1.14 Sondersituationen I – Zwangseinweisungen

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Lernziele

Nach diesem Beitrag

  • kennst Du die rechtlichen Voraussetzungen zur Unterbringung,
  • kennst Du die Notwendigkeit einer Rechtsgüterabwägung im Falle einer Unterbringung,
  • kennst Du die rechtlichen Unterschiede verschiedener Unterbringungsarten,
  • kennst Du grundlegende Funktionen und Aufgaben von gesetzlichen Betreuer und Betreuungsgericht,
  • kennst Du den grundlegenden Ablauf einer Unterbringung,
  • kennst Du grundsätzliche Verhaltens- und Vorgehensweisen bei einer Zwangseinweisung.

Abstract

Zwangseinweisungen bzw. die Unterbringung des Patienten gegen dessen Willen stellen relativ häufige Sondersituationen im Rettungsdienst mit erhöhtem Gefährdungspotential und rechtlichen Problematiken dar.

Aufgrund des massiven Eingriffs in die Grundrechte ist die Unterbringung an einige juristische Hürden und die Notwendigkeit einer Rechtsgüterabwägung geknüpft.

Es werden drei verschiedene Formen der Unterbringung mit unterschiedlichen Rechtsgrundlagen und Zuständigkeiten (Kreis-/Stadtverwaltung/Landratsamt, gesetzlicher Betreuer, Betreuungsgericht…) unterschieden.

Ein ruhiges, sicheres und bedachtes Auftreten unter besonderer Beachtung des Eigenschutzes mit angemessener Gesprächsführung bildet die Basis des rettungsdienstlichen Vorgehens.

Wiederholung: Straf- und zivilrechtliche Grundlagen

Grundsätzlich muss ein einwilligungsfähiger Patient in jede Maßnahme des Rettungsdienstes – nicht nur in invasive Maßnahmen – einwilligen. Kann ein Patient nicht einwilligen, z.B. weil er bewusstlos ist, tritt an die Stelle der Einwilligung die mutmaßliche Einwilligung.

Wo ein Patient einwilligen kann, kann er selbstverständlich auch nicht einwilligen. Einem einwilligungsfähigen Patienten steht es nach einer situationsgerechten Aufklärung auch frei, eine Behandlung durch den Rettungsdienst und einen Transport ins Krankenhaus abzulehnen.

Die rechtlichen Konsequenzen bei einer gesundheitlichen Schädigung des Patienten nach einer Transportverweigerung können empfindlich sein, es ist hier höchste Sorgfalt geboten.

Bei den geringsten Zweifeln an der Einwilligungsfähigkeit sowie grundsätzlich bei einer vitalen Bedrohung ist ein Notarzt nachzufordern.

Siehe auch Kapitel 1.4

Wiederholung: Eigenschutz und Gefahrenbewusstsein

Egal, um was es geht: Eigenschutz geht grundsätzlich vor – egal, ob es die Massenschlägerei in der Notfallrettung, der infektiöse Patient im Krankentransport oder der Sanitätsdienst auf dem Rockfestival ist.

Gefahren können überall be- und entstehen – damit muss man rechnen. Ein angemessenes Gefahrenbewusstsein ist zur Erkennung und schließlich der Abwehr von Gefahren zwingend notwendig.

„Gedanklich der Situation voraus sein“ ist für eine längerfristige oder dauerhafte Tätigkeit im Rettungsdienst unabdingbar. Probleme erkennen, bevor sie entstehen, vereinfacht nicht nur den Ablauf, sondern erhöht auch die Patientensicherheit (und im Zweifelsfall die eigene).

Siehe auch Kapitel 1.13

Einleitung

„Zwangseinweisungen“ – die juristisch Unterbringung genannt werden – stellen sowohl in der Notfallrettung als auch im qualifizierten Krankentransport regelmäßig auftretende Sondersituationen dar. Dies mag auch daran liegen, dass psychiatrische und psychosoziale Notfälle im Rettungsdienst keine Seltenheit darstellen.

Die Unterbringung meint hierbei die Zuweisung in eine Behandlungseinrichtung gegen den Willen des Patienten. Damit erfolgt hier ein gänzlich anderes Vorgehen als bei regulären Einsätzen, bei dem gerade der Patientenwille das Maß der Dinge ist.

Rechtlich sind Unterbringungen und ihre Voraussetzungen – gerade aufgrund der massiven Eingriffe in die Grundrechte des Betroffenen – genau geregelt und die Voraussetzungen vergleichsweise hoch.

Auch in Bezug auf den Eigenschutz ist höchste Vorsicht geboten, da eine Fremd- und/oder Eigengefährdung regelhaft vorliegt bzw. anzunehmen ist.

Im Folgenden beleuchten wir die juristischen Grundsätze der Unterbringung ebenso wie das Verhalten im Einsatz.

Praxisrelevant

Eine Eigen- und/oder Fremdgefährdung ist grundsätzlich ernst zu nehmen! Der Eigenschutz hat bei Zwangseinweisungen eine besondere Priorität.

Die Unterbringung und ihre rechtlichen Grundlagen

Es werden drei Arten der Unterbringung, die sich nach ihrer Rechtsgrundlage unterscheiden:

  • die Unterbringung nach dem Zivilrecht (bürgerliches Gesetzbuch, Betreuungsrecht),
  • die Unterbringung aufgrund eines Landesgesetzes über Hilfen für psychisch Kranke und
  • die Unterbringung aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung oder Sicherungsmaßnahme.

Im Rahmen des Rettungsdienstes spielen vor allem die beiden ersteren Varianten eine Rolle, daher soll sich der Beitrag auch auf diese beschränken.

Zivilrechtliche Unterbringung (§ 1906 BGB)

Die Unterbringung nach dem Betreuungsrecht (zivilrechtliche Unterbringung) ist in § 1906 BGB geregelt. Grundvoraussetzung ist hier zunächst, dass ein gesetzlicher Betreuer mit entsprechenden Aufgabenbereich durch das zuständige Amtsgericht bestellt wurde.

Ferner muss eine erhebliche Gefahr für Leben und/oder Gesundheit des Betroffenen bestehen oder die Maßnahme zur Abwehr einer drohenden Gesundheitsschädigung zwingend notwendig sein – de facto: die Unterbringung stellt hier eine Ultima ratio dar, wenn andere Maßnahmen nicht erfolgreich waren oder augenscheinlich aussichtslos sind.

Die Unterbringung muss zwingend durch das zuständige Betreuungsgericht genehmigt werden. Einzige Ausnahme hierbei: Gefahr in Verzug (man denke an eine Suizidandrohung nachts oder am Wochenende) – in diesem Falle muss die Genehmigung durch den Betreuer unverzüglich nachgeholt werden.

§ 1906 BGB: Genehmigung des Betreuungsgerichts bei freiheitsentziehender Unterbringung und bei freiheitsentziehenden Maßnahmen

(1) Eine Unterbringung des Betreuten durch den Betreuer, die mit Freiheitsentziehung verbunden ist, ist nur zulässig, solange sie zum Wohl des Betreuten erforderlich ist, weil

  1. auf Grund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung des Betreuten die Gefahr besteht, dass er sich selbst tötet oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt, oder
  2. zur Abwendung eines drohenden erheblichen gesundheitlichen Schadens eine Untersuchung des Gesundheitszustands, eine Heilbehandlung oder ein ärztlicher Eingriff notwendig ist, die Maßnahme ohne die Unterbringung des Betreuten nicht durchgeführt werden kann und der Betreute auf Grund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der Unterbringung nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann.

(2) Die Unterbringung ist nur mit Genehmigung des Betreuungsgerichts zulässig. Ohne die Genehmigung ist die Unterbringung nur zulässig, wenn mit dem Aufschub Gefahr verbunden ist; die Genehmigung ist unverzüglich nachzuholen.

(3) Der Betreuer hat die Unterbringung zu beenden, wenn ihre Voraussetzungen weggefallen sind. Er hat die Beendigung der Unterbringung dem Betreuungsgericht unverzüglich anzuzeigen.

(4) Die Absätze 1 bis 3 gelten entsprechend, wenn dem Betreuten, der sich in einem Krankenhaus, einem Heim oder einer sonstigen Einrichtung aufhält, durch mechanische Vorrichtungen, Medikamente oder auf andere Weise über einen längeren Zeitraum oder regelmäßig die Freiheit entzogen werden soll.

(5) Die Unterbringung durch einen Bevollmächtigten und die Einwilligung eines Bevollmächtigten in Maßnahmen nach Absatz 4 setzen voraus, dass die Vollmacht schriftlich erteilt ist und die in den Absätzen 1 und 4 genannten Maßnahmen ausdrücklich umfasst. Im Übrigen gelten die Absätze 1 bis 4 entsprechend.

Quelle: Bundesamt für Justiz, https://www.gesetze-im-internet.de/bgb/__1906.html, abgerufen am 05.09.2021

Im Regelfall erfolgt – wenn ein rechtlicher Betreuer bestellt wurde – die zivilrechtliche Unterbringung. Die Unterbringung nach einem „Psychisch-Kranken-Gesetz“ ist hier meist obsolet und wird durch die zivilrechtliche Unterbringung ersetzt.

Praxisrelevant

Sofern der gesetzliche Betreuer nicht erreicht werden kann, greift in einer entsprechenden Situation regelhaft das PsychKHG des jeweiligen Bundeslandes.

Unterbringung nach einem Landesgesetz über Hilfen für psychisch Kranke (PsychKHG)

Außerhalb einer gesetzlichen Betreuung besteht auch die Möglichkeit der Unterbringung entsprechend landesrechtlicher Vorschriften und Gesetze. Diese unterscheiden sich von Bundesland zu Bundesland – dementsprechend ist es notwendig, sich entsprechend über die gesetzliche Lage vor Ort zu informieren. Im Folgenden wird die Lage am Beispiel von Rheinland-Pfalz erläutert.

§ 11 PsychKHG RLP: Voraussetzungen der Unterbringung

(1) Eine Unterbringung im Sinne dieses Gesetzes liegt vor, wenn eine psychisch erkrankte Person gegen ihren Willen oder im Zustand der Willenlosigkeit in eine Einrichtung nach § 14 Abs. 1 eingewiesen wird oder in der Einrichtung verbleiben soll.

(2) Eine psychisch erkrankte Person darf nur untergebracht werden, wenn und solange sie durch ihr krankheitsbedingtes Verhalten in ihrer Einsichts- und Steuerungsfähigkeit beeinträchtigt ist und gegenwärtig ihre Gesundheit, ihr Leben oder andere eigene bedeutende Rechtsgüter oder bedeutende Rechtsgüter Dritter erheblich gefährdet und diese Gefahr nicht anders abgewendet werden kann. Eine gegenwärtige Gefahr im Sinne des Satzes 1 besteht dann, wenn infolge der psychischen Erkrankung ein schadenstiftendes Ereignis unmittelbar bevorsteht oder sein Eintritt zwar unvorhersehbar, wegen besonderer Umstände jedoch jederzeit zu erwarten ist. Die fehlende Bereitschaft, sich behandeln zu lassen, rechtfertigt für sich allein keine Unterbringung.

(3) Die Bestimmungen dieses Gesetzes über die Unterbringung finden keine Anwendung, wenn eine Person aufgrund des Aufenthaltsbestimmungsrechts der Person, der die gesetzliche Vertretung obliegt, untergebracht und die in Absatz 2 Satz 1 genannte Gefahr damit abgewendet wird.

(4) Eine Unterbringung nach diesem Gesetz darf nicht vollzogen werden, wenn die betroffene Person sich aufgrund richterlicher Anordnung in Haft oder in sonstigem öffentlich-rechtlichen Gewahrsam befindet.

Quelle: Justizportal Rheinland Pfalz, http://landesrecht.rlp.de/jportal/portal/t/9jv/page/bsrlpprod.psml/action/portlets.jw.MainAction?p1=i&eventSubmit_doNavigate=searchInSubtreeTOC&showdoccase=1&doc.hl=0&doc.id=jlr-PsychKGRP2021pP11&doc.part=S&toc.poskey=#focuspoint abgerufen am 05.09.2021

Analog zur zivilrechtlichen Unterbringung ist auch die Unterbringung nach PsychKHG an entsprechende Voraussetzungen geknüpft:

  • Beeinträchtigung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit durch krankheitsbedingtes Verhalten,
  • erhebliche Gefahr für die Rechtsgüter Leben, Gesundheit, andere bedeutende Rechtsgüter und/oder andere bedeutende Rechtsgüter Dritter (Eigen- und/oder Fremdgefährdung) und
  • keine andere Abwendung der Gefahr möglich (mildestes, geeignetes Mittel).

Im Falle von Rheinland-Pfalz wird die Unterbringung nach PsychKHG ausgeschlossen, wenn eine gesetzliche Betreuung vorliegt – die zivilrechtliche Unterbringung ersetzt in diesem Falle die Unterbringung nach PsychKHG.

Die zuständige Behörde für ein Unterbringungsverfahren ist die Kreisverwaltung oder Stadtverwaltung einer kreisfreien Stadt. Die Unterbringung wird durch die zuständige Behörde beim jeweiligen Amtsgericht beantragt, zusätzlich ist ein fachärztlich-psychiatrisches Gutachten für die Unterbringung notwendig.

Bei Gefahr in Verzug besteht auch die Möglichkeit der vorläufigen Unterbringung, wenn bei vorliegender Notwendigkeit und entsprechender Eilbedürftigkeit nicht schnell genug ein richterlicher Beschluss erwirkt werden kann. Diese ist zeitlich stark begrenzt (i.d.R. 24 Stunden).

In diesem Falle ist eine ärztliche Untersuchung (kein Gutachten) erforderlich, die zuständige Behörde muss durch die aufnehmende Einrichtung unverzüglich informiert werden. Dies stellt im Falle des Rettungsdienstes meist den Regelfall dar.

Praxisrelevant

  • Grundannahme für eine Indikation zur Unterbringung: Beeinträchtigung der Einsichts- und/oder Steuerungsfähigkeit + Eigen- und/oder Fremdgefährdung + nicht anderweitig abwendbare Gefahr
  • Zuständige Behörde ist die Kreisverwaltung/Landratsamt oder Stadtverwaltung einer kreisfreien Stadt
  • Eine Unterbringung setzt fachärztlich-psychiatrisches Gutachten sowie einen richterlichen Beschluss voraus
  • Vorläufige Unterbringung: nur bei Gefahr in Verzug, ärztliche Untersuchung notwendig, zeitlich begrenzt (i.d.R. maximal 24 Stunden)

Die Rechtsgüterabwägung

Eine Unterbringung ist kein juristischer Pappenstiel – es erfolgt hier eine massive Beschneidung der Grundrechte des Betroffenen, die eben nur unter den sehr eng gesteckten Grenzen überhaupt zulässig ist. Außerhalb dieser werden diverse Straftatbestände, wie die Freiheitsberaubung (§ 239 StGB) oder Körperverletzung (§ 223 StGB), verwirklicht.

Artikel 2 GG

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

Quelle: Bundesamt für Justiz, https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_2.html, abgerufen am 05.09.2021

Es muss demnach genau abgewogen werden, ob die Notwendigkeit der Unterbringung schwerer wiegt als die Grundrechte des Betroffenen – eben eine Rechtsgüterabwägung.

Hierfür ist die Nachforderung (entsprechend lokaler Regelung) von Notarzt und/oder Polizei bzw. Ordnungsamt entsprechend notwendig.

Verhalten im Einsatz

Grundregeln

Wie bei kaum einem anderen Einsatz gilt hier: Eigenschutz geht vor!

Psychische Ausnahmesituationen – welche den Großteil der „Zwangseinweisungen“ darstellen – bergen ein erhebliches Gefahren- und Eskalationspotential. Selbst vermeintlich sichere und entspannte Situationen können in wenigen Augenblicken aus dem Nichts in das Gegenteil umschlagen.

Es bietet sich hierbei an, grundsätzlich einen größeren Abstand zum Patienten zu wählen (pauschal: mindestens drei Armlängen), die Umgebung aufmerksam zu beobachten und Rückzugsmöglichkeiten offen zu halten. Dem Patienten sollte keinesfalls während der Anwesenheit der Rücken zugedreht werden!

Umso mehr muss auf die Kommunikation geachtet werden: ruhig, sachlich und neutral sind absolute Grundsätze. Für die Gesprächsführung sollte man wesentlich mehr Zeit einplanen und sich diese auch nehmen – der Patient ist auch in dieser Situation ernst zu nehmen. Eine neutrale Körpersprache sollte die verbale Kommunikation unterstreichen – das eigene Handeln sollte dem Patienten möglichst transparent dargelegt werden.

Provokationen, Drohungen, Vorwürfe und Anschuldigungen sind – was selbstverständlich sein sollte – um jeden Preis zu vermeiden. Umgekehrt dürfen Provokationen und Beleidigungen des Betroffenen nicht zu einer weiteren Eskalation des Rettungsdienstpersonals führen.

Gleichermaßen ist jedoch ein sicheres Auftreten seitens des Rettungsdienstes anzuraten.

Eine respektvolle, menschliche Behandlung muss auch in dieser Sondersituation erfolgen – unabhängig vom Einsatzverlauf.

Deeskalation, Kooperation und Autonomie des Patienten sind dem Zwang grundsätzlich vorzuziehen.

Verfahrensweisen

Einer der primären Grundsätze ist: die Möglichkeit des freiwilligen Transports und der freiwilligen Behandlung ist dem Betroffenen anzuraten und das „Wunschziel“ des Einsatzes.

Gegebenenfalls sind ein „Talk-Down“ und andere deeskalierende Maßnahmen, um den Patienten zur Kooperation zu bewegen, ausreichend. In diesem Falle entfällt die Notwendigkeit einer zwangsweisen Unterbringung gänzlich.

Willigt der Patient nicht in den Transport ein, muss unterschieden werden, ob dessen Einwilligungs- und Einsichtsfähigkeit vorhanden ist. Hierfür bietet sich beispielsweise die Checkliste „Versorgungs-/Beförderungsablehnung durch Patienten“ der DBRD-Musteralgorithmen an.

Ist die Einwilligungsfähigkeit gegeben, kann der Patient die Maßnahmen selbstverständlich ablehnen – das Patientenrechtegesetz gilt dementsprechend.

Ist die Einwilligungsfähigkeit nicht gegeben, muss die Indikation für eine Unterbringung gegen den Willen des Betroffenen geprüft werden. Bei

  • eingeschränkter oder fehlender Einsichts-/Einwilligungsfähigkeit („Der Patient kann die Tragweite der Entscheidung nicht vollends erfassen„) und
  • vorliegender (auch potentieller) Eigen- und Fremdgefährdung

sollte primär von einer entsprechenden Indikation ausgegangen werden und Maßnahmen dementsprechend eingeleitet werden.

Wurde ein gesetzlicher Betreuer bestellt, ist dieser primär zu informieren und muss ggf. entsprechende Maßnahmen veranlassen (zivilrechtliche Unterbringung).

In den übrigen Fällen erfolgt die Nachforderung des Notarztes (Notwendigkeit der ärztlichen Untersuchung) sowie ggf. der Polizei oder des Ordnungsamts nach lokaler Regelung. Sofern sich die Indikation bestätigt, erfolgt die Unterbringung sowie der Transport ggf. in Begleitung der Polizei oder des Ordnungsamtes.

Praxistipp

In Zusammenhang mit psychiatrischen Problemen/Notfällen und der Ablehnung eines Transports sollte der Notarzt durchaus niedrigschwellig nachgefordert werden.

Muster-Algorithmus Transportverweigerung

© 2023 SaniOnTheRoad. Bitte Hinweise zu den Musteralgorithmen beachten!

Zusammenfassung

  • Unterbringung: Zuweisung in eine Behandlungseinrichtung gegen den Willen des Patienten.
  • Eine Eigen- und/oder Fremdgefährdung ist grundsätzlich ernst zu nehmen!
  • Der Eigenschutz hat bei Zwangseinweisungen eine besondere Priorität!
  • Rettungsdienstlich relevant: zivilrechtliche Unterbringung und Unterbringung nach PsychKHG
  • Grundannahme für eine Indikation zur Unterbringung: Beeinträchtigung der Einsichts- und/oder Steuerungsfähigkeit + Eigen- und/oder Fremdgefährdung + nicht anderweitig abwendbare Gefahr
  • Zivilrechtliche Unterbringung: gesetzlicher Betreuer ordnet mit Zustimmung des Betreuungsgerichts die Unterbringung an; bei Gefahr in Verzug kann die Genehmigung nachgeholt werden
  • Unterbringung nach PsychKHG: bei Vorliegen der Voraussetzungen, wenn kein gesetzlicher Betreuer bestellt ist
  • Zuständige Behörde ist die Kreisverwaltung/Landratsamt oder Stadtverwaltung einer kreisfreien Stadt
  • Eine Unterbringung setzt fachärztlich-psychiatrisches Gutachten sowie einen richterlichen Beschluss voraus
  • Vorläufige Unterbringung: nur bei Gefahr in Verzug, ärztliche Untersuchung notwendig, zeitlich begrenzt (i.d.R. maximal 24 Stunden)
  • sichere, ruhige, neutrale Kommunikation – nicht provozieren, nicht auf Provokationen eingehen
  • Im Zweifelsfall: Notarzt niedrigschwellig nachfordern
  • Deeskalation, Kooperation und Autonomie des Patienten sind dem Zwang grundsätzlich vorzuziehen.

Lernziele

Du kennst nun

  • die rechtlichen Voraussetzungen zur Unterbringung,
  • die Notwendigkeit einer Rechtsgüterabwägung im Falle einer Unterbringung,
  • die rechtlichen Unterschiede verschiedener Unterbringungsarten,
  • grundlegende Funktionen und Aufgaben von gesetzlichen Betreuer und Betreuungsgericht,
  • den grundlegenden Ablauf einer Unterbringung,
  • grundsätzliche Verhaltens- und Vorgehensweisen bei einer Zwangseinweisung.

Interessenkonflikte

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Der Autor gibt an, dass keine Interessenkonflikte bestehen.

Quellen

Böhmer R., Schneider T., Wolcke B. (2020): Taschenatlas Rettungsdienst, 11. Auflage. Böhmer & Mundloch Verlag, Mainz. ISBN 978-3-948320-00-3. Hier erhältlich: https://amzn.to/4aQsX9p Affiliate-Link

Bundesamt für Justiz (2021): Artikel 2 GG, abgerufen unter https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_2.html am 05.09.2021

Bundesamt für Justiz (2021): § 223 Körperverletzung, abgerufen unter https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__223.html am 05.09.2021

Bundesamt für Justiz (2021): § 239 Körperverletzung, abgerufen unter https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__239.html am 05.09.2021

Justizportal Rheinland-Pfalz (2020): Landesgesetz über Hilfen bei psychischen Erkrankungen
(PsychKHG) vom 15. Oktober 2020
, abgerufen unter http://landesrecht.rlp.de/jportal/portal/t/a3c/page/bsrlpprod.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=1&fromdoctodoc=yes&doc.id=jlr-PsychKGRP2021rahmen&doc.part=X&doc.price=0.0&doc.hl=1#focuspoint am 05.09.2021

Luxem J., Runggaldier K., Karutz H., Flake F. (2020): Notfallsanitäter Heute, 7. Auflage. Urban & Fischer Verlag/Elsevier GmbH, München. ISBN 978-3437462115. Hier erhältlich: https://amzn.to/3s8KEh5 Affiliate-Link

SaniOnTheRoad (2020): Psychosoziale Notfälle im Rettungsdienst, abgerufen unter https://saniontheroad.com/psychosoziale-notfalle-im-rettungsdienst/ am 03.02.2022

SaniOnTheRoad (2020): 1.4 Straf- und zivilrechtliche Grundlagen, abgerufen unter https://saniontheroad.com/1-4-straf-und-zivilrechtliche-grundlagen/ am 03.02.2022

SaniOnTheRoad (2021): 1.13 Berufskunde für Rettungssanitäter II, abgerufen unter https://saniontheroad.com/1-13-berufskunde-fur-rettungssanitater-ii/ am 03.02.2022

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Notfallsanitäter, Teamleiter und Administrator des Blogs. Vom FSJler über Ausbildung bis zum Haupt- und Ehrenamt im Regelrettungsdienst und Katastrophenschutz so ziemlich den klassischen Werdegang durchlaufen. Mittlerweile beruflich qualifizierter Medizinstudent im vorklinischen Abschnitt. Meine Schwerpunkte liegen auf Ausbildungs- und Karrierethemen, der Unterstützung von Neueinsteigern, leitliniengerechten Arbeiten sowie Physiologie, Pathophysiologie, Pharmakologie und EKG für den Rettungsdienst. Mehr über mich hier.

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