Nachtschicht-Gedanken – Teil 4

light trails on highway at night

Bei „Aus dem Pflaster-Laster“ berichte ich von Einsätzen, dem Alltag auf der Rettungswache und von aktuellen Themen – von purer Routine bis zum Drama. Am Ende ziehe ich mein Fazit der Einsätze und zeige auf, was gut lief und was besser laufen könnte. Namen von Patienten, Orten und Kollegen lasse ich selbstverständlich aus.

Liebes Gesundheitssystem, bitte ändere dich!

Nachts, drei Uhr, kalt und windig – der letzte Wisch der Einsatzdesinfektion ist erledigt, wir springen unter die Dusche und ziehen uns um.

Die RTW-Nachtschicht war absolut unruhig. Für einen Kaffee zu Schichtbeginn hat es gereicht, seitdem sind wir auf der Straße. An diesem Abend ist es…“ganz schlimm“. Und auch wenn praktisch alle Einsätze irgendwo indiziert waren, waren sie doch ein Symptom dafür, dass das Gesundheitssystem unter der zu tragenden Last mehr als ächzt.

Ein unklarer bewegungsabhängiger Thoraxschmerz ohne relevante Risikofaktoren und ohne jede EKG-Veränderung, den wir zusammen mit unserem Notarzt einfach zur Abklärung in den örtlichen Grundversorger gefahren haben. Der Diensthabende jammert „Wir haben keine Betten!„. Wie so oft in letzter Zeit. Die Information der Leitstelle zu Dienstbeginn „Zwei Intensivbetten, fünf normal-internistisch und acht Infektionsbetten sind frei gemeldet„.

Eiskalt angelogen durch das Krankenhaus – mal wieder. Unser Notarzt löst es diplomatisch, der Patient wird abgeklärt und nicht weiter verlegt.

Der Unruhezustand mittleren Alters hat uns letztendlich aus purer Hilflosigkeit angerufen – er bräuchte schlichtweg eine Bedarfsmedikation bei einem bekannten Grundproblem, die sonstigen Untersuchungen waren komplett unauffällig, eine Klinikeinweisung wäre weder indiziert, noch vom Patienten gewünscht. Wir informieren den ärztlichen Bereitschaftsdienst, der irgendwann vorbei kommt – wohl Stunden später.

Ich gebe gegenüber dem Patienten zu

„Es ist keine Lösung, die ich gut finde. Diese ist einfach am wenigsten schlecht – wir kämpfen hier letztlich gegen Windmühlen“

Als letztes hat uns ein zweijähriges Kind mit Zustand nach Fieberkrampf nach wenigen Minuten aus dem Bett geholt. Der Kleinen ging es soweit gut, trotz allem zur Abklärung in die Kinderklinik. Und bekannt COVID-positiv war sie natürlich auch.

Irgendwie ist alles COVID – das ACS ist manchmal gar kein ACS, sondern COVID. Der Schlaganfall ist gar kein Schlaganfall, sondern COVID mit Exsikkose. Der Oberschenkelhals ist zwar ein Oberschenkelhals, hat aber trotzdem COVID. Es nervt. Anders kann man es nicht mehr ausdrücken.

Und wir – gerade in der Landrettung – merken einfach zusehends, wie unsere Versorgungsstrukturen dem ganzen nicht mehr nur „nicht gewachsen sind“, sondern einfach schlichtweg kapitulieren. Obwohl wir alle im selben Boot sitzen, kämpft sich jeder nur noch Tag für Tag und nur noch für sich selbst durch. Das Gereiztheitslevel ist irgendwie auf „unendlich“ gestiegen, mit dementsprechenden Konfrontationen und Eskalationspotential.

Und am Ende sind wir es…

Leidtragende des strukturellen Problems der medizinischen Versorgung sind die Patienten.

Die Patienten werden schlechter bis gar nicht versorgt, weil es die Strukturen einfach nicht mehr hergeben. Hausärzte gehen reihenweise in Rente, ohne dass es auch nur einen potentiellen Nachfolger gibt.

Notwendige Strukturen wie der ärztliche Bereitschaftsdienst sind teilweise so ausgedünnt, dass es an ein Wunder grenzt, dass dieser seinen Aufgaben überhaupt noch vernünftig nachkommen kann.

Angehörige übernehmen unter teils katastrophalen Zuständen die Pflege von Patienten, die dringend eine stationäre Vollzeitpflege bräuchten – Sozialstation, ambulante Pflegedienste und Co. haben keinen Platz oder können die Aufgaben aufgrund der Nachfrage gar nicht mehr übernehmen.

Und dann kommen wir wieder ins Spiel: der Rettungsdienst – das letzte Sicherheitsnetz des Gesundheitswesens, wenn alles andere gescheitert ist. Der Rettungsdienst kommt. Der Rettungsdienst kümmert sich. Wir kompensieren schon heute viele Lücken der Versorgung, für die wir weder ausgebildet, noch ausgerüstet sind – die Zahl der Beratungsgespräche übersteigt selbst bei uns an manchen Tagen die der transportierten Patienten.

Es muss sich etwas ändern – und zwar an der gesamten Struktur!

Wir brauchen mehr Medizinstudienplätze, wir brauchen mehr Hausärzte, wir brauchen mehr nicht-ärztliches Fachpersonal, dass für die ambulante Versorgung qualifiziert ist. Wir brauchen mehr ambulante Pflege und mehr Plätze in Heimen. Und mehr Personal und bessere Betreuungsschlüssel sowieso.

Wir brauchen vielleicht auch einfach flächendeckend den Gemeindenotfallsanitäter, der auch einfach beratend und unterstützend tätig wird, ohne den Rettungsdienst an sich mit diesen Einsätzen überlaufen zu lassen.

Tatsache ist: der Rettungsdienst kann dieses Versorgungsdefizit, gerade „auf dem Land“, nicht ewig und nicht unendlich kompensieren, ohne daran zu zerbrechen.

Quellen

SaniOnTheRoad (2022): DocCheck: Personalkosten, Digitalisierung und Versorgungsengpässe, abgerufen unter https://saniontheroad.com/doccheck-personalkosten-digitalisierung-und-versorgungsengpaesse/ am 19.03.2022

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Über SaniOnTheRoad

Nachtschicht-Gedanken – Teil 4

SaniOnTheRoad

Notfallsanitäter, Teamleiter und Administrator des Blogs. Vom FSJler über Ausbildung bis zum Haupt- und Ehrenamt im Regelrettungsdienst und Katastrophenschutz so ziemlich den klassischen Werdegang durchlaufen. Mittlerweile beruflich qualifizierter Medizinstudent im vorklinischen Abschnitt. Meine Schwerpunkte liegen auf Ausbildungs- und Karrierethemen, der Unterstützung von Neueinsteigern, leitliniengerechten Arbeiten sowie Physiologie, Pathophysiologie, Pharmakologie und EKG für den Rettungsdienst. Mehr über mich hier.

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