicht wäre es sinnvoller, den Fokus wieder mehr auf die Kernkompetenzen und damit einhergehend das berufliche Selbstverständnis zu legen.

Interessenkonflikte

Der Autor gibt an, dass keine Interessenkonflikte bestehen.

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Über SaniOnTheRoad

Das Ausbildungs-Dilemma

SaniOnTheRoad

Notfallsanitäter, Teamleiter und Administrator des Blogs. Vom FSJler über Ausbildung bis zum Haupt- und Ehrenamt im Regelrettungsdienst und Katastrophenschutz so ziemlich den klassischen Werdegang durchlaufen. Mittlerweile beruflich qualifizierter Medizinstudent im vorklinischen Abschnitt. Meine Schwerpunkte liegen auf Ausbildungs- und Karrierethemen, der Unterstützung von Neueinsteigern, leitliniengerechten Arbeiten sowie Physiologie, Pathophysiologie, Pharmakologie und EKG für den Rettungsdienst. Mehr über mich hier.

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