Arbeitswelt Rettungsdienst – eine kritische Betrachtung

Bei „Aus dem Pflaster-Laster“ berichte ich von Einsätzen, dem Alltag auf der Rettungswache und von aktuellen Themen – von purer Routine bis zum Drama. Am Ende ziehe ich mein Fazit der Einsätze und zeige auf, was gut lief und was besser laufen könnte. Namen von Patienten, Orten und Kollegen lasse ich selbstverständlich aus.

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“Es ist nicht alles Gold, was glänzt”

– Unbekannt

…und das gilt auch für den Rettungsdienst bzw. die tagtägliche rettungsdienstliche Arbeit.

Warum eine kritische Auseinandersetzung?

Ich vertrete die Auffassung, dass die Menschen durchaus Interesse an “ihrem” Rettungsdienst hegen dürfen, ja sogar sollen. Neben dem “Was ist möglich?” und “Wie kann ich einsteigen?” möchte ich aber auch die Möglichkeit bieten, über den Tellerrand hinauszublicken.

“Die Leute finden den Rettungsdienst geil.”

– SaniOnTheRoad

Und die Aussage kann man in ihrer genialen Einfachheit stehen lassen. Der Rettungsdienst interessiert und begeistert eine Vielzahl von Menschen – man betrachte einfach nur die Anzahl der Follower allein hier bei wordpress, die z.B. ich innerhalb von nicht einmal drei Monaten erreicht habe oder die anderer Mitblogger in diesem Thema wie Rettung24h.blog oder blaulichtauto.

Rettungsfachkräfte teilen sich zusammen mit Feuerwehrleuten die ersten Plätze bei den “vertrauenswürdigsten Berufen” – und das Jahr für Jahr.

Bewerberzahlen für die NFS-Ausbildung sind konstant hoch und aktuell besteht vielerorts überhaupt kein Mangel an Interessenten. Das Ehrenamt im Sanitätsdienst ist auf einem Beliebtheitshoch. Ein Freiwilligendienst im Rettungsdienst ist cool.

Der Rettungsdienst hat genügend “Begeisterungsmerkmale” – das ist vielleicht ein wesentlicher Unterschied zu den Pflegeberufen bzw. zur Krankenpflege. Es werden sich sicher alle darauf einigen können, dass die Pflege ein unverzichtbarer, wichtiger und unterschätzter Teil der Gesellschaft ist, aber “geil“? Ein “Pflege ist geil” wird man nur von den allerwenigsten hören.

Liebe Pflegefachkräfte, nehmt es mir bitte nicht übel ^^

All das führt aber auch zu einem verzerrten Bild – einer durchweg positiven Außendarstellung des Rettungsdienstes. Und die ignoriert eine Seite der Medaille bisweilen komplett.

Kritisch betrachtet: Arbeitszeiten

Dass im Rettungsdienst Schichtarbeit und die Arbeit in Wechselschichten stattfindet, ist kein Geheimnis – reine Krankentransportunternehmen oder Rettungsfachpersonal, dass ausschließlich im Krankentransport tätig ist, sei hiervon mal ausgenommen.

Eine Wochenarbeitszeit von bis zu 48 Stunden (entsprechend einer 6-Tage-Woche bei 8 Stunden/Tag) ist vielerorts noch die Regel; insbesondere dort, wo es weder Tarifverträge noch Betriebsvereinbarungen gibt.

In der Notfallrettung findet man 12-Stunden-Schichten, seltener auch 24-Stunden-Schichten – diese bestehen zu einem Teil Arbeitszeit, zum anderen aus einer Bereitschaftszeit. Letztere wird oft deutlich schlechter bezahlt als die Arbeitszeit, gelegentlich sogar überhaupt nicht.

Einen planbaren Feierabend gibt es nicht – Notfalleinsätze können nicht abgelehnt werden.

Der Dienst erfolgt zudem auch an Wochenenden, an Feiertagen und nachts. Gerade in Verbindung mit der Wechselschicht führt das nicht nur zu einer erheblichen gesundheitlichen Belastung, sondern auch zu einem mehr oder minder stark darunter leidenden Privatleben.

Kritisch betrachtet: Ausbildung

Es gibt derzeit lediglich zwei Ausbildungen im Rettungsdienst, die bundesweit einheitlich sind: der Rettungssanitäter und der Notfallsanitäter. Allein das lässt schon das Begrifflichkeiten und vor allem das Kompetenzwirrwarr erahnen.

Die Rettungssanitäterausbildung stammt aus dem Jahre 1977 und wurde seitdem nur marginal verändert. Ein 520-h-Lehrgang war zu Zeiten der Rückspiegelrettung noch wirklich umfangreich – in der Zeit eines modernen Rettungsdienstes ist die Qualifikation (keine Berufsausbildung) einfach unzureichend, mit besonderem Hinblick auf die Zukunft.

Die Notfallsanitäterausbildung sollte viele Probleme ändern, und es ist ihr bis heute nicht gänzlich gelungen. Nach wie vor werden genau die selben Fragen gestellt, Diskussionen geführt und notwendige Kompetenzen verneint, wie bei der Einführung des Rettungsassistenten 1989.

Der NotSan war eine Evolution der Rettungsdienstausbildung – allerdings nicht die notwendige Revolution.

Kritisch betrachtet: Bezahlung

Dass Rettungsdienstler nicht gerade zu den “oberen 1%” der Gesellschaft gehören, ist eine Binsenweisheit. Sie trifft aber durchaus zu.

Für einen Rettungssanitäter mit einer dreimonatigen Ausbildung und dementsprechend geringerer juristischer (nicht aber moralischer) Mitverantwortung mögen 2400 € brutto Grundgehalt noch ordentlich sein – für den Notfallsanitäter mit erheblich mehr Verantwortung und längerer Ausbildung sind 2800 € brutto im Monat allerdings kein guter Deal.

Man kann sagen “Am Hungertuch nagen sie aber nicht!” – das stimmt auch – leistungsgerecht ist die Bezahlung allerdings nicht und sie wird es mittelfristig auch nicht werden.

Kritisch betrachtet: Erlebnisse

Rettungsdienstler werden in ihrem Berufsalltag mit bisweilen sehr unschönen Ereignissen konfrontiert. Nein, das müssen nicht vollkommen zerfetzte oder entstellte Leichen sein.

Sehr eindrücklich sind die ungefilterten Schattenseiten der Gesellschaft, die RTL2 nicht besser darstellen könnte. Man wird erstaunt sein, wie viel Armut, Elend und Krankheit es vielleicht im eigenen Stadtviertel geben mag.

Man wird mit sozialen Krisen, Abhängigkeiten, psychischen Erkrankungen aller Art konfrontiert und muss damit einen halbwegs guten Umgang finden. Schafft nicht jeder – mir sind Kollegen persönlich bekannt, die den Beruf aus psychischen Gründen an den Nagel hängen mussten.

“Irgendwann kommt der Einsatz, der einen aus der Bahn wirft. Jeder bekommt ihn. Der eine am ersten Tag des Wachenpraktikums, der andere am letzten Tag vor der Rente.”

– Aussage meines Praxisanleiters

Und bisher hatte er erstaunlich oft Recht mit dieser Aussage. Eine Handvoll Einsätze bleibt einem auch nach Jahren noch in Erinnerung, und damit muss man umgehen können.

Ein “Mich trifft es nicht” oder “Ich werde damit schon umgehen können” ist naiv. Ehrlich, Leute.

Kritisch betrachtet: Fluktuation

Die Fluktuation aus dem Rettungsdienst ist zugleich Ursache und Symptom. Die Arbeitsbedingungen sind leider immer noch nicht so, dass man mit Sicherheit sagen kann, dass ein Neueinsteiger es heutzutage bis zur Rente schafft – vor 30 Jahren war das vorzeitige Ausscheiden fast schon sicher.

Mäßige Möglichkeiten zum beruflichen Vorankommen tun ihr übriges: “Karrieremenschen” wandern meist früher oder später ab.

Die oben genannten Bedingungen führen dazu, dass einige resignieren und ihr berufliches Glück woanders versuchen – es kommt zu einem Personalmangel, was die Belastung der verbliebenen Angestellten erhöht und infolge zu einer weiteren Fluktuation führt.

Kritisch betrachtet: Gewalt

Gewalt gegen Rettungskräfte” ist im gesellschaftlichen Mainstream angekommen – sowohl von der Täter-, als auch der Gegnerseite her.

Ein allgemein abgenommener gesellschaftlicher Respekt, zunehmend gestresstere und egozentrischere Menschen, abnehmendes Verständnis für die rettungsdienstliche Arbeit, übersteigerte Erwartungshaltungen führen zu einer explosiven Grundstimmung.

Diese entlädt sich nicht mehr nur in den typischen Milieus bei den “üblichen Kandidaten”, sondern auch in der bürgerlichen Mitte. Ein pauschaler Hass gegen Uniformträger ist leider derzeit stark in Mode.

In Großstädten gehören Beleidigungen und “kleinere” Tätlichkeiten bisweilen schon zum Berufsalltag, auf dem Land ist es meist weniger schlimm.

Tatsache ist jedoch: wer den Beruf ergreifen will, muss damit rechnen – und im Zweifelsfall auch leben können.

Kritisch betrachtet: Rückhalt

Vielen Rettungsdienstlern fehlt der notwendige Rückhalt der Landes- und Bundespolitik. Es fehlt die Rechtssicherheit für das Handeln, es gibt zweifelhafte Haftungsfragen und die “Königreiche der ÄLRD”,

Eine bundeseinheitliche, rettungsdienstliche Versorgung sieht anders aus und ist so nicht realisierbar. Unterschiedliche Freigaben in benachbarten Landkreisen führen auch auf seiten des Rettungsdienstpersonals zu Unverständnis.

Die Aussage “Man steht mit einem Bein voll im Berufsleben, mit dem anderen im Knast” trifft leider auf die Arbeit im Rettungsdienst zu.

Man bewegt sich permanent in einem Spannungsfeld zwischen bestmöglicher Hilfe, dem Anspruch des Patienten, rechtliche Kompetenzgrenzen und den Freigaben des ÄLRD – mit der Folge eines kleinen Bereichs, indem man halbwegs rechtssicher arbeiten kann.

Es fehlt einfach eine starke Lobby für den Rettungsdienst – trotz guter Arbeit von Berufsverbänden und Gewerkschaften – die für ausreichend Rechtssicherheit und Rückhalt sorgen.

Mein Fazit

Ich möchte mit meinem Pamphlet hier keineswegs abschrecken – ganz im Gegenteil: ich möchte aufklären und vorbereiten.

Mit den oben genannten Punkten wird jeder Rettungsdienstler im Laufe seines Berufslebens mehr oder minder häufig konfrontiert.

Ich möchte, dass man vor der Entscheidung “In den Rettungsdienst” die Möglichkeit hat, beide Seiten der Medaille rettungsdienstlicher Arbeit kennen zu lernen und abwägen zu können, ob man das möchte, ob man damit zurechtkommt.

So wird vielleicht die Enttäuschung des ein oder anderen vermieden und die rosarote Brille der “Faszination Rettungsdienst” zumindest mal für einen Augenblick abgenommen.

Wer von dem Rettungsdienst-Virus infiziert wurde, der wird trotz vieler Widrigkeiten hier einen Platz finden, eine sinnstiftende Tätigkeit ausführen, die an Abwechslung kaum zu überbieten ist und trotz aller Schattenseiten morgens gerne zur Arbeit gehen.

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Über SaniOnTheRoad

Arbeitswelt Rettungsdienst – eine kritische Betrachtung

SaniOnTheRoad

Notfallsanitäter, Teamleiter und Administrator des Blogs. Vom FSJler über Ausbildung bis zum Haupt- und Ehrenamt im Regelrettungsdienst und Katastrophenschutz so ziemlich den klassischen Werdegang durchlaufen. Mittlerweile beruflich qualifizierter Medizinstudent im vorklinischen Abschnitt. Meine Schwerpunkte liegen auf Ausbildungs- und Karrierethemen, der Unterstützung von Neueinsteigern, leitliniengerechten Arbeiten sowie Physiologie, Pathophysiologie, Pharmakologie und EKG für den Rettungsdienst. Mehr über mich hier.


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