„Kleines 1×1 des Rettungsdienstes“ bietet eine Übersicht über Aufbau, Struktur und Gepflogenheiten des Rettungsdienstes in Deutschland. Hier geht es um das, was Interessenten und Neueinsteiger wissen sollten.
Zu „Teil 5 – Willkommen auf der Rettungswache“ geht es hier.
Teil 6 – Wie läuft ein Rettungseinsatz eigentlich ab?
Das, was der Nicht-Rettungsdienstler vom Einsatz mitbekommt, beschränkt sich größtenteils auf die Anfahrt – nicht selten mit Sonder- und Wegerechten und die Arbeit am Patienten. Mal in der eigenen Wohnung, der von Freunden, Bekannten oder Angehörigen oder aber im öffentlichen Raum.
Ihr vermutet es oder wisst es sogar: vorher und nachher läuft doch noch eine ganze Menge ab.
Der Einsatz beginnt nicht erst mit dem Tätigwerden des Rettungsdienstes vor Ort, sondern schon mit dem Notruf – der Einsatz endet auch erst dann, wenn der RTW wieder auf der Wache steht.
In diesem Beitrag möchte ich das Ganze an einem Fallbeispiel, das tatsächlich so ziemlich jeden treffen kann, erläutern. Und nein, der völlig Fremde, den man aus dem verunfallten PKW zieht, der ist’s nicht.
Der Beginn
Jeder Einsatz beginnt mit etwas unschönen – dem (medizinischen) Notfall.
Es ist ein schöner Sonntag Vormittag und Du hast dich mit deinen Eltern, beide Mitte fünfzig, zum Mittagessen verabredet. Da Du sonst nicht so oft vorbeikommen kannst, bist Du etwas früher dran, um noch bei den Vorbereitungen helfen zu können. Du klingelst und deine Mutter macht auf.
„Gut, dass Du da bist! Dem Papa geht es auf einmal total schlecht“
Verwundert und besorgt betrittst Du die Wohnung, schmeißt deine Jacke in die Ecke und gehst schnurstracks ins Wohnzimmer, wo dein Vater auf dem Sofa liegt.
Schon auf den ersten Blick siehst Du, dass es ihm nicht gut geht – er ist kreidebleich, verschwitzt und atmet mit großer Anstrengung. Er war immer so fit und gut drauf – und jetzt ist Dir klar, dass dein Vater offenbar ernsthaft krank ist. Auf die Frage, was los ist, bekommst Du nur ein
„Ah … mir tut die Brust so weh, ich bekomm kaum Luft … irgendetwas … stimmt nicht.“
Dir ist klar, dass hier etwas gewaltig nicht stimmt und es ernst wird – Du lässt dir von deiner Mutter das Telefon bringen und wählst die 112. Und an dieser Stelle steigen wir in das Geschehen ein…
Der Notruf
„Notruf Feuerwehr Rettungsdienst! Wo genau ist der Notfallort?“
Du bist zwar etwas überrascht von der prompten Rückfrage, nennst aber die Adresse deiner Eltern. Der Disponent wiederholt die Adresse.
„Was ist passiert?“
„Mein Vater hat auf einmal solche Schmerzen in der Brust und er bekommt schlecht Luft.“
„Ist Ihr Vater wach?“
„Ja, ist er“
„Atmet ihr Vater?“
„Ja, aber sehr angestrengt“
„Wie heißt hier Vater und wie alt ist er?“
Du nennst Namen und Alter, der Disponent wiederholt es.
„Was soll ich jetzt tun?“
„Öffnen Sie enge Kleidung, sorgen Sie dafür, dass er nicht ganz flach liegt – Ihr Vater sollte nicht mehr aufstehen und nichts anstrengendes mehr machen. Bitte nichts essen oder trinken lassen.“
„Okay“
„Sind Sie unter der Nummer, mit der Sie angerufen haben erreichbar?“
„Ja“
„Der Rettungsdienst ist unterwegs. Wenn sich etwas verändert, rufen Sie sofort wieder an. Sie können jetzt auflegen.“
Was ist hier passiert?
Das, was Du hier erlebt hast, ist eine Form der standardisierten Notrufabfrage – und tatsächlich, das erinnert doch stark an die fünf W-Fragen, die man noch aus dem Erste-Hilfe-Kurs oder der Schule kennt.
Wie man erkennt: Du musst dir die Fragen nicht auswendig merken – der Leitstellendisponent wird dich automatisch nach den Informationen fragen, die er braucht. Wichtig ist hier aber, dass Du zuhörst und die Fragen möglichst genau beantwortest.
Die Daten werden noch während des Telefonats aufgenommen und in die entsprechende Leitstellensoftware eingegeben – je nach dem Abfrageergebnis („Was hat der Patient?“), werden Rettungsmittel entsprechend einer Vorgabe (der Alarm- und Ausrückeordnung) vorgeschlagen und die ausgewählt, die am schnellsten vor Ort sind.
Diese werden durch den Disponenten ausgewählt und alarmiert. Wichtig: das alles passiert noch, bevor Du auflegst – dein Notruf verzögert die Alarmierung also nicht! Deshalb solltest Du niemals selbstständig auflegen (und weil im Zweifelsfall noch wichtige Informationen fehlen), sondern die Anweisungen des Disponenten befolgen – das reicht von einfachen Erste-Hilfe-Anweisungen bis zur telefonisch angeleiteten Reanimation (dazu ein Beitrag vom Ärzteblatt).
Was heißt das im konkreten Fall?
Der Disponent entscheidet sich auf Grundlage deiner Informationen für das Einsatzstichwort „Akutes Koronarsyndrom“ – das sieht neben einem RTW auch ein NEF vor. Der RTW braucht rund 15 Minuten, das NEF etwas über 20 Minuten. Aufgrund der langen Anfahrtszeit wird zusätzlich der First Responder des DRK im Wohnort deiner Eltern alarmiert.
Die Besatzungen erhalten über Funkmeldeempfänger (oder digitale Meldeempfänger) die Alarmierung – mal mit Durchsage, mal mit der Einsatzmeldung in Klartext.
Eine Minute nach der Alarmierung sind RTW und NEF ausgerückt (Status 3), nach etwa fünf Minuten der First Responder.
Der Einsatz vor Ort
Bange Minuten des Wartens beginnen, die dir wie eine Ewigkeit vorkommen -und deinem Vater geht es immer noch nicht besser. Erleichterung macht sich erst breit, als Du das Fahrzeug der First Responder mit Blaulicht vor dem Haus siehst.
Zwei Sanitäter des DRK-Ortsvereins kommen schnellen Schrittes und mit AED, Notfallkoffer und Sauerstofftasche bepackt in das Haus, wo Du sie in Empfang nimmst und die Lage schilderst. Sie fragen nach den Beschwerden und beginnen mit der ersten Untersuchung deines Vaters, messen den Blutdruck, zählen den Puls aus, messen den Sauerstoffgehalt des Blutes mit einem Pulsoxymeter und geben deinem Vater Sauerstoff über eine Sauerstoffbrille.
Zudem wird eine Infusion für die mittlerweile eingetroffene RTW-Besatzung gerichtet.
Diese macht sich, ebenfalls mit EKG, Sauerstoffrucksack und Notfallkoffer bepackt auf den Weg in die Wohnung. Es erfolgt die Übergabe von den First Respondern, dann beginnen Notfallsanitäter und Rettungssanitäter des RTWs zu arbeiten – ein 12-Kanal-EKG wird geschrieben, ausgedruckt und ein venöser Zugang gelegt, über den die vorbereitete Infusion verabreicht wird.
Nach Begutachtung des EKGs durch den Notfallsanitäter, das auffällig ist, in Kombination mit den Symptomen, entscheidet er sich für die Arbeitsdiagnose „Akutes Koronarsyndrom“ – und eine umgehende medikamentöse Behandlung.
Nach einer Abklärung der Kontraindikationen, der Aufklärung und Einwilligung deines Vaters erhält er Nitroglycerin sublingual sowie ASS und Heparin intravenös.
Mittlerweile ist auch der Notarzt eingetroffen – dieser erhält von der RTW-Besatzung die Übergabe, führt eine kurze Anamnese bei deinem Vater durch und befundet das EKG. Er diagnostiziert einen Herzinfarkt mit ST-Streckenhebung.
Der NEF-Fahrer klärt über die Leitstelle das nächstgelegene Herzkatheterlabor ab. Aufgrund der anhaltenden starken Schmerzen verabreicht der Notarzt Morphin intravenös sowie vorbeugend ein Mittel gegen die Übelkeit, Vomex (Wirkstoff Dimenhydrinat).
Die RTW-Besatzung bereitet die Trage vor, bringt diese in die – Gott sei Dank – ebenerdige und geräumige Wohnung und lagert deinen Vater um. Er wird nach draußen in den RTW verbracht, wo noch einmal sämtliche Vitalparameter mittels ABCDE-Schema kontrolliert werden.
Der Platz im Herzkatheterlabor ist abklärt und die Fahrt kann beginnen. Fahrzeit eine halbe Stunde. Du bekommst gesagt, dass Du in ein bis zwei Stunden nachkommen kannst.
Die Fahrt ins Krankenhaus
Die Vitalparameter sind stabil – der Rettungssanitäter des RTW meldet sich über „Status 7“ in das nächstgelegene Herzkatheterlabor. Aufgrund des dennoch kritisch bleibenden Zustandes deines Vaters erfolgt der Transport mit Sonder- und Wegerechten, also mit „Blau“. Das NEF fährt hinterher.
Währendessen erfolgt auch eine kontinuierliche Kontrolle der Vitalparameter mittels EKG, Pulsoxymetrie und Blutdruckmessung. Durch die anhaltenden Schmerzen entschließt sich der Notarzt, der selbstverständlich den Transport begleitet, zu einer erneuten Gabe von Morphin. Die Brustschmerzen bessern sich.
Während des Transportes schreibt der Notarzt das Protokoll (ugs. „DIVI-Protokoll“) mit allen persönlichen Daten deines Vaters und den wichtigsten Daten des Einsatzes – darunter die erhobenen Messwerte, die Anamnese und Beschwerden, die eingeleiteten Maßnahmen sowie die medikamentöse Behandlung. Das Protokoll wird im Krankenhaus mit abgegeben.
Im Krankenhaus
Status 8 – RTW und NEF kommen am Krankenhaus an. Mit der Fahrtrage wird dein Vater nach draußen befördert und der Weg geht mit EKG und tragbaren Sauerstoffrucksack Richtung Herzkatheterlabor. Der NEF-Fahrer meldet deinen Vater währendessen im Krankenhaus an.
Im Herzkatheterlabor erfolgt die Übergabe vom Notarzt an den diensthabenden Kardiologen – dieser schließt sich dem Befund an und klärt deinen Vater über die Herzkatheteruntersuchung, bei der vermutlich „Gefäßstützen“ (Stents) in die Herzkranzarterien eingebracht werden, auf.
Der Notarzt unterschreibt das Protokoll, die RTW-Besatzung schnappt sich die Trage und es geht zurück an den RTW. Die Trage wird desinfiziert und neu bezogen, die Geräte und der Notfallkoffer wieder aufgerüstet, die Sauerstoffstände werden nochmal kontrolliert.
Nach dem Einsatz
Ist der RTW fertig aufgeräumt, geht es „Einsatzbereit über Funk“ (Status 1) zurück auf die Wache. Der RTW und das NEF stehen für den Fall eines erneuten Einsatzes wieder zur Verfügung und können direkt über Funk angesprochen werden.
Auf der Wache angekommen (Status 2) geht es an das Auffüllen – alles, was während des Einsatzes gebraucht wurde, wird aus dem Lager aufgefüllt. Auch die Sauerstoffflaschen werden nach Bedarf gewechselt.
Zudem werden die Einsätze für die Abrechnung mit der Krankenkasse erfasst – das sieht lokal sehr unterschiedlich aus und erfolgt bisweilen mit speziellen Programmen.
Ab hier ist der Einsatz für die Beteiligten erledigt – während es im Krankenhaus weitergeht.
Background-Info
Notruf
Der Notruf 112 (natürlich ohne Vorwahl) ist deutschlandweit der Notruf für Feuerwehr, Rettungsdienst und Notarzt. Auch wenn auf manchen Rettungsdienstfahrzeugen (noch) die 19222 prangt, ist diese keine Notrufnummer – man kommt zwar auch bei der Leitstelle heraus, genießt aber weder die Technik noch die Dringlichkeit eines Notrufs. Zudem ist er als „Euronotruf“ in allen EU-Ländern sowie einigen weiteren Ländern als Notruf geschaltet.
First Responder
Auch „Helfer vor Ort“ genannt; sind ehrenamtliche qualifizierte Ersthelfer, oft mit sanitätsdienstlicher Ausbildung, die zur Überbrückung des therapiefreien Intervalls zusätzlich zu regulären Kräften des Rettungsdienstes alarmiert werden können.
ABCDE-Schema
Standardisiertes Untersuchungsschema des Rettungsdienstes, bei dem Atemwege (A), die Lungenbelüftung (B), der Kreislauf (C), der neurologische Status (D) sowie eine schnelle Ganzkörperuntersuchung auf Verletzungen und sonstige Hinweise (E) erfolgt.
Funkstatus
Im BOS-Funk, dem Funk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben, werden Status zur Übermittlung der Einsatzbereitschaft genutzt. Diese können einfach über Tasten gedrückt werden und werden in der Leitstelle angezeigt. Im Rettungsdienst werden folgende Status verwendet:
- Status 1 – Einsatzbereit über Funk
- Status 2 – Einsatzbereit auf Wache
- Status 3 – Einsatz übernommen („Auf Anfahrt“)
- Status 4 – Einsatzort angekommen
- Status 5 – Sprechwunsch (Aufforderung an die Leitstelle, sich über Funk zu melden)
- Status 6 – nicht einsatzbereit (auch „außer Dienst“)
- Status 7 – Einsatz gebunden („Fahrt ins Krankenhaus“)
- Status 8 – Bedingt einsatzbereit („Am Zielort angekommen“)
- Status 9 – Handquittung/Einsatzübernahme bei NEF ohne Notarzt (auch „Verstanden“)
- Status 0 – im Analogfunk Notruf, im Digitalfunk dringender Sprechwunsch
Im nächsten Teil folgt: Sonder- und Wegerechte und Mythen „rund um Blaulichtfahrten“.
Folgt meinem Blog!
Du möchtest nichts mehr verpassen? Neuigkeiten von mir gibt es auch per Mail!
Es gelten unsere Datenschutz– und Nutzungsbestimmungen.
2 Kommentare zu diesem Beitrag: