Gesetzesentwurf zur Änderung des NotSanG 2020 – Vom Regen in die Traufe?

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Update vom 12.02.2021

Die Heilkunde für Notfallsanitäter ist beschlossene Sache.

Mehr dazu im Beitrag „Rechtssicherheit für Notfallsanitäter ist Gesetz: Heilkundliche Maßnahmen für Notfallsanitäter – Update Februar 2021„.

Worum geht es?

Die Erlaubnis zur Ausübung der Heilkunde für Notfallsanitäter ist nach wie vor der Streit- und Diskussionsmittelpunkt um das noch recht junge Berufsbild.

Im Kern der Sache geht es darum: darf ein Notfallsanitäter selbstständig invasive Maßnahmen durchführen, wenn kein Arzt da ist?

Und im weiteren Verlauf geht es darum: welche Maßnahmen? Unter welchen Voraussetzungen? Sprich: wird es eine „Regelkompetenz“ geben?

Ich verweise an der Stelle mal auf meinen Beitrag „Der NotSan, das Heilpraktikergesetz und die Regelkompetenz„.

Nun ist die Diskussion neu aufgeflammt: Bundesgesundheitsminister Jens Spahn will einen Gesetzesentwurf zur Änderung des Notfallsanitätergesetzes vorbringen – und, wer hätte es gedacht, das Streitthema schlechthin wurde darin aufgegriffen.

Der Entwurf

Kern des ganzen ist der Umgang mit den „1 c)-Maßnahmen„, also den Maßnahmen, die im Falle akuter Lebensgefahr durch Notfallsanitäter eigenständig angewendet werden sollen.

Und die Formulierungen, die ein Artikel der Ärztezeitung vom 01.08.2020 verwendet, lassen nicht gerade hoffen…

„So sollen Notfallsanitäter künftig bis zum Eintreffen eines Notarztes oder bis zum Kontakt mit einem Arzt per Telefon oder Video selbst heilkundliche, auch invasive Maßnahmen ausüben dürfen.  […]“

– „Spahn will Heilkunde für Notfallsanitäter – und MTA-Gesetz reformieren„, Ärztezeitung, 01.08.2020, abgerufen am 03.08.2020

Das Problem ist hier eben die die Formulierung: bis zum Eintreffen des Notarztes oder eine telenotärztlichen Abklärung. Eine neue Hürde vor den lebensrettenden Maßnahmen.

Und am Ende ist das absolut kein Fortschritt – denn: egal, was gemacht würde, am Ende muss doch der (Tele-)Notarzt das ganze absegnen. Eine Übergabe an den Klinikarzt nach erfolgter, erfolgreicher und komplikationsloser Therapie durch den NFS? Unter diesen Gesichtspunkten nicht möglich.

Eine Verbesserung der Rechtssicherheit? Fehlanzeige. Der Notfallsanitäter bleibt hiermit nur in der Not kompetent – Berücksichtigung des rettungsdienstlichen Alltags, wie er einfach schon Jahre existiert und hervorragend funktioniert? Nicht gewünscht.

Am Ende klingt dieses „Konstrukt“, dass man als Verbesserung nach dem gescheiterten Gesetzesentwurf des Bundesrates in 2019 verkaufen möchte, nach dem im Ausbildungsgesetz festgeschriebenen rechtfertigenden Notstand. Aus meiner Sicht eine Farce.

Und es kam, wie von mir vorhergesagt: an der Haftung ändert sich nichts – im Gegenteil: wer viel macht, muss viel verantworten.

„In diesen Fällen soll künftig aber auch die komplette Haftung für die Eingriffe bei ihnen liegen. Geschützt werden soll die Notfallsanitäter über die Haftpflichtversicherungen ihrer Arbeitgeber, heißt es zur Begründung.“

– „Spahn will Heilkunde für Notfallsanitäter – und MTA-Gesetz reformieren„, Ärztezeitung, 01.08.2020, abgerufen am 03.08.2020

Quintessenz: immer noch nichts dürfen, dafür aber wenigstens vollends gerade stehen.

Natürlich – die Haftung für eine Fehlbehandlung, wenn man denn behandeln darf, ist aus meiner Sicht konsequent und richtig. Das habe ich auch vor einigen Monaten in meinem entsprechenden Artikel geschrieben und dazu stehe ich auch. Dass das Können des Dürfens Maß ist? Aus meiner Sicht selbstverständlich.

Aber nicht behandeln dürfen, irgendwie behandeln müssen, bloß keine ärztlichen Tätigkeiten, aber bitte haften wie ein Arzt? Nonsens. Sowohl aus medizinischer, wie auch juristischer Sicht.

Und plötzlich klingt die rechtlich hochgradig fragwürdige Vorabdelegation der ÄLRD per SOPs wie das Paradies auf Erden – und immer noch „sicherer“ und vernünftiger, als der derzeitige Gesetzesentwurf.

Fazit

Eine Verbesserung ist meines Erachtens nach nicht in Sicht. Eher im Gegenteil

  • die Rechtsunsicherheit bleibt,
  • die Arbeit im rechtfertigenden Notstand wird praktisch im Ausbildungsgesetz festgeschrieben,
  • eine Regelkompetenz gibt es nicht,
  • die bundesweit funktionierende (!) rettungsdienstliche Realität wird anhaltend ignoriert,
  • die Verfahren werden verkompliziert,
  • die vollmundige „Heilkunde“ wird bis auf das letzte eingeschränkt, sodass man gar nicht von ihr sprechen kann, dafür
  • soll die Haftung zu Lasten derer gehen, die bereit sind, Haus und Hof und sogar ihre Freiheit für eine gute, leitliniengerechte Patientenversorgung zu opfern.

Tut mir leid, Herr Spahn – Thema verfehlt.

Da ist selbst das, was wir bis jetzt haben, besser. Und einige Bundesländer gehen mit den richtigen Änderungen zur rechten Zeit auf Landesebene einen besseren Weg vor.

Vielleicht sollte auch die Bundespolitik einen Hauch mehr auf die Probleme der Menschen eingehen, als auf die Wünsche der Lobbyisten…

Es bleibt spannend, wie die rettungsdienstlichen Interessenvertretungen – allen voran der Deutsche Berufsverband Rettungsdienst e.V. – darauf reagieren und wie die Politik letztendlich entscheiden wird.

Ein entsprechender Beitrag mit dem Gesetzesentwurf wurde auf der DBRD-Facebookseite gepostet.


Update vom 12.02.2021

Die Heilkunde für Notfallsanitäter ist beschlossene Sache.

Mehr dazu im Beitrag „Rechtssicherheit für Notfallsanitäter ist Gesetz: Heilkundliche Maßnahmen für Notfallsanitäter – Update Februar 2021„.


Themen-Bundle

Dieser Beitrag ist Teil des Themen-Bundles „Notfallsanitätergesetz“.

Quellen

Ärztezeitung (2020): Spahn will Heilkunde für Notfallsanitäter – und MTA-Gesetz reformieren, abgerufen unter https://www.aerztezeitung.de/Politik/Spahn-will-Heilkunde-fuer-Notfallsanitaeter-und-MTA-Gesetz-reformieren-411728.html am 03.02.2022

Bundesrat (2019): Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Notfallsanitätergesetzes, Drucksache 428/19 (Beschluss), 11.10.19, abgerufen unter https://www.bundesrat.de/SharedDocs/drucksachen/2019/0401-0500/428-19(B).pdf?__blob=publicationFile&v=1 am 03.02.2022

SaniOnTheRoad (2020): Der NotSan, das Heilpraktikergesetz und die Regelkompetenz, abgerufen unter https://saniontheroad.com/der-notsan-das-heilpraktikergesetz-und-die-regelkompetenz/ am 03.02.2022

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Notfallsanitäter, Teamleiter und Administrator des Blogs. Vom FSJler über Ausbildung bis zum Haupt- und Ehrenamt im Regelrettungsdienst und Katastrophenschutz so ziemlich den klassischen Werdegang durchlaufen. Mittlerweile beruflich qualifizierter Medizinstudent im vorklinischen Abschnitt. Meine Schwerpunkte liegen auf Ausbildungs- und Karrierethemen, der Unterstützung von Neueinsteigern, leitliniengerechten Arbeiten sowie Physiologie, Pathophysiologie, Pharmakologie und EKG für den Rettungsdienst. Mehr über mich hier.

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