Invasive Maßnahmen durch Rettungssanitäter

Rettungsdienst aktuell – Themen die den Rettungsdienst, seine Mitarbeiter und Interessierte beschäftigen. Von leitliniengerechter Arbeit bis zur gesellschaftskritischen Diskussion.

Vorwort

Der folgende Beitrag enthält ausgeprochen viel Juristerei und die Betrachtung fällt in der Praxis durchaus unterschiedlich aus.

Es handelt sich hierbei um individuelle Betrachtungen und Empfehlungen – dementsprechend soll der Beitrag nicht als Rechtsberatung oder juristische Interpretation betrachtet werden.

Inhaltsverzeichnis


Invasive Maßnahmen und die Grundsatzdiskussion

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„Was darf ein Rettungssanitäter?“

Die Grundsatzdiskussion ist wahrscheinlich so alt wie der Rettungssanitäter selbst: was darf ein Rettungssanitäter an Maßnahmen ergreifen?

Diese Diskussion wird seit Jahren immer wieder – und bisweilen hochgradig emotional – geführt. Dabei reicht die Bandbreite der Meinungen im Rettungsdienst von „invasive Maßnahmen sind (fast) kein Problem“ über „nur bestimmte Dinge in bestimmten Situationen“ bis „geht gar nicht“.

Rechtlich wird die Situation vom Rettungsfachpersonal hochgradig unterschiedlich bewertet und die angelegten Maßstäbe unterscheiden sich immens. Grund genug, dieses durchaus heikle Thema mal etwas näher zu beleuchten. Und das bringt uns unweigerlich zur Frage

Was sind eigentlich invasive Maßnahmen?

Invasive Maßnahmen

Invasive Maßnahmen sind grundsätzlich alle „in den Körper eingreifende“ Maßnahmen, darunter fallen beispielsweise

  • das Etablieren eines intravenösen oder intraossären Zugangs,
  • die Medikamentengabe,
  • die Atemwegssicherung mit Hilfsmitteln.

Prinzipiell fallen auch die Blutzuckermessung aus Kapillarblut (= Blutentnahme) oder die Gabe von Sauerstoff als Medikament darunter – nachdem hier allerdings der O-Ton von „grundsätzlich erlaubt“ ausgeht und sich die Diskussion kaum um diese Basismaßnahmen dreht, lasse ich sie in der Betrachtung außen vor.

In diesem Beitrag beschränken wir uns also primär auf die diskussionswürdigen invasiven Maßnahmen, die die „Regelkompetenz“ eines Rettungssanitäters üblicherweise überschreiten – und typischerweise unter den Arztvorbehalt fallen.

Regelkompetenz

An der Stelle sollte man sich vor Augen führen, was man eigentlich unter einer Regelkompetenz versteht:

Regelkompetenz

Die Regelkompetenz umfasst alle Maßnahmen, die erlernt wurden, beherrscht werden und entsprechend der Qualifikation regelhaft eigenverantwortlich durchgeführt werden dürfen (und sollen).

Im Grunde genommen ist die Regelkompetenz dabei eine Abgrenzung von der (juristisch irrelevanten) „Notkompetenzdefinition“ der Bundesärztekammer, welche bestimmte Maßnahmen in Ausnahmefällen empfohlen hat – dabei wurde sich allerdings auf die wesentlich umfangreicher ausgebildeten Rettungsassistenten bezogen.

Die Regelkompetenz umfasst somit alle erlernten Maßnahmen der jeweiligen Qualifikation, die ohne besondere Zusatzvoraussetzungen – wie bspw. akute Lebensgefahr – ausgeführt werden dürfen.

Die oben genannten invasiven Maßnahmen fallen bei Rettungssanitätern nach gängiger Auffassung nicht in die Regelkompetenz – die Empfehlung für eine Verordnung über die Ausbildung und Prüfung von Rettungssanitäterinnen und Rettungssanitätern (RettSan-APrV) des Ausschusses Rettungswesen vom 11./12. Februar 2019 definieren sie nicht als Ausbildungsziele.

Arztvorbehalt, straf- und zivilrechtliche Grundlagen

Judges desk with gavel and scales
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Und da wird es schlicht und ergreifend spannend: denn die juristischen Fallstricke hinsichtlich der invasiven Maßnahmen sind doch zahlreich vorhanden.

Ein großer Teil der invasiven Maßnahmen fällt unter den Begriff der heilkundlichen Maßnahmen. Die Heilkunde ist nämlich schlicht definiert als

Ausübung der Heilkunde im Sinne dieses Gesetzes ist jede berufs- oder gewerbsmäßig vorgenommene Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Krankheiten, Leiden oder Körperschäden bei Menschen, auch wenn sie im Dienste von anderen ausgeübt wird.

§ 1 Abs. 2 HeilprG

und es wird dahingehend verfügt, dass

Wer die Heilkunde, ohne als Arzt bestallt zu sein, ausüben will, bedarf dazu der Erlaubnis.

§ 1 Abs. 1 HeilprG

Um heilkundliche Maßnahmen – darunter auch praktisch alle der eingangs genannten invasiven Maßnahmen – durchführen zu dürfen, muss man Arzt sein (oder Heilpraktiker). Das ist der so genannte Arztvorbehalt.

Aus dieser Sicht besteht für den Rettungssanitäter schon hier keine gesetzliche Erlaubnis für eine heilkundliche Tätigkeit – für den Notfallsanitäter gibt es durch § 2a NotSanG eine entsprechende Ausnahme.

Noch etwas problematischer wird es bei der strafrechtlichen Betrachtung: invasive Maßnahmen wie ein i.v.-Zugang oder die Medikamentengabe erfüllen regelhaft den Straftatbestand der Körperverletzung (§ 223 StGB) oder der gefährlichen Körperverletzung (§ 224 StGB) – eine Einwilligung (oder mutmaßliche Einwilligung) des Patienten ist hier grundsätzlich zwingend nötig (§ 228 StGB).

Man kann sich also erstaunlich schnell durch die Durchführung invasiver Maßnahmen strafbar machen – das betrifft allerdings alle Qualifikationsstufen, nicht nur die des Rettungssanitäters.

Gleichzeitig besteht schlicht und ergreifend eine Hilfeleistungspflicht im Allgemeinen (§ 323c StGB) sowie eine Garantenstellung des Rettungsfachpersonals im Speziellen (§ 13 StGB).

Man befindet sich hier also zügig in einem Spannungsfeld zwischen „handeln müssen“ und „nicht handeln dürfen“ – oder eben zwischen dem Begehen einer Straftat durch aktives Handeln oder durch Unterlassen.

Aus zivilrechtlicher Sicht ist insbesondere die Haftung interessant: bei vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Handlungen haftet in der Regel der Durchführende persönlich.

Probleme der invasiven Maßnahmen durch Rettungssanitäter

Wir können also schon jetzt festhalten, dass das Ergreifen invasiver Maßnahmen durch Rettungssanitäter aus rechtlicher Sicht hochgradig problematisch ist.

Nun gibt es ein Argument, dass an dieser Stelle immer wieder vorgebracht wird – als „Ass im Ärmel“, als Chuck Norris der vermeintlichen rechtlichen Erlaubnis: der rechtfertigende Notstand.

Rechtfertigender Notstand

Gerne als Nonplusultra-Argument genommen, um im Zweifelsfall zahlreiche strafrechtliche Verstöße „auszuhebeln“ – der rechtfertigende Notstand ist quasi das Standardargument, um Rettungssanitätern in mehr oder weniger umfangreichen Maße invasive Maßnahmen zu gestatten.

Wahrscheinlich würde jeder Jurist bei der Aussage

„Im rechtfertigenden Notstand darf man alles“

hypertensiv entgleisen. Und diese Aussage kommt bisweilen sogar von Dozenten. Und sie ist so falsch, dass es nahezu weh tut.

Um es vorneweg zu nehmen: nein, der rechtfertigende Notstand nach § 34 StGB stellt keine Erlaubnis dar.

Der rechtfertigende Notstand ist ein Rechtfertigungsgrund, der – unter bestimmten Umständen – Straftatbestände aushebeln kann. Würde er etwas erlauben, hieße er „erlaubender Notstand“. Das tut er nicht.

Das ist ein immenser Unterschied, denn eine Erlaubnis bedeutet „etwas tun dürfen“ – bei einer Rechtfertigung darf man es nicht tun, man bleibt allerdings bei der Begehung (im Idealfall) straffrei.

Der rechtfertigende Notstand erlaubt nichts – er ist eine mögliche Rechtfertigung für rechtswidriges Verhalten.

Und da die Rechtfertigung eben an Bedingungen geknüpft ist, lohnt sich ein Blick in den Gesetzestext selbst:

Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt nicht rechtswidrig, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Dies gilt jedoch nur, soweit die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden.

§ 34 StGB

Hier haben wir mehrere Punkte, die von Relevanz sind – nämlich

  • eine gegenwärtige, nicht anders abwendbare Gefahr,
  • die Rechtsgüterabwägung und
  • die Verhältnismäßigkeit der Mittel.

Daraus kann man im Falle des rettungsdienstlichen Handelns mehrere Voraussetzungen ableiten.

Notwendigkeit

Der erste große Punkt ist die Notwendigkeit invasiver Maßnahmen an sich – für den rechtfertigenden Notstand muss erstmal objektiv eine „Notlage“ bestehen.

Da wäre zum einen der Punkt der gegenwärtigen Gefahr, der schon kritisch zu betrachten ist: zum Zeitpunkt der Durchführung muss eine tatsächlich vorhandene Gefahr für die Gesundheit oder das Leben des Patienten bestehen. Rein präventiv ergriffene Maßnahmen („Der Patient könnte sich verschlechtern“) erfüllen die Voraussetzung nicht.

Zum anderen wäre hier der Punkt „nicht anders abwendbar“ – das bedeutet im rettungsdienstlichen Kontext vor allem, dass andere Maßnahmen nicht zielführend waren (oder sind) und die Dringlichkeit der Durchführung keinen Aufschub duldet.

Implizit kann man zumindest mutmaßen, dass das gewählte Mittel auch für die tatsächlich Abwehr der Gefahr geeignet sein muss. Das bedeutet: die Gefahr muss durch die Maßnahme auch abgewehrt werden können, sprich die Gefahr auch beseitigen oder vermindern. Ist das nicht der Fall, muss man die ergriffene Maßnahme an sich schon infrage stellen: war sie dann wirklich notwendig?

Das kann man schön anhand von Praxisbeispielen erläutern:

Praxisbeispiel 1

Eine KTW-Besatzung wird als First Responder zu einer Amputationsverletzung einer Hand alarmiert, RTW und NEF brauchen voraussichtlich noch über 15 Minuten bis zum Eintreffen.

Der Patient blutet stark und wirkt auf den ersten Blick schockig, die betroffene Hand ist vollständig vom Unterarm abgetrennt.

Die Besatzung entscheidet sich für die Anlage eines Tourniquets, woraufhin die Blutung zum Stehen kommt und beginnt mit der rettungsdienstlichen Basisversorgung.


Praxisbeispiel 2

Eine KTW-Besatzung wird zu einem Lumbago (Rückenschmerzen) alarmiert. Der Patient ist atem- und kreislaufstabil, klagt bei Bewegung allerdings über starke Schmerzen, sodass ein Umlagern nicht möglich ist. In Ruhe sind die Schmerzen tolerabel (NRS 3). Neurologische Ausfälle bestehen nicht.

Es werden RTW und NEF zur Analgesie nachgefordert, ein Rettungssanitäter legt einen i.v.-Zugang und verabreicht eine Vollelektrolytlösung zum Offenhalten, bis die nachgeforderten Kräfte eintreffen.

Im ersten Fall stellt man fest: es bestand eine gegenwärtige Gefahr für Leib und Leben des Patienten, es bestand ein akuter Handlungsbedarf (Dringlichkeit), andere Maßnahmen wären nicht zielführender gewesen, und die gewählte Maßnahme hat die Gefahr erfolgreich abgewehrt. Das würde höchstwahrscheinlich als gerechtfertigt angesehen werden.

Dagegen muss im zweiten Fall feststellen: eine akute Gefahr für Leib und Leben bestand nicht, eine besondere Dringlichkeit der Maßnahme war bei tolerablen Schmerzen in Ruhe nicht gegeben, das Unterlassen von Bewegungen wäre als Basismaßnahme bis zum Eintreffen von RTW und NEF ausreichend gewesen, die Anlage des i.v.-Zugangs und die Verabreichung der VEL an sich hat die „Gefahr Schmerz“ nicht abgewehrt. Die Maßnahme ist an sich also schon infrage zu stellen.

Verhältnismäßigkeit

Der zweite große Punkt neben der bloßen Notwendigkeit ist die Verhältnismäßigkeit. Das betrifft sowohl die Verhältnismäßigkeit der betroffenen Rechtsgüter (Rechtsgüterabwägung), als auch die Verhältnismäßigkeit der Mittel.

Im Rahmen der Rechtsgüterabwägung muss man betrachten, welches Rechtsgut durch die Situation betroffen ist und welches Rechtsgut durch die eigene Handlung beeinträchtigt wird. Das geschütze Interesse (das ursprünglich betroffene Rechtsgut) muss das beeinträchtigte Rechtsgut wesentlich überwiegen.

Ein Verstoß gegen den Arztvorbehalt wäre zu rechtfertigen, wenn er der Abwehr akuter Lebensgefahr dient – ein Verstoß, der das Rechtsgut „Gesundheit“ schützen soll, aber das Rechtsgut „Leben“ gefährdet (z.B. durch unsachgemäße Maßnahmen), wäre es nicht.

Die Verhältnismäßigkeit der Mittel bedeutet nichts anderes als: es ist das am wenigsten invasive, erfolgversprechende Mittel zu wählen – gemäß dem Grundsatz „Basismaßnahmen vor erweiterten Maßnahmen“. Erst wenn ein Mittel keinen Erfolg hat (oder aller Voraussicht nach haben wird), soll zu „härteren“ Mitteln übergegangen werden.

Beispielsweise ist die Anlage eines i.v.-Zugangs und die Verabreichung von Glucose intravenös nicht gerechtfertigt, wenn der Patient wach ist, keine neurologischen Ausfälle hat und genauso gut Cola trinken oder ein Marmeladebrot essen kann. Das Mittel wäre hier nicht verhältnismäßig.

Empfehlungen für die rettungsdienstliche Praxis

Was, wann und wie?

Kommen wir nun zu dem Punkt, der die meisten wohl interessiert: wie kann man den Umgang mit invasiven Maßnahmen durch Rettungssanitäter in der Praxis sinnvoll gestalten?

Letztendlich gibt es einige Grundvoraussetzungen, die man in jedem Fall selbstkritisch hinterfragen und beachten muss:

Grundvoraussetzungen

  • die Maßnahme muss erlernt worden sein – das ist die Basis für alle weiteren Überlegungen. Dazu gehört eine grundsätzliche theoretische Schulung, ausreichendes Praxistraining und ggf. auch das Üben unter unmittelbarer Aufsicht am Patienten.
  • die Maßnahme muss beherrscht werden – dazu gehört die Fähigkeit zur sicheren Ausführung auch unter ungünstigen Bedingungen, die Fähigkeit zum Erkennen und das Management möglicher Komplikationen sowie eine ausreichende Routine.
  • man muss sich subjektiv in der Lage fühlen, die Maßnahme in der konkreten Situation durchführen zu können (Übernahmeverantwortung)
  • man muss objektiv in der Lage sein, die Maßnahme in der konkreten Situation lege artis durchführen zu können (Durchführungsverantwortung)
  • der Patient ist umfassend aufzuklären – dazu gehört die eigene Qualifikation mit dem Hinweis, dass keine Regelkompetenz besteht, der Grund für die Anwendung (Indikation), die Durchführung, mögliche Komplikationen und Alternativen
  • der Patient muss in die Maßnahme nach der Aufklärung einwilligen (Ausnahme: mutmaßliche Einwilligung)
  • ausführliche Dokumentation in einem Notfallprotokoll – dazu gehören der Patientenzustand, die Vitalparameter, die durchgeführten Maßnahmen, die Aufklärung und Einwilligung sowie die Verdachtsdiagnose

Weitergehend kann man dann zwei Fallunterscheidungen treffen, die sich dann doch etwas unterscheiden – nämlich die Durchführung invasiver Maßnahmen im Rahmen einer Delegation sowie die eigenverantwortliche Durchführung.

Delegation

Im Rahmen der Delegation wird die Maßnahme von einem Höherqualifizierten an den Rettungssanitäter delegiert – das ist in der Regel ein Arzt, meist der Notarzt. Gegebenenfalls wäre, sofern die Möglichkeit hierfür besteht, auch die Delegation durch einen Telenotarzt denkbar.

Ob der Notfallsanitäter, welcher selbst eine „Ausnahme“ hinsichtlich heilkundlicher Maßnahmen darstellt, Maßnahmen an einen Rettungssanitäter delegieren darf, ist – ungeachtet der rettungsdienstlichen Praxis – fraglich.

Grundsätzlich ist auch die „Vorabdelegation“ durch den Ärztlichen Leiter Rettungsdienst im Rahmen von Standardarbeitsanweisungen/SOPs/Behandlungsalgorithmen an Rettungssanitäter eine denkbare, aber insgesamt eher selten genutzte Möglichkeit.

Der Delegierende trägt hierbei die Anordnungsverantwortung (Prüfung der Indikation, Prüfung der Eignung des Durchführenden, ggf. Aufklärung des Patienten) – der Durchführende die Übernahme- und Durchführungsverantwortung.

Abgesehen von den oben genannten Grundvoraussetzungen sind hier meines Erachtens keine Besonderheiten zu beachten – solange die jeweilige Delegation befolgt wird. Im Rahmen der Delegation ist grundsätzlich kein rechtfertigender Notstand notwendig.

Eigenverantwortliche Durchführung

Interessanter wird dann allerdings die eigenverantwortliche Durchführung, wenn die Maßnahme nicht delegiert wurde und dementsprechend eigenverantwortlich durchgeführt wird – das wäre der klassische Fall des rechtfertigenden Notstands.

Hier obliegt die Indikationsstellung der Maßnahmen dem Rettungssanitäter selbst – und hier müssen zwingend die hohen Maßstäbe des § 34 StGB beachtet werden.

Zusätzlich zu den Grundvoraussetzungen gebe ich hier die Empfehlung bzw. sehe ich folgende Notwendigkeiten:

Eigenverantwortliche Durchführung – Voraussetzungen

  • Erfüllen der Grundvoraussetzungen für die Durchführung invasiver Maßnahmen,
  • akute Gefahr einer gesundheitlichen Schädigung,
  • RTW und/oder NEF wurden nachgefordert,
  • höher qualifiziertes Personal ist nicht oder nicht zeitnah verfügbar,
  • bereits erfolgte oder mögliche Basismaßnahmen sind nicht ausreichend,
  • es wurde ein Primary Survey und eine Notfallanamnese (SAMPLER), soweit möglich, erhoben.
  • die gewählte invasive Maßnahme ist das am wenigsten invasive Mittel,
  • die gewählte Maßnahme ist unmittelbar zur Abwehr der Gefahr geeignet,
  • es entstehen durch die Maßnahme keine neuen, größere Gefahren,
  • mögliche Komplikationen der Maßnahme werden durch den Durchführenden sicher beherrscht,
  • der Patient wurde entsprechend den „Grundvoraussetzungen“ situationsgerecht aufgeklärt und
  • sämtliche Maßnahmen wurden dokumentiert.

Ganz schön viel, oder?

Ja, manch ein Kollege wird sich denken, dass diese Voraussetzungen überzogen sind – der O-Ton „Dann kann ein Rettungssanitäter ja nie invasive Maßnahmen ergreifen“ kam und kommt da oft.

Das ist allerdings aus meiner Sicht auch vollkommen richtig so, denn: der Rettungssanitäter hat schlicht keine Regelkompetenz hinsichtlich der zu Beginn des Beitrags genannten invasiven Maßnahmen.

Der rechtfertigende Notstand ist – Nomen est omen – eine Ausnahmesituation als „Notstand“ und nicht der Regelfall, auch wenn solche Szenarien durchaus gerne konstruiert werden. Und die Fälle, wo man im rettungsdienstlichen Alltag wirklich von den Voraussetzungen ausgehen kann, sind nun einmal selten – aber trotzdem denkbar.

In der Praxis gilt zwar oft „wo kein Kläger, da kein Richter“ – wenn es allerdings irgendeinen Kläger gibt, wird man froh sein, die hier dargestellte strenge Interpretation der Maßstäbe angewandt zu haben. Als Richtschnur für die rettungsdienstliche Praxis sind sie meines Erachtens durchaus tauglich.

Literaturempfehlung

Luxem J., Runggaldier K. (2022): Rettungssanitäter Heute, 5. Auflage. Urban & Fischer Verlag/Elsevier GmbH.

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Interessenkonflikte

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Der Autor gibt an, dass keine Interessenkonflikte bestehen.

Quellen

Ausschuss Rettungswesen (2019): Empfehlung für eine Verordnung über die Ausbildung und Prüfung von Rettungssanitäterinnen und Rettungssanitätern (RettSan-APrV) des Ausschusses Rettungswesen vom 11./12. Februar 2019, abgerufen unter https://saniontheroad.com/wp-content/uploads/2020/10/rettsan_aprv_11_12_februar_2019_1_.pdf am 25.02.2023

Bundesärztekammer (1992): Stellungnahme der Bundesärztekammer zur Notkompetenz von Rettungsassistenten und zur Delegation ärztlicher Leistungen im Rettungsdienst, abgerufen unter https://band-online.de/notkompetenz-delegation-stellungnahme-der-baek-1992/ am 25.02.2023

Bundesamt für Justiz (2022): Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), das zuletzt durch Artikel 4 des Gesetzes vom 4. Dezember 2022 (BGBl. I S. 2146) geändert worden ist, abgerufen unter https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/BJNR001270871.html am 25.02.2023

Bundesamt für Justiz (2016): Heilpraktikergesetz in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 2122-2, veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch Artikel 17e des Gesetzes vom 23. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3191) geändert worden ist, abgerufen unter https://www.gesetze-im-internet.de/heilprg/BJNR002510939.html am 25.02.2023

SaniOnTheRoad (2022): Shortcut: Rettungssanitäter-Ausbildungs- und Prüfungsverordnungen, abgerufen unter https://saniontheroad.com/rettsan-aprv/ am 25.02.2023

SaniOnTheRoad (2020): 1.13 Berufskunde für Rettungssanitäter II, abgerufen unter https://saniontheroad.com/1-13-berufskunde-fur-rettungssanitater-ii/ am 25.02.2023

SaniOnTheRoad (2020): 1.4 Straf- und zivilrechtliche Grundlagen, abgerufen unter https://saniontheroad.com/1-4-straf-und-zivilrechtliche-grundlagen/ am 25.02.2023

SaniOnTheRoad (2020): Notfallsanitätergesetz vom 22. Mai 2013 (BGBl. I S. 1348), das zuletzt durch Artikel 12 des Gesetzes vom 24. Februar 2021 (BGBl. I S. 274) geändert worden ist, abgerufen unter https://saniontheroad.com/notsang/ am 25.02.2023

SaniOnTheRoad (2019): „Kleines 1×1 des Rettungsdienstes“ – Teil 11: Was muss ein Rettungssanitäter können?, abgerufen unter https://saniontheroad.com/kleines-1×1-des-rettungsdienstes-teil-11/ am 25.02.2023

SaniOnTheRoad (2019): „Kleines 1×1 des Rettungsdienstes“ – Teil 4: How to get started? Einstieg in den Rettungsdienst, abgerufen unter https://saniontheroad.com/kleines-1×1-des-rettungsdienstes-teil-4/ am 25.02.2023

SaniOnTheRoad (2019): „Kleines 1×1 des Rettungsdienstes“ – Teil 2: Ausbildungen im Rettungsdienst, abgerufen unter https://saniontheroad.com/kleines-1×1-des-rettungsdienstes-teil-2/ am 25.02.2023

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Über SaniOnTheRoad

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SaniOnTheRoad

Notfallsanitäter, Teamleiter und Administrator des Blogs. Vom FSJler über Ausbildung bis zum Haupt- und Ehrenamt im Regelrettungsdienst und Katastrophenschutz so ziemlich den klassischen Werdegang durchlaufen. Mittlerweile beruflich qualifizierter Medizinstudent im vorklinischen Abschnitt. Meine Schwerpunkte liegen auf Ausbildungs- und Karrierethemen, der Unterstützung von Neueinsteigern, leitliniengerechten Arbeiten sowie Physiologie, Pathophysiologie, Pharmakologie und EKG für den Rettungsdienst. Mehr über mich hier.


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