Was sind eigentlich Bagatelleinsätze?

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Rettungsdienst aktuell – Themen die den Rettungsdienst, seine Mitarbeiter und Interessierte beschäftigen. Von leitliniengerechter Arbeit bis zur gesellschaftskritischen Diskussion.

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Heute widmen wir uns einem der leidigsten Themen, die der Rettungsdienst zu bieten hat: Bagatelleinsätzen.

Wahrscheinlich wird kaum ein Thema, welches den Rettungsdienst betrifft, medial so breit getreten wie dieses – in guter Regelmäßigkeit erscheinen irgendwelche Berichte darüber und auch völlig Fachfremde geben ihre Meinung zum besten.

Aber auch aus fachlicher Sicht kann man durchaus sagen, dass es Bagatelleinsätze gibt – und sie durchaus ein Problem darstellen.

Bagatelleinsätze kommen oft aus dem Bereich der psychosozialen Notfälle und sind oft genug ein typischer Garant für Fehlfahrten.

Trotz allem: eine einheitliche Begriffsdefinition sucht man noch vergebens.

Die Begriffsdefinition

Selbst Fachartikel, die sich genau mit diesem Thema auseinandersetzen, tun sich schwer, eine einheitliche Definition zu finden.

Einigkeit herrscht zumindest in dem Punkt, dass Bagatelleinsätze ein Fall der „inadäquaten Inanspruchnahme medizinischer Dienstleistungen“ im Falle des Rettungsdienstes sind. Ansonsten erscheint es auch hier schwierig, Bagatelleinsätze von anderen Einsatzarten abzugrenzen.

Am einfachsten erscheint die Abgrenzung wohl noch von den „Tracerdiagnosen“ – klar festgelegte, zeitkritische Notfallbilder mit akuter oder drohender Lebensgefahr.

Schwieriger wird hingegen die Abgrenzung von niedrigpriorisierten Einsätzen, welche zwar durchaus eine Indikation für den Rettungsdienst darstellen können, aber keiner besonderen Dringlichkeit unterliegen.

Letztendlich scheint es sinnvoll, Bagatelleinsätze anhand verschiedener, typischer Merkmale zu definieren:

Wenn man sich also auf eine Arbeitsdefinition einigen müsste, würde sich z.B. folgendes anbieten:

„Bagatelleinsätze sind nicht zeitkritische Einsätze ohne drohende oder akute Lebensgefahr, die aus medizinischer Sicht keiner speziellen rettungsdienstlichen Versorgung bedürfen.“

Die Häufigkeit

Um es vorneweg zu nehmen: Statistiken, welche sich mit der Häufigkeit von Bagatelleinsätzen dediziert beschäftigen…gibt es nicht. Man kann höchstens aus der Anzahl der Fehlfahrten und ambulanten Versorgungen durch den Rettungsdienst grob subsumieren, in welchem Bereich sich das bewegt.

Relativ häufig findet man hierbei Werte um die 25 % der Einsätze – gleichermaßen muss beachtet werden, dass nicht jede Fehlfahrt und nicht jede ambulante Versorgung automatisch ein Bagatelleinsatz ist.

Bringt man die – zugegebenermaßen nicht belastbare – anekdotische Evidenz mit ins Spiel, könnte man bezüglich der Häufigkeit etwas nach unten korrigieren. Eine Schätzung (mehr ist nicht möglich) von rund 20 % halte ich für realistisch – das wäre immer noch jeder fünfte Einsatz.

Ich würde es mir tatsächlich anmaßen zu postulieren: der Anteil von Bagatelleinsätzen, „richtigen“ Notfällen und sonstigen indizierten Einsätzen ist flächendeckend recht konstant. So kommt es dazu, dass in Gebieten mit hohem Einsatzaufkommen auch entsprechend, in absoluten Zahlen gesehen, mehr Bagatelleinsätze gefahren werden.

Die Häufigkeit der Bagatelleinsätze stellt aber unabhängig vom Einsatzaufkommen ein Problem dar.

Die Problematiken der Bagatelleinsätze

Der Grund, weshalb Bagatelleinsätze ein Ärgernis darstellen, ist: sie bringen einfach mehrere Probleme mit sich.

Sehr augenscheinlich ist dabei: sie blockieren unnötig Ressourcen. Der Rettungsdienst wird zwar bedarfsorientiert aufgestellt, unendliche Reserven zur „Spitzenabdeckung“ sind allerdings meist nicht vorhanden.

Während ein RTW (und ggf. ein NEF) bei einer Lappalie sind, können sie keinen anderen Einsatz wahrnehmen – wo sie wohlmöglich dringend erforderlich wären. Auch Bagatelleinsätze verursachen grundsätzlich einen nicht unerheblichen Zeitaufwand – Untersuchung, Anamnese, ggf. Beratung, Entscheidungsfindung, ggf. die Vermittlung an passendere Hilfsangebote und die Dokumentation kosten gezwungenermaßen Zeit.

Es dauert also, oft genug genauso lang wie ein regulärer Einsatz, bis die Rettungsmittel wieder verfügbar sind.

Gleichermaßen kosten sie auch einfach Geld. Werden Bagatellfälle transportiert, gehen die Kosten zu Lasten der Krankenkasse und damit zu Lasten der Solidargemeinschaft. Fehleinsätze werden nur vergleichsweise selten dem Verursacher in Rechnung gestellt – sie gehen dann im Großteil der Fälle ebenfalls (indirekt) zu Lasten der Solidargemeinschaft.

Wenn man etwas weiter ausholt kommt man durchaus auch beim Rettungsdienstpersonal selbst an – Bagatelleinsätze gelten als ein typischer Frustrationsgrund. Zum einen, weil man dafür weder zuständig, noch gezielt ausgebildet, noch ausgerüstet ist – zum anderen, weil sie eine zusätzliche, vermeidbare Arbeitsbelastung darstellen.

Gerade in Gebieten mit hoher Auslastung – und dementsprechend vielen Einsätzen – können Bagatelleinsätze durchaus zur Belastung werden und oft genug die Motivation darunter leiden lassen.

Man stumpft in gewisser Weise ab und es ist ein (für mich sogar nachvollziehbarer) Hang zur notorischen Unzufriedenheit mit der Arbeit im Rettungsdienst zu erkennen. Ein gewisses Risiko, den vielleicht nicht ganz so offensichtlichen Notfall in einer Reihe von Nicht-Notfällen zu identifizieren, besteht dabei durchaus.

Was ist die Lösung?

Der Punkt, den man sowohl amüsant als auch traurig finden kann, ist: die Lösungsvorschläge, die zielführend und praktikabel wären, sind grundsätzlich nicht neu.

Vieles davon wurde auch schon im Reformkonzept des Rettungsdienstes mit aufgegriffen.

Grundsätzlich beruhen die Lösungsansätze auf zwei „Säulen“ – einmal der Anpassung des Angebots, einmal den Ansatz in der Bevölkerung.

Das Schaffen von Angeboten unterhalb der Rettungsdienstschwelle – seien es nun Gemeindenotfallsanitäter, Gemeindeschwestern, der Ausbau des ärztlichne Bereitschaftsdienstes oder eine Kombination aus all diesen – ist nicht nur sinnvoll, sondern scheint sogar dringend notwendig zu sein.

In eine ähnliche Kerbe schlägt die Schaffung von integrierten Notfallzentren, die vor allem eine Steuerungsfunktion im klinischen Bereich haben.

Telemedizinische Angebote könnten durchaus eine Ergänzung sein; wenngleich sie keinen vollständigen Ersatz bieten – die französischen Rettungsleitstellen machen es vor.

Gleichermaßen muss der Fokus auch auf dem (vielleicht ebenso leidigen) Thema der Gesundheitskompetenz der Bevölkerung liegen.

Egal, wie gut und wie umfassend die Versorgungsangebote und Möglichkeiten sind – man wird sie stets durch eine inadäquate Inanspruchnahme an die Grenzen des Machbaren bringen.

Interessenkonflikte

Der Autor gibt an, dass es sich bei den verlinkten Büchern um Affiliate-Links handelt. Es entstehen keine zusätzlichen Kosten bei der Bestellung über den Link. Eine Einflussnahme bei der Auswahl der Literatur ist dadurch nicht erfolgt. Siehe auch: Hinweise zu Affiliate-Links.

Der Autor gibt an, dass keine Interessenkonflikte bestehen.

Quellen

Breuer F., Dahmen J. (2023): „Fehleinsätze“ im Rettungsdienst – Notwendigkeit einer einheitlichen Begriffsdefinition und Abgrenzung zu Bagatelleinsätzen, Notfall Rettungsmed 2023 · 26:345–348, abgerufen unter https://link.springer.com/article/10.1007/s10049-023-01166-5 am 27.05.2024. DOI 10.1007/s10049-023-01166-5

Dietz-Wittstock M. et al. (2022): Notfallpflege – Fachweiterbildung und Praxis, 1. Auflage. Springer-Verlag GmbH, Berlin. ISBN 978-3-662-63460-8. DOI 10.1007/978-3-662-63461-5. Hier erhältlich: https://amzn.to/3KixR3K Affiliate-Link

SaniOnTheRoad (2024): Gesundheitskompetenz, abgerufen unter https://saniontheroad.com/gesundheitskompetenz/ am 27.05.2024

SaniOnTheRoad (2023): Zur Diskussion: Reformkonzept des Rettungsdienstes, abgerufen unter https://saniontheroad.com/zur-diskussion-reformkonzept-des-rettungsdienstes/ am 27.05.2024

SaniOnTheRoad (2022): Fragen an einen Rettungsdienstler IV, abgerufen unter https://saniontheroad.com/fragen-an-einen-rettungsdienstler-iv/ am 27.05.2024

SaniOnTheRoad (2021): Fehleinsätze und Fehlfahrten im Rettungsdienst und ihre Kosten, abgerufen unter https://saniontheroad.com/fehleinsatze-und-fehlfahrten-im-rettungsdienst-und-ihre-kosten/ am 27.05.2024

SaniOnTheRoad (2020): Psychosoziale Notfälle im Rettungsdienst, abgerufen unter https://saniontheroad.com/psychosoziale-notfalle-im-rettungsdienst/ am 27.05.2024

SaniOnTheRoad (2020): Der ärztliche Bereitschaftsdienst, abgerufen unter https://saniontheroad.com/der-arztliche-bereitschaftsdienst/ am 27.05.2024

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Über SaniOnTheRoad

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SaniOnTheRoad

Notfallsanitäter, Teamleiter und Administrator des Blogs. Vom FSJler über Ausbildung bis zum Haupt- und Ehrenamt im Regelrettungsdienst und Katastrophenschutz so ziemlich den klassischen Werdegang durchlaufen. Mittlerweile beruflich qualifizierter Medizinstudent im klinischen Abschnitt des Studiums. Meine Schwerpunkte liegen auf Ausbildungs- und Karrierethemen, der Unterstützung von Neueinsteigern, leitliniengerechten Arbeiten sowie Physiologie, Pathophysiologie, Pharmakologie und EKG für den Rettungsdienst. Mehr über mich hier.


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