Bei „Aus dem Pflaster-Laster“ berichte ich von Einsätzen, dem Alltag auf der Rettungswache und von aktuellen Themen – von purer Routine bis zum Drama. Am Ende ziehe ich mein Fazit der Einsätze und zeige auf, was gut lief und was besser laufen könnte. Namen von Patienten, Orten und Kollegen lasse ich selbstverständlich aus.
Warum gehen Einsätze schief? Die Frage treibt mich zweifellos seit längerem um. Was sind die Gründe dafür, dass im Einsatz schwerwiegende Probleme auftreten? Und vor allem: wie kann man es vermeiden?
Praktisch jeder, der länger als ein paar Wochen im Rettungsdienst ist, kennt sie – die „schlechten Einsätze“, sei es aus eigener Erfahrung oder aus der Erzählung von Kollegen.
Die Gründe, die ich „gefunden“ habe, basieren auf einer Analyse meiner eigenen „schlecht gelaufenen“ Einsätze, sowie dem Diskurs von Kollegen, Praxisanleitern, einigen Notärzten und ein paar Dozenten meiner alten Rettungsdienstschule.
Fehlende Struktur
„Strukturprobleme“ sind ein Klassiker für einen schlecht laufenden Einsatz – und wahrscheinlich einer der häufigsten Gründe.
Das umfasst zum einen mal die medizinische Struktur – sprich: ein sinnvolles Vorgehen nach medizinischen Gesichtspunkten. Es werden zum Teil Maßnahmen ohne jede Priorisierung ergriffen, es werden zum Teil sinnfreie diagnostische Maßnahmen durchgeführt, während andere (notwendige) unterbleiben oder viel zu spät erfolgen.
Auch wenn es manchen nervt: es kommt das Plädoyer für das xABCDE-Schema. Witzigerweise hätte man bei korrekter Anwendung nicht nur ein sinnvolles Untersuchungsschema, sondern auch automatisch eine Priorisierung der Maßnahmen und einen schnellen Gesamtüberblick über die Situation.
Zum anderen ist die Führungsstruktur ein anderes Problem, welches in die gleiche Kerbe schlägt – und ich rede hier nicht von Großschadenslagen.
Es geht schlicht und ergreifend um den CRM-Leitsatz „Übernimm die Führung oder sei ein gutes Teammitglied mit Beharrlichkeit„. Die Ignoranz dieses Leitsatzes führt entweder dazu, dass einfach keine Führung erfolgt (und nicht erkennbar ist, wer die Führung innehat) oder dazu, dass ein Teammitglied selbst die Führung ergreift, weil eben keine Führung erfolgt.
Zwei „Kopflose“ bringen genauso viel Chaos wie zwei Häuptlinge – und damit einen Nährboden für Fehler, Missverständnisse und Kompetenzgerangel.
Medizinische Basismaßnahmen
Erstaunlicherweise scheitern viele Einsätze an diesem Punkt: medizinische Basismaßnahmen werden nicht, falsch oder zu spät ergriffen.
Es geht hier explizit nicht um die maximal invasive Therapie – sondern schlicht und ergreifend um die Punkte vernünftige körperliche Untersuchung, saubere Notfallanamnese, situationsgerechtes Monitoring, passende Lagerung, angepasste Sauerstoffgabe, korrekte Immobilisation und Wundversorgung und den Wärmeerhalt.
Zu oft ist die Diagnostik „unsauber“ und das Monitoring unvollständig. Bei einem Verdacht auf kardiale Dekompensation wird kein 12-Kanal-EKG geschrieben, der Patient erhält keinen Sauerstoff oder wird falsch gelagert.
Die Patienten mit Oberschenkelhals liegt praktisch unversorgt auf dem Boden – die Hälfte des Monitorings fehlt, Wärmeerhalt ist aus wegen ist nicht. Der Notarzt, der zur Analgesie nachgefordert wurde, muss den Zugang bei guten Venenverhältnissen dann noch selbst legen.
Eine Schienung der unkomplizierten Unterarmfraktur überfordert manch einen Kollegen leider genauso, wie die Basismaßnahme der Kühlung.
Leider betrifft das alles sehr oft qualifiziertes Personal – sprich Notfallsanitäter – und da oft auch die Kandidaten, die über die Fähigkeiten der Kollegen schimpfen wie die Rohrspatzen. Auch eine schöne Variante, sich selbst zu diskreditieren.
Die Beherrschung und die korrekte Anwendung medizinischer Basismaßnahmen ist essentiell – zum einen sind es die Dinge, die den Patientenzustand unmittelbar verbessern, zum anderen ist es überhaupt erstmal die Grundlage, erweiterte Versorgungsmaßnahmen zu ergreifen. Und gerade bei der Diskussion um heilkundliche Kompetenzen muss von einer Fachkraft des Rettungsdienstes erwartet werden, dass wenigstens die „Basics“ laufen.
Kommunikation
Unter dem Begriff verbergen sich eigentlich mehrere Dinge, die mehr oder weniger alle sehr CRM-lastig sind.
Zum einen ist es die Kommunikation mit den Patienten – diese erfolgt bei manchen sehr knapp, sehr harsch und es wird oft „über“ statt „mit“ den Patienten geredet. Obwohl letzteres situativ und vom Patientenzustand her möglich ist. Oder auch: es wird überhaupt nicht auf den Patienten eingegangen.
Dementsprechend schlecht fällt dann meist auch die Anamnese aus. Wichtige Informationen fehlen und müssen anderweitig beschafft werden.
Eine angemessene Betreuung des Patienten findet in dieser Situation natürlich auch nicht statt – Folge: Patienten fühlen sich nicht ernst genommen, und damit auch nicht gut behandelt.
Bei der Kommunikation mit den Angehörigen ist es oft das gleiche Spiel: sehr knappe Kommunikation, oft wenig wertschätzend, oft nicht auf Augenhöhe. Das Ergebnis, dass der Rettungsdienst als unfreundlich und menschlich nicht besonders kompetent wahrgenommen wird, ist vorhersehbar.
Die Kommunikation im Team ist auch ein Fehlerklassiker – ganz beliebt in Kombination mit fehlender Führungsstruktur.
Es erfolgen keine oder ungenaue Anweisungen, eine gemeinsame Besprechung gibt es dann ebenso wenig wie eine Planung der nächsten Schritte. Ein „Close-the-loop“ bei auffälligen Befunden oder Vitalparametern fällt oft flach, was zur Folge hat, dass die Hälfte der Störungen erst gar nicht bemerkt wird.
Oder: es wird über alles geredet – nur die essentiellen Punkte gehen unter. „Zu viel“ Kommunikation kann auch „schlechte Kommunikation“ bedeuten. Nämlich dann, wenn sie mit irrelevanten Punkten gefüllt wird.
Fixierungsfehler
Wer an die Wahrnehmungseffekte aus der NFS-Ausbildung oder die Vorbereitung auf die Ergänzungsprüfung denkt, wird wahrscheinlich auch den Fixierungsfehler kennen.
Man fixiert sich auf ein Problem – unabhängig wie relevant dieses ist – und andere Probleme, die Angehörigen oder Zustandsveränderungen des Patienten werden nicht oder zu spät wahrgenommen.
Aus Gründen des Eigenschutzes ist es genauso fatal wie aus medizinischer Sicht – ein „Tunnelblick“ führt oft zu einer falschen Verdachtsdiagnose und einer falschen Behandlung.
Sehr oft braucht es dann den richtigen Impuls von „außen“ – im Idealfall nimmt es der Teampartner wahr und kann intervenieren. Das funktioniert allerdings auch nur bei einer klaren Struktur, sinnvollen medizinischen Vorgehensweise und guter Kommunikation.
Fazit
Im Prinzip sind alle vier großen Fehlergruppen eines: vollkommen vermeidbar.
Die Grundvoraussetzung ist jedoch, dass Crew Resource Management richtig gelebt wird, dass xABCDE gelebt wird und der Patient eben Dreh- und Angelpunkt der Versorgung ist.
Die psychische Betreuung bräuchte einen wesentlich größeren Stellenwert – sowohl in der Versorgung von Notfall- als auch Nicht-Notfallpatienten.
Im Grunde genommen müsste man weder Ausbildung noch Kompetenzen ändern, um den Rettungsdienst voranzubringen: es müssten einfach bestehende Grundsätze vom Personal gelebt werden.
Tools wie xABCDE, 10-for-10 und FORDEC gibt es schließlich bereits. Und sie funktionieren.
Sowohl für die eigene Professionalität, als auch eine gute und vor allem sichere Patientenversorgung muss jeder sein eigenes Handeln kritisch überprüfen. Auch ich.
Quellen
InPASS – Institut für Patientensicherheit und Teamtraining GmbH (2020): CRM-Karte, abgerufen unter https://inpass.gmbh/p/crm-karten-kostenlos am 03.02.2022
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