Retter sind Helden?!

expressive doctor in superhero costume

Bei „Aus dem Pflaster-Laster“ berichte ich von Einsätzen, dem Alltag auf der Rettungswache und von aktuellen Themen – von purer Routine bis zum Drama. Am Ende ziehe ich mein Fazit der Einsätze und zeige auf, was gut lief und was besser laufen könnte. Namen von Patienten, Orten und Kollegen lasse ich selbstverständlich aus.

Man müsste eigentlich meinen, dass ein positives Image und eine entsprechende öffentliche Wahrnehmung des Rettungsdienstes runtergeht wie Öl. In der öffentlichen Debatte sind Themen wie Gewalt und Behinderungen von Rettungskräften, fehlende Rettungsgassen und Respekt und Anerkennung ein durchaus heißes Eisen.

In wenigen anderen gesellschaftlichen Themen herrscht ein derart großer Grundkonsens und Anerkennung der Arbeit. Eigentlich toll, oder?

Eine der Schattenseiten des Ganzen ist, dass sich überwiegend Menschen dazu äußern, die gar nicht wissen, wie das Leben als Rettungsdienstler ist – und wie sich Rettungsdienstler selbst wahrnehmen. Und die getroffenen Einschätzungen der Diskussionsteilnehmer, sowohl im echten Leben als auch im Netz, liegen dann doch sehr weit von der Wirklichkeit entfernt.

So ein paar Punkte gehen dabei so weit, dass ich eine „Entschärfung“ für notwendig erachte…

Inhaltsverzeichnis


Der Rettungsdienst in der öffentlichen Wahrnehmung

Wir Rettungsdienstler können uns eigentlich glücklich schätzen – kaum ein anderes Berufsfeld genießt derart große öffentliche Anerkennung und Zuspruch, seit Jahren führen wir (gemeinsam mit Feuerwehrleuten) die Liste der vertrauenswürdigsten Berufe an.

Wenn man es wirklich stark verallgemeinert, zählen wir zum oberen Ende der gesellschaftlichen Anerkennung und zu den am meisten geschätzten Berufsgruppen im Land. Ausnahmen bestätigen die Regel.

Klingt gut? Naja. Durch die auf vielen Ebenen betriebene gesellschaftliche Diskussion gibt es hier einfach Auswüchse, die weder der Realität entsprechen, noch im Sinne der Rettungsdienstler selbst sind.

Das Problem ist meines Erachtens das zu gerne und mittlerweile zu oft betriebene Sprechen in Superlativen…

Aus dem armen Rettungsdienstler, der einen schweren Job hat und auch durchaus mal einen komplexen, anstregenden und belastenden Einsatz erlebt wird dann etwas gebastelt, was mit der Arbeit im Rettungsdienst (selbst unter kritischen Betrachtungsweisen) nichts mehr zu tun hat. Jeder Kommentator versucht den „armen Rettungsdienstler“ noch ärmer zu machen, die Arbeit noch anstrengender, Behinderung, Beleidigungen oder tätliche Angriffe noch schwerer und häufiger, Einsätze noch dramatischer – und so weiter.

Und wenn ich dann mal innehalte und mir mein Arbeitsleben oder das meiner Kollegen anschaue, stelle ich fest, dass weder ich noch sie irgendwie asketisch lebende Menschen sind, die in völliger Selbstaufopferung täglich das Schlimmste vom Schlimmsten erleben und schon beim Verlassen der Haustüre um ihr Leben fürchten müssen.

Es wird hier zu leicht und zu gerne ein Bild des Rettungsdienstes gezeichnet, das weder den Tatsachen, noch der Selbstwahrnehmung des Personals ist.

Und es drängt sich einfach unwillkürlich die Frage auf: haben sich die Leute, die diese Meinung vertreten, jemals damit beschäftigt, wie der Alltag im Rettungsdienst aussieht?

Leider trägt auch die mediale Darstellung zu diesem Bild bei – Behinderungen, Beleidigungen und Übergriffe auf Rettungsdienstler (die es durchaus gibt, keine Frage) haben massiven Skandalcharakter und laufen schnell durch überregionale Medien und soziale Netzwerke.

So verwerflich diese Vorfälle auch sind, so selten sind sie in der Gesamtheit auch – es ist gut und richtig, dass darüber berichtet wird und die Welle der Empörung unterstreicht auch die gesellschaftliche Anerkennung für den Rettungsdienst recht eindrücklich. Man darf aber nicht vergessen: am selben Tag fanden zehntausende (!) andere Einsätze statt, wo nichts, aber auch gar nichts passiert ist.

Bei der Betrachtung muss man dann einfach die Häufigkeit solch schwerwiegender Ereignisse auf die Gesamtzahl der Einsätze beziehen – und das Bild ist schon wieder ein anderes. Dass es hier durchaus signifikante Unterschiede zwischen der Rettungswache in einem „Problemviertel“ einer Großstadt und einer „Dornröschenwache“ auf dem Land gibt, muss natürlich erwähnt werden.

Dramatische Einsätze – wie sie gerne auch in durchaus guten Dokumentationen dargestellt werden – sind eine Ausnahmeerscheinung. Um „Leben und Tod“ geht es in den seltensten Fällen – ein großer Teil der rettungsdienstlichen Arbeit ist dann doch…Routine, auch wenn natürlich kein Einsatz dem anderen gleicht.

„Bei einem echten Notfall würde ich mich erstmal erschrecken“

ist zwar genauso eine überspitzte Darstellung, aber näher an der Realität als die Darstellung von einem schlimmen Einsatz nach dem anderen.

Der Alltag besteht überwiegend aus internistisch-neurologischen Krankheitsbildern und „Bagatelltraumata“, nicht aus Verkehrsunfällen, Reanimationen oder spektakulären Rettungsaktionen.

Gerade beim Verdienst sollte man wirklich einmal innehalten: die Tarifverträge, unter die ein Großteil der Rettungsdienstler fällt, sind öffentlich einsehbar – „unser“ Gehalt ist kein Geheimnis. Und angesichts dessen, was üblicherweise auf der Lohnabrechnung steht und was gerne behauptet wird, kommen wieder zwei Fragen auf:

  • Hält man das wirklich für einen schlechten Verdienst? und
  • Ist überhaupt bekannt, was ein Rettungsdienstler verdient?

Klar, über den Punkt, ob die Vergütung leistungsgerecht ist, kann man streiten – das war’s aus meiner Sicht aber auch.

Fast alle meine Kollegen sind hauptamtlich, fast alle meiner Kollegen arbeiten nur im Rettungsdienst und alle können davon leben. Auch wenn man weder im Rettungsdienst im Speziellen, noch in anderen Gesundheitsfachberufen im Allgemeinen „reich“ wird, verdient der Rettungsdienstler sowohl im Vergleich zu anderen Gesundheitsfachberufen als auch an absoluten Maßstäben nicht schlecht.

Der Rettungsdienstler, der am Hungertuch nagt, ist einfach maßlos übertrieben.

Oder, um es mal greifbarer zu machen: ich finanziere mir mit meiner 25%-Stelle als Notfallsanitäter mein Studium und komme – ohne staatliche Unterstützung, mit etwas Hilfe der Verwandschaft – sehr gut über die Runden. Das mag zwar nicht unbedingt repräsentativ oder allgemeingültig sein, taugt aber als Denkanstoß.

Das „Heldentum“ – und warum es keines ist

Die aus meiner Sicht wirklich gravierendste Übertreibung sind allerdings Aussagen im Stil von „Rettungsdienstler sind Helden“ – sowohl von der Allgemeinbevölkerung, als auch in der Medienlandschaft oder entsprechenden Kampagnen.

Die Aussage ist schon fast ein Super-Superlativ – sie ist derart überhöht, dass kaum noch Kontakt mit dem Boden der Realtität besteht.

Vor allem: kaum ein Rettungsdienstler würde diese Aussage unterschreiben. Nicht einmal die größten Profilneurotiker unter uns, die nach Aufmerksamkeit lächzen.

Wir sind am Ende des Tages keine Helden – wir sind genauso Menschen mit Ecken, Kanten, Macken und Fehlern wie die Menschen, die wir behandeln.

Sicher – Rettungsdienstler gehen größtenteils ihrer Arbeit gerne und oft mit viel Herzblut nach. Es ist allerdings doch vor allem eins: Arbeit. Eine Arbeit, die wir uns freiwillig und wissentlich ausgesucht haben – auch unter Kenntnis aller Bedingungen, die uns erwarten.

Vieles von dem, was unsere Patienten als schlimm, außergewöhnlich, belastend oder dramatisch empfinden, ist für uns Alltag. Wenn man eine professionelle Behandlung nach den Regeln der Kunst erfährt, ist das schlicht das Ergebnis dessen, dass wir genau dafür ausgebildet und ausgerüstet sind.

Unsere Arbeit ist durch den Gesetzgeber reguliert, wir arbeiten nach Standardarbeitsanweisungen und Leitlinien – und nicht zuletzt auch einfach nach unserem beruflichen Selbstverständis. Ich kann in der Ausführung einer Tätigkeit nach den Vorgaben ehrlich gesagt nichts besonders „heldenhaftes“ erkennen. Auch meine Kollegen nicht. Es ist einfach zu großen Teilen eine Pflichterfüllung, die wir betreiben. Nicht mehr, nicht weniger.

Heldentum fängt da an, wo es deutlich über das übliche Maß der Pflichterfüllung hinausgeht – das trifft bei weitem nicht auf jeden Rettungsdienstler und schon gar nicht auf den Rettungsdienst in seiner Gesamtheit zu. Ich sehe kein Heldentum darin, wenn ich meine Arbeit, für die ich ausgebildet wurde und der ich freiwillig und wissentlich nachgehe, möglichst gut und im Sinne der Patienten ausübe.

Ich persönlich finde, dass man den Heldenbegriff nicht derart inflationär und pauschal verwenden sollte. Es wird vor allem denjenigen nicht gerecht, die sich wirklich durch herausragende, außergewöhnliche Taten hervorheben und zurecht als „Helden“ bezeichnet werden sollten.

Das ist keine falsche Bescheidenheit, kein „wir stellen unser Licht unter den Scheffel“. Wir sehen uns nicht als Helden – und wir legen auch keinen Wert darauf, als Helden gesehen zu werden.

Fazit

Man sollte das nicht falsch verstehen: Bewunderung, Anerkennung und Respekt kommen bei Rettungsdienstlern durchaus gut an und werden auch positiv wahrgenommen.

Es sollte hier allerdings Schluss sein mit Übertreibungen, die dazu tendieren, sich immer weiter zu überbieten und keinen Bezug mehr zur Wirklichkeit zu haben. Zu vieles stimmt hier einfach nicht.

Ich finde es schön, Unterstützung und Rückhalt aus der Gesellschaft zu genießen – und ich finde es noch schöner, wenn sich Menschen für unsere Tätigkeit interessieren.

Mit einer Heldenstilisierung und Überhöhen dessen, was wir tagtäglich wirklich tun unterstreicht man meines Erachtens allerdings kein besonderes Interesse oder nur die minimalste Beschäftigung mit dem Thema.

Interessenkonflikte

Der Autor gibt an, dass keine Interessenkonflikte bestehen.

Quellen

FAZ (2018): Deutsche schenken Rettungskräften das größte Vertrauen, abgerufen unter https://www.faz.net/aktuell/karriere-hochschule/buero-co/gfk-umfrage-diesen-berufen-vertrauen-die-deutschen-15507209.html am 03.10.2023

SaniOnTheRoad (2021): Fragen an einen Rettungsdienstler III, abgerufen unter https://saniontheroad.com/fragen-an-einen-rettungsdienstler-iii/ am 03.10.2023

SaniOnTheRoad (2021): Wie unterscheiden sich die rettungsdienstlichen Ausbildungen?, abgerufen unter https://saniontheroad.com/wie-unterscheiden-sich-die-rettungsdienstlichen-ausbildungen/ am 03.10.2022

SaniOnTheRoad (2020): Arbeitswelt Rettungsdienst – eine kritische Betrachtung, abgerufen unter https://saniontheroad.com/arbeitswelt-rettungsdienst-eine-kritische-betrachtung/ am 03.10.2023

SaniOnTheRoad (2020): Der Rettungsdienst aus gesellschaftlicher Sicht – Gewalt und Behinderung, abgerufen unter https://saniontheroad.com/der-rettungsdienst-aus-gesellschaftlicher-sicht-gewalt-und-behinderung/ am 03.10.2023

SaniOnTheRoad (2019): „Kleines 1×1 des Rettungsdienstes“ – Teil 2: Ausbildungen im Rettungsdienst, abgerufen unter https://saniontheroad.com/kleines-1×1-des-rettungsdienstes-teil-2/ am 03.10.2023

Statista (2022): Einsatzfahrtaufkommen im öffentlichen Rettungsdienst in Deutschland nach Einsatzart in den Jahren 1994 bis 2017, abgerufen unter https://de.statista.com/statistik/daten/studie/482380/umfrage/einsatzfahrtaufkommen-im-oeffentlichen-rettungsdienst-nach-einsatzart/ am 03.10.2023

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Über SaniOnTheRoad

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SaniOnTheRoad

Notfallsanitäter, Teamleiter und Administrator des Blogs. Vom FSJler über Ausbildung bis zum Haupt- und Ehrenamt im Regelrettungsdienst und Katastrophenschutz so ziemlich den klassischen Werdegang durchlaufen. Mittlerweile beruflich qualifizierter Medizinstudent im vorklinischen Abschnitt. Meine Schwerpunkte liegen auf Ausbildungs- und Karrierethemen, der Unterstützung von Neueinsteigern, leitliniengerechten Arbeiten sowie Physiologie, Pathophysiologie, Pharmakologie und EKG für den Rettungsdienst. Mehr über mich hier.

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