3.1 Physiologische Werte der Vitalfunktionen

© 2024 SaniOnTheRoad.

Lernziele

Nach diesem Beitrag kennst Du

  • rettungsdienstliche Normwerte des Atmungssystems,
  • rettungsdienstliche Normwerte des Kreislaufsystems,
  • rettungsdienstliche Normwerte des Blutzuckerspiegels,
  • rettungsdienstliche Normwerte der Körper(kern)temperatur,
  • den Umgang mit Normwerten in der rettungsdienstlichen Praxis.

Abstract

Normwerte spielen sowohl als Referenz für pathologische Abweichungen und Krankheitsdefinitionen wie auch als eigenständige Befunde im Rettungsdienst eine bedeutsame Rolle.

In diesem Beitrag wird eine Übersicht der wichtigsten rettungsdienstlichen Normwerte der apparativen Diagnostik gegeben – dort, wo altersabhängig unterschiedliche Normwerte existieren, auch mit entsprechenden Altersstufen.

Gleichermaßen dienen Normwerte nicht zur alleinigen Diagnostik, Therapie oder Entscheidungsfindung, sondern müssen stets in einem patienten- und situationsabhängigen Gesamtkontext betrachtet werden.


Inhaltsverzeichnis


Einleitung

„Um zu wissen, was nicht normal ist, muss man wissen, was normal ist“

Das ist letztendlich die Grundlage für diesen Beitrag und auch der Grund, weshalb dieser Beitrag überhaupt verfasst wurde. Im Rettungsdienst liegt der Fokus eindeutig auf dem „kranken Menschen“ und damit in der Regel auch auf Normabweichungen der Vitalparameter.

Um allerdings überhaupt festlegen zu können, was eine Abweichung der Norm ist, muss man die Norm selbst erst einmal kennen. Und es wird oft genug vergessen, dass auch Normalbefunde im rettungsdienstlichen Kontext durchaus eine wichtige Grundlage der Entscheidungsfindung und Differentialdiagnostik darstellen.

Dieser Beitrag ist etwas „anders“ als die übrigen Beiträge aus „rettsan-kompakt“ – hier geht es ausnahmsweise nicht um detaillierte Erklärungen, sondern eine Kurzübersicht über das Wesentliche.

Deshalb liegt der Fokus hier schwerpunktmäßig auf den Vitalparametern, die im rettungsdienstlichen Einsatz regelhaft erhoben werden können und hier vor allem auf der apparativen Diagnostik.

Genereller Hinweis: wirklich einheitliche Angaben für Normwerte sind nur begrenzt zu finden – gewisse Abweichungen sind je nach verwendeter Quelle üblich. Dementsprechend gebe ich die Empfehlung, die nachfolgend genannten Werte nicht als „in Stein gemeißelt“ zu sehen, sondern als entsprechenden Wertebereich, der in anderen Quellen auch anders ausfallen kann.

Prüfungsrelevant

Normwerte müssen auswendig gelernt werden!


A & B – Normalwerte des Atmungssystems

Atemfrequenz

NeugeboreneSäuglingeKleinkinderSchulkinderJugendliche/Erwachsene
40 – 50/min30 – 40/min25 – 30/min15 – 25/min12 – 20/min

Die Atemfrequenz unterliegt einer sehr starken Altersabhängigkeit – bedingt durch ein geringeres Atemzugvolumen – und nimmt bis zum Erwachsenenalter kontinuierlich ab.

Eine verlangsamte Atmung wird als Bradypnoe bezeichnet, eine beschleunigte als Tachypnoe – in beiden Fällen sind die altersabhängigen Normwerte die Referenz. Ein Atemstillstand wird als Apnoe bezeichnet.

Prüfungsrelevant

  • Bradypnoe: verlangsamte Atemfrequenz
  • Tachypnoe: beschleunigte Atemfrequenz
  • Apnoe: Atemstillstand

Die Atemfrequenz ist einer der empfindlichsten Parameter bei zahlreichen pathologischen Vorgängen – zum Beispiel beim Schock.

Sauerstoffsättigung (SpO2)

Die Sauerstoffsättigung gibt an, welcher Anteil des arteriellen Blutes mit Sauerstoff beladen ist – das Messprinzip beruht dabei auf einer photometrischen Messung; gesättigtes Blut absorbiert Licht anderer Wellenlängen als ungesättigtes.

Hier gibt es wenige Ausnahmen der Normalwerte: das ist vor allem die „präduktale Sauerstoffsättigung“ bei unmittelbar Neugeborenen, und in gewisserweise die Zielsättigung bei schwerer COPD.

Präduktale Sauerstoffsättigung (rechte Hand), Zeiten nach der Geburt (postpartal)

2 min3 min4 min5 min10 min
60 %70 %80 %85 %90 %

C – Normalwerte des Kreislaufsystems

Blutdruck

NeugeboreneSäuglingeKleinkinderSchulkinderJugendliche/Erwachsene
systolisch [mmHg]75 – 8575 – 10090 – 100100 – 110100 – 140
diastolisch [mmHg]40 – 5060 – 6560 – 7060 – 7560 – 90

Der Blutdruck ist die Kraft, welche auf die Gefäßwände wirkt – relativ selbsterklärend. Bei einer Blutdruckmessung sind systolischer und diastolischer Blutdruckwert anzugeben.

Ein Blutdruck unterhalb des Normbereichs nennt man Hypotonie, ein darüber liegender Blutdruck Hypertonie. Innerhalb des Normbereichs spricht man (wenn auch weniger gebräuchlich) von einer Normotonie.

Prüfungsrelevant

  • Hypotonie: Blutdruck unterhalb des Normbereichs
  • Hypertonie: Blutdruck überhalb des Normbereichs

Herzfrequenz

NeugeboreneSäuglingeKleinkinderSchulkinderJugendliche/ErwachseneSenioren
120 – 140/min120 – 140/min100 – 120/min80 – 100/min60 – 80/min70 – 90/min

Achtung, Begrifflichkeiten: die Herzfrequenz ist die Anzahl der elektrischen Herzerregungen pro Minute – der Puls hingegen ist die tastbare Druckwelle, die durch die Kontraktion der Ventrikel des Herzens entsteht.

Physiologischerweise entspricht die Pulsfrequenz der Herzfrequenz – es besteht allerdings die Möglichkeit, dass die Herzfrequenz höher liegt, als die (periphere) Pulsfrequenz. Im Extremfall – bspw. bei Kammerflimmern – kann die Pulsfrequenz bei 0/min liegen, obwohl eine Herzfrequenz von > 350/min vorliegt.

Die gesonderte Dokumentation von peripheren Puls und Herzfrequenz ist daher durchaus relevant!

Bei einer Herzfrequenz unter dem Normbereich spricht man von einer Bradykardie, überhalb des Normbereichs von einer Tachykardie.

Prüfungsrelevant

  • Bradykardie: HF unterhalb des Normbereichs
  • Tachykardie: HF oberhalb des Normbereichs

Rekapillarisierungszeit (Recap)

Einer der einfachsten Kreislaufparameter – und dafür einer der aussagekräftigsten – ist die Rekapillarisierungszeit, also die Füllungsdauer des Kapillarbetts nach Druckausübung, wie sie bspw. mit der Nagelbettprobe geprüft wird.

Ein Vergleich zwischen zentraler (am Körperstamm) und peripherer (z.B. Nagelbettprobe) Rekapillarisierungszeit bietet sich an.

EKG-Zeiten

P-WellePQ-ZeitQRS-KomplexQTc-Zeit
Dauer < 100 ms
Amplitude 0,1 – 0,3 mV
120 – 200 ms60 – 100 ms350 – 440 ms

Die EKG-Zeiten sollen an dieser Stelle lediglich als Übersicht dienen.

D – Normalwerte der Neurologie

Fast schon enttäuschend wirken die rettungsdienstlichen Normalwerte der Neurologie – auch wenn die orientierende neurologische Untersuchung weit mehr umfasst (und generell sehr viel hinsichtlich des neurologischen Status untersucht werden kann), wird es bei Messwerten…eng.

In der Regel beschränken sich Messungen hier auf den Blutzuckerspiegel.

Blutzuckerspiegel

Blutzuckerspiegel
60 – 120 mg/dl
3,3 – 6,7 mmol/l

Ein Blutzuckerspiegel unterhalb des Normbereichs nennt man Hypoglykämie, ein Blutzuckerspiegel darüber Hyperglykämie.

Die Messwerte des Blutzuckerspiegels muss man tatsächlich mit einem Körnchen Salz nehmen…

Der Blutzuckerspiegel unterliegt auch beim Gesunden Schwankungen und immer gleiche Messbedingungen (nüchtern) kann man im Rettungsdienst nicht gewährleisten. Aus diesem Grund ist insbesondere der obere Grenzwert eher als relativer Anhaltspunkt zu sehen – eine wirklich fixe Grenze für die Hyperglykämie ist im Rettungsdienst schwer zu setzen.

Prüfungsrelevant

  • Hypoglykämie: BZ unterhalb des Normbereichs
  • Hyperglykämie: BZ oberhalb des Normbereichs

E – sonstige Normalwerte

Körper(kern)temperatur

Körper(kern)temperatur
36,0°C – 37,4°C

Wahrscheinlich gibt es wenige Parameter, wo es wirklich dutzende unterschiedliche Angaben für Normwerte gibt – die Körpertemperatur ist eine davon.

Abweichungen nach unten werden Hypo-, nach oben Hyperthermie genannt.

Umgang mit Normwerten in der rettungsdienstlichen Praxis

Der vielleicht wichtigste Teil des ganzen Beitrags – jedenfalls meiner Meinung nach. Zumindest wichtiger, als irgendwelche Normwerte (die man trotzdem lernen muss), die sich in jeder zweiten Quelle unterscheiden.

Nämlich die Frage:

„Wie gehen wir mit Normwerten im Rettungsdienstalltag um?“

Und da gibt es schlicht und ergreifend ein paar Grundsätze, die man verinnerlichen muss.

Behandel‘ den Patienten, nicht den Monitor!

Maßgeblich für die rettungsdienstliche Entscheidungsfindung ist primär stets die klinische Symptomatik – nicht irgendwelche gemessenen Parameter.

Diese spielen zwar selbstverständlich eine Rolle, aber erst nachrangig. Entscheidungsgrundlage sind erstmal die Beschwerden und Symptome des Patienten für die weitere Diagnostik und Therapie.

Beschwerden können durchaus auch ohne signifikante Veränderungen der Vitalparameter auftreten und Vitalparameter können verändert sein, ohne für die Beschwerden ursächlich zu sein. Immer bedenken sollte man, dass auch Messfehler durchaus vorkommen können!

Ziel der rettungsdienstlichen Versorgung ist es, den Patienten zu versorgen, nicht irgendwelche Messwerte zu schönen.

Normabweichung ≠ Krank ≠ Behandlungsbedürftig

Nicht jede Normabweichung bedeutet zwangsläufig, dass jemand „krank“ ist oder ein zwingend behandlungsbedürftiges Problem vorliegt.

Normabweichungen können auch durchaus physiologisch sein – so wird der trainierte Ausdauersportler mit einer HF von 50/min in Ruhe zwar bradykard sein, allerdings hat das keinerlei Krankheitswert und ist selbstverständlich nicht behandlungsbedürftig.

Jeder Patient hat gewissermaßen ein „individuelles Normal“, welches durchaus auch von den definitionsgemäßen Normalwerten abweichen kann – zumindest in Grenzbereichen sollte man in Erwägung ziehen, dass der gemessene Wert für den Patienten nicht außergewöhnlich ist.

Ebenfalls bedenken müssen wir: „normal“ ist auch situationsabhängig – die Normwerte sind typischerweise für den gesunden, entspannten Patienten definiert. Das ist das rettungsdienstliche Patientenklientel nicht. Wenn Menschen in einem per se unphysiologischen Zustand – durch Krankheit, Verletzung, Verunsicherung bis Stress – sind, ist es unwahrscheinlich, Normwerte zu erwarten.

In diesem Fall gilt umso mehr der erstgenannte Punkt: Patienten behandeln, nicht den Monitor – und auch durchaus die Überlegung anstellen, ob die gemessenen Werte der Situation angemessen sind oder tatsächlich ein Problem darstellen.


Zusammenfassung

  • Normwerte auswendig lernen!
  • Normwerte beziehen sich in aller Regel auf einen Patienten in Ruhe!
  • Bradypnoe: verlangsamte Atemfrequenz
  • Tachypnoe: beschleunigte Atemfrequenz
  • Apnoe: Atemstillstand
  • Die Atemfrequenz wirklich auszählen ist ein „Muss“!
  • Hypotonie: Blutdruck unterhalb des Normbereichs
  • Hypertonie: Blutdruck überhalb des Normbereichs
  • mmol/l = mg/dl : 18 und mg/dl = mmol/l * 18
  • Hypoglykämie: BZ unterhalb des Normbereichs
  • Hyperglykämie: BZ oberhalb des Normbereichs
  • Messwerte der Vitalparameter müssen stets im Gesamtkontext betrachtet werden!

Lernziele

Du kennst nun

  • rettungsdienstliche Normwerte des Atmungssystems,
  • rettungsdienstliche Normwerte des Kreislaufsystems,
  • rettungsdienstliche Normwerte des Blutzuckerspiegels,
  • rettungsdienstliche Normwerte der Körper(kern)temperatur,
  • den Umgang mit Normwerten in der rettungsdienstlichen Praxis.

Interessenkonflikte

Der Autor gibt an, dass es sich bei den verlinkten Büchern um Affiliate-Links handelt. Es entstehen keine zusätzlichen Kosten bei der Bestellung über den Link. Eine Einflussnahme bei der Auswahl der Literatur ist dadurch nicht erfolgt. Siehe auch: Hinweise zu Affiliate-Links.

Der Autor gibt an, dass keine Interessenkonflikte bestehen.

Quellen

Behrends J. et al. (2021): Duale Reihe Physiologie, 4. unveränderte Auflage. Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart. ISBN 978-3-13-243862-0.. DOI: 10.1055/b000000462. Hier erhältlich: https://amzn.to/3fd7EaB Affiliate-Link

Dönitz S., Flake F. (2015): Mensch Körper Krankheit für den Rettungsdienst, 1. Auflage. Urban & Fischer Verlag/Elsevier GmbH, München. ISBN 978-3-437-46201-6. Aktuelle Auflage (4. Auflage, 2022) hier erhältlich: https://amzn.to/3dDLoGD Affiliate-Link

Enke K., Flemming A., Hündorf H.-P., Knacke P., Lipp R., Rupp P. (2018): Lehrbuch für präklinische Notfallmedizin, Band A, 5. Auflage. Verlagsgesellschaft Stumpf & Kossendey mbH, Edewecht. ISBN: 978-3-943174-43-4. Aktuelles Gesamtwerk (3 Bände, 6. Auflage, 2019) hier erhältlich: https://amzn.to/3s8xH6L Affiliate-Link

Luxem J., Runggaldier K., Karutz H., Flake F. (2020): Notfallsanitäter Heute, 7. Auflage. Urban & Fischer Verlag/Elsevier GmbH, München. ISBN 978-3437462115. Hier erhältlich: https://amzn.to/3s8KEh5 Affiliate-Link

SaniOnTheRoad (2019): „Kleines 1×1 des Rettungsdienstes“ – Teil 13: EKG-Basics, abgerufen unter https://saniontheroad.com/kleines-1×1-des-rettungsdienstes-teil-13/ am 21.07.2024

Vaupel P., Schaible H.-G., Mutschler E. (2015): Anatomie, Physiologie, Pathophysiologie des Menschen, 7. vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart. ISBN 978-3-8047-2979-7. Hier erhältlich: https://amzn.to/3Szzpsu Affiliate-Link

viamedici (2023): Normalwerte (Stand 02.06.2023). Lernmodul in viamedici.thieme.de. ©2024 Georg Thieme Verlag KG. Abgerufen unter https://viamedici.thieme.de/lernmodul/15855710/15855706/normalwerte am 21.07.2024

Folgt meinem Blog!

Du möchtest nichts mehr verpassen? Neuigkeiten von mir gibt es auch per Mail!

Es gelten unsere Datenschutz– und Nutzungsbestimmungen.

Wie fandest Du diesen Beitrag?

Klicke auf die Sterne um zu bewerten!

Durchschnittliche Bewertung 5 / 5. Anzahl Bewertungen: 1

Bisher keine Bewertungen! Sei der Erste, der diesen Beitrag bewertet.

Es tut uns leid, dass der Beitrag für dich nicht hilfreich war!

Lasse uns diesen Beitrag verbessern!

Wie können wir diesen Beitrag verbessern?


Über SaniOnTheRoad

3.1 Physiologische Werte der Vitalfunktionen

SaniOnTheRoad

Notfallsanitäter, Teamleiter und Administrator des Blogs. Vom FSJler über Ausbildung bis zum Haupt- und Ehrenamt im Regelrettungsdienst und Katastrophenschutz so ziemlich den klassischen Werdegang durchlaufen. Mittlerweile beruflich qualifizierter Medizinstudent im vorklinischen Abschnitt. Meine Schwerpunkte liegen auf Ausbildungs- und Karrierethemen, der Unterstützung von Neueinsteigern, leitliniengerechten Arbeiten sowie Physiologie, Pathophysiologie, Pharmakologie und EKG für den Rettungsdienst. Mehr über mich hier.

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.