Nachtschicht-Gedanken – Teil 2

Bei „Aus dem Pflaster-Laster“ berichte ich von Einsätzen, dem Alltag auf der Rettungswache und von aktuellen Themen – von purer Routine bis zum Drama. Am Ende ziehe ich mein Fazit der Einsätze und zeige auf, was gut lief und was besser laufen könnte. Namen von Patienten, Orten und Kollegen lasse ich selbstverständlich aus.

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Es ist wieder mal…Nachtschicht. Die dritte Nachtschicht in Folge. Die letzten Tage waren insgesamt eher „unruhig“ und unsere Einsatzzahlen, sowohl in der Notfallrettung, als auch im Krankentransport, bewegen sich erneut auf einem ziemlich hohen Niveau.

Ich bin mit einer älteren Kollegin unterwegs und auch diese Nacht finden wir wenig bis gar keine Ruhe – Fahrzeugcheck, Einsatz, Rückfahrt auf die Wache, Auffüllen, direkt der nächste.

Sehr viele Einsätze in der Nacht sind – obwohl wir als RTW unterwegs sind – keine Notfälle. Mal sind es einfache Hilfeleistungen, mal längeranhaltende Beschwerden, mal die Unmöglichkeit, anderweitig ins Krankenhaus zu kommen oder die halbe Stunde Wartezeit in der Hotline des ärztlichen Bereitschaftsdienstes. Eigentlich war nicht wirklich etwas dabei, wo man sagen kann: „Da war der Rettungsdienst wirklich nötig„.

Das ist ärgerlich. Und frustrierend. Frustrierend deshalb, weil jeder echte Notfall in Anbetracht der nachts zur Verfügung stehenden Fahrzeuge erst einmal warten muss. Bei uns auf dem Land kann es problemlos eine Viertelstunde länger dauern, die im Zweifelsfall entscheidend ist.

Ärgerlich ist es deshalb, weil der Rettungsdienst gravierende Schwachstellen „ausbessern“ muss, die eigentlich nicht in dessen Tätigkeitsbereich fallen. Gravierende Schwachstellen zum einen in anderen Gebieten der medizinischen Versorgung, wie dem ärztlichen Bereitschaftsdienst. Auch wenn ich voll überzeugt davon bin, dass dieser durchaus hervorragende und notwendige Arbeit leistet, sind die Rahmenbedingungen nicht tragbar. Zum Teil ewig lange Wartezeiten beim Anruf, zum Teil Stunden, die der einzelne Bereitschaftsarzt im Fahrdienst braucht, um beim Patienten aufzuschlagen.

Die örtliche Bereitschaftsdienstzentrale wurde vor zwei Jahren geschlossen. „Lohnt sich nicht“ – obwohl stets ein ordentlicher Patientenandrang war. Trotz Protesten von niedergelassenen Ärzten, Notärzten und Krankenhaus. Die nächste Bereitschaftsdienstzentrale liegt in einem anderen Landkreis. 25 Kilometer entfernt, null Anbindung mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Da ist es nicht verwunderlich, dass – wohlbemerkt berechtigte – Hilfeersuchen vermehrt bei der 112 und damit beim Rettungsdienst auflaufen.

Zum anderen leidet das gesamte präklinische Versorgungswesen einfach unter der abnehmenden Gesundheitskompetenz der Bevölkerung in der breiten Masse. Das postuliere ich einfach mal. Erwachsene Menschen, die mit beiden Beinen voll im Leben stehen, sind oft nicht in der Lage oder nicht willens, die Verantwortung für die eigene Gesundheit zu übernehmen. Das mag zum Teil einer Vollkaskomentalität oder erhöhtem Anspruchsdenken geschuldet sein, zum weitaus größeren Teil aber: Unwissen. Gesundheit wird als selbstverständlich hingenommen, mit Gesundheit wird sich nicht beschäftigt, bis man krank wird. Oft weiß man nicht, was „schlimm“ ist und was nicht – oft man man nicht, was morgen der Hausarzt sehen kann, was man selbst auskurieren kann und was sofort ins Krankenhaus muss.

Die Fehleinschätzungen werden durch ubiquitäre, aber ungefilterte Informationen durch „Dr. Google“ nicht besser: wenn man bei harmlosesten Symptomen die tödlichsten Krankheiten angezeigt bekommt, ist Verunsicherung bei medizinischen Laien absolut nachvollziehbar, Es fehlt ja oft schon an einem Grundwissen, um diese Informationen in „plausibel und wahrscheinlich“ oder „unplausibel und unwahrscheinlich“ einordnen zu können.

Es ist doch nicht nur die Gesundheitskompetenz, die zu Buche schlägt – sondern auch eine gewisse Medien– und Informationskompetenz, neben einem sinnvollen Allgemeinwissen.

Unterm Strich

Nicht wenige Dinge sind so alt wie der Rettungsdienst an sich – in der Summe wurden und werden die Probleme immer mehr.

Es braucht aus meiner Sicht einfach ein Umdenken – einerseits gesellschaftlich, damit der Rettungsdienst für seine angedachte Aufgabe eingesetzt werden kann, einerseits ein Umdenken im System, bei der auf Beratung und Vermittlung von Gesundheitskompetenz sowie niedrigschwellige Hilfsangebote vor Ort der Fokus gelegt wird. Und ja, das kostet. Es kostet aber vermutlich weniger als die „zuständigkeitsfremde“ Kompensation durch den Rettungsdienst.

Diese Probleme sind aber auch nicht nur negativ. Sie machen die Entwicklung im Rettungsdienst in den nächsten Jahren spannend – einfach, weil eine Veränderung (wie auch immer sie aussehen mag) – unvermeidlich ist. Und auch wenn so mancher Einsatz, manche Schicht oder auch manche Woche mit viel Kopfschütteln einhergeht: ich mache es nach wie vor gerne.

Wer Veränderung will, muss mit Veränderung anfangen.

Dementsprechend sehe ich auch unsere „Nicht-Notfälle“ als Beratungsindikation. Aufklärung leisten, an die richtigen Ansprechpartner verweisen. Und auch wenn wir dafür nicht bezahlt werden, sollten wir diese Aufgabe – notwendigerweise – annehmen. Ein anderer wird es uns nicht abnehmen.

Es ist halb 6 am Morgen. Rückkehr vom letzten Einsatz. In dieser Nacht hatten wir das Bett nicht gesehen. Zeit für Kaffee, Warten auf die Ablöse…

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Über SaniOnTheRoad

Nachtschicht-Gedanken – Teil 2

SaniOnTheRoad

Notfallsanitäter, Teamleiter und Administrator des Blogs. Vom FSJler über Ausbildung bis zum Haupt- und Ehrenamt im Regelrettungsdienst und Katastrophenschutz so ziemlich den klassischen Werdegang durchlaufen. Mittlerweile beruflich qualifizierter Medizinstudent im vorklinischen Abschnitt. Meine Schwerpunkte liegen auf Ausbildungs- und Karrierethemen, der Unterstützung von Neueinsteigern, leitliniengerechten Arbeiten sowie Physiologie, Pathophysiologie, Pharmakologie und EKG für den Rettungsdienst. Mehr über mich hier.

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