Der Practicantus horribilis

Bei „Aus dem Pflaster-Laster“ berichte ich von Einsätzen, dem Alltag auf der Rettungswache und von aktuellen Themen – von purer Routine bis zum Drama. Am Ende ziehe ich mein Fazit der Einsätze und zeige auf, was gut lief und was besser laufen könnte. Namen von Patienten, Orten und Kollegen lasse ich selbstverständlich aus.

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Eigentlich ist es immer schön, wenn ein neues Teammitglied in die Ausbildung startet, man sieht, wie es sich entwickelt und die Anstrengungen der Wache am Ende Früchte tragen. Eigentlich.

Als Lehrrettungswache haben wir traditionell einen recht hohen Durchlauf an RS-Praktikanten – oft für einen Freiwilligendienst, oft für die Ortsvereine, oft für das Hauptamt. Und unterm Strich hatten ich/wir am Ende des Wachenpraktikums bei keinem der Praktikanten wirkliche Bauchschmerzen.

Klar: es gab immer stärkere und schwächere Praktikanten – ein Paar Überflieger waren genauso dabei, wie ein Paar, die etwas mehr Unterstützung brauchten. Und ganz viel dazwischen.

Ich gehöre generell zu der Gruppe, die gerne etwas mit Schüler-, RS-Praktikanten und Auszubildenden macht – nach vielen Jahren ist mir allerdings bei einem Praktikanten die Lust vergangen…

Der Practicantus horribilis

Unser „Practicantus horribilis“ war auf der Wache alles andere als ein unbeschriebenes Blatt – er ist bereits seit mehreren Jahren im Ortsverein aktiv, Sanitäter und hatte mehrere Schülerpraktika auf der Wache absolviert. Und schon dort einen…“bleibenden“ Eindruck hinterlassen.

Dementsprechend groß war die Freude der Belegschaft, als er für die Hospitation und die RS-Ausbildung auf die Wache kommen sollte – er hatte sich für ein FSJ beworben.

Er erfüllte leider Gottes in so ziemlich allen Belangen das Klischee der Horrorvorstellung eines Praktikanten: frische 18 Jahre, hat sich nach der mittleren Reife mit Berufsvorbereitungsjahr und Gelegenheitsjobs durchgeschlagen, Führerschein ein Vierteljahr, unreif, „lebensunerfahren“, sozial unbeholfen, faul, langsam, unmotiviert, unpünktlich und zu einem erheblichen Teil lernresistent.

Ja, mir ist durchaus bewusst, wie sehr das nach einem Stereotyp klingt – und leider war es genau so. Eine Übertreibung muss ich hier verneinen :-/

Die Hospitation (drei Tage) verliefen nicht überragend, waren allerdings auch nicht die Katastrophe schlechthin. Nach einigem „Hin und Her“ beschloss die Wachenleitung

„Geben wir ihm eine Chance!“

und machte damit den Weg für die Qualifikation zum Rettungssanitäter und dem FSJ erst einmal frei.

Der Fachlehrgang kam schließlich – und ging prompt in die Hose. Wer hätte es gedacht. Die ersten beiden Wochen für den Rettungshelfer wurden mit Mühe und Not mit einer 4 abgeschlossen, in Woche 3 war mit einer 5- Schicht im Schacht und der Lehrgang beendet. Nun, manch einer würde sagen

„Dann hat sich die Sache erledigt!“

aber stattdessen dachte man

„Als Rettungshelfer kann man ihn noch fahren lassen!“

Der Wunsch nach einer billigen Arbeitskraft – eben als FSJler – überstieg hier also schon den Wunsch nach qualifizierten Kollegen, die Verantwortung übernehmen können.

Nun, nach dem Klinikpraktikum bestätigten sich die Befürchtungen auf der Rettungswache. Nicht nur, dass er es mehrfach schaffte, im Wachenpraktikum zu spät oder „kurz vor knapp“ aufzuschlagen, er hatte in den ersten beiden Wochen nichts gemacht, Lern- und Übungsangebote abgelehnt, im Einsatz eine deutliche Überforderung gezeigt und sich durch verschiedene Diskussionen und Verhaltensweisen bei Kollegen nicht gerade beliebt gemacht.

Irgendwann hat der zuständige Praxisanleiter mal Bewertungen von verschiedenen Kollegen gesammelt, mit einem schon fast vernichtenden Urteil. Neben Kritik an Zuverlässigkeit, Lernbereitschaft und Verhalten im Team standen vor allem eklatante fachliche Defizite im Vordergrund.

Das Praktikum wurde somit erstmal noch um zwei Wochen verlängert und mehrere theoretische Übungseinheiten verpflichtend eingeplant, an denen auch ich mich beteiligen durfte…

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Das Versagen der pädagogischen Konzepte

Mit ein paar motivierten Kollegen und Praxisanleitern haben wir uns zusammengesetzt und ein Konzept entwickelt, um wenigstens die Basic-Basic-Basics des Rettungsdienstes zu vermitteln. Heißt also: gemeinsame, maximal anschauliche und maximal einfache Herleitung der wichtigen Punkte – ausgehend von einem „Allgemeinwissen-Niveau“. Gesagt, getan.

Nun, im Endeffekt wurde der Zeitansatz – trotz Erklärung, Veranschaulichung und Wiederholung von Adam und Eva aus – um das Doppelte (ja, wirklich!) überschritten, und „verstanden“ wurde das Thema immer noch nicht.

Nach dem auch hier der Erfolg ausgeblieben war – trotz nicht unerheblichen Aufwand – wurde beschlossen, eine Wiederholung des Fachlehrgangs und des Abschlusslehrgangs auszusetzen. Und es wurde auch deutlich formuliert, dass man von einem FSJ Abstand nehmen sollte.

Wie ging es aus?

Die Rettungsdienstleitung wollte unseren Practicantus horribilis für das FSJ halten – und so kam er zunächst als Rettungshelfer zu uns auf die Wache. Es gab allerdings die Auflage regelmäßiger Überprüfungen der fachlichen Entwicklung.

Leider zogen sich, trotz anhaltender Versuche, etwas an der Gesamtsituation zu verbessern, die Probleme hinsichtlich der Unpünktlichkeit, der Mitarbeit im Einsatz und des Fachwissens weiter. Der arme Kerl war sichtlich mit der Gesamtsituation überfordert und augenscheinlich an seiner Belastungsgrenze angekommen.

Nach drei Monaten FSJ wurde dann, in Einvernehmen mit Wachenleitung, Rettungsdienstleitung, dem Landesverband und unserem Practicantus horribilis beschlossen, die Sache zu beenden.

Den „Erwartungshorizont des Könnens“ konnte er leider nicht mehr erreichen.

Fazit und „Take-home-Message“

Nein, der Beitrag soll sich nicht in die generelle „Hetze“ gegen Praktikanten einreihen – auch wenn so etwas zwangsläufig mitschwingt. Dieser Praktikant war in einigen Jahren Rettungsdienst eine absolute Ausnahme, leider im negativen Sinne – egal, um welche Art des Einstiegs in den Rettungsdienst es geht.

Und auch hieraus kann man lernen!

Die Wachenbelegschaft hat gelernt, dass eine zweite Chance angemessen ist – die dritte und vierte allerdings erst dann, wenn etwas dafür getan wird und sich merklich etwas bessert. Und sie hat demonstriert, dass man auch „unbeliebten“ Praktikanten viel Zeit widmet und viel Unterstützung anbietet.

„Take home“ für all diejenigen, die mit dem Rettungsdienst liebäugeln

Man sollte eine einigermaßen gesunde Selbsteinschätzung mitbringen – sowohl was die Teamarbeit, das Fachwissen und die eigene Belastbarkeit angeht. Und daraus sollte man auch entsprechende Konsequenzen ableiten können und dies auch tun!

Es wird niemand hängen gelassen und die Wache wird Praktikanten, die „wollen“, immer gerne und auch mit Aufwand unterstützen. Die Wache wird aber dann auch den Anspruch haben, dass die Bemühungen Früchte tragen.

Der Rettungsdienst ist ein total spezielles Arbeitsumfeld, dass definitiv nichts für „Jedermann“ ist. Ein hohes Verantwortungsbewusstsein, Belastbarkeit, Lernbereitschaft und Lernfähigkeit sind absolute Grundvoraussetzungen, ohne die es nicht geht. Eine Vorbereitung auf die rettungsdienstliche Praxis ist ein „muss“ – das gilt umso mehr, wenn man (wie unser Praktikant) schon einschlägige Vorerfahrungen hat.

Der Rat ist daher: ein Praktikum im Rettungsdienst, gerne vor der Hospitation, sei dringend angeraten. Die Bitte um ein kritisches Feedback der Kollegen sei ebenfalls dringend angeraten – und dieses sollte man sich auch zu Herzen nehmen.

Mit ein paar Grundregeln für den Einstieg, dem richtigen Mindset und einer guten Selbstreflexion stehen die Chancen sehr gut, nicht zum Archetyp des „Practicantus horribilis“ zu werden 😉

Quellen

SaniOnTheRoad (2019): „Kleines 1×1 des Rettungsdienstes“ – Teil 2: Ausbildungen im Rettungsdienst, abgerufen unter https://saniontheroad.com/kleines-1×1-des-rettungsdienstes-teil-2/ am 03.02.2022

SaniOnTheRoad (2019): „Kleines 1×1 des Rettungsdienstes“ – Teil 4: How to get started? Einstieg in den Rettungsdienst, abgerufen unter https://saniontheroad.com/kleines-1×1-des-rettungsdienstes-teil-4/ am 03.02.2022

SaniOnTheRoad (2019): „Kleines 1×1 des Rettungsdienstes“ – Teil 5: Willkommen auf der Rettungswache, abgerufen unter https://saniontheroad.com/kleines-1×1-des-rettungsdienstes-teil-5/ am 03.02.2022

SaniOnTheRoad (2019): „Kleines 1×1 des Rettungsdienstes“ – Teil 11: Was muss ein Rettungssanitäter können?, abgerufen unter https://saniontheroad.com/kleines-1×1-des-rettungsdienstes-teil-11/ am 03.02.2022

SaniOnTheRoad (2020): Arbeitswelt Rettungsdienst – eine kritische Betrachtung, abgerufen unter https://saniontheroad.com/arbeitswelt-rettungsdienst-eine-kritische-betrachtung/ am 03.02.2022

SaniOnTheRoad (2020): „Kleines 1×1 des Rettungsdienstes“ – Teil 25: Praktikum im Rettungsdienst, abgerufen unter https://saniontheroad.com/kleines-1×1-des-rettungsdienstes-teil-25/ am 03.02.2022

SaniOnTheRoad (2020): „Kleines 1×1 des Rettungsdienstes“ – Teil 26: Der Praxisanleiter im Rettungsdienst, abgerufen unter https://saniontheroad.com/kleines-1×1-des-rettungsdienstes-teil-26/ am 03.02.2022

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Über SaniOnTheRoad

Der Practicantus horribilis

SaniOnTheRoad

Notfallsanitäter, Teamleiter und Administrator des Blogs. Vom FSJler über Ausbildung bis zum Haupt- und Ehrenamt im Regelrettungsdienst und Katastrophenschutz so ziemlich den klassischen Werdegang durchlaufen. Mittlerweile beruflich qualifizierter Medizinstudent im vorklinischen Abschnitt. Meine Schwerpunkte liegen auf Ausbildungs- und Karrierethemen, der Unterstützung von Neueinsteigern, leitliniengerechten Arbeiten sowie Physiologie, Pathophysiologie, Pharmakologie und EKG für den Rettungsdienst. Mehr über mich hier.


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