Zur Diskussion: Invasive Maßnahmen durch Rettungssanitäter

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Rettungsdienst aktuell – Themen die den Rettungsdienst, seine Mitarbeiter und Interessierte beschäftigen. Von leitliniengerechter Arbeit bis zur gesellschaftskritischen Diskussion.

Inhaltsverzeichnis


Die Lage in Kürze

Es kommt trotz mittlerweile über 350 Beiträgen auf dem Blog erstaunlich selten vor, dass ich eigene Beiträge zum „Diskussionsthema“ erhebe – bei einem Beitrag scheint es allerdings nun doch notwendig (oder zumindest sinnvoll) zu sein.

Es dreht sich hierbei konkret um den Beitrag „Invasive Maßnahmen durch Rettungssanitäter„, der Ende Februar veröffentlicht wurde und definitiv einer der aufrufstärksten Beiträge des Jahres war. Und einer der kontroversesten.

Die Bandbreite der Rückmeldungen ging hier in Form und Inhalt erstaunlich weit auseinander.

Ich kann getrost feststellen:

„Mit diesem Beitrag habe ich mir nicht nur Freunde gemacht“

In dem Beitrag dreht es sich um die Frage „Dürfen Rettungssanitäter invasive Maßnahmen ergreifen – und wenn ja, unter welchen Bedingungen?“. Eine durchaus praxisrelevante Frage, bei der die Meinungen sehr weit auseinandergehen.

Kernaussage des Beitrags ist: Sie dürfen es grundsätzlich nicht. Punkt. In bestimmten Situationen kann ein Verstoß allerdings gerechtfertigt sein; Konsequenzen drohen dann trotz Verstoß nicht. Eine Erlaubnis ist es trotzdem nicht.

Diese vergleichsweise harte Kernaussage in Verbindung mit den recht hoch angesetzten „Voraussetzungen“ für den rechtfertigenden Notstand als Rechtfertigungsgrund steht durchaus im Gegensatz zur Meinung einiger Kollegen – wenngleich die rechtlichen Grundlagen und die Betrachtung der rettungsdienstlichen Strukturen und Abläufe ziemlich eindeutig sind.

Der allgemeine Trend ist hier: die gesetzliche Aussage „Man darf es nicht“ wird in der rettungsdienstlichen Praxis über „Man darf es unter bestimmten Umständen“ zu „Man darf es“ verbogen. Das ist halt einfach falsch.

Invasive Maßnahmen stehen grundsätzlich mal unter Arztvorbehalt. „Dürfen“ darf es der Arzt und der Heilpraktiker.

Selbst der Notfallsanitäter ist hier eine Ausnahme der Regel und ein generelles Dürfen gibt es auch bei ihm nicht; es bleiben die eigenverantwortlichen heilkundlichen Maßnahmen nach § 2a NotSanG unter bestimmten Umständen – und die Delegation durch den Ärztlichen Leiter Rettungsdienst. Und das, obwohl Durchführung und Beherrschung invasiver Maßnahmen – im Gegensatz zum Rettungssanitäter – Bestandteil des Berufsgesetzes und der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung sind.

Ausbildungs- und Prüfungsverordnungen für Rettungssanitäter – entweder landesrechtlich geregelt oder die Empfehlungen auf Bundesebene – sehen dies schon nicht vor.

Also eigentlich doch ganz einfach, oder?

Warum die Diskussion?

Ja, in dieser sehr platten Betrachtung mag das tatsächlich ziemlich einfach sein, zumal im Beitrag entsprechende rechtliche Grundlagen dargelegt wurden.

Die Praxis schaut dann aber wieder anders aus…und ist Grund genug, mal zum Nachdenken anzuregen.

Wo liegt das Problem?

Angesichts der Aufrufzahlen und der Beitragszahl bekomme ich durchaus regelmäßig Rückmeldungen von Leserinnen und Lesern des Blogs – meist sehr positiv, aber auch durchaus kritische Rückmeldungen und Denkanstöße.

Gerade letzteres finde durchaus gut: nur so kann ich Potential ermitteln, was noch besser sein könnte. Oder ich erhalte Impulse für neue Beiträge. Oder ich kann Dinge nochmals anders beleuchten und Aussagen anpassen.

Auch ich habe keinen direkten Draht zur Wahrheit, auch ich kann durchaus irren – das finde ich nicht problematisch und bin durchaus dankbar, wenn ich auf entsprechende Punkte hingewiesen werde.

Auch bei den „Invasiven Maßnahmen durch Rettungssanitäter“ gab es entsprechende Rückmeldungen. Diesmal mit einem eher gespaltenen Grundtenor – verständlich bei dem Thema. Zwischen Lob und Verbesserungsvorschlägen bis zur begründeten Kritik war alles dabei.

Neu waren hier allerdings die „Ausreißer“, die tatsächlich in der Form noch nicht aufgetreten waren: schlechte Bewertungen ohne jede Begründung oder Verbesserungsvorschläge. Das ist tatsächlich für mich ein Grund zum Stutzen gewesen.

„Ich finde den Beitrag schlecht, kann aber nicht sagen, weshalb und ich kann auch nicht sagen, was geändert werden müsste“

Das ist mit so einer Bewertung letztendlich die Aussage, die man mir präsentiert. Und ich kann dann rätseln, was nun gemeint ist. Hält man die Grundlagen für falsch? Hält man die Schlussfolgerung für falsch? Gefällt einem das Beitragsbild nicht? Stört man sich an bestimmten Formulierungen? Oder ist man nur in seinem Ego gekränkt und hat gar keine wirklichen Gründe?

Man sollte das nicht falsch verstehen: man darf meine Beiträge selbstverständlich schlecht finden. So blöd es auch klingt. Um etwas daran zu ändern zu können, müsste ich aber schon wissen, was einen an dem Beitrag stört.

Das eine Problem Nummer 1 ist: bei diesen Themen, wo die vorherrschende Meinung doch recht stark von den Tatsachen abweicht, geht die Diskussion von einer sachlichen auf eine emotionale Ebene über.

So etwas halte ich einfach nicht für zielführend – es geht (zumindest mir) primär um die Sache an sich. Das soll auch so bleiben; dementsprechend erwarte ich sachliche und begründete Kritik.

Es darf sich jeder Mal selbst die Frage stellen, ob eine Rückmeldung im Stil von „Ich finde den Beitrag schlecht, kann aber nicht sagen, weshalb und ich kann auch nicht sagen, was geändert werden müsste“ für einen selbst professionell, aussagekräftig und zielführend ist. Und, welche Aussagekraft man dem Ganzen beimessen würde…

Das Problem Nummer 2 ist: bei Themen rund um die Kompetenz von Rettungsfachpersonal (und ganz besonders um die Grenzen der Kompetenz) tritt bei sehr vielen die rettungsdienstliche Profilneurose in den Vordergrund.

Auch wenn es für mich persönlich wenig nachvollziehbar ist, wie sich jemand durch einen sehr nüchternen Beitrag in der eigenen Kompetenz herabgewürdigt fühlen könnte, muss man auch die Möglichkeit in Betracht ziehen.

Dass die gesetzlichen Grundlagen genauso gelten, wenn ich diesen Beitrag nicht verfasst hätte, wird da schnell außer Acht gelassen. Und dass die gesetzlichen Grundlagen auch dann gelten, wenn man sie nicht „toll“ findet, ebenfalls.

So ein wenig Differenzierung zwischen „Ich finde die zugrundeliegende Tatsache schlecht“ und „Ich finde den Beitrag über die zugrundeliegende Tatsache schlecht“ würde manch einem gut tun.

Zur Einordnung

Man muss den Beitrag also unter Umständen doch einordnen…

Es geht mir wahrlich nicht darum, irgendjemand bestimmte Kompetenzen abzusprechen – aber es geht mir sehr wohl darum, bereits bestehende Grenzen der Kompetenz aufzuzeigen.

Damit macht man sich in den Kreisen des Rettungsdienstes nicht unbedingt Freunde. Grenzen aufgezeigt zu bekommen ist für manche nahezu eine persönliche Beleidigung.

Jeder hat Grenzen dessen, was er kann und was er darf – vom Sanitätshelfer im Ehrenamt über den Rettungssanitäter und Notfallsanitäter bis zum anästhesiologischen Oberarzt im Notarztdienst. Ausnahmslos jeder. Das ist weder eine „Schwäche“, noch ein persönlicher Angriff; sondern lediglich eine Tatsachenfeststellung.

Kompetent sein heißt auch, die Grenzen der eigenen Kompetenz zu kennen. Nichts anderes als die Grenzen und entsprechende Möglichkeiten aufzuzeigen tut entsprechender Beitrag. Die eigene Kompetenz zu hinterfragen ist etwas, was man völlig qualifikationsunabhängig tun sollte.

Da darf ich mir bei entsprechenden Rückmeldungen auch die Frage stellen, ob nun der Beitrag das Problem ist – oder doch die Profilneurose mancher Kollegen.

Persönliche Einschätzung

Eines der Dinge, die mich tatsächlich am Rettungsdienst stören (ja, das gibt’s), ist die fehlende Kritikfähigkeit und die Selbstreflexion. Erstaunlicherweise bin ich von diesen Faktoren auf dem Blog bislang weitestgehend verschont geblieben und auch kritische Beiträge wurden stets sachlich diskutiert.

Vor allem: ich kann damit leben, eine unpopuläre Meinung zu vertreten.

Mit entsprechenden Rückmeldungen – schlechte Bewertung, keine Begründung, keine Verbesserungsvorschläge – sagt man leider Gottes sehr viel über die eigene Kritifähigkeit, die eigene Selbstreflexion und die eigene Fachkompetenz aus.

Oder, ganz hart ausgedrückt: es ist ein Fall von „Ganz viel Meinung, ganz wenig Ahnung und überhaupt keinen Argumenten“ – was mich auf persönlicher Ebene unglaublich nervt, sich an fachlicher und inhaltlicher Aussagekraft allerdings in der völligen Bedeutungslosigkeit befindet. Meiner Meinung zurecht.

Ich freue mich auf Eure Rückmeldungen, Eure Kritik, Euren begründeten (!) Widerspruch zu meinen Aussagen und sowieso über alle Verbesserungsvorschläge. Genau dafür gibt es die

Interessenkonflikte

Der Autor gibt an, dass keine Interessenkonflikte bestehen.

Quellen

Ausschuss Rettungswesen (2019): Empfehlung für eine Verordnung über die Ausbildung und Prüfung von Rettungssanitäterinnen und Rettungssanitätern (RettSan-APrV) des Ausschusses Rettungswesen vom 11./12. Februar 2019, abgerufen unter https://saniontheroad.com/wp-content/uploads/2020/10/rettsan_aprv_11_12_februar_2019_1_.pdf am 29.10.2023

SaniOnTheRoad (2023): Invasive Maßnahmen durch Rettungssanitäter, abgerufen unter https://saniontheroad.com/invasive-massnahmen-durch-rettungssanitaeter/ am 29.10.2023

SaniOnTheRoad (2022): Die rettungsdienstliche Profilneurose, abgerufen unter https://saniontheroad.com/die-rettungsdienstliche-profilneurose/ am 29.10.2023

SaniOnTheRoad (2020): Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter vom 16. Dezember 2013 (BGBl. I S. 4280), die zuletzt durch Artikel 12 der Verordnung vom 7. Juni 2023 (BGBl. 2023 I Nr. 148) geändert worden ist, abgerufen unter https://saniontheroad.com/notsan-aprv/ am 29.10.2023

SaniOnTheRoad (2020): Notfallsanitätergesetz vom 22. Mai 2013 (BGBl. I S. 1348), das zuletzt durch Artikel 12 des Gesetzes vom 24. Februar 2021 (BGBl. I S. 274) geändert worden ist, abgerufen unter https://saniontheroad.com/notsang/ am 29.10.2023

SaniOnTheRoad (2019): „Kleines 1×1 des Rettungsdienstes“ – Teil 11: Was muss ein Rettungssanitäter können?, abgerufen unter https://saniontheroad.com/kleines-1×1-des-rettungsdienstes-teil-11/ am 29.10.2023

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Über SaniOnTheRoad

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SaniOnTheRoad

Notfallsanitäter, Teamleiter und Administrator des Blogs. Vom FSJler über Ausbildung bis zum Haupt- und Ehrenamt im Regelrettungsdienst und Katastrophenschutz so ziemlich den klassischen Werdegang durchlaufen. Mittlerweile beruflich qualifizierter Medizinstudent im vorklinischen Abschnitt. Meine Schwerpunkte liegen auf Ausbildungs- und Karrierethemen, der Unterstützung von Neueinsteigern, leitliniengerechten Arbeiten sowie Physiologie, Pathophysiologie, Pharmakologie und EKG für den Rettungsdienst. Mehr über mich hier.

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