Gefahrenstelle Heimgarage…

Bei „Aus dem Pflaster-Laster“ berichte ich von Einsätzen, dem Alltag auf der Rettungswache und von aktuellen Themen – von purer Routine bis zum Drama. Am Ende ziehe ich mein Fazit der Einsätze und zeige auf, was gut lief und was besser laufen könnte. Namen von Patienten, Orten und Kollegen lasse ich selbstverständlich aus.

…oder: wie leicht man alltägliche Gefahrenquellen unterschätzt

„Man wird schnell unvorsichtig, gerade, wenn lange nichts passiert ist“

Heute präsentiere ich euch einen Einsatz, bei dem der Fokus mehr auf dem Drumherum als den eigentlichen medizinischen Problem liegt.

Dass sich hinter alltäglichen Einsatzmeldungen mitunter auch eher exotische Krankheitsbilder verbergen können und dass die Beurteilung vor Ort nicht zwangsläufig dem Abfrageergebnis entspricht, dürfte jedem, der schon etwas länger im Rettungsdienst ist, bekannt sein.

Gerade im häuslichen Umfeld tendiert man stark dazu, mögliche Gefahrenquellen falsch, zu spät oder gar nicht wahrzunehmen – und begibt sich selbst unter Umständen in Gefahr.

Von solchen Ereignissen bin auch ich nicht ausgenommen, und ich hoffe, dass der nachfolgende Einsatz nicht nur für meine Kollegen und mich ein „eye opener“ war! Es ist in Bezug auf den Eigenschutz einiges schiefgelaufen, von daher darf dieser Einsatz unter dem Gesichtspunkt sehr gerne als Negativbeispiel gesehen werden ^^

Not a routine mission

Wochenenddienste haben schon fast etwas Familiäres auf unserer Landwache – es ist meist ruhig, man kann meist gemeinsam frühstücken und sich den Aufgaben widmen, die unter der Woche liegen geblieben sind.

Alles in allem schien sich ein normaler Tagdienst anzubahnen, bis Einsatz Nummer 1 am späteren Morgen die Ruhe durchbricht…

Einsatzdaten

Einsatzmeldung: Krampfanfall, anhaltend/Status epilepticus

Alarmierte Fahrzeuge: RTW + NEF, mit Sonder-/Wegerechte.

Es geht in einen Nachbarort, gute zehn Minuten Anfahrt. Mit meinem Kollegen erfolgte schon die Absprache über unser Vorgehen, die Zielkliniken, und die Wahrscheinlichkeit, wirklich einen noch krampfenden Patienten vorzufinden.

Scene – Safety – Situation

Scene: Sommermorgen, Wohngebiet am Ortsrand mit Einfamilienhäusern

Safety: keine augenscheinlichen Gefahren.

Situation: RTW trifft vor NEF ein, Freundin des Patienten empfängt RTW-Besatzung, berichtet von tonisch-klonischen Krampf des Patienten, der in der KFZ-Grube in der Garage gearbeitet hatte. Dort liegt der Patient, Anfang 30, bewusstlos auf der Treppe.

Die Lage stellte sich nun doch anders dar, als ursprünglich gedacht. Die Grube war nur zur Hälfte aufgedeckt, die restlichen Bretter wurden durch uns entfernt. Unmittelbar nach Betreten der Garage war ein Lösungsmittelgeruch deutlich wahrnehmbar. Entsprechend fanden wir auch mehrere Dosen Bremsenreiniger. Soweit nichts ungewöhnliches.

Ersteinschätzung

Kritisch.

Ich begab mich zu den Patienten in die Grube und begann mit dem Primary Survey, welches nach Eintreffen der Notärztin vervollständigt wurde

xABCDE

x – Exsanguination

Keine starke äußere Blutung.

A – Airway

Schnarchendes Atemgeräusch, Besserung nach Überstrecken des Kopfes und Esmarch-Handgriff. Kein Zungenbiss erkennbar, keine Zyanose.,

B – Breathing

Atemfrequenz 16/min, SpO2 86%, Thorax stabil, regelrechte Thoraxexkursionen, beidseits vesikuläres Atemgeräusch, keine Halsvenenstauung.

C – Circulation

Haut rosig, warm, trocken; Rekapillarisierungszeit < 2 Sekunden, periphere Pulse fadenförmig tastbar und tachykard; Abdomen weich, keine Abwehrspannung; Oberschenkel stabil, RR 150/80 mmHg, EKG zeigt Sinusrhythmus mit 90/min.

D – Disability

GCS 5, Pupillen isokor, eng, keine Lichtreaktion; FAST nicht durchführbar, BZ 181 mg/dl.

E – Exposure/Environment

Schürfwunde am Hinterkopf, sonst unauffälliger Bodycheck, Temperatur 37,0°C.

Noch während des Primary Survey wurde sowohl der Notärztin als auch mir immer wieder „komisch„. Ein schwer zu beschreibendes Gefühl. Irgendetwas stimmte nicht.

Die Notärztin verließ die Grube unmittelbar nach dem Primary Survey, ich führte die darauffolgenden Maßnahmen noch aus. Der Patient erhielt einen Guedel-Tubus sowie eine hochdosierte Sauerstoffgabe.

Aufgrund der sehr beengten Platzverhältnisse wurde beschlossen, die Feuerwehr zwecks Tragehilfe hinzuzuziehen; währenddessen versuchte die Notärztin fremdanamnestisch zumindest einige grundlegende Informationen zu erhalten.

SAMPLER(S)

S – Symptome

Z.n. Krampfanfall, Bewusstlosigkeit

A – Allergien

Keine.

M – Medikamente

Keine.

P – Vorerkrankungen

Nicht ermittelbar.

L – Letzte orale Aufnahme/letztes Wasserlassen/letzter Stuhlgang

Nicht ermittelbar.

E – Ereignis

Patient wurde krampfend in der Grube vorgefunden.

R – Risikofaktoren

Keine.

S – Schwangerschaft

Ausgeschlossen.

Eine Epilepsie als Grunderkrankung war nicht bekannt, und auch sonst gab es erstmal keinen deutlich erkennbaren Auslöser.

Durch die anhaltende Bewusstlosigkeit und die abnorme Pupillenreaktion kam auch eine intrakranielle Blutung in den Trichter, ein Wirbelsäulentrauma konnten wir ebenfalls nicht ausschließen – und aufgrund der sehr langen Anfahrt zum nächsten Maximalversorger wurde direkt ein RTH nachgefordert.

Ich betreute den Patienten weiter – und merkte immer deutlicher eine Benommenheit. Kopfschmerzen stellten sich so langsam ein. Mir war flau im Magen.

Nach Eintreffen der Feuerwehr wurde beschlossen, den Patienten mittels Spineboard aus der Grube zu holen und auf eine Vakuummatratze umzulagern. Für die technische Rettung wurde dem Patienten noch ein Stifneck angelegt.

Nachdem der Patient aus der Grube war und auf der Vakuummatratze lag, konnte ich auf wieder nach draußen. Und es war dringend nötig – mir war schwindelig und ich hatte erhebliche Schwierigkeiten, mich zu konzentrieren. Zwei Minuten Zwangs-Time-Out.

Die Versorgung des Patienten ging unterdessen munter weiter, er erhielt zwei großlumige i.v.-Zugänge und es erfolgte eine Reevaluation. Unterdessen ging es mir zügig besser und ich konnte wieder in die Patientenversorgung miteinsteigen.

Da für die Freundin des Patienten kaum Zeit blieb, forderten wir ein PSNV-Team nach, welches die Betreuung übernahm.

Der RTH ist auf einem Feld außerorts gelanden und wir verbrachten den Patienten in den RTW und fuhren zum Landeplatz.

Dort: erneute Reevaluation. Absprache mit dem Hubschrauber-Doc. Absprache mit der Giftnotrufzentrale. Entscheidung: der anhaltend bewusstlose Patient wird doch noch intubiert.

Die RTW- und die NEF-Besatzung richten die Intubation, die Hubschraubercrew übernimmt die Koordination der organisatorischen Fragen. Crew Resource Management funktioniert.

Die Einleitung der Notfallnarkose klappt problemlos, der Patient ist mit einem 8,0er-Tubus intubiert, wird beatmet und auf die RTH-Trage umgelagert. Mit dem Hubschrauber geht es als „Verdacht auf Lösungsmittelintoxikation“ direkt in den Schockraum des avisierten Maximalversorgers.

Nachbesprechung.

Zum Hintergrund

Bremsenreiniger gehören zur Standardausstattung jeder KFZ-Werkstatt und finden sich ebenfalls häufig in privaten Garagen.

Bremsenreiniger verfügen über starke Lösungsmittel auf Basis organischer Kohlenwasserstoffe. Und genau hierin liegt die Gefahr.

„Eine akute Vergiftung, meist durch Inhalation, zeigt sich an folgender Symptomatik:

– Rausch (ähnlich Alkohol)

– Schwindel, Benommenheit

– Euphorie (Suchtgefahr)

– Kopfschmerzen

– Übelkeit mit Erbrechen

– Krämpfe

– Bewusstlosigkeit

– Herzrhythmusstörungen

– Pupillenstarre

– Lähmungserscheinungen

– Tod durch Atemlähmung oder Kreislaufversagen“

– Freissmuth, Offermanns, Böhm (2016). Pharmakologie und Toxikologie, 2. Auflage, Springer-Verlag Berlin, Heidelberg.

Dazu sind organische Lösungsmittel inhalativ sehr gut resorbierbar und ZNS-gängig. Eine eher weniger bekannte, aber gefährliche Kombination.

Fazit

Was fand ich gut?

  • es wurde insgesamt sehr strukturiert am Patienten gearbeitet
  • Berücksichtigung eines möglichen Wirbelsäulentraumas und einer ICB als Differentialdiagnose
  • „gelebtes CRM“ unter Einbezug aller Beteiligten
  • Support – Nachforderung benötigter Kräfte erfolgte ohne Diskussion, vorhandene und im Einsatz sinnvolle Ressourcen (KIT, Feuerwehr) wurden genutzt
  • Nachforderung des RTH aufgrund eines langen Transportweges

Was fand ich nicht gut?

  • Eigenschutz – dieser kam gerade im Erstangriff zu kurz. Eine Crashrettung des bewusstlosen Patienten wäre spätestens beim Auftreten der Symptome beim Rettungsdienstpersonal notwendig gewesen
  • GAMS (Gefahr erkennen, Absichern, Menschenrettung, Spezialkräfte nachfordern) hätte stärker berücksichtigt werden müssen
  • die Nachforderung der Feuerwehr hätte bereits bei Eintreffen (Patient liegt in Grube) erfolgen können

Quellen

Freissmuth, Offermanns, Böhm (2016). Pharmakologie und Toxikologie, 2. Auflage, Springer-Verlag Berlin/Heidelberg. ISBN 978-3-662-46688-9. DOI: 10.1007/978-3-662-46689-6. Aktuelle Auflage (3. Auflage, 2020) hier erhältlich: https://amzn.to/3I9u1HG

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Über SaniOnTheRoad

Gefahrenstelle Heimgarage…

SaniOnTheRoad

Notfallsanitäter, Teamleiter und Administrator des Blogs. Vom FSJler über Ausbildung bis zum Haupt- und Ehrenamt im Regelrettungsdienst und Katastrophenschutz so ziemlich den klassischen Werdegang durchlaufen. Mittlerweile beruflich qualifizierter Medizinstudent im vorklinischen Abschnitt. Meine Schwerpunkte liegen auf Ausbildungs- und Karrierethemen, der Unterstützung von Neueinsteigern, leitliniengerechten Arbeiten sowie Physiologie, Pathophysiologie, Pharmakologie und EKG für den Rettungsdienst. Mehr über mich hier.