Fragen an einen Rettungsdienstler

Bei „Aus dem Pflaster-Laster“ berichte ich von Einsätzen, dem Alltag auf der Rettungswache und von aktuellen Themen – von purer Routine bis zum Drama. Am Ende ziehe ich mein Fazit der Einsätze und zeige auf, was gut lief und was besser laufen könnte. Namen von Patienten, Orten und Kollegen lasse ich selbstverständlich aus.

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Wahrscheinlich kennt es jeder Rettungsdienstler, der ein paar Tage dabei ist: Fragen von Außenstehenden über die Arbeit des Rettungsdienstes.

Spätestens seit ich bei gutefrage.net aktiv bin, ist auch mir die “Fragenflut” kaum entgangen. Dementsprechend möchte ich mich an dieser Stelle einfach mal den Frageklassikern, die immer wieder auftauchen, und eine Antwort aus meiner Sicht bieten.

Persönliches

Wie bist Du in den Rettungsdienst gekommen?

Um ehrlich zu sein – es war anfangs mehr Zufall als Planung. Einen so wirklichen Plan, der auch ad hoc umsetzbar schien, hatte ich für meine Zeit nach dem Abitur nicht. So kam es, dass ich einfach mal bei verschiedenen Stellen angeklopft habe. Studium? Nach dreizehn Jahren Schule wollte ich etwas anderes machen. Noch länger nur trocken Theorie lernen war für mich keine Option.

Und irgendwann wurde ich dann auf die Möglichkeit eines FSJ gestoßen. Da ich den Rettungsdienst schon immer als interessantes Arbeitsumfeld empfunden habe, war für mich die Wahl des Bereichs recht schnell klar. Also informiert, über das Freiwilligendiensteportal des DRK beworben, mich vorgestellt, auf der Rettungswache hospitiert und – ich wurde genommen.

Keine zwei Wochen nach Abschluss meines Abiturs stand ich im Rettungssanitäter-Lehrgang und bin im Anschluss (nach einer kurzen Unterbrechung von zwei Wochen, in denen ich als Ehrenamtlicher gefahren bin) auch ins FSJ gestartet.

Lässt sich die Arbeit im Rettungsdienst gut mit dem Privatleben vereinbaren?

Ich sage mal: jein. Man muss definitiv Abstriche machen. Das heißt zum Beispiel, dass man nicht unbedingt jedes Wochenende mit Freunden ausgehen kann, dass man Weihnachten und Silvester nicht unbedingt zuhause ist und man auch den ein oder anderen Geburtstag von Familie und Freunden nicht “live” erlebt.

Im Großen und Ganzen empfinde ich es aber als machbar, ein halbwegs normales Privatleben neben Hobby und Beruf zu haben. Man muss allerdings flexibel sein und sehr kurzfristig planen – oder sehr langfristig. Zwischendrin funktioniert nicht so wirklich. Und wenn man kein Problem damit hat (und die Gegenseite auch nicht), kann man das Samstag-Abend-Date auch auf einen Mittwoch legen 😉

Würdest Du die Entscheidung für den Rettungsdienst heute nochmal so treffen?

Eindeutig ja. Der Rettungsdienst bietet mir eigentlich genau das, was ich mir von meinem späteren Beruf erwünscht habe. Keine langweilige Büroarbeit, immer etwas neues erleben, selbstständiges Arbeiten, Lösungen finden, ein hohes Maß an Verantwortung – und vor allem eine sinnstiftende Tätigkeit.

Die Bewertung des “Arbeitsplatzes Rettungsdienst” – Daumen hoch oder runter?

Daumen hoch – wobei man die Schattenseiten dieser Welt nicht außer Acht lassen darf. Unterm Strich überwiegen für mich die Vorteile die Nachteile doch deutlich. Das ist allerdings eine vollkommen individuelle Entscheidung, die von Person zu Person, von Wache zu Wache und von Organisation zu Organisation unterschiedlich ist.

Die Einsätze

Was sind die typischsten Rettungsdiensteinsätze?

So ein wenig bin ich da ja schon in meinen “Top 20” darauf eingegangen. Der Großteil aller Rettungsdiensteinsätze dreht sich um internistische und neurologische Erkrankungen – z.B. den Herzinfarkt, Synkopen oder den Schlaganfall, aber auch Stoffwechselstörungen wie Blutzuckerentgleisungen oder andere Probleme wie Blutdruckentgleisungen. Verletzungen sind im Bereich der “Bagatelltraumata”, wie einfache Stürze, Kopfplatzwunden und isolierte Extremitätenfrakturen sind ebenfalls relativ häufig – wirklich schwere Verletzungen sind selten.

Welche Einsätze sind am schlimmsten?

Ganz allgemein: die Einsätze, wo man schlicht und ergreifend nicht (mehr) helfen kann. Und die Einsätze, wo man aufgrund fehlender Routine schnell an die eigene Belastungsgrenze kommt.

Das umfasst eben die seltenen Schwerstverletzten, chaotische Einsatzsituationen und (fast) alles mit Kindern.

Dort, wo die Routine fehlt – einfach weil die Einsätze selbst eine Rarität sind – ist das Belastungslevel ein ganz anderes wie im “Standardprogramm”, dementsprechend sind es auch eher die Einsätze, die einen aus der Bahn werfen können.

Wie gehst Du mit den Belastungen um?

Ein wirkliches Patentrezept gibt es nicht – jeder handhabt es etwas anders. Grundsätzlich “nehme” ich Einsätze nicht mit nach Hause – mit dem Verlassen der Wache gibt es bei mir einen gedanklichen Cut. Eine gewisse Ablenkung vom Berufsalltag tut nicht nur gut, sondern ist manchmal auch bitter nötig – das kann das Fernsehen am Abend, Sport, ein gutes Essen oder das Feierabendbier mit Freunden in der Stadt sein. Und manchmal ist es alles davon 😉

Wenn es wirklich Probleme gibt, hat sich das Gespräch mit Kollegen bewährt. Es ist einfach die Hilfe, die immer verfügbar ist und die Hemmschwelle liegt zweifellos am geringsten. Professionelle Hilfsangebote wie SbE-Teams, kollegiale Ansprechpartner oder eben eine psychologische Betreuung gibt es – bisher musste ich allerdings noch keines der Angebote nutzen.

Was war dein kuriosester Einsatz?

Besonders in Erinnerung geblieben ist mir eigentlich ein Einsatz. Gemeldet wurde ein Erregungszustand bei einem Autisten – nur war dieser 1,90 m groß und 150 kg schwer. Notarzt und Polizei waren also mal gleich mit dabei. Nach der Feststellung, dass der dortige 24-h-Betreuer mangels Deutschkenntnisse nicht mit dem Patienten (der sich nur schriftlich verständigen konnte) kommunizieren konnte, kam es zur zweiten Feststellung: der Patient hatte schlichtweg Hunger.

Der Einsatz ging dann so aus, dass sich der Patient beruhigt hatte, nachdem der Notarzt und die Polizei gemeinsam Brote geschmiert hatten. Und ja, der 24-h-Betreuer wurde gewechselt.

Sind die Einsätze wirklich so dramatisch, wie es dargestellt wird?

Nein. Einfach nur nein. Sicher, es mag dramatische Einsätze geben – da kann man aber schon fast ein Kreuz in den Kalender machen. Der Großteil der Rettungsdienstarbeit unterliegt einer gewissen Routine. Das, womit man tagtäglich konfrontiert wird, bringt einen nicht ins Schwitzen; auch wenn sich jeder Patient unterscheidet. Für die Patienten ist es dennoch eine Ausnahmesituation, und auch das muss dabei im Hinterkopf bleiben.

Insgesamt wird aber viel zu sehr überdramatisiert. Dass auf einen “medienwirksamen” Einsatz fünfzig andere kommen, wird nicht gesehen. Also nein, ich sehe nicht täglich fünf zerfetzte Leichen und keine zehn Menschen in Blutlachen. Das ist auch gut so!

Thema Rettungsgasse: deine Erfahrungen?

Wahrscheinlich werden mich einige für die Aussage steinigen: es klappt prinzipiell erstaunlich gut.

Es mag sein, dass es einfach an der eher ländlich geprägten Region liegt, in der ich lebe und arbeite – aber so im Großen und Ganzen wird inner- wie außerorts doch zügig und effizient Platz geschaffen. So langsam scheint das Thema Rettungsgasse doch in den Köpfen der Bevölkerung angekommen zu sein!

Das Problem ist auch hier: ein einziger – sorry – Vollidiot reicht locker aus, um das vorbildliche Werk von 100 anderen zunichte zu machen. Und das ist das Problem, nicht die Rettungsgasse an sich.

Bist Du manchmal von Patienten genervt?

Ich würde lügen, wenn ich “nein” sagen würde 😉

Ja, manche Patienten sind…anstrengend. Das kann auch Angehörige und Pflegepersonal betreffen.

So grundsätzlich nerven mich eigentlich eher wenige Dinge: Patienten, die mit Beschwerden ewig warten und dann den Rettungsdienst rufen, statt zum Hausarzt zu gehen, der in einer Stunde wieder offen hat. “Besserwisser”, die es eben doch nicht besser wissen. “Eigendiagnosen by Dr. Google” – zumindest dann, wenn sie auf den ersten Blick Unsinn sind. Und natürlich diejenigen, die sich zwar jeden ärztlichen Rat einholen, dann aber scheinbar das genaue Gegenteil davon machen.

Gewalt gegen Retter – deine Erfahrungen?

Dieser Kelch ist bislang an mir persönlich vorüber gegangen – glücklicherweise. Ein paar Kollegen hat es aber schon getroffen. Es hängt stark vom Einsatzgebiet und dem damit verbundenen Patientenklientel ab, wie oft dieses Phänomen zu Tage tritt.

Insgesamt ist es in sozialen Brennpunkten deutlich häufiger – aber auch in besseren Gegenden tritt es durchaus auf.

Der Alltag

Wie kann man sich den Alltag auf der Rettungswache vorstellen?

Naja, es hängt so ein wenig von der Wache ab. Auf größeren Wachen geht es doch unpersönlicher und schnelllebiger zu, als auf kleineren Wachen.

Auf unserer Wache (Landwache) ist es doch eine eher familiäre Atmosphäre. Man kennt die Kollegen gut, ihre Vorlieben und ihre Arbeitsweisen und kann sich dementsprechend darauf einstellen. Streit ist eher selten auf der Tagesordnung, die Zeit für blöde Sprüche ist aber fast schon zu reichlich vorhanden.

Die Rettungswache ist wie eine Art “Ersatzfamilie”. Man verbringt zum Teil wesentlich mehr Zeit auf der Wache, als zuhause – dementsprechend liegt es auch im Interesse aller Beteiligten, dass der Dienst gut wird und keiner maximal unzufrieden die Wache verlässt.

Was machst Du besonders gerne?

Wie man vielleicht ein wenig an der Schwerpunktsetzung meines Blogs erkennt: Ausbildung ist eines meiner Lieblingsthemen. Sei es im Austausch mit den Kollegen, mit den Auszubildenden oder mit RS-Praktikanten. Ich vermittle gerne mein Wissen, und so als komplett talentbefreit sehe ich mich darin nicht.

Daher: der Praxisanleiter ist durchaus eine “Wunschqualifikation”, sobald wieder Bedarf besteht.

Was machst Du überhaupt nicht gern?

Die Routinedesinfektion des RTW an dem Tag, an dem die Verfalldaten kontrolliert werden 😉

Das bedeutet neben dem “normalen” Putzen das Ausräumen und desinfizieren aller Schubladen, die Kontrolle jeder einzelnen Braunüle, jedes Pflasters, jeder Spritze und jedem Kombi-Stopfen. Natürlich zusätzlich zu dem normalen Fahrzeugcheck. Das ist für sieben Uhr morgens dann doch einigermaßen viel Workload ^^

Ansonsten diskutiere ich ungern über eigentlich sehr klare Sachverhalte und ich bin ungern Teilnehmer an den eher seltenen “Reibereien” auf der Wache.

Praktikanten im Rettungsdienst: deine Meinung?

Ich kann tatsächlich wenig schlechtes über die Praktikanten im Allgemeinen sagen – unabhängig davon, ob es Schülerpraktikanten (ja, die nehmen wir auch) oder RS-Praktikanten sind.

Der überwiegende Teil ist lernwillig, hilfsbereit, stellt sich vor und verhält sich im Einsatz angemessen. Wirklich. Da geht es dann nur noch darum, sie für das Weiterlernen zu motivieren und das notwendige Wissen zu vermitteln.

Bei den eher wenigen, bei denen diese Punkte nicht funktionieren, ist es dafür aber dreimal so anstrengend, irgendetwas beizubringen.

Das Problem sehe ich bei den RS-Praktikanten in der überalterten Ausbildung, die nicht mehr so wirklich mit dem Anforderungsprofil des RettSan im heutigen Rettungsdienst korreliert (daher auch meine Unterstützung per Blog) – bei Schülerpraktikanten eher in den fehlenden Lernzielen, weil sie durch die Schule nicht festgelegt wurden und im Vorstellungsgespräch keine vereinbart wurden. Diese Schüler sind dann immer etwas “verloren” und man muss selbst entscheiden, was sinnvoll ist und was nicht.

Quellen

SaniOnTheRoad (2020): „Kleines 1×1 des Rettungsdienstes“ – Teil 25: Praktikum im Rettungsdienst, abgerufen unter https://saniontheroad.com/kleines-1×1-des-rettungsdienstes-teil-25/ am 03.02.2022.

SaniOnTheRoad (2020): Arbeitswelt Rettungsdienst – eine kritische Betrachtung, abgerufen unter https://saniontheroad.com/arbeitswelt-rettungsdienst-eine-kritische-betrachtung/ am 03.02.2022.

SaniOnTheRoad (2019): Die Top 20 der häufigsten Rettungsdiensteinsätze, abgerufen unter https://saniontheroad.com/die-top-20-der-haufigsten-rettungsdiensteinsatze/ am 03.02.2022.

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Über SaniOnTheRoad

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SaniOnTheRoad

Notfallsanitäter, Teamleiter und Administrator des Blogs. Vom FSJler über Ausbildung bis zum Haupt- und Ehrenamt im Regelrettungsdienst und Katastrophenschutz so ziemlich den klassischen Werdegang durchlaufen. Mittlerweile beruflich qualifizierter Medizinstudent im vorklinischen Abschnitt. Meine Schwerpunkte liegen auf Ausbildungs- und Karrierethemen, der Unterstützung von Neueinsteigern, leitliniengerechten Arbeiten sowie Physiologie, Pathophysiologie, Pharmakologie und EKG für den Rettungsdienst. Mehr über mich hier.


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