Bei „Aus dem Pflaster-Laster“ berichte ich von Einsätzen, dem Alltag auf der Rettungswache und von aktuellen Themen – von purer Routine bis zum Drama. Am Ende ziehe ich mein Fazit der Einsätze und zeige auf, was gut lief und was besser laufen könnte. Namen von Patienten, Orten und Kollegen lasse ich selbstverständlich aus.
Eine Woche nach der letzten praktischen Prüfung war es soweit: die mündliche Prüfung steht an. Abschluss von drei Jahren. Notfallsanitäter oder nicht.
Die mündliche Prüfung ist ein wenig die „Angstprüfung“ schlechthin. Unberechtigterweise, wie ich finde.
In keiner anderen Prüfung kann man den Prüfungsverlauf so gut steuern wie in dieser. Und die Durchfallquoten liegen in etwa auf dem Niveau der schriftlichen Prüfung.
Die Prüfung erstreckt sich auf die drei Themenbereiche nach § 16 NotSan-APrV:
- Notfallsituationen bei Menschen aller Altersgruppen sowie Gefahrensituationen erkennen, erfassen und bewerten – Pathophysiologie-Teil,
- Kommunikation und Interaktion mit sowie Beratung von hilfesuchenden und hilfebedürftigen Menschen unter Berücksichtigung des jeweiligen Alters sowie soziologischer und psychologischer Aspekte; in Gruppen und Teams zusammenarbeiten – Kommunikationsteil – und
- bei der medizinischen Diagnostik und Therapie mitwirken, lebenserhaltende Maßnahmen und Maßnahmen zur Abwendung schwerer gesundheitlicher Schäden bis zum Eintreffen der Notärztin oder des Notarztes oder dem Beginn einer weiteren ärztlichen Versorgung durchführen. – Algorithmen-Teil.
Die drei Prüfungsteile werden unmittelbar am Stück absolviert, die Dauer der gesamten mündlichen Prüfung muss 30 Minuten betragen, aber nicht mehr als 45 Minuten; dementsprechend bleiben für jeden Teilbereich 10 – 15 Minuten.
Die Prüfung kann einzeln oder zu zweit erfolgen – in letzterem Fall bedeutet das, dass zwei Prüflinge in der Prüfung sitzen und entweder abwechselnd oder nacheinander geprüft werden. Üblicherweise – so auch in meinem Fall – ist es allerdings eine Einzelprüfung.
Das bedeutet: der Prüfling, der Prüfungsvorsitz, ein Notarzt und zwei Fachprüfer – plus etwaige Beisitzer.
Inhaltsverzeichnis
Shortcut
Die Prüfung
Das Setting
Wir hatten erneut einen Aufenthaltsraum zur Verfügung stehen, für Verpflegung und Getränke war gesorgt.
Die Stimmung schwankte deutlich zwischen totaler Panik und Tiefenentspanntheit, je nachdem, mit welchem Gefühl man aus den bisherigen Prüfungen ging. Einige setzten auf Ablenkung, andere auf das kontinuierliche Durchlesen der mitgebrachten Unterlagen.
In einem Punkt waren sich aber alle Beteiligten – Prüfer und Prüflinge – einig: man hatte keine Lust mehr, man war „prüfungsmüde“. Die Prüfer wollten sich wieder dem Unterricht widmen (der während der Prüfungsphase in den anderen Lehrjahren einfach darunter leidet), die Prüflinge wollen die Schule mit einer Urkunde in der Hand verlassen.
Dennoch: allzu große Zugeständnisse kann man auch hier nicht erwarten – abliefern muss man trotz allem. Im Übrigen ist auch bei der mündlichen Prüfung das Erscheinen in Dienstkleidung (üblicherweise) Pflicht!
Die mündliche Prüfung
Wie bei allen anderen Prüfungen standen die Formalia am Anfang der Prüfung – erneut wurden Zulassung und Ausweis kontrolliert, erneut die Frage nach der Prüfungsbereitschaft. Auch hier wurden die Themen gezogen, diesmal jedoch alle drei auf einmal. Raus, warten, Aufruf.
Bei der mündlichen Prüfung sind typischerweise die meisten Prüfer anwesend – davon sollte man sich keineswegs verunsichern lassen.
Man bekommt Papier, Stift und Wasser gestellt.
Alle drei Teilprüfungen sind auf Fallbeispielen aufgebaut, dementsprechend werden sie auch abgehandelt.
Ich durfte den Prüfungstag „eröffnen“, was ich prinzipiell recht gut fand: es war nämlich so einfach schnell rum. Nachteil: ich musste am längsten auf das Ergebnis warten.
Erster Teilbereich – Pathophysiologie
Das Fallbeispiel wird kurz anhand der Einsatzmeldung und Auffindesituation dargestellt: Männlich, 50 Jahre, adipös, akuter Thoraxschmerz mit Ausstrahlung in linken Arm und Unterkiefer.
SSS abfragen, Ersteinschätzung „kritisch“, Einstieg ins xABCDE – das Primary Survey wird im Pathophysiologie-Teil recht schnell abgehandelt – SAMPLER-Anamnese in Kurzform, Vitalparameter gab es in „Kurzform“, EKG-Befund mit ST-Streckenhebungen in II, III, aVF.
Ich mache einen kurzen Abriss über die Differentialdiagnosen der „Big Five“ und lege mich auf das Akute Koronarsyndrom als Arbeitsdiagnose fest. Und mein Power-Vortrag beginnt…
Entsprechend meiner Vorbereitung arbeite ich mich von der Herzanatomie über die Physiologie der Blutversorgung und Erregungsbildung/-leitung am Herzen zur Pathophysiologie vor. Ich rede, und rede, und rede. Selbst wenn die Prüfer zu dem Zeitpunkt Fragen gehabt hätten, gab es wenige Möglichkeiten „reinzugrätschen“.
Ich arbeite die diagnostischen Kriterien für den STEMI ab, differenziere ihn von NSTEMI und instabiler Angina pectoris, weise auf die Gefahr des Rechtsherzinfarktes im vorliegenden Fall hin…eine Nachfrage seitens der Prüfer, welche Gefahren aus einem STEMI allgemein resultieren können (kardiogener Schock durch Pumpversagen, Kreislaufstillstand durch VF/pVT), Thema beendet.
Zweiter Teilbereich – Kommunikation
Auch der Kommunikationsteil wird anhand eines Fallbeispiels abgearbeitet, mit dem Unterschied, dass die medizinische Arbeit am Patienten hier keine Rolle spielt.
In meinem Fall war es eine Schlägerei in der Disco, ein Kontrahent ist deutlich alkoholisiert, hat sichtbare Gesichtsverletzungen, muss in die Klinik, verweigert allerdings jegliche Maßnahmen, weil er weiterfeiern will.
Im Grunde genommen ist die Kommunikationsprüfung nichts anderes als das Abhandeln sämtlicher denkbarer Kommunikationsmodelle; jeweils auf den Fall angewendet und einmal allgemein erklärt.
Für den Einstieg bieten sich beispielsweise die Wahrnehmungseffekte und die Distanzzonen nach Hall an – für den weiteren Verlauf das Vier-Seiten-Modell nach Schulz von Thun, die Bedürfnishierarchie nach Maslow oder auch das Eisberg-Modell.
In Hinblick auf die Kommunikation mit dem Kollegen (CRM!) und die Entscheidungsfindung sollte man FORDEC und 10-4-10 durchaus erwähnen.
Wichtig: beim Kommunikationsfallbeispiel darf man durchaus auch „Common Sense“ walten lassen – die „Lösung“ war am Ende, die Freundin aus der Disco holen zu lassen und ihre Überredungskunst zu nutzen.
Dritter Teilbereich – Algorithmen
Im letzten Teilbereich ging es letztendlich um die tatsächliche Therapie eines Notfallbildes entsprechend der Ausbildungsalgorithmen – in unserem Falle waren es die DBRD-Musteralgorithmen.
Das Fallbeispiel wurde vorgestellt: Motorradfahrer, 20 Jahre, in Kurve ins Rutschen gekommen und mit Thorax gegen Leitpfosten geprallt.
Auch hier erfolgten SSS, Ersteinschätzung und Primary Survey – diesmal ausführlich. Es war recht schnell klar, dass es auf den Spannungspneumothorax hinauslaufen wird (einseitig abgeschwächtes AG, Hautemphysem, leichte Halsvenenstauung, massive Tachypnoe und Dyspnoe, Kreislaufinsuffizienz).
Ich durfte noch kurz mögliche Differentialdiagnosen nennen („Deadly Dozen“ beim Thoraxtrauma), dann ging es nur um das Abarbeiten des Algorithmus „Entlastungspunktion“. Die Erklärungen, warum ich welche Maßnahmen mache, kam jedenfalls gut an.
Es wurde noch kurz nach der weitergehenden Versorgung und Zielklinik gefragt (Thoraxdrainage durch Notarzt, bestenfalls Herz-/Thorax-/Gefäßchirurgie, sonst primär Unfallchirurgie) – dann war auch dieser Teil erledigt.
Fazit: ich empfand die Prüfung als sehr machbar – und angenehm. Von der Atmosphäre her war es ein Fachgespräch auf Augenhöhe. Ich hatte selbstständig geliefert, von daher blieben unangenehme, bohrende Nachfragen auch komplett aus.
Man musste allerdings durchaus Hintergrundwissen zeigen und verknüpfen – die Nachfragen, die es gab, zielten genau darauf ab.
Mein definitiv sehr hoher Redeanteil hat wohl auch die ein oder andere Nachfrage schlicht überflüssig gemacht ^^ – am Ende waren es gute 35 Minuten, die ich in der Prüfung war.
Ergebnis: eine Person ist in der mündlichen Prüfung durchgefallen.
Tipps und Empfehlungen
Das Wichtigste muss man vorneweg nehmen: Don’t panic! Wirklich – den Status als „Angstprüfung“ hat die Mündliche absolut zu unrecht.
Eine besondere fachliche Vorbereitung braucht es meines Erachtens nicht, wenn die Themen der schriftlichen Prüfung gut sitzen – die Pathophysiologie der großen Krankheitsbilder, Kommunikationsmodelle und die jeweiligen Ausbildungsalgorithmen muss man sich aber definitiv eingeprägt haben.
Es gelten hier ebenfalls die Tipps bezüglich der allgemeinen Vorbereitung.
Ansonsten…
- Keine Panik! Man muss es wirklich nochmal erwähnen 😉
- Struktur – es ist absolut empfehlenswert, sich eine allgemeine Erzählstruktur für die einzelnen Teilbereiche vorzubereiten und diese einzuüben. Das hilft unheimlich, nichts zu vergessen – und ein flüssiger, strukturierter „Vortrag“ durch den Prüfling kommt wesentlich besser an, als ein bohrendes „Frage-Antwort-Spiel“.
- Übe, zu reden – gerade ruhigere Leute, die nicht unbedingt viel mündliche Beteiligung im Unterricht geleistet haben, sollten das beherzigen. Alle anderen auch. Man sollte in der Lage sein, ohne besondere Vorbereitung zu beliebigen rettungsdienstlichen Themen aus dem Stehgreif ein paar Minuten lang etwas frei erzählen zu können. Zumindest ein paar Mal sollte man das Prüfungsszenario durchspielen.
- Notizen – man kann, darf und soll Notizen während der Prüfung machen. Das hilft ungemein, nichts elementares zu vergessen – und erleichtert den Wiedereinstieg ungemein, sollte man doch einmal den roten Faden verlieren. Auf dem Notizzettel sollten sich zumindest Einsatzmeldung, Situation und xABCDE für Pathophysiologie und Algorithmus finden, sowie die verschiedenen Kommunikationsmodelle (gerne als „Viereck, Dreieck, Kreis“ usw. dargestellt) finden.
- Bleib‘ auf dem Niveau, dass Du kannst – die Aussage, man sollte fachlich möglichst „Low-level“ einsteigen, ist Quatsch. Wer viel Fachwissen hat, kann, darf und soll das auch präsentieren. Dafür ist die mündliche Prüfung prädestiniert. Man muss allerdings auch in der Lage sein, auf dem selbst gesetzten Niveau zu bleiben. „Stark anfangen, stark nachlassen“ ist problematisch – und am Ende riskiert man auch entsprechende Fragen, wenn man auf fachlichen Tieftauchgang ist. Man sollte wie U-Boot-Stahl sein und immer wieder auftauchen können. Man kann Richtung und fachliche Tiefe als Prüfling sehr gut steuern und sollte davon Gebrauch machen. Oder simpel: Klugscheißen sollte nur, wer auch (berechtigt) klugscheißen kann.
Literaturempfehlungen
Böhmer R., Schneider T., Wolcke B. (2020): Taschenatlas Rettungsdienst, 11. Auflage. Böhmer & Mundloch Verlag.
Affiliate-Link
Luxem J., Runggaldier K., Karutz H., Flake F. (2020): Notfallsanitäter Heute, 7. Auflage. Urban & Fischer Verlag/Elsevier GmbH
Affiliate-Link
Thieme (2023): retten – Notfallsanitäter, 1. Auflage. Georg Thieme Verlag KH.
Affiliate-Link
Klausmeier M. et al. (2022): Prüfungswissen Notfallsanitäter, 2. Auflage. Urban & Fischer Verlag/Elsevier GmbH.
Affiliate-Link
Interessenkonflikte
Der Autor gibt an, dass es sich bei den verlinkten Büchern um Affiliate-Links handelt. Es entstehen keine zusätzlichen Kosten bei der Bestellung über den Link. Eine Einflussnahme bei der Auswahl der Literatur ist dadurch nicht erfolgt. Siehe auch: Hinweise zu Affiliate-Links.
Der Autor gibt an, dass keine Interessenkonflikte bestehen.
Folgt meinem Blog!
Du möchtest nichts mehr verpassen? Neuigkeiten von mir gibt es auch per Mail!
Es gelten unsere Datenschutz– und Nutzungsbestimmungen.
7 Kommentare zu diesem Beitrag: