„Kleines 1×1 des Rettungsdienstes“ – Teil 9: Der Notarzt im Rettungsdienst

„Kleines 1×1 des Rettungsdienstes“ bietet eine Übersicht über Aufbau, Struktur und Gepflogenheiten des Rettungsdienstes in Deutschland. Hier geht es um das, was Interessenten und Neueinsteiger wissen sollten.

Zu „Teil 8 – Notfallsanitäterausbildung im Detail“ geht es hier.

Typisches Arbeitsmittel des Notarztes – das NEF. Quelle: Wikimedia Commons.

Teil 9 – Der Notarzt im Rettungsdienst

Auch in der Allgemeinheit ist der Begriff „Notarzt“ untrennbar mit dem Rettungsdienst verbunden – das geht sogar soweit, dass die Begriffe, wenn auch fälschlicherweise, synonym verwendet werden und zum Teil jeder Mitarbeiter des Rettungsdienstes so betitelt wird.

Die Ansprache mit „Hallo, Herr Doktor!“ mit der darauffolgenden Korrektur „Nein, ich bin kein Arzt.“ hat vermutlich jeder Rettungsdienstmitarbeiter schon einmal erlebt.

Umgekehrt wird der Begriff umgangssprachlich auch für den ärztlichen Bereitschaftsdienst – sprich die Vertretung der Hausärzte außerhalb der üblichen Sprechstundenzeiten – verwendet, obwohl dies mit einer notärztlichen Qualifikation praktisch nichts gemein hat, mit dem Tätigkeitsbereich erst recht nicht.

Schauen wir uns doch einmal genauer an, wer der Notarzt ist und was er so macht!

Was ist der Notarzt?

„Ein Notarzt ist ein im Rettungsdienst tätiger Arzt mit einer entsprechenden Zusatzqualifikation.“

So oder ähnlich wäre eine einfache Lehrbuchdefinition – ganz schlau wird man daraus nicht, wenn man nicht schon etwas Hintergrundwissen zu der Thematik hat.

Wir halten zunächst einmal fest: der Notarzt ist ein Arzt.

Das bedeutet, dass er das Studium der Humanmedizin durchlaufen, die drei ärztlichen Prüfungen bestanden haben muss und ihm die Approbation – sprich die Erlaubnis, als Arzt tätig zu sein – erteilt wurde.

Allein das ist schon ein erheblicher Unterschied im Vergleich zu den übrigen Qualifikationen des Rettungsdienstpersonals (Qualifikation und Berufsausbildung, zur Übersicht). Der Notarzt bringt also von Haus aus eine höhere und deutlich umfangreichere Qualifikation mit.

Da jede detaillierte Ausführung über das Studium jeden Rahmen sprengen würde, einfach mal allgemein: das Studium dauert 12 Semester und drei Monate in Regelstudienzeit, umfasst neben der Krankheitslehre und Behandlung auch umfangreiche Anteile an (natur)wissenschaftlichen Grundlagen, Anatomie und Physiologie sowie verschiedene praktische Ausbildungsanteile.

Kurzum: anspruchsvoll und vom Umfang deutlich über die „reine“ Notfallmedizin hinausgehend.

Im Rettungsdienst tätig“ heißt: der Notarzt wird als Teil des Rettungsdienstes gesehen und daher – analog zu nicht-arztbesetzen Rettungsmitteln – über die Leitstelle alarmiert. Der Notarzt kommt also grundsätzlich wie der Rettungsdienst zum Einsatzort, nicht der Patient zum Notarzt.

Was ist die Zusatzqualifikation?

Das, was einen Arzt qualifikationstechnisch zum Notarzt macht ist die entsprechende Zusatzqualifikation. Diese ist im Sinne einer ärztlichen Fortbildung eine so genannte Zusatzbezeichnung, die Zusatzbezeichnung „Notfallmedizin“.

Früher gab es neben dieser Zusatzbezeichnung auch den „Fachkundenachweis Rettungsdienst„, der ebenfalls zur Tätigkeit als Notarzt berechtigt hatte (und es z.T. wohl auch noch tut) und geringfügig andere Zugangsvoraussetzungen hatte.

Für Interessierte gibt’s einen Überblick über die Voraussetzungen zur Erlangung der Zusatzbezeichnung der Bundesärztekammer – diese sind je nach Bundesland unterschiedlich.

Allgemein besteht diese aus unterschiedlichen Teilen, die durchlaufen werden müssen:

  • Klinische Tätigkeit,
  • bestimmten diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen,
  • „Notarzt-Kurs“ und
  • „Praktikantenschichten“ unter Aufsicht eines verantwortlichen Notarztes.

Klinische Tätigkeit

Bevor ein Arzt „auf die Straße“ darf, muss er nach seiner Approbation eine gewisse klinische Erfahrung – wohlbemerkt an einem zur Weiterbildung berechtigten Krankenhaus mit entsprechender fachlicher Aufsicht – absolviert haben.

Mindestens zwei Jahre muss der angehende Notarzt tätig gewesen sein – davon mindestens ein halbes Jahr auf einer Intensivstation, der Anästhesie oder der Notaufnahme. Sprich: in einer Fachabteilung mit Bezug zur Notfallmedizin.

Hier muss dazu gesagt werden: es handelt sich hier im Normalfall um einen Teil, der im Rahmen der Facharztausbildung absolviert wird. Sprich: die klinische Ausbildung ist keine „gesonderte“ Ausbildung.

Diagnostische und therapeutische Maßnahmen

Im Rahmen der klinischen Ausbildung muss der angehende Notarzt oftmals bestimmte Maßnahmen zur Diagnostik und Therapie nachweisen, um eine gewisse Routine sicherzustellen. Hier gibt es – je nach Bundesland – große Unterschiede. Daher einmal der Überblick, was gefordert sein kann.

Von besonderer Wichtigkeit sind hierbei Verfahren zur Atemwegssicherung. Also erschließt sich hier die Mindestzahl von

  • endotrachealen Intubationen und
  • alternativen Atemwegssicherungen.

Analog wird auch bei anderen Maßnahmen, die eine gewisse Routine erfordern, eine Mindestvorgabe gemacht, so z.B.

  • venöse Zugänge (periphervenöse und zentrale Zugänge),
  • intraossäre Zugänge,
  • befundete, pathologische EKGs,
  • Entlastungspunktionen, Thoraxdrainagen und/oder Pleurapunktionen sowie
  • zertifizierter Reanimationsstandard (i.d.R. ERC-ALS- oder AHA-ACLS-Provider).

„Notarzt-Kurs“

Eigentliches Kernstück des Werdegangs ist der entsprechende Kurs zur Erlangung der Zusatzbezeichnung „Notfallmedizin“, der ebenfalls mit einer Prüfung abschließt.

Rechtliche Grundlagen, Aufgaben und Rechtsstellung als Notarzt und die Organisation des Rettungsdienstes machen einen großen Teil des Kurses aus.

Selbstverständlich findet auch Unterricht in allgemeiner und spezieller Notfallmedizin – insbesondere mit Schwerpunkt auf präklinischer Diagnostik, Differentialdiagnostik und Therapie (häufiger) notfallmedizinischer Krankheitsbilder – statt.

Standard ist auch eine Schulung zum Vorgehen bei außergewöhnlichen Einsatzlagen, z.B. einem Massenanfall von Verletzten (MANV).

„Praktikantenschichten“ unter Aufsicht eines verantwortlichen Notarztes

Nach Abschluss des Kurses erfolgt praktisch ein „On-the-job-Training“ des angehenden Notarztes.

Wie Auszubildende oder Praktikanten im Rettungsdienst wird er als „dritter Mann“ oder „vierter Mann“ auf notarztbesetzen Rettungsmitteln eingesetzt. Er übt also die notärztliche Tätigkeit unter Aufsicht eines erfahrenen Notarztes aus und erlernt so das entsprechende Vorgehen in der Praxis.

Vor der Erteilung der Zusatzbezeichnung müssen üblicherweise zwischen 50 – 100 Einsätze unter Aufsicht eines anderen Notarztes absolviert werden.

Was kann/darf der Notarzt?

Größter rechtlicher Benefit des Notarztes ist wohl – er ist Arzt und genießt damit Therapiefreiheit. Damit kann er von rettungsdienstlichen Algorithmen abweichen, wo es sinnvoll ist, und über sie hinausgehen. Er kann und darf alle therapeutischen Möglichkeiten die präklinisch zur Verfügung stehen ausschöpfen, sofern sie medizinisch indiziert sind.

Im Gegensatz zum übrigen Rettungsdienstpersonal darf er also auch weitreichende invasive Maßnahmen, wie zum Beispiel das Legen einer Thoraxdrainage oder einen Luftröhrenschnitt (Koniotomie), ausführen und auf eine beachtliche Anzahl weiterer Medikamente und Antidote zurückgreifen.

Größter praktischer Vorteil ist – der Notarzt bringt ein breiteres, tiefgehenderes Fachwissen sowie klinische Erfahrung mit. Das bringt insbesondere bei invasiven Maßnahmen, in denen Notfallsanitätern schlicht die Routine fehlt (z.B. endotracheale Intubation) einen großen Vorteil.

Mehr Fachwissen und mehr „Können“ haben natürlich auch entsprechende Folgen – der Notarzt ist dem übrigen Rettungsdienstpersonal weisungsbefugt und für die Behandlung des Patienten aus rechtlicher Sicht verantwortlich.

Letztere Dinge bedeuten allerdings nicht, dass nicht-ärztliches Rettungsfachpersonal offensichtliche Fehlentscheidungen „blind abnicken“ und patientengefährdende Handlungen durchführen muss. Berechtigte Einwände sind erlaubt (und gewünscht) und müssen auch vom Notarzt beachtet werden.

Wann kommt der Notarzt?

Eher wenige Rettungsdiensteinsätze erfordern grundsätzlich die Behandlung durch einen Notarzt – wann diese notwendig oder sinnvoll ist, legt der Notarzt-Indikationskatalog fest.

Dieser unterscheidet sich von Bundesland zu Bundesland; eine universelle Antwort würde hier somit jeden Rahmen sprengen.

Allgemein: der Notarzt wird bei akuten, lebensgefährlichen Erkrankungen und Verletzungen parallel zum Rettungsdienst mitalarmiert oder ggf. nachgefordert. Dies nennt man patientenbezogene Notarztindikationen – eben abhängig vom Patientenzustand. Das betrifft in erster Linie

  • Schwere Bewusstseinsstörungen,
  • Schwere Atemstörungen und
  • Schwere Kreislaufstörungen.

Aber auch die suffiziente Schmerztherapie bei akuten, starken Schmerzen kann den Notarzt auf den Plan rufen.

Neben den patientenbezogenen Notarztindikationen gibt es auch notfallbezogene Notarztindikationen. Sprich: wenn allein die Schilderung des Notfalls das Vorliegen einer patientenbezogenen NA-Indikation nahe liegt. So sind das zum Beispiel

  • schwere Verkehrsunfälle,
  • diverse Vergiftungen,
  • Stürze aus großer Höhe,
  • Unfälle mit eingeklemmten Personen oder auch
  • Suizide und Suizidversuche.

Diskussion „Der Notfallsanitäter soll den Notarzt ersetzen“

Auch wenn ich es als „alte Leier“ betrachte – diese Diskussion wurde schon vor der Einführung des Berufsbildes „Notfallsanitäter“ geführt und flammt in letzter Zeit, dank der Diskussion um die Durchführung invasiver und heilkundlicher Maßnahmen für Notfallsanitäter, wieder auf.

Meine Ansicht in Ultrakurzfassung: Der Notfallsanitäter kann, darf, soll und wird den Notarzt NICHT ersetzen.

Eine höhere Qualifikation und entsprechende Freigaben im Rettungsdienst haben nicht Sinn und Zweck, Notärzte um ihre Arbeit zu bringen. Die Korrelation zwischen „qualifizierten Rettungsfachpersonal“ und „Abschaffung der Notärzte“ finde ich in dieser Form absurd.

Bei dieser Diskussion geht es im wesentlichen um zwei Punkte:

  • die qualifizierte Erstversorgung von Patienten bis zum Eintreffen des Notarztes (oder bis zur Übergabe an den Klinikarzt) und
  • Rechtssicherheit.

Die Fähigkeiten der Notärzte werden im Rettungsdienst geschätzt und ein Verzicht darauf wäre sowohl für den Rettungsdienst als auch für die Patienten mit Nachteilen verbunden.

Hier geht es um die Frage „Was macht man, wenn der Patient dringend eine invasive Maßnahme braucht, der Arzt aber noch nicht da ist?“ – bisher war man hier oft im Zwiespalt zwischen „Nichts machen, und hoffen, dass der NA rechtzeitig kommt“ oder „Kompetenz überschreiten und Maßnahmen selbst durchführen“.

Ebenso stellt sich die Frage nach der Notarztindikation – akute, lebensbedrohliche Notfälle sollen es sein. Oftmals sind Notarzteinsätze dies aber (nicht) mehr.

Eine Analgesie bei einer isolierten Unterarmfraktur ohne pDMS-Auffälligkeiten ist keine lebensrettende Maßnahme, erfordert aber in vielen Rettungsdienstbereichen immer noch einen Notarzt.

Der Notarzt ist dann erstmal im Einsatz gebunden und steht somit für lebensbedrohliche Notfälle nicht mehr zur Verfügung – dem eigentlichen Zweck seiner Tätigkeit. In Kombination mit „Notarztmangel“ bis zur Schließung von Notarztstandorten ein heikles Problem, dass mit einer entsprechenden Regelung vernünftig lösbar wäre.

FAQs Notarzt

Muss ein Notarzt ein Facharzt sein?

Nein – die oben genannten Voraussetzungen reichen aus. Ein „Facharzt für Notfallmedizin“ befindet sich in der Planung bzw. Einführung; dieser soll allerdings vorwiegend im klinischen Bereich – insbesondere in zentralen Notaufnahmen – tätig sein.

Welche Fachrichtung haben Notärzte normalerweise?

Am häufigsten versehen Anästhesisten den Notarztdienst, da die Notfallmedizin integraler Bestandteil der Anästhesiologie ist. Internisten und Allgemeinmediziner stellen auch einen recht großen Teil der Notärzte – gefolgt von den chirurgischen Disziplinen.

Andere Fachgebiete, wie z.B. Gynäkologie und Dermatologie, sind insgesamt selten.

Wo sind Notärzte angestellt?

Überlicherweise an Kliniken, die den Notarztdienst stellen. Bei den Rettungsorgansiationen angestellte Notärzte dürften eine Ausnahme sein.

Kann man auch als „Nur-Notarzt“ tätig sein?

Prinzipiell ist eine Vollzeitbeschäftigung als Notarzt möglich, aber eher selten. Der Verdienst ist beschränkt und wird oft als „nicht angemessen“ empfunden.

Die meisten Notärzte arbeiten hauptberuflich in entsprechenden Krankenhäusern und leisten den Notarztdienst zusätzlich zu ihrer regulären Arbeit.

Was ist ein „leitender Notarzt“?

Ein Notarzt mit einer Führungsausbildung im Katastrophenschutz. Bei Großschadenslagen übernimmt er mit dem Organisatorischen Leiter Rettungsdienst die Verantwortung für die gesamte medizinische Versorgung der Patienten und Betroffenen.

Wie erreicht man den Notarzt?

Der Notarzt wird über die zuständige Rettungsleitstelle bzw. integrierte Leitstelle alarmiert. Wie auch beim Rettungsdienst gilt hier der Notruf 112.

Kann man als Anrufer entscheiden, ob der Notarzt kommt?

Nein – ob ein Notarzt alarmiert wird, entscheidet die Leitstelle nach der Notrufabfrage oder nach Patientenzustand das Rettungsfachpersonal vor Ort.

Im nächsten Teil folgt: Der Wachenalltag – wie ein Dienst abläuft.

Quellen

Bundesärztekammer (2011): Bundesweiter Überblick über die Notarztqualifikation, abgerufen unter https://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/Bundesweiter_Ueberblick_ueber_die_Notarztqualifikation.pdf am 16.11.2019

Bundesärztekammer (2018): (Muster-)Weiterbildungsordnung 2018 in der Fassung vom 28.04.2020, abgerufen unter https://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/pdf-Ordner/Weiterbildung/20200428-MWBO-2018.pdf am 31.10.2020

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Über SaniOnTheRoad

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SaniOnTheRoad

Notfallsanitäter, Teamleiter und Administrator des Blogs. Vom FSJler über Ausbildung bis zum Haupt- und Ehrenamt im Regelrettungsdienst und Katastrophenschutz so ziemlich den klassischen Werdegang durchlaufen. Mittlerweile beruflich qualifizierter Medizinstudent im klinischen Abschnitt des Studiums. Meine Schwerpunkte liegen auf Ausbildungs- und Karrierethemen, der Unterstützung von Neueinsteigern, leitliniengerechten Arbeiten sowie Physiologie, Pathophysiologie, Pharmakologie und EKG für den Rettungsdienst. Mehr über mich hier.

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