Bei „Aus dem Pflaster-Laster“ berichte ich von Einsätzen, dem Alltag auf der Rettungswache und von aktuellen Themen – von purer Routine bis zum Drama. Am Ende ziehe ich mein Fazit der Einsätze und zeige auf, was gut lief und was besser laufen könnte. Namen von Patienten, Orten und Kollegen lasse ich selbstverständlich aus.
Es scheint für manch einen schon die logische Steigerung dessen, was Qualifikation, Kompetenz und Professionalisierung im Rettungsdienst angeht: der studierte Notfallsanitäter.
Fairerweise muss man sich hier auf die fachspezifisch Studierten festlegen, die auch tatsächlich hauptamtlich im Rettungsdienst tätig sind. Letztendlich ein einschlägiges Studium als Ergänzung oder gar als Integration der Notfallsanitäterausbildung an sich.
Und fairerweise muss man auch feststellen: Es ist nicht nur Zukunftsmusik. Rettungsdienstspezifische Studiengänge, die die Notfallsanitäterausbildung ergänzen oder sogar in das Studienprogramm integrieren, die gibt es bereits. Ein Großteil von diesen läuft ausbildungs– oder berufsbegleitend ab, nicht selten auch mit hohen Fernunterrichtsanteil.
Grund genug, sich einmal näher mit dem “studierten NotSan“ zu beschäftigen.
Inhaltsverzeichnis
Stand der Dinge
Die Idee des studierten Rettungsdienstlers ist nicht grundsätzlich neu – mit Blick auf Paramedic-Systeme in anderen Ländern, wo dies häufig schon Standard ist, sah auch das Notfallsanitätergesetz diese Möglichkeit von Anfang an vor.
§ 7 NotSanG regelt die Vorgaben für die Ausbildung von Notfallsanitätern an Hochschulen – wenn auch nur im Rahmen von Modellvorhaben. Dabei soll die Hochschule im Ausbildungskonzept anstelle der Berufsfachschule treten und somit den schulischen Ausbildungsteil übernehmen.
Die sonstigen Anforderungen hinsichtlich der Notfallsanitäterausbildung und -prüfung bleiben allerdings gleich.
Diese Möglichkeit…spielt in der Praxis einfach keine Rolle. Noch hat sich kein derartiger Studiengang etabliert – oder ist auch nur aufgetaucht.
Das heißt allerdings keineswegs, dass Rettungsdienstler nicht studieren. Ein Studium ist praktisch eine der häufigsten Ursachen für das „Brain Drain„, welches wir nun einmal haben.
Den überwiegenden Anteil machen berufsbegleitende Studiengänge aus, die sich an bereits ausgebildete Notfallsanitäter richten. Diese setzen Schwerpunkte bisweilen sehr unterschiedlich, um entweder neue Berufe zu erschließen (z.B. Rettungsdienstpädagogik, Medizinpädagogik, Physician Assistance), die Wege in die Führungs- und Leitungsebenen zu ermöglichen (mit wirtschaftswissenschaftlichen Schwerpunkt) oder auch ganz profan: ein bisschen was von allen dabei haben.
Solche „generalistischen“ Studiengänge – die letztendlich verschiedene Teilbereiche umfassen und unmittelbar auf dem Notfallsanitäter aufbauen – sind wohl am ehesten das, was man als den Phänotyp des studierten Notfallsanitäters ansehen würde. Nennen wir es der Einfachheit halber doch „Notfallsanitäter-Studium“.
Zum Teil gibt es diese Studiengänge auch ausbildungsbegleitend, d.h. sie erfolgen parallel – meist mit hohen Online- oder Fernunterrichts-Anteil und kurzen Präsenzphasen – zur eigentlichen NFS-Ausbildung und erfordern erst nach Ausbildungsabschluss mit größeren Zeitanteil. Teile der Ausbildung werden hier üblicherweise in Form von Credit Points (nach ECTS) angerechnet, sie zählen also (formal) auch als Studienaufwand.
Vorteile, Problemfelder und Schwierigkeiten
Klingt doch eigentlich alles ganz gut, oder?
Und da sind wir letztendlich auch schon bei des Pudels Kern: letztendlich ist ein Notfallsanitäter-Studium derzeit ziemlich konsequenzlos.
Ein unmittelbarer Vorteil entsteht durch das Studium einfach nicht. Spezielle Stellen für den studierten Notfallsanitäter im Rettungsdienst gibt es nicht. Mehr Kompetenzen hat der studierte NFS erstmal ebenfalls nicht – die Ausbildungsinhalte nach der NotSan-APrV müssen vermittelt werden, für ein „Mehr“ ist letztendlich kaum Zeit.
Der Notfallsanitäter – egal, ob mit Studium oder (nur) mit regulärer Ausbildung – bleibt Notfallsanitäter.
Das Gesetz macht hier keinerlei Unterschied. Und wahrscheinlich machen auch die meisten Arbeitgeber keinen Unterschied zwischen den Berufsschul-NotSan und den Hochschul-NotSan.
Für Führungspositionen sucht man Spezialisten im jeweiligen Bereich – und Betriebswirte mit entsprechenden Schwerpunkt gibt es zuhauf – für die Pädagogik braucht man letztendlich einen Pädagogen.
Man muss hier einfach die Gefahr sehen, dass man für bisweilen sehr viel Geld – da es sich beim „Notfallsanitäter-Studium“ ausschließlich um private Hochschulen handelt, die entsprechend Studiengebühren erheben – lediglich einen akademischen Grad für die Visitenkarte erwirbt, der einen nicht weiterbringt.
Vorteilhaft ist allerdings durchaus das Statement, das mitschwingt:
„Der Rettungsdienst will sich weiter professionalisieren“
An internationalen Standards gemessen ist ein Studium im Rettungsdienstbereich oder der Paramedizin durchaus üblich für Rettungsdienstmitarbeiter.
Die Erweiterung des persönlichen Horizonts und der Erwerb von vertieften und verbreiterten Wissen ist auch unabhängig von der „Karrierewirksamkeit“ sinnvoll und empfehlenswert.
Auch wenn es derzeit aufgrund des erheblichen Personalmangels im NotSan-Bereich kaum einen Unterschied macht, auf welche Weise der Notfallsanitäter erworben wurde, kann das Studium zukünftig durchaus auch einen Einstellungsvorteil gegenüber Mitbewerbern mitbringen, unter Umständen auch in „beliebten“ Bereichen wie der Luftrettung oder auch im Ausland.
Vor allem bietet ein Studium durchaus auch die Möglichkeit, dem Brain Drain entgegenzuwirken – den Rettungsdienst zu verlassen, um zu studieren, ist eine der häufigsten Formen der Kompetenzabwanderung.
Wie könnte die Zukunft aussehen?
Letztendlich gibt es meines Erachtens zwei Möglichkeiten, wie sich der „studierte Notfallsanitäter“, der noch ein Exot ist, langfristig entwickeln kann:
- der „studierte Notfallsanitäter“ wird ein „Über-Notfallsanitäter“ (oder NotSan Plus) mit einem höheren Kompetenzrahmen gegenüber regulär ausgebildeten NFS oder
- ein einschlägiges Studium ersetzt die klassische Berufsausbildung.
Im Grunde ist beides denkbar, die Umsetzung würde sich allerdings gleichermaßen unterscheiden.
Bei Variante 1 bleibt die Notfallsanitäterausbildung als solche erhalten, es wird lediglich eine Qualifikationsstufe darüber eingeführt – die ein entsprechendes Studium voraussetzt. Ein größerer Kompetenzrahmen wäre hier die logische Konsequenz, um die Daseinsberechtigung der Qualifikationsstufe überhaupt zu bilden.
Das Studium könnte hier als eine Art Weiterbildung angesehen werden und beispielsweise berufsbegleitend erfolgen.
Es wäre in einem solchen Falle durchaus denkbar, dass der „NotSan Plus“ zumindest in Teilen den Notarzt ersetzt und dieser zielgerichteter eingesetzt werden kann.
Bei Variante 2 wäre das Ziel die vollständige Akademisierung des Notfallsanitäterberufs – analog zur Ausbildung von Hebammen wäre ein Fachhochschulstudium dann für alle Notfallsanitäter der Standard.
Es wird hier keine neue Kompetenzstufe geschaffen, sondern lediglich das bestehende Fachkraftniveau auf ein akademisches Niveau angehoben. Das Studium wäre in einem solchen Fall die Berufsausbildung ersetzend.
In Anbetracht der hochgradigen Spezialisierung der präklinischen Notfallmedizin wären akademisch ausgebildete Fachkräfte in diesem Bereich durchaus eine Überlegung – auch, um mit anderen hochspezialisierten medizinischen Bereichen Schritt zu halten.
Fazit
Von den Studiengängen abgesehen, die direkt für andere Tätigkeiten qualifizieren, ist das Notfallsanitäter-Studium derzeit schlichtweg ein Orchideenfach ohne besondere Nachfrage.
Nach dem heutigen Stand bringt ein derartiges Studium „etwas für einen selbst“ und „etwas für die Visitenkarte„, unbedingt karrierewirksam ist es nicht – wobei man auch festhalten muss, dass sich das zukünftig problemlos ändern kann.
Solange die große Frage
„Was sind die Aufgaben des studierten Notfallsanitäters als Generalist der präklinischen Notfallmedizin?“
einfach undefiniert und unbeantwortet bleibt, muss man die sehr großen Unsicherheitsfaktoren durchaus hervorheben und den Nutzen eines solchen Studiums auch in Frage stellen.
Man wird sich aber zweifellos mit dem studierten NotSan auseinandersetzen müssen – auftauchen tut er schon jetzt, die Relevanz wird wohl irgendwann folgen.
Interessenkonflikte
Der Autor gibt an, dass keine Interessenkonflikte bestehen.
Quellen
SaniOnTheRoad (2022): Übersicht: Rund um das Notfallsanitäter-Examen!, abgerufen unter https://saniontheroad.com/uebersicht-rund-um-das-notfallsanitaeter-examen/ am 10.04.2022
SaniOnTheRoad (2022): Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter vom 16. Dezember 2013 (BGBl. I S. 4280), die zuletzt durch Artikel 2 der Verordnung vom 4. November 2020 (BGBl. I S. 2295) geändert worden ist, abgerufen unter https://saniontheroad.com/notsan-aprv/ am 10.04.2022
SaniOnTheRoad (2022): Notfallsanitätergesetz vom 22. Mai 2013 (BGBl. I S. 1348), das zuletzt durch Artikel 12 des Gesetzes vom 24. Februar 2021 (BGBl. I S. 274) geändert worden ist abgerufen unter https://saniontheroad.com/notsang/ am 10.04.2022
SaniOnTheRoad (2021): Fragen an einen Rettungsdienstler III, abgerufen unter https://saniontheroad.com/fragen-an-einen-rettungsdienstler-iii/ am 10.04.2022
SaniOnTheRoad (2020): „Brain-Drain“ Rettungsdienst?, abgerufen unter https://saniontheroad.com/brain-drain-rettungsdienst/ am 10.04.2022
SaniOnTheRoad (2020): „Kleines 1×1 des Rettungsdienstes“ – Teil 21: Notfallsanitäter, und jetzt? Karriere im Rettungsdienst, abgerufen unter https://saniontheroad.com/kleines-1×1-des-rettungsdienstes-teil-21/ am 10.04.2022
SaniOnTheRoad (2019): „Kleines 1×1 des Rettungsdienstes“ – Teil 8: Notfallsanitäterausbildung im Detail, abgerufen unter https://saniontheroad.com/kleines-1×1-des-rettungsdienstes-teil-8/ am 10.04.2022
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