Die rettungsdienstliche Profilneurose

man holding his face

Bei „Aus dem Pflaster-Laster“ berichte ich von Einsätzen, dem Alltag auf der Rettungswache und von aktuellen Themen – von purer Routine bis zum Drama. Am Ende ziehe ich mein Fazit der Einsätze und zeige auf, was gut lief und was besser laufen könnte. Namen von Patienten, Orten und Kollegen lasse ich selbstverständlich aus.

Inhaltsverzeichnis

Kollegen, die jeder kennt

Manche Art von Kollegen findet man so ziemlich in jedem Rettungsdienst – jeder, der etwas länger dabei ist kennt sie, und so ziemlich jeder, der sie kennt, denkt sich seinen Teil.

Der Rettungsdienst zieht durchaus auch „spezielle“ Menschen an, wovon der ein oder andere Kollege wirklich speziell ist – oder auch mit Vorsicht zu genießen.

Zwar ist der Rettungsdienstler an sich schon etwas eigen – sei es eine bloße „Verschrobenheit“ oder der tiefschwarze, sarkastische bis zynistische Humor – aber einige Menschen fallen in der bunten Truppe dennoch gesondert auf.

Die Rede ist von den übertrieben Geltungssüchtigen, dem personifizierten Geltungsdrang, den selbsternannten Rettungsgöttern, den Schwätzern – oder den, laienpsychologisch diagnostizierten, Profilneurotikern.

Anmerkung

Nein, der Beitrag ist kein „Kollegen-Bashing“ und soll bitte auch nicht so verstanden werden. Auch weniger angenehme Kollegen gehören einfach zum Rettungsdienst dazu – und auch über diese sollte man ein paar Worte verlieren, wenn man ein ehrliches Gesamtbild abliefern möchte.

Dazu also eine etwas humoristischere und eine etwas ernsthaftere Betrachtungsweise 😉

Eine humoristische Betrachtung

„So viel Meinung bei so wenig Ahnung!“

– Aussage eines Kollegen

…trifft den Nagel doch eigentlich schon ganz gut auf den Kopf. Irgendwie macht auch die Gruppe der Geschichtenerzähler ein wenig das Flair des Rettungsdienstes aus – manchmal schaffen sie es tatsächlich, größere fachliche Diskussionen loszutreten; zumindest taugt es oft zur Erheiterung der Belegschaft.

Ein Blick auf den Dienstplan sorgt entweder für ein Schmunzeln oder ein Kopfschütteln, wenn man sich einen entsprechenden Kollegen gefangen hat.

Wer fährt denn nicht gerne mit dem „Godfather of Notfallrettung“ himself, der alles gesehen und gemacht hat? Gut, ausgenommen vielleicht die Kollegen, die mit ihm einen richtigen Notfall haben und lernen, dass der Godfather mit etwas mehr Handlungsdruck schon an der Umsetzung des kleinen 1×1 des Rettungsdienstes scheitert.

Ansonsten macht es ja wirklich Spaß, den Leuten zuzuhören, über die Geschichten zu schmunzeln, die sie erzählen und so ziemlich gegen jede Leitlinie oder medizinisches Basiswissen der letzten zweihundert Jahre verstoßen.

Persönlicher Favorit ist da die NAW-Nachforderung eines KTW bei „Zustand nach Reanimation“ – bei der der Spontankreislauf nur durch Tätscheln auf die Backe wiederhergestellt wurde. Man könnte jetzt natürlich ERC, AHA und ILCOR anschreiben um den Fallbericht in der Resuscitation zu veröffentlichen. Oder man stellt fest, dass Kollegen scheinbar nicht in der Lage sind, eine Synkope von einem Kreislaufstillstand zu unterscheiden. Die Geschichte wurde jedenfalls mit Stolz geschwellter Brust vor dem kompletten Tagdienst so erzählt.

Und wenn man tatsächlich mal keine Einsätze präsentieren kann, bei denen man nicht nur das Ruder komplett herumgerissen, sondern auch noch fünf Hundewelpen aus einem brennenden Haus gerettet hat, gibt man sich eben selbst „Titel“, die die herausragende Stellung eines selbst verdeutlichen.

So kenne ich beispielsweise einen „Rettungssanitäter Plus Plus„. Klingt doch mega qualifiziert und kompetent? Denkt sich betroffener Kollege wohl auch – hört sich auf jeden Fall besser an, als „zweimal krachend bei der Rettungsassistentenprüfung durchgefallen, geklagt, Drittversuch, und nochmal durchgefallen„. So kann man jedenfalls vor Selbstbewusstsein strotzend allen anderen klar machen, dass man ja doch viel fitter und besser ist.

Man darf mich hier nicht falsch verstehen: solche Koryphäen sind im Kollegium wirklich eine Ausnahme – aber es gibt sie. Ich habe hier stets Bauchschmerzen – mal vor Lachen, mal aus Sorge.

Eine etwas ernsthaftere Betrachtung

Spaß beiseite: solche Kollegen können wirklich anstrengend sein und auch tatsächlich Probleme machen.

Die Diskussionen rund um die Einsätze arten durchaus mal aus und enden nicht selten damit, dass absolute Basics der rettungsdienstlichen Arbeit – oder auch des Allgemeinwissens – erläutert werden müssen.

Es ist mir tatsächlich ein Rätsel, mit welcher Entschlossenheit grundfalsche Überzeugungen vertreten werden können – und naheliegende Überlegungen gar nicht erst angestellt werden.

Problematisch wird die fehlende Selbstreflexion dann, wenn es wirklich um etwas geht, wenn Handgriffe sitzen müssen und Mitdenken gefragt ist. Also bei kritischen Patienten.

Zwar kann der ein oder andere Profilneurotiker durchaus abliefern, wenn es drauf ankommt – beim Großteil sieht es anders aus. Leider kann man die Faustregel

„Je mehr jemand schwätzt, desto weniger performt er“

hier leider zu oft unterschreiben. Die meisten Profilneurotiker sind eher fachlich durchschnittliche bis unterdurchschnittliche Kollegen. Die Überforderung und die gemachten Fehler wären ja nicht das Problem, wenn man diese eingestehen würde und daran arbeiten würde; aber genau das passiert eben nicht. Und das macht die Arbeit mit Profilneurotikern unglaublich anstrengend: man hat irgendwann das Gefühl, mit einer Wand zu reden.

Wie kann man damit umgehen?

Ich persönlich vertrete die Meinung, dass man solchen Kollegen eine Sache nicht schenken sollte: Aufmerksamkeit. Solange eine Plattform zur Verbreitung der eigenen Geschichten besteht, wird diese auch genutzt und die Bereitschaft, sich selbst zu hinterfragen, geht tendenziell gegen Null.

Das Problem an dem Geltungsbedürfnis ist ja, dass es irgendwie befriedigt werden will – wird es das, besteht keine Notwendigkeit oder Motivation, etwas zu ändern.

Spätestens ab dem Punkt, wo es patientengefährdend wird, muss man allerdings einschreiten. Hier endet jede, auch düstere, humoristische Betrachtung.

Basis sollte hier stets das persönliche Gespräch mit der betroffenen Person bilden – idealerweise schon in der Einsatznachbesprechung. Freundlich, konstruktiv – aber bestimmt. Fehler müssen an dieser Stelle offen aufgezeigt werden und Lösungs- und Vermeidungsstrategien dargeboten werden.

Wenn alles nichts hilft, gilt die Maßgabe

Melden macht frei – und belastet den Vorgesetzten.

Ja, das gilt als „unkollegial“. Ja, das ist ein Eskalationsschritt. Und man sollte das Instrument „Meldung an den Vorgesetzten“ tatsächlich auch mit Sinn und Verstand – das heißt entsprechend der Notwendigkeit – einsetzen. Eine Denunziation, weil man jemanden nicht mag, darf es nicht sein.

Wenn in irgendeiner Hinsicht eine Patientengefährdung im Raume steht, ein persönliches Gespräch nicht den gewünschten Erfolg gebracht hat oder der Betroffene schlichtweg uneinsichtig ist, sollte die Problematik unbedingt an eine höhere Ebene weitergeleitet werden.

Ich vertrete grundsätzlich die Meinung: null Toleranz bei Gefährdung der Patienten. Absolut nicht.

Es besteht hier aus mehrerlei Hinsicht dann einfach Handlungsbedarf:

  • Schutz der Patienten,
  • Schutz des Rettungsdienstes/des Arbeitgebers,
  • Schutz der Kollegen und auch
  • Schutz des Betroffenen vor sich selbst.

Gerade letzteres ist oft ein guter Ansatz: die Betroffenen sind sich meist gar nicht bewusst, wie sehr sie mit dem Feuer spielen. Und auch wenn sie eine Abmahnung oder gar Kündigung erhalten, ist es für sie immer noch besser als eine Gefängnisstrafe.

Oh Gott, was arbeiten denn für Leute im Rettungsdienst?!

Nein, man muss sich keine Sorge um die Patientensicherheit machen – selbst unter der kleinen Gruppe der „Schwätzer“ ist es eine nochmals sehr viel kleinere Gruppe, die „Problempotential“ hat. Der Rest befindet sich auf dem Level „anstrengend“ bis „nervig“, aber nicht auf dem Level „Patientengefährdung“.

Extremfälle, bei denen man permanent Angst um sich selbst oder die Patienten hat, sind wirklich selten – und sie werden typischerweise auch sehr schnell aus dem Dienst „entfernt“. Weder Kollegen, noch der Arbeitgeber, noch der Ärztliche Leiter Rettungsdienst haben Lust, sich mit drohenden Folgen herumzuschlagen.

Die Beispiele des Practicantus horribilis und das vorschnelle Ende eines FSJlers zeigen, dass man schon unterhalb der Schwelle „Patientengefährdung“ durchaus in der Lage ist, problematischen Kollegen Herr zu werden.

Was zeigt uns dieser Beitrag?

Es ist nicht alles rosarot im Rettungsdienst und es läuft auch nicht immer alles rund – aber auch hier zeigt der Rettungsdienst wieder seine Stärke: Probleme werden lösungsorientiert angegangen!

Interessenkonflikte

Der Autor gibt an, dass keine Interessenkonflikte bestehen.

Quellen

SaniOnTheRoad (2022): Das jähe Ende eines FSJ, abgerufen unter https://saniontheroad.com/das-jaehe-ende-eines-fsj/ am 01.11.2022

SaniOnTheRoad (2021): Der Practicantus horribilis, abgerufen unter https://saniontheroad.com/der-practicantus-horribilis/ am 01.11.2022

Folgt meinem Blog!

Du möchtest nichts mehr verpassen? Neuigkeiten von mir gibt es auch per Mail!

Es gelten unsere Datenschutz– und Nutzungsbestimmungen.

Wie fandest Du diesen Beitrag?

Klicke auf die Sterne um zu bewerten!

Durchschnittliche Bewertung 5 / 5. Anzahl Bewertungen: 2

Bisher keine Bewertungen! Sei der Erste, der diesen Beitrag bewertet.

Es tut uns leid, dass der Beitrag für dich nicht hilfreich war!

Lasse uns diesen Beitrag verbessern!

Wie können wir diesen Beitrag verbessern?


Über SaniOnTheRoad

Die rettungsdienstliche Profilneurose

SaniOnTheRoad

Notfallsanitäter, Teamleiter und Administrator des Blogs. Vom FSJler über Ausbildung bis zum Haupt- und Ehrenamt im Regelrettungsdienst und Katastrophenschutz so ziemlich den klassischen Werdegang durchlaufen. Mittlerweile beruflich qualifizierter Medizinstudent im vorklinischen Abschnitt. Meine Schwerpunkte liegen auf Ausbildungs- und Karrierethemen, der Unterstützung von Neueinsteigern, leitliniengerechten Arbeiten sowie Physiologie, Pathophysiologie, Pharmakologie und EKG für den Rettungsdienst. Mehr über mich hier.