Rettungsdienst aktuell – Themen die den Rettungsdienst, seine Mitarbeiter und Interessierte beschäftigen. Von leitliniengerechter Arbeit bis zur gesellschaftskritischen Diskussion.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Die Notfallsanitäterausbildung ist prinzipiell recht anspruchsvoll, gemessen am Stand einer normalen, dreijährigen Berufsausbildung. Es muss dabei sowohl eine entsprechende Fach- als auch Handlungskompetenz erworben werden, nicht nur, um Lernziele zu erfüllen, sondern die am Ende des Tages nach der Ausbildung auch eine gute Arbeit am Patienten zu liefern.
Gerade der Punkt der Handlungskompetenz – und vorausgehend der Entscheidungskompetenz – ist etwas, was in einem normalen, schulischen Setting oder auch bei den üblichen Einsätzen auf der Rettungswache gar nicht so leicht zu bewerkstelligen ist.
Nicht jede Situation ist gut darstellbar und nicht jede Situation ist gleich gut trainierbar…und an manchen Punkten betreiben zumindest die Berufsfachschulen schon einen erheblichen Aufwand für ein realistisches Praxistraining – sei es mittels Simulationstraining in entsprechenden Zentren oder mittels mehrtägiger Stationsübungen mit der Feuerwehr.
Der eigentliche Berufsalltag bleibt dabei aber doch eher auf der Strecke – und dafür hat sich bei uns seit einigen Jahren ein Konzept entwickelt, welches hier nicht nur sinnvoll erscheint, sondern auch Anklang findet: der Azubi-RTW.
Das Konzept
Das Konzept „Azubi-RTW“ besticht durch seine fast grenzenlose Einfachheit – eine große Vorbereitung oder organisatorischer Aufwand entfällt hier.
Man benötigt lediglich
- einen RTW-Tag- oder Nachtdienst,
- einen Praxisanleiter (oder einen geeigneten Notfallsanitäter) und
- zwei Azubis – wahlweise aus gleichen oder aus unterschiedlichen Lehrjahren.
Das war’s auch schon. Ich kenne wenige sinnvolle Ausbildungskonzepte, die sich mit derart wenig Aufwand flächendeckend umsetzen lassen können.
Zielsetzung des Konzepts ist das Training der Entscheidungsfindung und Handlungskompetenz unter Realbedingungen, ohne jede Übungskünstlichkeit. Also letztendlich: das, was einem im Berufsalltag erwarten wird.
Der Azubi-RTW ist in gewisser Weise das genaue Gegenteil des Ausbildungs-Dilemmas hinsichtlich der Schwerpunktsetzung – statt „Once-in-a-lifetime-Über-Notfälle“ wird hier der Rettungsdienstalltag trainiert. Angefangen bei Bagatelleinsätzen über minder dringliche Fälle bis hin zum echten Notfall.
Bei diesem Konzept stellen beide Auszubildenden die eigentliche RTW-Besatzung dar, welche den Einsatz nach Möglichkeit komplett selbstständig abarbeiten – der Praxisanleiter (oder Notfallsanitäter) ist dabei nur stiller Beobachter und fungiert als eine Art Supervisor, der dann eingreift, wenn es Probleme gibt.
Die Auszubildenden müssen sich somit selbst organisieren, absprechen, die Aufgaben verteilen, notwendige Untersuchungen durchführen, Behandlungsmaßnahmen einleiten, den Transport vorbereiten und ganz allgemein: Entscheidungen treffen. Auch, wenn es keinen auswendig zu lernenden Algorithmus für die Situation gibt. Auch, wenn der Algorithmus am Ende und der Patient noch da ist.
Neben dem Erwerb einer berufspraktischen Handlungs- und Entscheidungskompetenz steht hier insbesondere das CRM und die Kommunikation unter Realbedingungen im Vordergrund.
Nach Abschluss des Einsatzes erfolgt eine qualifizierte Einsatznachbesprechung, in welcher der Einsatz nochmal durchgesprochen wird, gute und ausbaufähige Entscheidungen und Maßnahmen besprochen werden und mögliches Verbesserungspotential ausgelotet wird.
Stärken, Schwächen & Schwierigkeiten
Wie bei so ziemlich jedem Ausbildungskonzept gibt es natürlich auch bei den Azubi-RTWs ein „Für und Wider“.
Der Erfolg dieses Konzepts steht und fällt mit der praktischen Umsetzung. Das betrifft sowohl die Frage, ob überhaupt und wenn ja, wie oft die Auszubildenden hierfür die Gelegenheit erhalten – und mindestens genauso die Frage, ob eine entsprechende Anleitung durch den PAL/NFS möglich ist und dieser in der Lage ist, die „Führung abzugeben“.
Wenn während des Einsatzes permanent ohne entsprechende Notwendigkeit eingegriffen wird, ist das Konzept zum Scheitern verurteilt – die Entscheidungsfindung, die gerade in dieser Konstellation trainierbar wäre, ist es dann nicht mehr.
Als verantwortliche Einsatzkraft muss man Entscheidungen der Auszubildenden – sofern diese den Patienten nicht gefährden – auch aushalten können; auch dann, wenn man es selbst anders lösen würde.
Grundvoraussetzung dafür ist allerdings, dass die Azubis auch einen entsprechenden fachlichen Stand haben, um den Einsatz überhaupt „alleine“ abarbeiten zu können. Wenn jemand wirklich noch sehr frisch in der Ausbildung ist (und keine entsprechende Vorerfahrung mitbringt) ist das Konzept meiner Erfahrung nach in dieser Form nicht umsetzbar.
Wiederum ein großer Vorteil dieses Konzepts liegt darin, dass hier ein Training unter Realbedingungen möglich ist – sowohl was die zur Verfügung stehende Ausstattung, die Einsätze und die Kliniklandschaft betrifft. Wenn der Notarzt nun eine halbe Stunde braucht, braucht er tatsächlich auch eine halbe Stunde…und man muss entsprechend darauf reagieren.
Neben der Entscheidungsfindung werden hier zudem die Einsatzszenarien trainiert, die letztendlich auch den Berufsalltag darstellen werden: wenn psychosoziale Notfälle in der Ausbildung keine fünf Prozent des Lernstoffs ausmachen, machen sie doch mal die Hälfte der Einsätze aus – und auch und gerade mit diesen ist ein professioneller Umgang geboten.
Der Azubi-RTW eignet sich meines Erachtens auch hervorragend dazu, Schwächen im Bereich des CRM und der Kommunikation aufzudecken. Diese treten nämlich oft erst dann zu Tage, wenn sich eine eigene Einsatzdynamik ohne den (auch unbewusst korrigierenden) Praxisanleiter oder Notfallsanitäter zwischen den Azubis entwickelt.
Fazit
Ich durfte dieses Konzept schon in meiner Ausbildung erleben – und nehme mittlerweile, wenn es die Teilzeitarbeit ermöglicht, die andere Seite ein (ohne Praxisanleiter zu sein). Und ich bin nach wie vor ein sehr großer Fan davon.
Eine bessere Vorbereitung auf den Berufsalltag als Notfallsanitäter kann es nicht geben. Alles, was gemacht wird, ist echt. Keine Übungskünstlichkeit. Null.
Ausbildungstechnisch bietet der Azubi-RTW die Gelegenheit, Schwachpunkte und Probleme zu identifizieren und zu beheben, die anders nur schwer auffallen würden.
Und hier kann man auch sagen:
„Ausreden zählen nicht“
Dieses Konzept ist wirklich ausnahmslos von jeder Lehrrettungswache umsetzbar. Man benötigt weder besonderes Material, noch einen immensen Vor- und Nachbereitungsaufwand, noch schwierige Freistellungen von Personal. Und dabei ist es mitunter eines der effektivsten Konzepte, die ich bislang für die Notfallsanitäterausbildung kennen lernen durfte.
Interessenkonflikte
Der Autor gibt an, dass keine Interessenkonflikte bestehen.
Quellen
SaniOnTheRoad (2022): Kommunikation im Rettungsdienst, abgerufen unter https://saniontheroad.com/kommunikation-im-rettungsdienst/ am 16.10.2024
SaniOnTheRoad (2022): CRM im Rettungsdienst, abgerufen unter https://saniontheroad.com/crm-im-rettungsdienst/ am 16.10.2024
SaniOnTheRoad (2020): „Kleines 1×1 des Rettungsdienstes“ – Teil 26: Der Praxisanleiter im Rettungsdienst, abgerufen unter https://saniontheroad.com/kleines-1×1-des-rettungsdienstes-teil-26/ am 16.10.2024
SaniOnTheRoad (2020): „Hands-on“-Qualitätssicherung im Rettungsdienst – Field Supervision, abgerufen unter https://saniontheroad.com/hands-on-qualitatssicherung-im-rettungsdienst-field-supervision/ am 16.10.2024
SaniOnTheRoad (2019): „Kleines 1×1 des Rettungsdienstes“ – Teil 8: Notfallsanitäterausbildung im Detail, abgerufen unter https://saniontheroad.com/kleines-1×1-des-rettungsdienstes-teil-8/ am 16.10.2024
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