Rettungsdienst aktuell – Themen die den Rettungsdienst, seine Mitarbeiter und Interessierte beschäftigen. Von leitliniengerechter Arbeit bis zur gesellschaftskritischen Diskussion.
Inhaltsverzeichnis
- Worum geht es?
- Was sind Algorithmen?
- Ein Blick auf die Musteralgorithmen für RS
- Diskussion und Einschätzung
- Fazit
Worum geht es?
Der Deutsche Berufsverband Rettungsdienst – kurz DBRD – ist seit vielen Jahren für die Musteralgorithmen für Notfallsanitäter bekannt, welche oftmals als Ausbildungsgrundlage dienen und mancherorts, mal mehr, mal weniger adaptiert, auch als lokale Behandlungsalgorithmen eingeführt wurden.
Das ging nun einige Jahre so und man kann durchaus behaupten: unterm Strich sind diese durchaus etabliert – auch wenn, wie immer, der ein oder andere Punkt diskutabel ist.
Nun, und heute ploppten auf der Facebookseite des DBRD erstmals die Musteralgorithmen für Rettungssanitäter auf – mit prompt folgender Diskussion. Und ja, über einige Punkte müsste man durchaus reden…
Was sind Algorithmen?
Vielleicht als leichteren Einstieg in das Thema bieten sich die Frage nach dem „Was ist das überhaupt?“ durchaus an.
Algorithmen sind letztendlich nichts anders als festgelegte Handlungsempfehlungen für bestimmte Situationen – das kann sehr allgemein gehalten sein (z.B. xABCDE-Herangehensweise bei jedem Notfallpatienten) oder speziell erfolgen (bei bestimmten Zuständen oder Krankheitsbildern).
Sinn und Zweck des Ganzen ist es, einerseits eine standardisierte Versorgung zu ermöglichen, andererseits auch komplexe(re) Behandlungen und Entscheidungsvorgänge möglichst greifbar darzustellen.
Je nachdem, wer und wozu Algorithmen veröffentlicht, können es reine Ausbildungsalgorithmen sein (also Abläufe, welche in der Ausbildung gelehrt und geprüft werden) oder eben zusätzlich Behandlungsalgorithmen, welche nach entsprechender lokaler Freigabe auch tatsächlich am Patienten angewendet werden sollen respektive dürfen.
Musteralgorithmen sind per se reine Ausbildungsalgorithmen – und damit nicht für die unmittelbare Anwendung am Patienten gedacht.
Bei Algorithmen soll einerseits der Stand von Wissenschaft und Technik, andererseits auch das Fähigkeitenspektrum des Anwenders sowie die Rechtslage berücksichtigt werden.
Ein Blick auf die Musteralgorithmen für RS
Die Algorithmen möchte ich natürlich nicht vorenthalten:
Musteralgorithmen für Rettungssanitäter
In sehr ähnlicher Aufmachung zu den Musteralgorithmen für Notfallsanitäter kommen die entsprechenden Algorithmen für Rettungssanitäter daher – nur eben auf 52 statt auf 126 Seiten. Ansonsten fällt der prinzipiell gleiche Grundaufbau, von Vorwort bis zu den Erläuterungen auf.
Und natürlich die Algorithmen, die mindestens titelseitig denen für Notfallsanitäter entsprechen.
Man muss zugute halten: ein entsprechender Hinweis, wie mit diesen Musteralgorithmen umzugehen ist, findet sich noch vor dem Vorwort –
Diese Musteralgorithmen dienen ausschließlich Ausbildungs- und Informationszwecken.
– was mit Hinblick auf den weiteren Inhalt durchaus dringend geboten scheint. Und auch das obligatorische, aber völlig übliche
Der DBRD kann in keiner Weise zivil- oder strafrechtlich haftbar gemacht werden für Verluste, Schäden und Verletzungen an Personen oder Eigentum.
sollte einem durchaus zu denken geben.
Denn es fällt unmittelbar auf: die Musteralgorithmen sind inhaltlich gänzlich anders, als ich – und wohl genügend andere – es erwartet hätten.
Neben Basisalgorithmen wie der Entscheidungsfindung, ob weitere Kräfte erforderlich sind, der Entscheidungsfindung beim Traumapatienten, der Sauerstoffgabe oder dem Erkennen des kritisch kranken Kindes findet man vor allem…ziemlich viele invasive Maßnahmen.
Und da darf man Diskussionsbedarf sehen. Dringend. Allein 11 Medikamente wären in der derzeitigen Fassung für Rettungssanitäter vorgesehen.
Siehe auch
Diskussion und Einschätzung
Es wirkt aus vielerlei Hinsicht wie in einem falschen Film…
Zum einen tritt ein Berufsverband, in dem die Rettungssanitäter fast nicht erwähntes „Beiwerk“ sind, nun mit Algorithmen für diese auf. Zum anderen kommt das Gefühl auf, dass die Algorithmen völlig an jeder Realität vorbeilaufen – gerade in Anbetracht der Problematik invasiver Maßnahmen durch Rettungssanitäter.
An den Sätzen
Andererseits müssen sie oftmals Patienten zunächst alleine versorgen, bis weitere Hilfe mit RTW zur Verfügung steht. Dies kann eintreten, wenn beispielsweise KTW zur Erstversorgung entsandt werden, wenn Notfall-KTW-Systeme genutzt werden oder wenn sich im Krankentransport herausstellt, dass ein erweiterter Behandlungsbedarf besteht. In diesen Situationen muss der Patient mit seinem individuellen Versorgungsbedarf im Vordergrund der Betrachtung stehen und die Rettungssanitäter als Teil der Daseinsvorsorge müssen hier eine Grundversorgung realisieren.
ist ja durchaus etwas Wahres dran. Rettungssanitäter kommen durchaus in die Verlegenheit, mal alleine bei Notfallpatienten zu stehen. Und, das darf man unterstreichen, durchaus in die Verlegenheit invasiver Maßnahmen kommen könnten. Unter dem Gesichtspunkt scheint es durchaus sinnvoll, auch für diese Fälle eine Regelung zu finden. Gehe ich mit d’accord.
Mit dem Folgesatz allerdings schon nicht mehr:
Da hier üblicherweise Lebensgefahr vorliegt oder wesentliche Folgeschäden drohen, sind Bedingungen des rechtfertigenden Notstandes üblicherweise als erfüllt zu betrachten und Verstöße gegen das HeilprG sind gerechtfertigt.
Das „sich auf den rechtfertigenden Notstand berufen“ setzt nicht nur entsprechenden Patientenzustand voraus. Es setzt auch voraus, dass alles andere – sprich Basismaßnahmen – erfolglos oder nicht durchführbar waren, Hilfe angefordert wurde…und man die Maßnahme sicher beherrscht. Es muss hier eine Risiko-Nutzen-Abwägung stattfinden; denn ein größeres Risiko durch die Maßnahme wäre entsprechend unverhältnismäßig.
Dieser Punkt kommt in den Algorithmen praktisch gar nicht heraus. Es liest sich wie eine Regelkompetenz. Und eine Erlaubnis zur Ausübung der Heilkunde hat der Rettungssanitäter in keinster Weise.
Das sichere Beherrschen setzt eine fachlich fundierte Ausbildung – insbesondere auch am Patienten – voraus. Dinge, die man in nach wie vor 520 Stunden Ausbildung schlicht nicht vernünftig abbilden kann.
Das gilt umso mehr, da einige der genannten Skills – wie der i.v.-Zugang – ein Mindestmaß an Praxis voraussetzen, um beherrscht zu werden. Schwierig bei lediglich zwei Wochen Klinik.
Es ist ja schön, dass man ASS beim Akuten Koronarsyndrom „freigeben“ möchte – dass ein nicht unerheblicher Teil der Rettungssanitäter keinerlei EKG-Interpretation beherrscht, wird außer Acht gelassen.
Es ist ja schön, dass man eine Analgesie mit Methoxyfluran freigeben möchte – dass wohl wenige Rettungssanitäter wirklich etwas mit der malignen Hyperthermie anfangen können und wohl fast keiner weiß, was CYP-Induktoren sind (und welche so auftreten können), wird außer Acht gelassen.
Es ist ja schön, dass man bei der Anaphylaxie auch Adrenalin i.m. freigeben möchte – was ich sogar noch als sinnvoll erachten würde – aber auch hier die intramuskuläre Applikation als „beherrscht“ voraussetzt, ohne, dass sie es ist, ist problematisch.
Dazu erscheint es an der ein oder anderen Stelle auch recht widersinnig: die „freigegebene“ Nitro-Gabe setzt auch hier einen sicheren i.v.-Zugang voraus – ASS soll dann aber bitte doch als Kautablette, trotz immensen First-Pass-Effekt, trotz verzögertem Wirkeintritt, gegeben wird.
Dass hier ein ganzes Bündel an Medikamenten und Maßnahmen genannt wird, während man bei uns beispielsweise ernsthaft diskutiert, sämtliche Medikamente und Materialien für den i.v.-Zugang vom Fahrzeug zu nehmen – weil praktisch nicht eingesetzt, und wenn eingesetzt, oft ohne korrekte Indikation – wirkt es schon ein wenig absurd.
Da ist die obligatorische Notarzt-Abneigung eigentlich schon vernachlässigbar. Auch im Anbetracht der Tatsache, dass eine derart kritische Situation, welche invasive Maßnahmen durch RettSan erfordert, eine Notarztindikation durchaus anzunehmen ist.
Wir haben mit der RettSan-APrV ja durchaus eine Vorgabe dessen, was ein Rettungssanitäter beherrschen muss – das ist die bundesweite Grundlage für die Rettungssanitäterausbildung, auf deren Grundlage auch Landesverordnungen geschaffen werden. Und das erschreckende ist: keine der genannten Maßnahmen taucht irgendwie dort auf – nicht einmal der venöse Zugang.
Da bleibt nur die Feststellung: man kann nicht davon ausgehen, dass ein Rettungssanitäter irgendeine der invasiven Maßnahmen, die in den Musteralgorithmen genannt werden, beherrscht – was die oberste Voraussetzung zur Anwendung wäre. Und so wird hier schlicht ein Schuh draus…
Fazit
Das Grundprinzip „Ausbildungsalgorithmen für Rettungssanitäter“ ist absolut befürwortenswert. Und ja, man darf da auch das Wort „invasive Maßnahmen“ in den Mund nehmen – aber ausschließlich unter der Prämisse des sicheren Beherrschens der einzelnen Maßnahme und eben als Ultima ratio.
Der Eindruck einer Regelkompetenz – die man nicht hat und die auch kein Berufsverband verleihen kann – darf hier einfach nicht aufkommen.
Man muss es an der Stelle wirklich nochmal betonen:
Diese Musteralgorithmen sind keine Freigabe!
Ganz ehrlich muss man da auch hinzufügen: und das ist auch gut so. In dieser Form halte ich die Maßnahmen für hochgradig bedenklich, um es milde auszudrücken. Direkt gesagt ist das in dieser Form eigentlich untragbar.
Diese Bandbreite an Maßnahmen sicher zu beherrschen ist im Rahmen der derzeitigen Rettungssanitäterausbildung meines Erachtens nicht möglich. Nein, auch nicht mit einem zweiwöchigen Zusatzkurs als „RS Plus“. Wenn man die RS-Ausbildung reformieren möchte und diese Inhalte integrieren: bitte – gerne! Dann muss aber auch das Wording anders sein.
Wenn irgendwann die Rettungssanitäterausbildung umfangreicher wird, kann man über diese Punkte reden. Gar keine Frage. Dann kann man nämlich das sichere Beherrschen der Maßnahmen auch voraussetzen. Und wenn man das sichere Beherrschen voraussetzen kann…könnte man auch über eine Regelkompetenz nachdenken.
In der hier dargestellten Form läuft es an der Realität des Rettungsdienstes in der breiten Fläche – seien es nun Kompetenzen, Ausstattung oder rechtliche Hürden – vorbei.
Interessenkonflikte
Der Autor gibt an, dass keine Interessenkonflikte bestehen.
Quellen
Ausschuss Rettungswesen (2019): Empfehlung für eine Verordnung über die Ausbildung und Prüfung von Rettungssanitäterinnen und Rettungssanitätern (RettSan-APrV) des Ausschusses Rettungswesen vom 11./12. Februar 2019, abgerufen unter https://saniontheroad.com/wp-content/uploads/2020/10/rettsan_aprv_11_12_februar_2019_1_.pdf am 16.08.2025
Bundesamt für Justiz (2016): Heilpraktikergesetz in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 2122-2, veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch Artikel 17e des Gesetzes vom 23. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3191) geändert worden ist, abgerufen unter https://www.gesetze-im-internet.de/heilprg/BJNR002510939.html am 16.08.2025
Deutscher Berufsverband Rettungsdienst e.V. (2025): Rettungssanitäter-Algorithmen 2025/2026 zur Regelung von Versorgungsmaßnahmen durch Rettungssanitäter, Version 1.0, abgerufen unter https://www.dbrd.de/images/algorithmen/DBRDAlgo25_V10Rettungssani_WEB1.pdf am 16.08.2025
Deutscher Berufsverband Rettungsdienst e.V. (2025): Musteralgorithmen 2025 zur Umsetzung des Pyramidenprozesses im Rahmen des NotSanG, Version 10.1, abgerufen unter https://www.dbrd.de/images/algorithmen/DBRDAlgo25_V10_1_WEB1_1.pdf am 16.08.2025
SaniOnTheRoad (2023): Zur Diskussion: Invasive Maßnahmen durch Rettungssanitäter, abgerufen unter https://saniontheroad.com/zur-diskussion-invasive-massnahmen-durch-rettungssanitaeter/ am 16.08.2025
SaniOnTheRoad (2023): Invasive Maßnahmen durch Rettungssanitäter, abgerufen unter https://saniontheroad.com/invasive-massnahmen-durch-rettungssanitaeter/ am 16.08.2025
SaniOnTheRoad (2021): Konzeptideen zum Rettungssanitäter, abgerufen unter https://saniontheroad.com/konzeptideen-zum-rettungssanitater/ am 16.08.2025
SaniOnTheRoad (2020): 1.13 Berufskunde für Rettungssanitäter II, abgerufen unter https://saniontheroad.com/1-13-berufskunde-fur-rettungssanitater-ii/ am 16.08.2025
SaniOnTheRoad (2019): „Kleines 1×1 des Rettungsdienstes“ – Teil 11: Was muss ein Rettungssanitäter können?, abgerufen unter https://saniontheroad.com/kleines-1×1-des-rettungsdienstes-teil-11/ am 16.08.2025
SaniOnTheRoad (2019): „Kleines 1×1 des Rettungsdienstes“ – Teil 2: Ausbildungen im Rettungsdienst, abgerufen unter https://saniontheroad.com/kleines-1×1-des-rettungsdienstes-teil-2/ am 16.08.2025
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