Mythen rund ums Medizinstudium

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Aus der Uni – ein Rettungsdienstler berichtet vom Weg ins und aus dem Medizinstudium.

Inhaltsverzeichnis


Einleitung

Das Medizinstudium ist wahrscheinlich einer der in der Allgemeinbevölkerung bekanntesten Studiengänge überhaupt – und auch wenn viele Dinge kein Geheimnis sind, trifft man sowohl im „echten Leben“ als auch im Netz gerne auf Mythen, Vorurteile und Halbwahrheiten.

Das führt einerseits gerne zu einer völligen Überhöhung der Anforderungen – andererseits gerne zu ihrer völlig Bagatellisierung.

Wenig überraschend ist: beides ist im Endeffekt falsch und die Wahrheit liegt oft in der Mitte. Aus diesem Grund werfen wir mal einen Blick auf die typischen Behauptungen, und wie ich sie tatsächlich einordnen würde 😁

Die „Mythen“


„Das Schwerste am Medizinstudium ist es, überhaupt einen Platz zu erhalten“

Einschätzung

Teilweise richtig.

Erläuterung

Korrekt ist es, dass im Falle des Medizinstudiums und der hohen Bewerberanzahl schon bei der Studienplatzvergabe und dem Auswahlverfahren stark selektiert wird. Es ist also im Vergleich zu anderen Studiengängen tatsächlich schwerer, überhaupt einen Platz zu erhalten.

Nicht zutreffend ist allerdings die Schlussfolgerung der Aussage „Wenn man einen Platz erhalten hat, ist der Rest ein Kinderspiel“ – die Ansprüche sind in der Realität dann doch höher, was gerade in den ersten Semestern bei manch einen (der der Aussage Glauben geschenkt hat) für ein böses Erwachen sorgt.


„Man sollte unbedingt den TMS machen“

Einschätzung

Richtig – mit Ausnahmen.

Erläuterung

Der Test für medizinische Studiengänge, kurz TMS, ist neben der Abiturpunktzahl meist das ausschlagebenste Kritierum in der Studienplatzvergabe und ihm wird sowohl im Auswahlverfahren der Hochschulen als auch in der Zusaätzlichen Eignungsquote eine große Bedeutung beigemessen.

Dementsprechend: wenn man nicht gerade ein 900-Punkte-Abitur verbuchen kann, sollte man den TMS definitiv mitschreiben.


„Das Medizinstudium besteht nur aus Auswendiglernen“

Einschätzung

In der Einfachheit: nicht richtig.

Erläuterung

Durchaus zutreffend ist, dass man einen höheren Anteil an reinem Faktenwissen – und damit „Auswendiglernen“ – hat, als in vielen anderen Studiengängen, wo zu einem großen Teil die Methodik im Vordergrund steht. Verständlich: tastbare Knochenpunkte oder Leitungsbahnen sind beispielsweise nun einmal da, wo sie sind – das muss man tatsächlich auswendig lernen.

Die Aussage, dass das Studium überwiegend bis ausschließlich daraus besteht, kann man allerdings nicht unterschreiben. Gerade in den naturwissenschaftlichen Fächern – nehmen wir Bio, Chemie, Physik oder Biochemie – muss man durchaus die dahinterstehende Systematik verstehen. In vielen anderen Bereichen (nehmen wir z.B. mal die Terminologie) ist ein plumpes Auswendiglernen zwar möglich, aber angesichts des Zeitaufwands nicht sinnvoll. Auch hier bietet sich das Lernen von Methodik und Systematik an.

Die Schlussfolgerung der Aussage „Einfach auswendiglernen und Du kommst gut durch“ stimmt wiederum gar nicht. Trotz des hohen Anteils an reinen Faktenwissen wird in Klausuren typischerweise die Anwendung auf bestimmte Fälle geprüft und dabei auch durchaus Transferleistungen erwartet. Reines Auswendiglernen reicht typischerweise nicht, um die Klausuren zu bestehen.


„Die Abbrecherquote im Medizinstudium ist gering“

Einschätzung

Richtig.

Erläuterung

Im Vergleich zu vielen anderen Studiengängen ist die Abbrecherquote im Medizinstudium tatsächlich sehr gering – üblicherweise liegt sie ~10 %, ein Großteil davon bricht in der Vorklinik ab.


„Nicht mal alle 1,0er-Abiturienten erhalten einen Platz“

Einschätzung

In der Einfachheit: Nicht richtig.

Erläuterung

Die Konkurrenz um einen Medizinstudienplatz ist definitiv groß, keine Frage. Die Aussage ist unterm Strich allerdings nicht zutreffend – sie lässt die Besonderheiten des Auswahlverfahrens nämlich völlig außen vor.

Lediglich 30 % der Studienplätze werden über die Abiturbestenquote vergeben, wo allein die Gesamtpunktzahl im Abitur (nicht die „Note“) zählt. Hierbei gibt es eben Abstufungen zwischen einer „guten“ 1,0 nahe der 900 Punkte und einer „schlechten“ 1,0; wodurch sich schon Unterschiede herausbilden. Eine „schlechte“ 1,0 (der Begriff ist absolut unpassend), die unbedingt an eine beliebte Uni möchte und keine weiteren Kriterien in den anderen Quoten erfüllt, kann hier tatsächlich Pech haben.

Die Schlussfolgerung, dass man ohne 1,0er-Schnitt keinerlei Chance hat, ist allerdings vollkommen falsch.

Im Auswahlverfahren der Hochschulen (60 % der Plätze) spielt die Abiturpunktzahl schon nicht mehr die alleinige Hauptrolle – was bedeutet, dass man sogar mit einem schlechteren Schnitt als 1,0 realistische Chancen hat – und in der Zusätzlichen Eignungsquote (10 % der Plätze) wird vollkommen notenunabhängig ausgewählt.


„Modell-/Reformstudiengänge sind besser als Regelstudiengänge“

Einschätzung

Teilweise richtig.

Erläuterung

Auch wenn „besser oder schlechter“ keine wirklich brauchbare Einschätzungsdimension ist, haben Modell- oder Reformstudiengänge durchaus Vorteile: das häufigere Lernen in Kleingruppen und die oft intensivere Betreuung ist zweifellos vorteilhaft – der höhere Praxisbezug durch stärkere Integration von klinischen Aspekten und Inhalten (und oft auch Patientenkontakt schon in der Vorklinik) ebenfalls.

Ansonsten ist es einfach Geschmackssache, ob man gerne fächer- oder organsystembezogen lernt. Im Endeffekt müssen am Ende der Vorklinik alle das Gleiche wissen und das Gleiche können.


„Das Physikum ist die schwerste Prüfung im Medizinstudium“

Einschätzung

Kann ich (noch nicht) beurteilen.

Erläuterung

Das „Physikum“ (Erster Abschnitt der ärztlichen Prüfung) hat definitiv den Ruf einer „Angstprüfung“ und gilt gemeinhin als erster großer Meilenstein im Studium – es beendet die eher trockene Vorklinik und läutet den Weg zur richtigen Medizin ein.

Dafür kommen alle Themen der Vorklinik nochmals auf den Tisch und werden nochmals geprüft – die Fächer Anatomie, Physiologie und Biochemie zusätzlich noch in einer mündlichen Prüfung.

Die Durchfallquote ist von den staatlichen Prüfungen hier mit Abstand am höchsten und beträgt meist um die 10 %. Hinsichtlich des Schwierigkeitsgrades scheint also etwas dran zu sein.

So ein wenig scherzhaft muss man es auch sehen: das Physikum hat den Ruf des „Schwanzlängenvergleichs“ der medizinischen Fakultäten.


„Medizinstudenten sind arrogant“

Einschätzung

Nicht verallgemeinerbar.

Erläuterung

Im Medizinstudium findet man – wie in eigentlich jedem Studiengang – sehr unterschiedliche MEnschen mit sehr unterschiedlichen Charakteren. Ja, es sind auch solche darunter, die das Arroganz-Klischee vollends erfüllen; ein Großteil oder die Mehrheit ist es allerdings nicht.

Im Vergleich zu anderen Studiengängen? Kann ich ehrlich gesagt nicht einschätzen. Im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung? Ergeben sich zumindest für mich keine merklichen Unterschiede.


„Medizinstudenten sind hochintelligent“

Einschätzung

Nicht richtig.

Erläuterung

Man sollte Bildung bzw. schulische Leistung nicht mit Intelligenz gleichsetzen. Ja, hinischtlich der Leistung muss jeder in irgendeiner Form überdurchschnittlich gewesen sein – ansonsten hätte es einfach keinen Studienplatz gegeben.

Gleichermaßen muss ich allerdings auch feststellen, dass ein nicht unerheblicher Teil der dümmsten Diskussionen, die ich bislang gehört hatte, sich in meiner Semester-WhatsApp-Gruppe abgespielt hatten.

Zumindest bei manchen wird das Klischee, dass schulische oder akademische Leistungen auf Kosten der „Lebensfähigkeit“ gehen, durchaus erfüllt. Aber auch das ist ein verhältnismäßig kleiner Anteil.

Wirklich auffällige „Extreme“ in die eine oder andere Richtung gibt es dann doch erstaunlich selten.


„Der Lernaufwand im Medizinstudium ist hoch“

Einschätzung

Richtig.

Erläuterung

Man hat im Medizinstudium definitiv sehr unterschiedliche Themen und Fächer und pro Semester meist recht viele Module („Scheine“). Dabei geht es zumindest teilweise doch sehr in die Tiefe der Materie, teilweise ist einfach die Masse „erschlagend“.

Man hat also recht viel Stoff in recht kurzer Zeit – ohne ein sinnvoll strukturiertes Lernen geht es also tatsächlich nicht. Dazu kommt, dass man vergleichsweise viele Veranstaltungen mit Anwesenheitspflicht hat, was die freie Einteilung des Lernens durchaus erschwert.


„Bio-LK ist zur Vorbereitung Pflicht“

Einschätzung

Nicht richtig.

Erläuterung

Vorkenntnisse sind zweifellos hilfreich und können das Lernen ungemein erleichtern. Eine „Themenwiederholung“ ist lerntechnisch meist entspannter, als sich Wissen von Grund auf neu aneignen zu müssen.

Fairerweise wird allerdings jegliches notwendiges Wissen auch im Rahmen des Studiums selbst vermittelt – wenngleich in einem deutlich höheren Tempo, als es in der Schule der Fall ist. Per se besteht allerdings die Möglichkeit, Wissensdefizite aufzuholen.

In dem Zusammenhang wird der Bio-Leistungskurs als die Optimalwahl schlechthin gehandelt – der Chuck Norris der Leistungskurse für angehende Medizinstudenten. Und das halte ich für einen absoluten Irrglauben.

Biologie selbst ist ein einziges Modul/Schein im ersten Semester – das Praktikum der Biologie für Mediziner – und die Themenbandbreite ist mit Zytologie, Mikrobiologie und Grundlagen der Genetik eher überschaubar. Die Komplexität des Moduls hält sich in Grenzen und besteht überwiegend aus Fleißarbeit. Nichts, wofür man zwingend einen Leistungskurs – oder auch nur den Grundkurs – braucht.

Sinnvoller ist der Bio-LK dann schon für die Biochemie-Anteile, die später relevant werden. Allerdings scheitert es in der Biochemie eher an den chemischen Grundlagen als an der Biochemie selbst – was den Vorteil durchaus wieder relativiert.

Kurse, die auf dem Bio-Praktikum aufbauen gibt es nicht – und im Physikum selbst entfallen lediglich 20 Fragen auf das Fach Biologie. Es gilt im Medizinstudium zurecht als die „einfachste“ Naturwissenschaft.

Wenn man an Biologie Spaß hat und dort gut Punkte sammeln kann, ist der Bio-LK sicherlich eine gute Wahl, gar keine Frage. Als besonders relevant für das Studium kann man ihn aber nicht sehen und für die Themen, mit denen man in Berührung kommt, tut es auch der Grundkurs (oder, wie in meinem Fall, „abgewählt“).

Thematisch wesentlich näher an dem Studium wäre dann doch eher der Chemie-LK: die Themen decken sich hier fast 1-zu-1 mit dem Praktikum der Chemie für Mediziner, welches 1) ein typisches Rauswaschfach ist und 2) unmittelbar auf Biochemie-Praktikum und -Seminar vorbereitet, wo es meist an den chemischen Grundlagen scheitert.

Interessenkonflikte

Der Autor gibt an, dass keine Interessenkonflikte bestehen.

Quellen

SaniOnTheRoad (2023): Erstes Semester – ein Rückblick, abgerufen unter https://saniontheroad.com/erstes-semester-ein-rueckblick/ am 08.10.2023

SaniOnTheRoad (2022): Das Auswahlverfahren für das Medizinstudium, abgerufen unter https://saniontheroad.com/auswahlverfahren-medizinstudium/ am 08.10.2023

SaniOnTheRoad (2022): Der „Medizinertest“ (TMS), abgerufen unter https://saniontheroad.com/der-medizinertest-tms/ am 08.10.2023

SaniOnTheRoad (2022): Mein Weg ins Medizinstudium, abgerufen unter https://saniontheroad.com/mein-weg-ins-medizinstudium/ am 08.10.2023

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Über SaniOnTheRoad

Mythen rund ums Medizinstudium

SaniOnTheRoad

Notfallsanitäter, Teamleiter und Administrator des Blogs. Vom FSJler über Ausbildung bis zum Haupt- und Ehrenamt im Regelrettungsdienst und Katastrophenschutz so ziemlich den klassischen Werdegang durchlaufen. Mittlerweile beruflich qualifizierter Medizinstudent im vorklinischen Abschnitt. Meine Schwerpunkte liegen auf Ausbildungs- und Karrierethemen, der Unterstützung von Neueinsteigern, leitliniengerechten Arbeiten sowie Physiologie, Pathophysiologie, Pharmakologie und EKG für den Rettungsdienst. Mehr über mich hier.

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